Ecce Homo - Der verlorene Caravaggio [2025]
Wertung:
|
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 5. Juli 2025
Genre: Dokumentation
Originaltitel: The Sleeper. El Caravaggio perdido
Laufzeit: 78 min.
Produktionsland: Spanien / Italien
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt
Regie: Álvaro Longoria
Musik: Roberto Lobbe Procaccini
Besetzung: Maria Cristina Terzaghi, Jorge Coll, Filippo Benappi, Andrea Lullo, Mercedes Méndez Atard, Lola Pérez de Castro Gómez, Pérez de Castro Gómez. Mercedes, Paul Smeets, Fabrizio Moretti, Nicolás Cortés
Hintergrund:
Michelangelo Merisi, auch bekannt unter dem Namen des Herkunftsortes seiner Eltern, Caravaggio, war ein einflussreicher italienischer Maler des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Mit seinem naturgetreuen Stil, der bewusst lebensnah Licht und Schatten nutzte, wobei er christliche Themen mit dem Herkömmlichen verband, hat er die Kunstwelt nachhaltig geprägt. Und das, obwohl er keine 40 Jahre alt wurde und er zahlreiche düstere Themen aufgegriffen hat. Dass er wegen Totschlags aus Rom verbannt worden war, verstärkt vermutlich noch den Eindruck einer Kunstikone. Beinahe 100 Gemälde werden dem Künstler zugeschrieben und im Jahr 2021 ließ ein unerwarteter Fund die Kunstwelt aufhorchen. Was dann geschah, zeichnet dieser Dokumentarfilm nach.
Kritik:
Die Dokumentation Ecce Homo - Der verlorene Caravaggio von Álvaro Longoria gibt einen derart interessanten Einblick über eine der größten Entdeckungen der Kunstgeschichte in jüngster Zeit, dass es merklich schade ist, dass der Filmemacher nicht mehr Zeit darauf verwendet, in die Tiefe zu gehen. Die Geschichte über die Wiederentdeckung eines verlorenen Gemäldes, das beinahe zu einem Spottpreis verkauft worden wäre, hat das Potential für einen Thriller. Der wird hier zwar nicht freigelegt, Kunstinteressierte werden aber dennoch ihre Freude haben.
Der Originaltitel des Films lautet übersetzt „Der Schläfer“. In der Kunstszene ist ein „Schläfer“ ein Gemälde eines bedeutenden Künstlers oder einer bedeutenden Künstlerin, das fälschlicherweise bzw. in Unkenntnis seiner Bedeutung, zu einem viel zu niedrigen Preis im öffentlichen Verkauf verkauft wird. Für „Schläfer“-Jäger ist die Entdeckung eines solchen Werkes gleichbedeutend mit dem Topf voll Gold am Ende des sprichwörtlichen Regenbogens. Im April 2021 erfährt die Kunsthistorikerin Maria Cristina Terzaghi in Rom, dass bei einem Auktionshaus in Madrid ein Gemälde gelistet ist, das von dem berühmten Maler Caravaggio stammen könnte. Laut der Auktion soll es für 1.500 Euro verkauft werden. In dem Moment hat sich die Neuigkeit in der Kunsthandelszene bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Mehrere Kunsthändler sind darauf aus, sich das Gemälde für ihre Kundschaft zu sichern. Die ersten Gebote an die Familie, bei der das Bild jahrzehntelang im Esszimmer hing, ehe man sich entschied, es angesichts eines Umzugs zu verkaufen, reichen von 600.000 Dollar bis zu 10 Millionen. Am Ende wäre der verlorene Caravaggio auf dem internationalen Kunstmarkt sogar ganze 300 Millionen Dollar wert.
