From Hell [2001]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. Februar 2005
Genre: Krimi / Drama

Originaltitel: From Hell
Laufzeit: 122 min.
Produktionsland: USA / Großbritannien / Tschechische Republik
Produktionsjahr: 2001
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Albert Hughes, Allen Hughes
Musik: Trevor Jones
Darsteller: Johnny Depp, Robbie Coltrane, Heather Graham, Ian Holm, Ian Richardson, Jason Flemyng, Katrin Cartlidge, Terence Harvey, Susan Lynch, Lesley Sharp, Estelle Skornik, Nicholas McGaughey, Annabelle Apsion, Joanna Page, Danny Midwinter


Kurzinhalt:
Im August 1888 wird im Londoner Stadtteil Whitechapel eine Prostituierte ermordet und verstümmelt aufgefunden. Zunächst hat es den Anschein, dass die Frau einer Schutzgeldbande zum Opfer gefallen ist. Inspektor Fred Abberline (Johnny Depp) wird mit dem Fall betraut; da werden er und sein Kollege Sergeant Peter Godley (Robbie Coltrane) auf eine weitere Frauenleiche aufmerksam – erneut hat der Täter sein Opfer zuerst getötet und dann Organe entnommen.
In Abberline keimt der Verdacht, dass eine ganze Gruppe Prostituierter – der auch Mary Kelly (Heather Graham) angehört – systematisch ausgelöscht werden soll. Doch bei den Nachforschungen wird der Inspektor von seinen Vorgesetzten unter Druck gesetzt, denen es auf eine zutreffende Aufklärung der Morde gar nicht ankommt. Denn obwohl der Chirurg im Ruhestand Sir William Gull (Ian Holm) ihm beipflichtet, dass solch gleichsam grausame, wie präsise Taten kaum von einem Metzger oder gewöhnlichen Mörder begangen, sondern vielmehr von einem Gelehrten und erfahrenen Arzt durchgeführt wurden, möchte die Obrigkeit die Ermittlungen in dieser Richtung nicht weiter verfolgen.
Während Abberline seine Theorien Stück für Stück zusammensetzt, zieht "Jack the Ripper" – wie die Zeitungen den Mörder mittlerweile nennen – aus, mit seinem Kutscher Netley (Jason Flemyng) weitere Frauen zu ermorden.


Kritik:
Seit die Presse dem unbekannten, heute berühmt-berüchtigten Mörder im Londoner Stadtteil Whitechapel den Namen "Jack the Ripper" gab, sind über 100 Jahre vergangen. Bis heute ist nicht geklärt, wer der Täter war, oder wie viele Opfer er insgesamt letztlich tötete. Zum einen, da in jener Zeit zahlreiche Frauenleichen in London mit grausamen Verstümmelungen aufgefunden wurden, und die Meinungen, wieviele Opfer dem "Ripper" tatsächlich zuzuschreiben sind, deshalb stark auseinander gehen – wobei die fünf Whitechapel-Frauen Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catharine Eddowes und Mary Jane Kelly allerdings grundsätzlich von allen Experten als "offizielle" Opfer anerkannt sind. Andererseits war die Akzeptanz der aufgebrachten Bevölkerung in Bezug auf den von der Polizei präsentierten Tatverdächtigen nicht annähernd so groß, wie das von der Justiz wohl gedacht und gewünscht war.
So ranken sich seit 1888 unzählige Legenden über "Jack the Ripper". Alan Moore und Eddie Campbell arbeiteten in ihrem ungewöhnlichen und preisgekrönten als Comic illustrierten sehr erfolgreichen Buch From Hell [1999] verschiedene Theorien auf und verknüpften die Morde sowohl mit dem Geheimbund der Freimaurer, als auch mit der britischen Königsfamilie. Wenig später waren die Filmrechte schon verkauft und so durften "Jack the Ripper"-Interessierte gespannt sein, wie sich Hollywood in einer der bis dahin größten Film-Produktionen des Themas annehmen würde.

