Mrs. Harris und ein Kleid von Dior [2022]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 24. Oktober 2022
Genre: Komödie / DramaOriginaltitel: Mrs. Harris Goes to Paris
Laufzeit: 115 min.
Produktionsland: Ungarn / Großbritannien / Kanada / Frankreich / USA / Belgien
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Anthony Fabian
Musik: Rael Jones
Besetzung: Lesley Manville, Isabelle Huppert, Lambert Wilson, Alba Baptista, Lucas Bravo, Ellen Thomas, Jason Isaacs, Rose Williams, Anna Chancellor, Christian McKay, Freddie Fox, Guilaine Londez, Philippe Bertin, Roxane Duran
Kurzinhalt:
Im Jahr 1957 wartet in London Mrs. Ada Harris (Lesley Manville) immer noch darauf, dass ihr Ehemann irgendwann vom Krieg nach Hause kommt. Auf sich allein gestellt, einzig mit ihrer Freundin Vi (Ellen Thomas) als Unterstützung, verdient sie sich in der schlimmen wirtschaftlichen Situation des Landes ihren Lebensunterhalt als Haushälterin für Wohlhabende. Bei einer ihrer Kundinnen erblickt sie in der Garderobe ein Kleid von Modeschöpfer Christian Dior (Philippe Bertin) und ist fasziniert. Unverhofft und unter bedrückenden Umständen zu einem größeren Geldbetrag gekommen, nimmt sich Ada vor, in Paris selbst ein Kleid von Dior zu erwerben. Dort steht die eiserne Claudine Colbert (Isabelle Huppert) als rechte Hand des Maestro im Weg, doch dank Buchhalter André (Lucas Bravo) und dem Marquis de Chassagne (Lambert Wilson) erhält Ada nicht nur Zutritt zur aktuellen Vorstellung von Diors Kollektion, bei der Model Natasha (Alba Baptista) prominent in Szene gesetzt wird, sondern kann sich sogar ein Kleid aussuchen. Aber die Welt der Haute Couture ist voller Fallstricke und Ada braucht nicht nur ihren ganzen Mut, sondern auch ihre Überzeugungskraft, um doch noch ein Kleid von Dior zu erhalten …
Kritik:
Anthony Fabians Mrs. Harris und ein Kleid von Dior erzählt mit einer überwältigenden Ausstattung eine Geschichte um eine einfache Arbeiterin im London der späten 1950er-Jahre, die durch ihre unverblümte Art und ihre Begeisterung für Haute Couture das Leben der Menschen und des Titel gebenden Modeimperiums beeinflusst. Fernab des Zynismus unserer heutigen Zeit, ist das durchaus inspirierend und scheint gleichzeitig arg geschönt sowie tonal unausgewogen. Dabei mag der Filmemacher durchaus den Geist von Paul Gallicos 1958 erschienener Novelle gelungen eingefangen haben. Die Frage ist vielmehr, inwieweit dies heute noch eben so funktioniert.
Es ist das Jahr 1957 in London, wo sich Ada Harris, die immer noch auf die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg wartet, als Haushälterin für verschiedene Parteien über Wasser hält. Die wirtschaftliche Situation ist schwierig, selbst wohlhabende Persönlichkeiten müssen Teile ihrer Besitztümer verkaufen, um bestehen zu können. Als Ada bei einer Kundin im Schrank ein Kleid des Modeschöpfers Christian Dior erblickt, ist sie verzaubert. Sie nimmt sich vor, in Paris ein solches Kleid zu erwerben. So spart sie und bucht einen Flug nach Paris, wo sie erstaunt feststellen muss, dass die Kleider von Dior so exklusiv sind, dass sie vor Ort bleiben muss, sodass es für sie maßgefertigt werden kann. Während sie wartet, kommt sie beim Buchhalter Diors, André, unter. Der ist heimlich in das Model und Gesicht Diors verliebt, Natasha, die jedoch nicht auf diese Rolle reduziert werden, sondern lieber Philosophie studieren will. Durch eine glückliche Verkettung von Umständen in den heiligen Hallen von Dior angekommen, scheint der Marquis de Chassagne Ada zugetan, die erfährt, dass es um die Zukunft Diors nicht gut bestellt ist, da die rechte Hand des Maestros, die bittere Claudine Colbert, an der Exklusivität der Marke festhalten möchte, selbst wenn ein Teil der extravaganten Klientel ihre Rechnungen gar nicht bezahlt.
