Nosferatu – Der Untote [2024]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. Dezember 2024
Genre: Fantasy / Horror

Originaltitel: Nosferatu
Laufzeit: 132 min.
Produktionsland: Tschechien / USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Robert Eggers
Musik: Robin Carolan
Besetzung: Lily-Rose Depp, Nicholas Hoult, Bill Skarsgård, Aaron Taylor-Johnson, Willem Dafoe, Emma Corrin, Ralph Ineson, Simon McBurney


Kurzinhalt:

Im Jahr 1838 erhält der frisch vermählte Makler Thomas Hutter (Nicholas Hoult) von seinem neuen Arbeitgeber Herr Knock (Simon McBurney) den Auftrag, in die Karpaten zu reiten, um dort dem erkrankten Grafen Orlok (Bill Skarsgård) den Kaufvertrag für ein Haus in der deutschen Stadt Wisborg zu unterbreiten. Thomas’ Frau Ellen (Lily-Rose Depp), die von Alpträumen heimgesucht wurde, bis sie Thomas traf, versucht, ihn von der Reise abzubringen. Denn kaum hatte er ihr davon erzählt, wurde sie erneut von schlimmen Vorahnungen geplagt. Doch Thomas bricht auf und findet in Rumänien neben dem verlassen scheinenden Schloss beunruhigende Bräuche bei der ländlichen Bevölkerung vor. Graf Orlok bekommt er kaum zu Gesicht, doch löst dessen Präsenz ein tiefes Unbehagen in Thomas aus. Während Ellen bei der befreundeten Familie um Friedrich (Aaron Taylor-Johnson) und Anna (Emma Corrin) Harding unterkommt, die sich zunehmend um ihre nächtlichen Anfälle sorgen und deshalb zuerst Dr. Sievers (Ralph Ineson) und schließlich Professor Von Franz (Willem Dafoe) hinzuziehen, muss Thomas erkennen, dass sich Ellens schlimmste Befürchtungen bewahrheiten …


Kritik:
Robert Eggers’ lange in Entwicklung befindliches Remake von Friedrich Wilhelm Murnaus prägendem Genrestummfilm Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens [1922] ist einerseits alles, was man von einer geradezu erfrischend klassisch-modernen Interpretation der Fantasy-Horror-Geschichte erwarten kann. Gleichzeitig jedoch lässt Nosferatu – Der Untote einen Aspekt vermissen, der nötig wäre, um das Publikum bis zum letzten Moment mitzureißen. Erlesen stimmungsvoll und sehenswert, ist er dennoch.

Der inzwischen über 100 Jahre alte Genreklassiker Nosferatu ist eine nicht autorisierte Adaption von Bram Stokers unvergleichlichem Literaturmeilenstein Dracula [1897], bei der ungeachtet einiger Namensänderungen und neuer Ideen die grundsätzliche Geschichte um den Vampirfürsten erhalten blieb. So auch bei Eggers’ Nosferatu – Der Untote, dessen größtes Hindernis vermutlich ist, dass die Geschichte einem Großteil des Publikums bekannt vorkommt, selbst wenn die Charaktere hier anders heißen.
Sie beginnt im Jahr 1838 in der fiktiven norddeutschen Hafenstadt Wisborg, wo das frisch vermählte Ehepaar Thomas und Ellen Hutter kaum glücklicher sein könnte. Thomas hofft, mit seiner Arbeit für den Makler Herrn Knock so viel zu verdienen, dass er sich und seiner geliebten Frau ein Haus wird leisten können. Ellen allerdings wird seit Kindertagen von schlimmen Alpträumen und Visionen heimgesucht, die aufgehört haben, nachdem sie Thomas traf. Herr Knock entsendet Thomas nach Transsilvanien zum Schloss von Graf Orlok, der ein Haus in Wisborg erwerben möchte, aber zu krank sei, um zu reisen. Entgegen Ellens eindringlicher Bitten, die schlimme Vorahnungen die Reise betreffend plagen, macht sich Thomas auf. Er findet in dem Schloss einen Schrecken jenseits seiner Vorstellungskraft und schlimmer noch, ist der Graf besessen von Thomas’ Gemahlin Ellen. Auf seinem unaufhaltsamen Weg nach Wisborg bringt er ein Grauen ungeahnten Ausmaßes über die Menschen.

Für ein Publikum, das mit der Dracula-Geschichte vertraut ist, klingt all dies wohl bekannt, selbst wenn Filmemacher Robert Eggers auf Figuren wie den Vampirjäger Van Helsing verzichtet (wie auch die ursprüngliche Verfilmung). Während Thomas in Graf Orlok dem wandelnden Tod begegnet, wohnt seine Frau Ellen bei dem wohlhabenden, befreundeten Ehepaar Harding. Thomas’ Freund Friedrich Harding zieht schließlich den renommierten Arzt Dr. Sievers hinzu, nachdem Ellens Heimsuchungen immer schlimmer werden und sie gar sediert werden muss, um sich und andere nicht zu verletzen. Darsteller Willem Dafoe fällt die Rolle des dem Okkulten zugewandten Professor Von Franz zu, der aufgesucht wird, als die Schulmedizin keine Lösung mehr weiß.

