Heretic [2024]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 1. Dezember 2024
Genre: Thriller / HorrorOriginaltitel: Heretic
Laufzeit: 110 min.
Produktionsland: USA / Kanada
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt
Regie: Scott Beck, Bryan Woods
Musik: Chris Bacon
Besetzung: Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chloe East, Topher Grace, Elle Young, Julie Lynn Mortensen, Haylie Hansen, Elle McKinnon, Hanna Huffman, Anesha Bailey, Miguel Castillo, Stephanie Lavigne, Wendy Gorling
Kurzinhalt:
Schwester Barnes (Sophie Thatcher) und Schwester Paxton (Chloe East) sind als Missionarinnen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage aus, neue Mitglieder zu werben und Menschen zu taufen bzw. zu konvertieren. Gerade, als ein schweres Unwetter aufzieht, führt sie ihr Weg zum Haus des freundlichen Mr. Reed (Hugh Grant), der einem Dialog über Gott und den Glauben nicht nur aufgeschlossen ist, sondern die beiden jungen Frauen hereinbittet. Doch das Gespräch, das so harmlos beginnt, offenbart, dass Mr. Reed in Glaubensfragen nicht nur äußert gut bewandert ist, sondern sich nicht umsonst mit einer Gesprächsbereitschaft bei der Glaubensgemeinde gemeldet hat. Wollen sie das Haus wieder verlassen, müssen sie nicht nur das Spiel mitspielen, das er für sie vorbereitet hat, sondern auch ihren Glauben hinterfragen …
Kritik:
Die beiden Filmschaffenden Scott Beck und Bryan Woods, deren Vorlage zum Science Fiction-Überraschungshit A Quiet Place [2018] frischen Wind in das Genre brachte, präsentieren mit Heretic einen Psycho-Thriller, der wie der erstgenannte seine Figuren isoliert. Doch so packend die Bedrohung, sie ist weit weltlicher und greifbarer. So beunruhigend wie spannend, ist dies ein Film für ein Publikum, das nicht nur bereit ist, sich auf die unheimliche Stimmung einzulassen, sondern dabei auch den durchaus pointierten Dialogen zuzuhören. Manche mögen sich dabei auch selbst hinterfragen.
Es beginnt mit den beiden jungen Missionarinnen der Glaubensgemeinschaft der Mormonen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, die unterwegs sind, neue Mitglieder für ihre Glaubensgemeinschaft anzuwerben. Doch die Menschen ignorieren sie entweder, oder machen sich über sie lustig. Bis sie beim Haus des freundlichen Mr. Reed ankommen, der sie in Anbetracht des aufziehenden Unwetters hereinbittet. Sie willigen ein und nehmen in dem spärlich ausgestatteten Zimmer Platz, um Mr. Reed von ihrer Kirche zu erzählen. Doch der dreht den Spieß kurzerhand um und stellt ihnen Fragen zu ihrem Leben und ihrem Glauben. Was harmlos beginnt, wandelt sich alsbald in ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem schnell klar wird, dass der so unscheinbar auftretende Mann die beiden jungen Frauen nicht wird gehen lassen.
Die Stimmung dreht sich bereits ab dem ersten Moment des Aufeinandertreffens, zuerst schleichend, mit einem zu langen, bohrenden Blick von Mr. Reed oder einem gewählten Wort. Dann im Nu, wenn die Glaubensschwestern erkennen, dass sich die Haustür nicht von innen öffnen lässt und sie weder Mobilfunkempfang haben, noch das Haus über Fenster verfügt, durch die sie fliehen könnten. Anstatt zwei leichtgläubige Missionarinnen vorzustellen, die blauäugig in eine Falle tappen, zeichnet Heretic ab dem ersten Moment das Bild von zwei jungen Frauen, von denen wenigstens eine an das Gute in den Menschen glaubt, sich aber der Gefahren der Welt durchaus bewusst ist. So willigen sie nur ein, das Haus zu betreten, wenns eine Frau ebenfalls anwesend ist, die Mr. Reed verspricht, zu dem Gespräch hinzuzuziehen. Während Schwester Barnes an ihren Überzeugungen zweifelt, ist Schwester Paxton nicht nur streng gläubig, sondern darauf aus, ihre erste Taufe an einem neuen Mitglied vorzunehmen. Doch ihr Glauben wird von Mr. Reed nicht nur infrage, sondern auf die Probe gestellt, wenn er ihnen mitteilt, dass sie das Haus nicht durch die Vordertür, sondern nur durch die Hintertür verlassen können. Dafür müssen sie sich zwischen „Glaube“ und „Unglaube“ entscheiden.