Die Grundthematik der aus einfachen Verhältnissen stammenden Ada, die durch ihr Auftreten und ihren Charme nicht nur ihren Traum zielgerichtet verfolgt, sondern dabei auch Einblick in den beinahe unzugänglichen Modetempel Diors erhält und entdeckt, dass hinter der Fassade der Reichen und Schönen mitunter ein hässliches Gesicht schlummert, ist durchaus inspirierend. Ebenso, dass gerade sie durch ein solch exklusives Kleid eben jene Träume greifbar machen kann. Doch sind diese Elemente bei Mrs. Harris und ein Kleid von Dior in eine Geschichte eingebettet, die stets zuckersüß und positiv klingt, als wäre Ada Harris eine nicht magische Variante von Mrs. Poppins. Die sozialkritischen Untertöne, wie der Streik der Müllabfuhr in Paris als Auflehnung der Arbeiterklasse gegen die abgehobene Oberschicht, kommen kaum zur Geltung. Es ist ein Aspekt, der sich allenfalls in Adas enttäuschter Hoffnung auf eine Liebschaft in Paris widerspiegelt, oder was kurz vor dem Ende geschieht. Doch wie sie selbst damit umgeht, wie sie diese Rückschläge verarbeitet, thematisiert Regisseur Fabian gar nicht. Dass die Adaption dabei das Ende fröhlicher gestaltet, den Wert des Materiellen über die gemachten Erfahrungen hebt, konterkariert in gewisser Weise sogar die Vorlage.
Das klingt nun negativer, als es gemeint ist, denn als das, was Mrs. Harris und ein Kleid von Dior sein möchte, ist der Film im Grunde sehr gelungen. Anthony Fabian erzählt im Kern ein Märchen, inhaltlich an vielen Stellen so unwahrscheinlich wie hanebüchen, würde man den Inhalt für bare Münze nehmen. Das findet sich auch in den Dialogen und der Art und Weise wieder, wie andere Personen mit Ada interagieren, oder dass sie zu den fantastischsten Orten eingeladen wird. Eine Revue mit preiswürdigem Essen und Champagner, die alles beinhaltet, was man dem Klischee nach vom Paris jener Zeit erwarten würde, oder gar die Werkstatt Diors, wo sie selbst Nadel und Faden anlegen darf. Doch als Märchen darf die Geschichte auch überzeichnet sein, gefüllt mit archetypischen Figuren und einer Optik, deren Hintergründe oftmals wie gemalt erscheinen. Die weiche Umsetzung wird ergänzt durch Kostüme, die ebenso be- wie verzaubernd aussehen. Sie werden insbesondere von Alba Baptista toll zur Geltung gebracht, die wie auch Lucas Bravo ein natürliches Charisma und eine Chemie entwickelt. Als Figuren bleiben beide jedoch blaß.
Getragen wird Mrs. Harris und ein Kleid von Dior von Lesley Manville, die Mrs. Ada Harris eine sofort einnehmende Persönlichkeit verleiht. Ihre Begeisterung in Anbetracht der Kleider von Dior und ihre Hoffnung auf einen neuen Lebensabschnitt in Paris bringt sie ebenso toll zur Geltung wie ihre Durchsetzungskraft und ihre unverblümte Art, das auszusprechen, was sie denkt. Es ist eine fantastische, leuchtende Darbietung, die allein bereits für ein warmes, wohliges Gefühl beim Publikum sorgt. Dazu trägt auch die leichtfüßige Musik bei, welche die unbeschwerte Stimmung gekonnt auffängt und unterstreicht. Erwartet man genau das und eben keine spiegelbildliche Sozialkritik, dann wird man hier mehr als gelungen unterhalten. Schön!
Fazit:
„Wir brauchen unsere Träume, heute mehr denn je.“ Es sind Aussagen von Ada Harris wie diese, die den Schluss nahelegen, dass Filmemacher Anthony Fabian eher eine Fabel denn ein Märchen erzählen möchte. Doch dafür lösen sich am Ende zu viele Herausforderungen in Wohlgefallen auf und dem Kleid im Materiellen wird zu viel Bedeutung beigemessen. Man könnte dies oberflächlich nennen, so, wie man Adas geradezu unschuldig freundliche Begeisterung als naiv und damit ebenfalls negativ behaftet beschreiben könnte. Doch verleitet das zu einem zynischen Blick auf die Geschichte, den diese bewusst nicht besitzt. Sie ist gewollt unbeschwert, in gewisser Hinsicht beinahe fantastisch und überhöht, leichtfüßig und mit viel Herz dargebracht. Als solches ist Mrs. Harris und ein Kleid von Dior sehr gelungen, ein Besuch in einer Welt der Möglichkeiten anstatt des unmöglich Realistischen, mit einer herzerwärmenden Figur im Zentrum, deren Ausstrahlung alle um sie herum zum Besseren beeinflusst. Das ist nicht nur hinsichtlich der Ausstattung geradezu berauschend schön in Szene gesetzt, sondern hinsichtlich der Stimmung so berührend wie unerwartet. Doch muss diese vom Publikum auch angenommen werden können, um ihre Wirkung zu entfalten.