Lange Zeit ist Graf Orlok, dessen Besessenheit von Ellen nicht nur unvorstellbare Qualen für sie bedeutet, sondern auch Leid und Tod über die Bewohnerinnen und Bewohner Wisborgs bringt, von den Menschen in Ellens Nähe ganz zu schweigen, nicht mehr als ein Schatten. Ein Unheil, das vom ersten Moment an über der Geschichte schwebt. Die ist in Nosferatu – Der Untote geprägt von Gegensätzen. Vom grausamen Tod, der die Straßen durchzieht und der Menschen abscheuliche Dinge tun lässt, einerseits sowie geradezu pittoresken Einstellungen andererseits, wenn Ellen am offenen Fenster steht, auf ihren Gemahl oder das Unheil wartend, bzw. sie mit der Familie Harding am Strand spazieren geht, andererseits. Die Gegensätzlichkeit zieht sich auch in den anderen Aspekt der Geschichte: der Darstellung der Sexualität. Steht der biedere Thomas, der das Verlangen seiner Frau zu Beginn ablehnt, für die Zurückweisung deren sexuellen Begehrens, verkörpert Graf Orlok eine ungezügelte, geradezu destruktiv animalische Sexualität, bei der durchaus die Frage aufkommt, ob manche von Ellens Äußerungen Thomas gegenüber daher rühren, dass Orlok von ihr Besitz ergriffen hat, oder sie nur ohne Zurückhaltung spricht.

Die Themen, die Regisseur Eggers aussucht, lassen Spielraum für Interpretation, wobei die Verbindung des Fantasy-Horrors mit einer in den meisten Momenten durchaus Unbehagen auslösenden Sinnlichkeit kein tatsächlich neuer Aspekt, sondern der Sage gewissermaßen in die Wiege gelegt ist. Mann kann auch nicht sagen, dass irgendetwas hiervon nicht gelungen wäre, ganz im Gegenteil. Nosferatu – Der Untote ist handwerklich herausragend umgesetzt, mit einer erstklassigen und dabei klassischen Bildersprache, in der Schatten und Perspektiven wichtiger sind, als sichtbarer Horror, mit dem sich die Verantwortlichen jedoch nicht zurückhalten. Stellenweise beinahe in schwarzweiß oder im Kerzenschein dennoch monochrom gehalten, sind die Bilder allein eine Wucht. Die langen, das Publikum wie die Besetzung fordernden Szenen, bei denen der Vorder- wie der Hintergrund wichtig sind, sind heutzutage eine Seltenheit und daher umso beeindruckender. Auch ist die im Grunde überaus tragische, beinahe schicksalshafte Geschichte von allen Beteiligten stark gespielt. Insbesondere von Lily-Rose Depp, deren Tour de Force einem mitunter einen Schauer über den Rücken jagt, und deren Schicksal zu Beginn bereits großteils angedeutet wird. Aber auch von Nicholas Hoult und Bill Skarsgård, wobei letzterer dank einer fantastischen, alptraumhaften Maske nicht zu erkennen ist.

Dass der Fokus der Bezugsfiguren von Ellen zu Thomas und wieder zurückwandert, macht allerdings es schwer, vollends mit ihnen mitzufiebern. Die Geschichte verteilt sich gleichmäßig auf mehrere Schultern, doch insbesondere Ellen wird als Figur zu spät definiert, als dass was ihr widerfährt und was sie durchstehen muss, so sehr packen würde, wie die Story es beabsichtigt. Das ändert nichts daran, dass Nosferatu als das, was der Film sein soll, eine Neuinterpretation des Genre prägenden Klassikers, in jeder Hinsicht gelungen ist, auch wenn die zweite Filmhälfte länger gerät, als sie sein müsste. Doch es wird vermutlich nur ein kleines Publikum geben, das sich an den sehenswerten Aspekten erfreut, wenn die Geschichte gleichzeitig zu bekannt klingt.


Fazit:
Dass sich Teile von Robert Eggers’ Interpretation wie ein fiebriger (Alp-) Traum anfühlen, ist ebenso gewollt, wie die stilisierten Bilder, die teilweise an ein zum Leben erwecktes, gotisches Theaterstück erinnern. Die Optik insgesamt ist mit ihren überwiegend natürlichen Lichtquellen und dem lange im Verborgenen bleibenden „Monster“ schlicht fantastisch. Auch die Ausstattung ist herausragend und trägt zusammen mit der erstklassigen, fordernden Besetzung ungemein zur unheimlichen wie melancholischen Stimmung bei. Bei der hallt insbesondere deren Unausweichlichkeit nach. Sowohl hinsichtlich Thomas’ Situation im Schloss als auch betreffend die Familie Harding oder Ellens Schicksal. Nur selbst wenn man über den merklich aufgesetzten, starken Akzent des Grafen Orlok hinwegsieht, fehlt es dem handwerklich überragend in Szene gesetzten Nosferatu – Der Untote an einer emotionalen Komponente, die das Publikum an die Figuren, statt an die tolle Atmosphäre bindet. Gerade die würde jedoch der weithin bekannten Geschichte Spannung verleihen. Dennoch, Bildersprache und Musik, die teils derart überwältigend eingesetzt werden, dass sie bereits an die Stummfilmwurzeln erinnern, erzeugen eine geradezu berauschend düstere Fantasy-Atmosphäre, in der zu verlieren sich lohnt. Selbst wenn das eher ein kleines Publikum ansprechen wird, dieses erwartet ein einmaliges Filmerlebnis und das allein ist eine Empfehlung wert.