Wohin die beiden Türen führen ist ebenso entlarvend, wie dass die Missionarinnen bereit sind, jeweils ihre Überzeugung zu verleugnen, um das Haus verlassen zu können. Nach einer immer intensiver werdenden Unterhaltung zu Beginn, lässt Heretic seine Figuren gewissermaßen in abwechselnden Monologen ihre jeweiligen Auffassungen vortragen und lädt das Publikum ein, ihnen zu folgen und jeweils eigene Schlüsse daraus zu ziehen. Das ist nicht nur inhaltlich erstklassig, es ist auch hervorragend umgesetzt. Denn nicht nur unterstreichen die Filmemacher, dass die beiden Glaubensschwestern ihren weiteren Weg grundsätzlich frei wählen können, sondern behalten sich die Antwort auf die Frage vor, ob Mr. Reed nur ein manipulativer Mensch ist, der die beiden Frauen in sein Überzeugungslabyrinth gelockt hat, oder ob der Geschichte gar etwas Übernatürliches anhaftet.
Die Antwort darauf sollte das Publikum für sich entdecken. Es soll genügen zu sagen, dass Heretic ab etwa der Hälfte einen anderen Weg beschreitet, als das Kammerspiel zu Beginn in Aussicht stellen mag, was nicht als Kritik verstanden werden soll. In jedem Fall bleibt die Geschichte und wohin sie sich entwickelt völlig unvorhersehbar. Auch wenn es durchaus passend erscheint, werden die Rahmenbedingungen mit der Zeit verändert. Dabei stellen die Verantwortlichen mitunter sogar mit einem böse-amüsanten Unterton die Frage zur wahren Natur der Religion und ob selbst diejenigen, die nicht daran glauben, am Ende zu ihr finden.
Handwerklich fantastisch aufgebaut mit einer bestechend herausragenden Optik, die das Publikum unmittelbar an die Seite der Figuren versetzt und mit vielen langen Einstellungen oder den richtig gesetzten Schnitten immens Spannung erzeugt, ist es die Besetzung, die den Thriller merklich veredelt. Als die Glaubensschwestern Barnes und Paxton machen Sophie Thatcher und Chloe East ihr Unbehagen in diesem Haus bis hin zur aufsteigenden Panik durchweg spürbar. In seiner ersten waschechten Bösewichtrolle beweist Hugh Grant mit seiner erfrischend „gewöhnlichen“ Ausstrahlung sowie seinem anfangs einnehmenden Charme eine Vielseitigkeit, der seine berechnende Kälte und seine ungeachtet der offenkundigen Höflichkeit in der Aussage geradezu herablassenden Arroganz und Distanz umso packender klingen lässt. Es ist eine herausragende, preiswürdige und geradezu diabolische Darbietung, an der der Darsteller sichtbar Spaß findet und für die er wenigstens eine Oscar-Nominierung verdient. Er rundet eine Geschichte ab, die weniger zynisch ist, als sie überspitzt richtige Fragen zum Thema Religion und Glaube stellt. Dies in einen solchen Horror-Thriller zu verpacken, ist so ungewohnt wie mutig.
Fazit:
Veranschaulicht Mr. Reed seine Hypothese zum Thema Religion anhand eines bekannten Brettspiels, ist dies ein so eingängiger wie bezeichnender Moment, dass man kaum anders kann, als zu lachen, selbst wenn die beiden Glaubensschwestern hier bereits um ihr Leben fürchten. Die Filmemacher Scott Beck und Bryan Woods veredeln die ebenso einfach klingende wie anhand der fantastischen Dialoge komplex ausgearbeitete Idee mit zahlreichen Einfällen, die man allesamt nicht erwähnen möchte, um die Überraschungen nicht zu verderben. Getragen von einer erstklassigen Besetzung mit einer herausragenden Darbietung im Zentrum, ist Heretic ein stark gespielter, fantastisch in Szene gesetzter und durchaus zum Nachdenken anregender Psycho-Thriller für ein Publikum, das bereit ist, sich auf die atmosphärisch ruhige wie beunruhigende Erzählung einzulassen. Zunehmend spannend und beängstigend, ist die Optik eine Wucht und der Wechsel zwischen packenden wie amüsanten Momenten hervorragend gelungen. Unerwartet und überraschend, stört auch nicht, dass der Film mit beinahe zwei Stunden ca. 10 Minuten zu lang geraten ist. Die stellenweise bissig geratene, atmosphärisch dicht auf die Leinwand gebrachte Dissertation bezüglich der wahren Natur der Religion und ihres Kerns entschädigt dafür bei weitem. Klasse!