Mary Poppins’ Rückkehr [2018]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. Dezember 2018
Genre: Fantasy / Musical / Animation

Originaltitel: Mary Poppins Returns
Laufzeit: 124 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Rob Marshall
Musik: Marc Shaiman, Scott Wittman
Darsteller: Emily Blunt, Ben Whishaw, Emily Mortimer, Lin-Manuel Miranda, Colin Firth, Pixie Davies, Nathanael Saleh, Joel Dawson, Meryl Streep, Dick Van Dyke, Julie Walters, Angela Lansbury, David Warner, Jeremy Swift, Kobna Holdbrook-Smith, Jim Norton, Bern Collaço


Kurzinhalt:

Seit Beginn der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre haben es die Menschen in London nicht einfach, über die Runden zu kommen. Um seine schwerkranke Frau zu unterstützen, hatte Michael Banks (Ben Whishaw) einen Kredit auf das Haus aufgenommen. Als er mit der Zahlung in Verzug gerät, läuft er Gefahr, das Haus zu verlieren und mit seinen Kindern Anabel (Pixie Davies), John (Nathanael Saleh) und Georgie (Joel Dawson) auf der Straße zu landen. Michaels Schwester Jane (Emily Mortimer) unterstützt ihn zwar, doch erst mit der unverhofften Rückkehr des zauberhaften Kindermädchens Mary Poppins (Emily Blunt) scheint sich das Blatt zu wenden. Sie nimmt sich der Kinder an, die in dieser schweren Zeit genau das vergessen: Was es bedeutet, Kind zu sein. Zusammen mit Mary Poppins und ihrem Freund Jack (Lin-Manuel Miranda) erleben sie fantastische Abenteuer – und kommen zufällig dahinter, dass der Besitzer der Kreditbank, William Weatherall Wilkins (Colin Firth), mit allen Mitteln darauf aus ist, sich das Haus der Familie Banks unter den Nagel zu reißen …


Kritik:
Mehr als ein halbes Jahrhundert, nachdem Walt Disney sein Herzensprojekt Mary Poppins [1964] mit Julie Andrews in der Hauptrolle auf die Leinwand zauberte, kehrt die ungewöhnliche Nanny mit ihrer schier bodenlosen Reisetasche und dem sprechenden Schirm in Mary Poppins’ Rückkehr zur Familie Banks zurück. Die sieht sich während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er- bzw. in den 30er-Jahren einem Verlust ihres Hauses gegenüber und benötigt dringend Hilfe, ihren Weg nicht aus den Augen zu verlieren. Filmemacher Rob Marshall gelingt dabei das Kunststück, eine Fortsetzung zu erschaffen, die dem Geist des Originals in jeder Faser treu bleibt und dabei alle Stärken – und Schwächen – wieder aufgreift.

Kennern des Originals fällt dabei gleich zu Beginn auf, wie authentisch der Kirschbaumweg, in dem die Banks wohnen, wieder erschaffen wurde. Es ist viel Zeit vergangen, seit das Kindermädchen Mary Poppins die Familie besucht und den Familienvater auf den rechten Weg zurückgeführt hat. Inzwischen sind die Kinder Jane und Michael erwachsen geworden. Michael ist selbst Vater von drei Kindern und nach einem Schicksalsschlag alleinerziehend. Mit der Situation insgesamt schlichtweg überfordert, hat er es versäumt, Raten für einen Kredit, den er bei der Bank aufgenommen hatte, zurückzubezahlen. Als Bürgschaft war das Haus der Banks’ angegeben, das er nun droht, zu verlieren. Das wäre allenfalls zu verhindern, wenn es ihm und Jane gelingt, das Zertifikat über die Aktienbeteiligung ihres Vaters an der Kredit gebenden Bank zu finden und vorzulegen – doch das ist wie vom Erdboden verschwunden. Gerade als ihre Not am größten ist und Michaels Kinder Anabel, John und Georgie Gefahr laufen, ihre eigene Kindheit zu verpassen, betritt Mary Poppins erneut das Leben der Familie. Mit ihr erleben die Kinder mehrere Abenteuer und auch Michael und Jane profitieren von ihrem positiven Einfluss.

