Napoleon [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 17. November 2023
Genre: BiografieOriginaltitel: Napoleon
Laufzeit: 157 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Ridley Scott
Musik: Martin Phipps
Besetzung: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Tahar Rahim, Ben Miles, Ludivine Sagnier, Matthew Needham, Youssef Kerkour, Phil Cornwell, Édouard Philipponnat, Ian McNeice, Rupert Everett, Paul Rhys, Gavin Spokes, John Hollingworth, Mark Bonnar, Anna Mawn, Davide Tucci, Sam Crane, Scott Handy
Kurzinhalt:
Nach Beginn der Französischen Revolution im Jahr 1789 streben in Frankreich verschiedene Strömungen an die Macht und der Einfluss des Landes wird von anderen Staaten bedrängt. Dem auf Korsika geborenen, ehrgeizigen Offizier Napoleon Bonaparte (Joaquin Phoenix) gelingt 1793 die Rückeroberung der Hafenstadt Toulon von den Briten, was ihm weithin Anerkennung einbringt. Auch bei weiteren politischen Veränderungen in Frankreich, einem Aufstand derjenigen, die die Monarchie wiedereinführen wollen, oder einem sich abzeichnenden Staatsstreich, spielt Napoleon eine entscheidende Rolle. Er wird schließlich als derjenige gesehen, dem es gelingen kann, Frankreich zu ungeahnter Größe zu formen, als Kaiser, dem kein anderes Adelshaus in Europa gewachsen ist. Doch umso größer seine Macht, umso notwendiger, dass er sie einem Erben vermachen könnte. Seine Ehefrau Joséphine (Vanessa Kirby), mit der ihn eine nicht einfache Beziehung verbindet, wird allerdings partout nicht schwanger, was ihn zu einem Schritt zwingt, der ihn nur noch mehr innerlich zerreißt …
Kritik:
Es ist geradezu unvorstellbar, dass ein Film wie Napoleon heute überhaupt produziert und auf die große Leinwand gebracht wird. Ein monumentales Historienepos mit zahllosen Komparsen und Kostümen. Mit zweieinhalb Stunden Laufzeit und fernab des in der Regel einzigen Genres, für das heute noch große Summen ausgegeben werden – generische Superheldenabenteuer – klingt das kaum erfolgversprechend. Ebenso schwer fällt es, sich einen anderen Filmemacher als Ridley Scott vorzustellen, dies zu verantworten. So handwerklich beeindruckend bis optisch überwältigend die Geschichte des Aufstiegs und Falls von Napoleon Bonaparte gelungen ist, was der Film vermissen lässt, ist eine breite Annäherung an die historische Person hinter dem Mythos. Dies versucht das Drehbuch im Privaten, statt in Bezug auf seine politischen Aspekte, was beinahe wie eine verpasste Chance erscheint.
Statt einer vollständigen Biografie, erzählt Napoleon den Werdegang des korsischen Soldaten Bonaparte, ab der Zeit der Französischen Revolution im Jahr 1789, in deren Verlauf er mehrmals entscheidende Rollen spielte. Beauftragt, die im Griff der Briten befindliche französische Hafenstadt Toulon zu befreien, erringt Bonaparte nicht nur einen wichtigen Sieg, sondern auch seine langersehnte Beförderung. Während Frankreich um eine neue Art der Staatsführung ringt, bei der die vermeintlichen Befreier von der Monarchie eine Schreckensherrschaft der Guillotine unter Maximilien de Robespierre errichten, erweist sich Napoleon auf dem Schlachtfeld als überaus erfolgreich. Seine Ägyptische Expedition vergrößert Frankreichs Einfluss und kehrt er in seine Heimat zurück, wird er vom Volk wie ein Held empfangen. Bereits zuvor war er auf die wohlhabende Witwe eines während der Revolution zum Tode verurteilten Offiziers getroffen, Joséphine de Beauharnais. Von ihr fasziniert, heiratet er sie, doch ihre publik gewordene Untreue und die an die Presse geleiteten Liebesbriefe Napoleons an sie, werden für den angesehenen General Bonaparte zur Schmach.
Immer wieder wird der weitere Verlauf der Geschichte von Auszügen aus Napoleons Liebesbriefen unterlegt und sieht man die Konzentration der Erzählung auf seine Beziehung zu Joséphine, wäre es vielleicht passender gewesen, den Film entsprechend zu betiteln. So allerdings würde man erwarten, dass Napoleon die historische Figur in ihrer Gesamtheit beleuchtet, seine politischen Ambitionen offenlegt und den Mann beschreibt, dessen Handschrift die Grenzen des heutigen Europas weiterhin zeichnen. Doch über seine Ansichten über die Französische Revolution, seine Motivation, selbst zum Alleinherrscher berufen zu werden, äußert sich das Drehbuch überhaupt nicht. Stattdessen begleitet Filmemacher Scott die Titelfigur, die einerseits den Aufstand der Royalisten im Jahr 1795 blutig niederschlägt, sich aber nur vier Jahre später an einem Staatsstreich beteiligt, um anschließend als einer von drei Konsulen über das Land zu herrschen.