Das Skript wurde von Terry Hayes und Rafael Yglesias verfasst, die beide im Thriller- und Drama-Genre ansich gut bewandert sind und bereits einige Erfolge vorweisen können. Sie adaptierten die Vorlage durchaus gekonnt, übernahmen viele Details und Figuren, gestatteten sich aber auch Freiheiten bei der Gestaltung der Hauptfiguren. So kommt es, dass aus dem im Original 40-jährigen Abberline ein im Film 30-jähriger Ermittler wird, der seine Visionen dem Konsum von zeitgemäßen Drogen wie Absinth zu verdanken hat. Außerdem mussten die Autoren der Spannung wegen sicherstellen, dass im Gegensatz zur Vorlage der Täter nicht von vorne herein bekannt ist. Daraus ergaben sich leider ein paar Schwierigkeiten, die Nichtkennern des "Graphic Novel" den Zugang zum Film zweifelsohne erschweren werden.
Prinzipiell ist es wahrscheinlich kaum machbar, einen derart komplexen Fall mit allen notwendigen Facetten in zwei Stunden umzusetzen. Einen anderen Weg gingen die Macher bei dem Fernseh-Zweiteiler Jack the Ripper – Das Ungeheuer von London [1988] mit Michael Caine in der Hauptrolle, der eine Länge von insgesamt über drei Stunden hatte. Die Autoren von From Hell geben sich zwar Mühe, die wichtigsten Personen und Nebenhandlungen mit einzubeziehen, können aber bei weitem nicht so viele Charakter-Momente einbauen, wie man sich das als Zuschauer wünschen würde. Im Ergebnis kommt das Portrait von London um 1888 überaus gelungen und authentisch rüber, die Figuren bleiben dagegen meist etwas blass.
Die Auflösung des Täters gestaltet sich in From Hell sicherlich spannender und überraschender, wenn man die Vorlage nicht kennt, doch werden unbelesene Zuschauer gewisse Schwierigkeiten haben, den Handlungsbogen um das königliche Baby und die Verwicklung des Täters völlig zu verstehen. Nebenfiguren wie der Wagenführer Netley oder Abberlines Kollege Peter Godley kommen in der Folge nur wenig zum Zug und selbst der bewegende Auftritt von John Merrick, der unter der tragischen Bezeichnung "Elefantenmensch" bekannt wurde, scheint sich nicht so recht ins Bild zu fügen, macht im Buch in künstlerischer Hinsicht aber durchaus Sinn.
Die meisten Änderungen springen jedoch am Schluss des Films ins Auge, der überaus mutig geraten ist, allerdings keinen Anspruch auf geschichtliche Korrektheit erheben darf. Dennoch fragt sich der Zuschauer, welchen Täter die Polizei denn nun letztlich der Öffentlichkeit präsentieren will, und die Visionen des "Rippers" bei seinem letzten Mord werden sicherlich ebenfalls nicht jedem gefallen – dabei ist dies ein Element der Vorlage, das konstant weiterentwickelt wird und gerade deshalb die Leser so schockiert. Wer sich zudem dafür interessiert, wie die Bevölkerung eigentlich auf den Namen "Jack the Ripper" kam, der wird im Film vergeblich auf eine Erklärung warten. In Wirklichkeit erhielt die Polizei am 27. September 1888 den ersten einer ganzen Reihe von Briefen, die mit "Jack the Ripper" unterzeichnet waren und in denen der angebliche Täter über seine Verbrechen sprach. Allerdings, so zumindest die heutige Auffassung, waren wohl sämtliche der eingesandten Briefe und Postkarten Fälschungen, wohingegen der im Film zitierte Brief, gekennzeichnet mit "From Hell", vermutlich tatsächlich vom Täter stammen könnte.
In Bezug auf den Inhalt gibt es an From Hell eigentlich nicht viel auszusetzen, den Autoren gelingt es sehr schnell, eine einmalige Atmosphäre zu erzeugen, wohingegen die Figuren aber nicht so lebendig wirken. Dank der überraschungsreichen Umsetzung und der durchweg interessanten Ermittlung kann man selbst über den bisweilen nachlassenden Spannungsbogen hinwegsehen.