All das klingt beinahe, als wäre Mary Poppins’ Rückkehr in gewisser Weise ein Remake des Originals. Es ist eine Aussage, die sich nur schwer bestätigen oder verneinen lässt. Zwar ist die Situation der Familie Banks hier eine andere und eine wichtige Lektion im Leben, die Freude und Gelassenheit nicht zu vergessen, muss nicht nur Michael als Familienoberhaupt neu erlernen. Auch die Kinder sollen erfahren, was es trotz des Schicksalsschlags heißt, Kind zu sein. Aber es gibt eben nur so viele fantastische Abenteuer, welche die Kinder mit Mary Poppins erleben können, ehe sich das Geschehen zumindest stilistisch wiederholt.
Insofern hat es zugegebenermaßen über weite Teile den Anschein, als würde man mehr eine neue Interpretation des bekannten Stoffes sehen, als eine Weiterentwicklung der bekannten Figuren. Vor allem über die Titel gebende Nanny erfährt man kaum Neues – was allerdings ihren Zauber auch ausmacht. Sie bzw. Emily Blunt in der Rolle ist es auch, was das Fantasy-Märchen auszeichnet. Nicht nur, dass Blunt einen schier unbändigen, geheimnisvollen Charme versprüht, der mit Mary Poppins‘ Augenzwinkern erahnen lässt, was sie alles zu bewerkstelligen im Stande ist. Vielmehr gelingt der Figur an sich eine Balance zwischen beinahe kindlicher Euphorie, wobei sie auch über sich selbst lachen kann, und einer behutsamen, einfühlsamen Fürsorge.

Umso bedauerlicher ist, dass sie in der zweiten Filmhälfte merklich weniger zu tun bekommt und während des Finales kaum in Aktion tritt. Wie im ersten Film, in dem Dick Van Dyke eine große Rolle ausfüllte, steht in vielen Situationen nicht Mary Poppins, sondern ihr Freund Jack, Sohn des früheren Schornsteinfegers, im Zentrum. Dabei möchte man mehr von ihr als von ihm sehen.
Diesbezüglich gibt es auch einen spürbaren inhaltlichen Knick, der mit dem Auftritt von Meryl Streep zusammenfällt. Einerseits bleibt der Handlungsstrang, der hier begonnen wird, am Ende ohne jedwede Auswirkung. Andererseits überzeugen die Songs bis dahin nicht nur durch ihre eingängigen Melodien und ihre tolle Choreografie, sondern auch dadurch, dass sie die Geschichte inhaltlich voranbringen. Sei es der energiegeladene Auftritt im fantastisch animierten „A Cover Is Not the Book“ oder dem traurigen „The Place Where Lost Things Go“, bei dem sich merklich ein Kloß im Hals bildet. Demgegenüber erweckt vor allem der viel zu lange Song der Laternenwärter den Eindruck, als wären Sets und Choreografie darauf ausgelegt, um später als Bühnenmusical begeistern zu können. Eine wirkliche Aussage sucht man auch bei diesem Lied vergebens.

So gelungen und detailreich die erste Filmhälfte ist, so lang und inhaltlich ziellos erscheint die zweite. Die letzten 15 Minuten gleichen dabei einem Zuckerschock, den man erst einmal verarbeiten können muss. Entscheidend ist, ob es für diese Art, Geschichten zu erzählen, heute noch ein genügend großes Publikum gibt. Mit den vielen Songs und der bunten Optik bewahrt sich Mary Poppins’ Rückkehr das Flair und den Geist des Originals. Ob sich damit vor allem Kinder begeistern lassen? Wer sich darauf einlässt, erlebt ein fantasievolles, handwerklich perfekt gemachtes Märchen, das im Kern wichtige Lektionen bereithält. Diese zu hören kann an sich nie schaden und sind unumwunden richtig – dabei jedoch dieselben wie vor mehr als 50 Jahren. Das heißt nicht, dass eine Erinnerung nicht angebracht wäre.


Fazit:
Vor allem denjenigen, die Disneys Mary Poppins aufgewachsen sind, zaubert Filmemacher Rob Marshall schon nach kurzer Zeit ein Lächeln ins Gesicht. Dank der fantastischen Ausstattung und den tollen Tricks ist es, als würde man eine Reise in die eigene Erinnerung unternehmen. Die Abenteuer, die die Kinder mit ihrem Kindermädchen erleben, sind fantasievoll zum Leben erweckt und haben gleichzeitig eine wichtige Botschaft, die heute nichts von ihrer Bedeutung verloren hat. Dabei wird hier klarer als noch im ersten Film, dass Mary Poppins den Banks hilft, sich selbst zu helfen; sie sorgt zwar für die richtigen Situationen, aber am Ende soll es der Familie gelingen, sich selbst aus ihrer misslichen Lage zu befreien und dabei noch etwas für das Leben zu lernen. Viele neue Songs sind eingängig und alle hervorragend choreografiert. Doch das tröstet nur bedingt darüber hinweg, dass den Machern in der zweiten Hälfte die Ideen auszugehen scheinen. Dann bekommt die von Emily Blunt toll verkörperte, ungewöhnliche und magische Nanny auch kaum mehr etwas zu tun. Nichtsdestotrotz hat Mary Poppins’ Rückkehr das Herz am rechten Fleck und kommt als zuckersüßes Märchen auch durch seinen nostalgischen Charme mit seiner zeitlosen Aussage passend zur Weihnachtszeit.