Girl on the Train [2016]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 4. Oktober 2017
Genre: Krimi / Drama

Originaltitel: The Girl on the Train
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2016
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Tate Taylor
Musik: Danny Elfman
Darsteller: Emily Blunt, Haley Bennett, Rebecca Ferguson, Justin Theroux, Luke Evans, Edgar Ramírez, Laura Prepon, Allison Janney, Darren Goldstein, Lisa Kudrow


Kurzinhalt:

Seit ihrer Trennung von Tom (Justin Theroux) fährt Rachel (Emily Blunt) jeden Tag zwei Mal mit dem Zug an ihrem gemeinsamen Haus vorbei. Dort wohnt ihr Ex-Mann inzwischen mit seiner neuen Frau, Anna (Rebecca Ferguson), und ihrem gemeinsamen Kind. Es ist ein Anblick, der selbst durch den Alkohol, dem Rachel zugetan ist, nur schwer zu ertragen ist. Dagegen wirken deren Nachbarn, eine junge Frau (Haley Bennett) und ein junger Mann (Luke Evans), wie das perfekte Paar für Rachel. Im Zug sitzend malt sie sich ihre Lebensgeschichte aus – bis sie die Frau eines Tages im Vorbeifahren mit einem anderen Mann auf der Veranda beobachtet. Für Rachel bricht eine Welt zusammen bei der Vorstellung, dass ihr perfektes Paar durch eine Affäre belastet wird. Tags darauf erwacht Rachel mit Blut an ihrer Kleidung und erfährt, dass die junge Frau, die sie beobachtet hat, vermisst wird. Hat sie im Alkoholrausch ein unvorstellbares Verbrechen begangen?


Kritik:
Im besten Fall wirkt der Krimi Girl on the Train wie die Hochglanzversion eines TV-Films. Dass er keine wirklich schlechten Momente besitzt, bedeutet allerdings nicht, dass die guten zahlreich wären. Basierend auf dem Roman von Paula Hawkins erzählt der Krimi eine vollkommen andere Geschichte als die Filmvorschau suggeriert. Das Ergebnis ist von durchaus bekannten Darstellerinnen und Darstellern ansprechend verkörpert, nur machen die Figuren und ihre Entscheidungen zunehmend wütend.

In die Hauptrolle der alkoholabhängigen Rachel schlüpft Emily Blunt, die selbst als ihre Sucht noch nicht im Film erklärt wird, auf subtile Art und Weise die Begleiterscheinungen zur Geltung bringt. Sie macht ihre Sache durchweg gut, vor allem in den für ihre Figur emotional fordernden Szenen. Rachel war verheiratet und ist über die Trennung von ihrem Mann Tom nicht hinweg. Dieser lebt inzwischen mit seiner neuen Frau – und Mutter seines Kindes – Anna in Rachels und Toms altem Haus, an dem Rachel Tag für Tag mit dem Zug vorbeifährt. Immer wieder sieht sie dabei ihre ehemaligen Nachbarn, ein junges Paar, das so glücklich scheint, wie sie selbst es sich erträumt zu sein. Doch als sie die fremde Frau beobachtet, wie sie eine Affäre zu haben scheint, ist Rachel außer sich und ertränkt ihre Wut im Alkohol. Kurz darauf erfährt sie, dass Megan, so der Name ihrer früheren Nachbarin, vermisst wird.

Die ersten Überlegungen, die Girl on the Train danach anstellt, wären durchaus interessant: Hat Rachel Megan im Rausch ermordet und kann sich an die Tat nicht erinnern? Wo ist die Leiche? Weshalb wacht Rachel morgens blutverschmiert auf? Doch statt sich diesen Fragen tatsächlich zu stellen, sie zu konfrontieren, was in der Zeit geschehen ist, an die sie sich nicht erinnern kann, flüchtet sich Rachel in abstruse Entscheidungen. Sie geht auf den vermeintlich gehörnten Ehemann von Megan, Scott, zu, erzählt ihre Vermutungen der Polizei, als ob sie von sich ablenken wollte. Nur daran, Megan zu finden, ist sie offensichtlich nicht interessiert.

Um die Erzählung augenscheinlich interessanter zu halten, ist Girl on the Train nicht chronologisch erzählt, sondern springt immer wieder aus der Perspektive einer der drei Frauen zurück, um genauer zu beleuchten, was geschehen ist. Das erinnert vom Stil her ein wenig an Gone Girl - Das perfekte Opfer [2014], ohne je so ineinander zu greifen, dass es tatsächlich überraschen oder mitreißen würde. Wahrhaft unvorbereitet treffen das Publikum allenfalls die Stereotypen, mit denen die Geschichte durchweg gespickt ist. Während die Männer allesamt triebgesteuerte Gewalttäter sind, die die Frauen wie ein Ware gebrauchen (von Edgar Ramírez' Figur abgesehen, die am Ende für die Erzählung nicht notwendig ist), sind die Frauen allesamt Opfer. Dass gerade im Finale eine Frau eher zu ihrem Mann steht, von dem sie weiß, dass er sie betrügt und vermutet, dass er ein Mörder sein könnte, anstatt sich zu behaupten, setzt dem Klischee die Krone auf.

Auch beschäftigt sich das Skript auf eine unvorstellbar ungelenke Art mit dem Thema Frauen und Kinder. Eine Figur kann keine Kinder bekommen und wünscht sich nichts mehr als eigenen Nachwuchs, eine andere soll von ihrem Mann genötigt Kinder bekommen und möchte keine. Die dritte schließlich hat bereits Nachwuchs und würde sich doch lieber um Charity-Arbeit als das Kind kümmern. Girl on the Train beschäftigt sich mit so vielen Themen, die Beziehung von Frauen zu Kindern, Alkoholsucht oder Intrigen und Mord, dass es nachvollziehbar ist, dass keines davon gebührend zur Geltung kommt. Regisseur Tate Taylor präsentiert seinen Krimi in chicen Bildern und sammelt bekannte Darstellerinnen und Darsteller, die ihre Rollen ansprechend zur Geltung bringen. Nur ärgern die Stereotypen und die abstrusen Verhaltensweisen im Lauf der langgezogenen zwei Stunden zunehmend. Die stellenweise eingestreuten Erotikszenen, bei denen es jedoch nie knistert, sollen ebenso wie die oft sexualisierten Dialoge ein verruchtes Ambiente erzeugen. Tatsächlich erscheinen sie aufgesetzt und sind ebenso schnell vergessen wie der Rest des Films.


Fazit:
Obwohl der Krimi Girl on the Train seine Hauptfigur Rachel als Opfer präsentiert, dass sie in ihrer Alkoholsucht gefangen sein soll, arbeitet Filmemacher Tate Taylor nie heraus. Es ist ein Aspekt, der ebenso zu kurz kommt wie die eigentliche Suche nach der vermissten Megan. Stattdessen springt die Erzählung immer wieder in die Vergangenheit, wechselt die Perspektiven, um scheinbar ein Puzzle aus Betrug und Affären aufzudecken, das nie mitreißt. Handwerklich bis auf die eingestreuten Zeitlupen tadellos umgesetzt, besitzt das Gezeigte weder einen Reiz hinsichtlich des erotischen Aspekts, noch interessieren die Figuren, die nicht nur die plattesten Geschlechterklischees vereinen, sondern sich gleichzeitig vollkommen absurd verhalten. Das ist gut genug gespielt, aber inhaltlich nicht mehr als ein TV-Krimi-Drama, das für die große Leinwand auch bei der Laufzeit entsprechend aufgebläht wurde.