Bei den Darstellern mussten die Regisseure einige Kompromisse eingehen; ursprünglich sollte Sir Nigel Hawthorne die Rolle von William Gull übernehmen, allerdings musste der Darsteller das Angebot ablehnen, als ihn der Kampf mit dem Krebs zu viel von seiner Kraft kostete – er starb am 26. Dezember 2001.
In seine Fußstapfen trat Ian Holm, inzwischen bestens bekannt als Hobbit Bilbo in der Herr der Ringe-Trilogie [2001-2003]. Er verleiht seiner Rolle gleichsam Ruhe, wie unterschwellige Energie, die sich beim Finale derart entlädt, dass man als Zuschauer nie das Gefühl hat, man würde einen Darsteller beobachten.
Sogar Johnny Depp war nicht die Wunschbesetzung der Macher; ursprünglich sollte Daniel Day-Lewis (Im Namen des Vaters [1993]) den Part ausfüllen, als dieser absagte, wurden sowohl Jude Law, als auch Brad Pitt und Sean Connery in Betracht gezogen, ehe man sich für Depp entschied. Ihn in solch ungewöhnlichen Rollen zu sehen, ist nicht nur stets eine Freude, sondern dank der überzeugenden, lebendigen Mimik und Gestik gelang ihm auch die beste Leistung im Film, obgleich Abberline ein wenig an Depps Constable Ichabod Crane in Sleepy Hollow [1999] erinnert.
Robbie Coltrane hat leider nicht allzu viel zu tun, macht als Abberlines Kollege aber durchweg eine gute Figur, und imponiert schon allein durch sein hünenhaftes Auftreten.
Heather Graham (Lost in Space [1998]) mag im perfekt geschminkten Zustand zwar nicht immer den Eindruck erwecken, als übe ihre Filmfigur tatsächlich jenen Beruf aus, sie selbst spielt jedoch recht gut, kommt aber im Endeffekt ebenfalls zu kurz.
Dagegen hat Ian Richardson (Dark City [1998]) einige wirklich gelungene Auftritte, in denen er sein schauspielerisches Talent vorzeigen darf.
An den Nebencharakteren gibt es ebensowenig auszusetzen, sie alle leisten eine sehr gute Arbeit und erwecken das London um 1888 glaubhaft zum Leben.

Den ausnahmslos überzeugenden Darstellern steht eine angemessene und einfallsreiche Inszenierung zur Seite, die mit einer erstklassigen und innovativen Optik aufwarten kann. So gibt es vom überfüllten und heruntergekommenen London viele herausragende Einstellungen, die sich mit unheilvollen und gleichzeitig malerischen Bildern abwechseln. Neben der Innenstadt sind auch die Tatorte authentisch dargebracht; am Drehort in Prag wurden vier Blocks des Whitechapel-Bezirks als Set errichtet, darunter eine halbe Kirche. Kein Wunder also, weswegen man niemals das Gefühl bekommt, der Film wäre im Studio entstanden.
Die Hughes-Brüder kleiden den Film mit einer überlegten Farbauswahl, kräftigen, gegensätzlichen Tönen in Rot und Grün aus, schmücken ihren düsteren Krimi mit interessanten Blickwinkeln und bisweilen ansich Genre-unüblichen Kamerafahrten, die trotzdem hervorragend in das Gesamtbild passen. Auf den ersten Blick mag man vielleicht vermuten, die Macher hätten den Stoff mit ihrer Umsetzung modernisiert, dabei haben sie sich besonders hinsichtlich der Morde selbst und den Tatorten an Bilder und Überlieferungen gehalten, was From Hell diesbezüglich vielleicht zur realistischsten Umsetzung des Stoffes macht.
Um im Hinblick auf die Altersfreigabe in den USA das sogenannte "R-Rating" zu gewährleisten und nicht mit dem einnahmeschwächenden "NC17-Rating" versehen zu werden, sahen sich die Macher jedoch gezwungen, den letzten Film-Tatort und Mord im Gegensatz zum tatsächlichen an Gewalt etwas abzumindern. Weswegen From Hell aber in Deutschland trotz der erschreckend verstümmelten Leichen und der blutigen Morde eine Freigabe ab 16 Jahren erhielt, bleibt ein Geheimnis der allzeit für Verwunderung sorgenden FSK.
Die Beschreibung, die ein Polizist vom letzten Tatort gibt – sodass diese im Polizeibericht erwähnt werden kann – stammt im übrigen tatsächlich aus dem Original-Bericht von 1888, Wort für Wort. Handwerklich trumpft der düstere Krimi mit vielen erstklassigen Momenten auf, einer hochwertigen und doch schonungslosen Inszenierung, die den Zuschauer mit den grausamen Bildern dennoch nicht überfordert.

Mindestens ebenso gelungen ist die Musik von Trevor Rabin, der mit für ihn sehr ungewohnten und zurückhaltenden Themen aufwartet. Dabei erinnern die rhythmisch steigernden Melodien ein wenig an Wojciech Kilars bekannteste Stücke aus Bram Stokers Dracula [1992]. Rabins minimalistischer, düsterer Score, sowie seine aufbrausenden Momente bei den Tötungen unterstreichen die jeweiligen Sequenzen gekonnt; seine disharmonischen Stücke passen erstklassig zum überfüllten Moloch London jener Zeit.
Soundtrack-Fans sollten sich den Score in Ruhe durchhören, manch einer mag sogar ein kleines Motiv von John Barry darin finden, und obwohl der Remix des Marilyn-Manson-Songs "The Nobodies" sicherlich nicht unbedingt im Abspann hätte spielen müssen (hier hätte man sich durchaus eine Suite aus dem Score gewünscht), unterstützt es recht gut die Stimmung des Films.

