I.S.S. [2023]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 8. Juli 2024
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: I.S.S.
Laufzeit: 95 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Gabriela Cowperthwaite
Musik: Anne Nikitin
Besetzung: Ariana DeBose, Chris Messina, Masha Mashkova, John Gallagher Jr., Pilou Asbæk, Costa Ronin


Kurzinhalt:

Für die Wissenschaftlerin Dr. Kira Foster (Ariana DeBose) scheint es wie ein Traum, als sie zusammen mit Christian Campbell (John Gallagher Jr.) zur Internationalen Raumstation, I.S.S., fliegen darf, um dort ihre Experimente durchzuführen. An Bord erwarten sie der Astronaut Gordon Barrett (Chris Messina), Kosmonautin Weronika Vetrov (Masha Mashkova) sowie ihre zwei russischen Kollegen, die Brüder Nicholai (Costa Ronin) und Alexey Puvol (Pilou Asbæk). Es ist Silvester und die Stimmung könnte kaum besser sein, bis Kira durch die Cupola, den kuppelförmigen Ausguck der Station, zahlreiche Explosionen auf der Erdoberfläche beobachtet. Kurz darauf reißt die Kommunikation mit der Bodenzentrale ab, doch die letzten Anweisungen, die sowohl die US-Amerikaner als auch die russischen Kosmonauten an jeweils eigenen Terminals empfangen, sind eindeutig: es gab eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland; die Raumstation besitzt eine hohe Priorität; Gordon soll die Kontrolle erlangen, mit allen Mitteln. Dabei müssen Gordon, Kira und Christian davon ausgehen, dass Weronika, Nicholai und Alexey dieselbe Anweisung erhalten haben …


Kritik:
Gabriela Cowperthwaites in Teilen geradezu erschreckend realistisch klingender Thriller I.S.S. besitzt eine interessante Ausgangslage und viel Potential. Doch nach einem bedrückenden Beginn und einem ebenso offenen Mittelteil, weiß das Drehbuch nicht, wie die beklemmende Situation aufgelöst werden soll. Anstatt sich existenziellen Fragen zu stellen, zaubern die Verantwortlichen mehrere Bösewichte hervor, die letztendlich beinahe davon ablenken, dass welche Gefahr auch immer die Besatzung der Raumstation bedroht, sie diese doch selbst mit an Bord gebracht hat.

Die Internationale Raumstation ist dabei mehr als nur eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. Sie ist ein Zeugnis dafür, dass die seit Jahrzehnten verfeindeten Lager in Ost und West nach dem Ende des Kalten Krieges friedlich zusammenarbeiten konnten. Es wundert aber nicht, dass die neu hinzugekommene Astronautin und Wissenschaftlerin Dr. Kira Foster, die mit ihrem Kollegen Christian Campbell in einer russischen Soyuzkapsel an der Station andockt, am ersten Abend gesagt bekommt, dass Politik aus den Gesprächen der drei Kosmonauten und Astronauten ausgeklammert ist. Zu unterschiedlich sind manche Ansichten. Trotzdem ist die Stimmung einladend. Zwischen dem US-Amerikaner Gordon Barrett und der Kosmonautin Weronika Vetrov hat sich sogar eine Beziehung entwickelt und auch die übrigen russischen Wissenschaftler Alexey und Nicholai Pulov heißen die Neuankömmlinge willkommen. Doch dann beobachtet Kira Explosionen auf der Erde und kurz bevor der Funkkontakt abreißt, erhält Gordon die Nachricht, dass es einen militärischen Konflikt der Vereinigten Staaten mit Russland gegeben habe. Und dass er die Kontrolle der I.S.S. an sich bringen soll – koste es, was es wolle.

Die geradezu unbeschwerte Stimmung weicht damit im Nu einer beinahe hoffnungslosen Beklommenheit, denn nicht nur, dass Gordon, Kira und Christian davon ausgehen müssen, dass ihre russischen Kollegen dieselbe Order erhalten haben, sie alle stecken 400 Kilometer von der Erde entfernt in einer Raumstation fest, ohne zu wissen, was auf der Erde geschehen ist, oder ob und wie sie wieder nach Hause kommen sollen. Falls dieses überhaupt noch existiert. Zu allem Überfluss droht die Station, ohne eine ausstehende Treibstofflieferung auf die Erde zu fallen. I.S.S. steigert damit die Bedrohung in einer geradezu halsbrecherischen Geschwindigkeit, selbst wenn die sechs Protagonisten nach außen ruhig und gefasst agieren. Panik ist, umgeben vom tödlichen Vakuum des Weltraums, keine Option. Während Gordon nicht einschätzen kann, wie er den Befehl zu deuten hat und ob er nun den Kosmonauten, zu denen er mitunter mehr als nur eine Freundschaft entwickelt hat, nicht mehr vertrauen kann, ist Christian, der zu seiner Familie zurückkehren möchte, anders eingestellt. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, zuerst zuzuschlagen. Kira sitzt dabei zwischen den Stühlen.