Einige Jahre später soll er zum König berufen werden, doch in seiner unermesslichen Anmaßung krönt er sich selbst zum Kaiser. Wie sehr Napoleon von sich eingenommen ist, bringt Hauptdarsteller Joaquin Phoenix in einer Darbietung zum Ausdruck, bei der Napoleons arrogante Selbsteinschätzungen durchaus für Auflockerung einer durchweg bedrückenden Erzählung sorgen. Er legt die Rolle in ihren Extremen an, einerseits der Fokussierung auf das Ziel vor Augen, aber auch seiner ihn verzehrenden Eifersucht, die ihn beinahe weinerlich verrückt vor Liebe zu seiner Joséphine zeigen. Die Erzählung begleitet sämtliche großen Schlachten des Feldherrn, bis hin zu seiner letzten bei Waterloo. Sieht man am Ende die Anzahl der Opfer dieser grausamen Kämpfe in einer Einblendung aufgerechnet, ist es umso erstaunlicher, dass sich Napoleon nicht über die Sinnlosigkeit des Krieges im Allgemeinen oder der hier porträtierten Art der Kriegsführung im Speziellen äußert. Auf seinen zerstörerischen Machthunger wird lediglich vor seinem Exil auf der Mittelmeerinsel Elba eingegangen, doch erscheint dies als Teil des Porträts schlicht zu kurz gegriffen.
So erschlagend die Schlachtsequenzen eingefangen bzw. orchestriert sind und so grausam es ist, das Gemetzel mitanzusehen, es berührt einen dennoch kaum, da keine bekannten Figuren daran beteiligt sind. Nie wird deutlich, was für Napoleon selbst auf dem Spiel steht bei den gezeigten Kämpfen, oder wie er mit Niederlagen oder Siegen umgeht. Stattdessen widmet sich der Film weit umfangreicher, wie sehr es den Herrscher trifft, dass seine Joséphine nicht schwanger wird, dass er gezwungen sein könnte, um einen Nachfahren auf den Thron präsentieren zu können, die Ehe aufzulösen und sich neu zu verheiraten. Wird gezeigt, wie sehr er dabei darum bemüht ist, politische Allianzen zu schließen, sich in Königshäuser zu verheiraten, blitzt durch, was für politisches Potential in Napoleon steckt. Das jedoch wird kaum genutzt. Man kann nur vermuten – und hoffen – dass der von Filmemacher Ridley Scott bereits angekündigte Director’s Cut des Films, der vermutlich auf eine Lauflänge über vier Stunden kommen wird, dieses Manko wird ausgleichen können.
Fazit:
Nicht zuletzt durch die vorgelesenen Liebesbriefe des einflussreichen Herrschers an seine Kaiserin Joséphine erhält die Erzählung ein ungeahntes Maß an Authentizität und unterstreicht gleichzeitig, dass die Ereignisse, wie sie hier dargestellt werden, eher dem entsprechen, wie die Titelfigur sie wahrgenommen hat. So, wie er sich selbst gänzlich anders sah, als er wahrgenommen wurde, oder welchen Einfluss er tatsächlich ausgeübt hat, ungeachtet der Interpretationen der Beteiligten in Anbetracht der spärlichen Informationen über Bonapartes Persönlichkeit. Von Joaquin Phoenix und insbesondere Vanessa Kirby stark gespielt, ist die Präsentation oftmals atemberaubend. Ausstattung, Bauten und Kulissen sind wie auch die Kostüme bewundernswert und malerisch. Doch statt die politischen Zusammenhänge umfassender und packender zu erzählen, konzentriert sich die Story auf Napoleons private Beziehung mit Joséphine. Das ist sicherlich ein Aspekt, aber kaum der wichtigste oder entscheidende bei einer so politischen Figur der Weltgeschichte. Napoleon ist ein überragend ausgestattetes und stellenweise überwältigendes Historienepos, wie nur Filmemacher Ridley Scott es auf die Leinwand bringen kann (und darf). Doch der Annäherung an die historische Person Napoleon Bonaparte fehlt es an Tiefe. Das macht das Gezeigte nicht weniger eindrucksvoll, es lässt es vielmehr unvollständig erscheinen.