Viele Kritikpunkte, die man in Bezug auf inhaltliche Schwächen von From Hell anbringen könnte, werden durch die auf der DVD enthaltenen nicht-verwendeten Szenen entkräftet. So ist dort zum Beispiel die im Buch enthaltene Sequenz eingebunden, in der zahlreiche Wichtigtuer Briefe an die Polizei schreiben, in denen sie behaupten, "Jack the Ripper" zu sein, und auch die steigende Anteilnahme der Bevölkerung wird angesprochen, selbst wenn die in der Vorlage enthaltenen Aufstände und Beschimpfungen gegen die untätige Polizei – die augenscheinlich nicht in der Lage war, die Taten aufzuklären – keine Erwähnung finden. Viele der nicht-verwendeten Szenen beschäftigen sich mit Kutscher Netley (gut gespielt von Jason Flemyng), und obgleich nicht alle für den Film notwendig waren, hätte man einige doch in der engültigen Fassung belassen sollen, um dem Werk so mehr Tiefe zu verleihen. Ein alternatives Ende ist ebenfalls zu sehen – wobei angeblich sogar noch ein zweites gedreht wurde, das deutlich versöhnlicher ausfiel.
Wovon der Film auf DVD überdies profitiert ist die herausragende Bild- und Tonqualität, auch wenn die Dialoge auf Englisch bisweilen schwer zu verstehen sind.
Dennoch spielte From Hell in den USA trotz angemessener Vermarktung nicht einmal sein Budget in Höhe von 35 Millionen US-Dollar wieder ein.

Die Freiheiten, die sich die Autoren mit dem Stoff genommen haben, werden "Ripper"-Spezialisten ohne Frage nicht allzu glücklich machen. Wer sich darüber hinaus bisher kaum mit dem Stoff beschäftigt hat, wird an einigen Stellen Verständnisschwierigkeiten haben, und viele kleine Andeutungen und Details nicht schätzen können.
Dies mag womöglich auch das größte Problem an From Hell sein, denn selbst für sich allein betrachtet ist der Spannungsbogen des Films schlichtweg nicht ausreichend gespannt. Stattdessen gibt es viele Figuren, von denen aber nur wenige ausführlich charakterisiert werden. Prinz Albert beispielsweise, der bei der dargestellten Theorie eine nicht unerhebliche Rolle spielt, wird fast vollständig außer Acht gelassen. Dafür wird Inspektor Abberline als gebrochene Figur dargestellt, die insgesamt eigentlich zu wenig an richtiger Ermittlungsarbeit leisten muss. Was dem Film zudem fehlt, ist eine klare Zeitlinie. So wird der Zuschauer das Gefühl nicht los, als spielten sich die gezeigten Morde in lediglich einer Woche ab; in Wahrheit waren sie ansich über zwei Monate verteilt, was das Auffinden des Täters eben so erschwerte.
Doch aufgrund der überzeugenden Darsteller, der herausragenden handwerklichen Umsetzung des Themas und der authentischen Stimmung gehört From Hell zu den besten "Ripper"-Verfilmungen.


Fazit:
Inszenatorisch gibt es nichts besser zu machen, im Gegenteil: Was den Hughes-Brüdern in dieser Hinsicht gelang, ist ein Erfolg auf ganzer Linie. Mit einer bestechenden Optik und einer hervorragenden Szenen-Choreografie ziehen sie den Zuschauer im Nu ins London von 1888 und zeichnen ein eindrucksvolles und düsteres Bild jener Zeit, ohne die Epoche verklären zu wollen.
Während die Ausstattung, die Kostüme und Sprache über jeden Zweifel erhaben sind, und das Drehbuch ansich mit einer überaus interessanten "Jack the Ripper"-Theorie aufwarten kann, haben die Autoren die preisgekrönte Vorlage allerdings in erster Linie für in der Materie Bewanderte umgesetzt. Wer neu einsteigen möchte, wird bei From Hell viele Andeutungen und Szenen nicht einordnen können, und auch die Spannungsdramaturgie hinterlässt auf den Film bezogen einen eher schwachen Eindruck.
Für Gänsehaut sorgen aber schon allein die unheimlichen Melodien, und angesichts der grausamen Verbrechen, die im Film realistisch nachgestellt sind, verschlägt es dem Zuschauer selbst nach beinahe 120 Jahren vor Entsetzen den Atem. Dank der zum Teil erstklassigen schauspielerischen Leistungen, der atmosphärisch dichten Umsetzung des Stoffes und der großteils werkgetreuen Verfilmung der Vorlage sei From Hell Kennern des Themas deshalb empfohlen.