Aus dieser Situation könnte man einen schwelenden Konflikt innerhalb der amerikanischen Besatzungsmitglieder erzählen, doch als das Funkgerät ausfällt, bietet sich Gordon an, die Antenne in einer Außenmission zu reparieren. Was dann geschieht, wird kaum jemanden im Publikum überraschen, es sei jedoch erwähnt, dass die Sequenz die beste ist, die Filmemacherin Gabriela Cowperthwaite präsentiert. Anschließend sind die Fronten nur umso verhärteter, während sich die Bilder, die Gordon außerhalb der Station von der einst so blauen Erde zu sehen bekommt, auch in den Verstand des Publikums einbrennen. Wo zuvor keine Landesgrenzen zu sehen waren, die Erde als ein Planet die Heimat der gesamten Menschheit darstellte, hat eine Feuersbrunst jeden Fleck der Landmasse überzogen.

Die Aussagen, die I.S.S. mit diesen Bildern trifft, zusammen mit der Beteuerung der Besatzung zu Beginn, dass sie zusammenhalten müssen, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Herkunft, ist bestechend und nachhaltig. Ebenso, wohin die Gewaltspirale zwischen West und Ost führen kann, repräsentiert durch Gordon und Nicholai bei ihrer letzten Begegnung, mit einem Schlusspunkt, der treffender kaum sein könnte. Doch abseits dieser Ideen weiß das Drama weder aus dem räumlich beengten Kammerspiel etwas zu machen, noch aus den Dialogen. Anstatt ambivalent zu bleiben, wer den ersten Schritt in eine verheerende Konfrontation wagt, positioniert sich die Erzählung eindeutig und unterteilt die Besatzung recht offensichtlich in „gut“ und „böse“, wobei diese Einordnung in der zweiten Hälfte wenigstens ein wenig verschwimmt. Ist es jedoch soweit, erscheinen die Handlungsweisen der Figuren ebenso erzwungen, wie wenig nachvollziehbar. Hinzu kommen handwerkliche Entscheidungen, die durchaus irritieren. Angefangen von einigen ruckelnden Einstellungen, oder immer wieder eingestreuten Aufnahmen der Kameras innerhalb der Raumstation, als würde die Besatzung beobachtet und als wäre I.S.S. ein Found-Footage-Film. Beides ergibt nur wenig Sinn, von inhaltlichen Sprüngen zum Ende hin ganz zu schweigen, wenn sich urplötzlich Rahmenbedingungen ergeben, die buchstäblich aus dem Nichts kommen. All das unterstreicht den Eindruck, als hätten die Verantwortlichen den Beginn durchaus vor Augen gehabt, den Mittelteil zu entwickeln versucht, dann aber wenig stimmig ein Ende aufgesetzt, das zum Vorherigen nicht passen mag.


Fazit:
Es klingt wie ein Versprechen, das nicht von dieser Welt ist, wenn Kira im Anblick der Schönheit des blauen Planeten gesagt bekommt, sie solle vergessen, was dort unten geschieht. An Bord der Internationalen Raumstation halten vielmehr alle zusammen. Anstatt langsam zu zeigen, wie dieser Zusammenhalt bröckelt in Anbetracht der Ungewissheit dessen, was geschehen ist, präsentiert Regisseurin Gabriela Cowperthwaite mit ihrer Geschichte Hollywood-typisch bekannte Rollenbilder von Helden und Schurken, die sich zu spät wenigstens in Zügen verschieben. Handwerklich ist ihr Thrillerdrama überwiegend gelungen und angesichts des Budgets sogar eindrucksvoll zum Leben erweckt, wären nicht einige unpassende Einfälle wie die Aufnahmen der Stationskameras oder inhaltliche Sprünge. Beginnt das letzte Drittel, häufen sich jedoch die Klischees und die beklemmende Stimmung der ersten Stunde verfliegt merklich. Dass I.S.S. nicht mit einer hoffnungsvollen Aussage am Ende aufwartet, ist kein Kritikpunkt, aber die wiederholt aus dem Nichts präsentierten Bösewichte unterstreichen den Eindruck, als hätten die Verantwortlichen selbst nicht gewusst, wohin die Story am Ende führen soll. Das ist schade ums Potential, denn wo könnte man über den Sinn und Unsinn der Unterteilung der Welt in verfeindete Länder eher philosophieren, als in einer Raumstation, die um die eine Erde kreist?