Doch bis die Darstellung des christlichen Schaubildes, wie der gefolterte Jesus von Nazaret vom römischen Statthalter Pontius Pilatus dem Volk vorgeführt wird, überhaupt verkauft wird, werden Jahren vergehen. Ecce Homo begleitet unter anderem den Kunsthändler Jorge Coll, dem es gelingt, zusammen mit zwei Kollegen die Eigentümerfamilie für sich zu gewinnen, sodass der Verkauf des Gemäldes im Rahmen der Auktion gestoppt wird und sie sich um alles Weitere kümmern. Bis an einen Verkauf überhaupt zu denken ist, ist die Herkunft des Werkes zu klären und, soweit möglich, der Ursprung als ein Gemälde Caravaggios nachzuvollziehen. In Anbetracht des Zustands, ist bei dem offenbar mehrmals notdürftig restaurierten und reparierten Gemälde allem voran eine professionelle Restaurierung durchzuführen.
Filmemacher Álvaro Longoria widmet sich der Arbeit der Kunsthändler aber auch der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, die um verschiedene Positionen ringen. Während der Kunsthandel davon profitiert, möglichst schnelle Entscheidungen herbeizuführen, verlangt die Wissenschaft die Zeit, den Ursprung des Gemäldes zweifelsfrei benennen zu können. Denn wie so oft, kommen erste Zweifel auf, ob es sich bei dem Bild tatsächlich um einen Caravaggio und damit den bedeutendsten Fund in der Kunstwelt seit langem handelt. Immerhin war bereits eine Darstellung der Szenerie, vermeintlich von Caravaggio, bekannt, so dass das neu entdeckte Bild eine Kopie sein oder von einem Schüler des Malers stammen könnte. Oder ist es vielleicht anders herum? Ecce Homo bietet hier Einblicke, die über das hinausgehen, was man gemeinhin in der Berichterstattung über einen solchen Fund zu sehen oder zu lesen bekommt. Viele Erkenntnisse sind überaus interessant, beispielsweise, dass das spanische Kulturministerium entscheiden kann, dass ein solcher Fund im Rahmen des Kulturgutschutzes nicht exportiert werden darf, was verständlicherweise die Verkaufsmöglichkeiten stark einschränkt.
Aber seien es die kurzen Interviews mit der Familie, in deren Besitz sich das Gemälde befunden hat, die Einblicke in den Restaurierungsprozess oder eben das Spannungsfeld des Kunsthandels und der Kunstgeschichte, Ecce Homo geht selten, wenn überhaupt, tiefer als die erste Beschreibung jener Aspekte. Erzählen die Kunsthändler zu Beginn, dass das Gemälde in mehreren Galerien zum Verkauf stand, niemand dessen Wert oder Bedeutung erkannt hat, hat man das Gefühl, sie würden aus dem Nähkästchen plaudern, das Publikum an etwas teilhaben lassen. Doch dieser Eindruck stellt sich überraschend selten ein. Weder vermittelt Álvaro Longoria ein Verständnis dafür, über welche Erfahrungen die Beteiligten verfügen, an welcher Restaurierung die Experten beteiligt waren, oder welche Kunstwerke sie bereits entdeckt haben, noch gelingt es ihm, die Zuschauerinnen und Zuschauer wenigstens Glauben zu machen, sie würden mehr erhaschen als einen Blick durch einen Türspalt. In gleicher Art unterhalten sich die Kunsthistorikerinnen und -historiker zwar kurz über die Arbeitsweise Caravaggios, aber in die Tiefe über das Schaffen und die Bedeutung des Malers gehen auch sie nicht.
Das ist schade, denn mit den vielen Aufnahmen aus Museen, den Einblendungen der Werke des Künstlers oder der schieren Expertise, die Ecce Homo hier versammelt, gäbe es hier viel mehr zu entdecken und man würde sich wünschen, man könnte mit den Personen ein persönliches Gespräch führen, um sie einfach aus ihrem Erfahrungsschatz erzählen zu lassen. Das bedeutet nicht, dass die Aufarbeitung der Entdeckung des verlorenen Gemäldes nicht interessant oder gar mit exklusiven Einblicken versehen wäre. Man hat nur das Gefühl, als wäre dies eine derart in sich verschlossene Klientel, dass letztlich doch nur an der Oberfläche gekratzt wird, während man sich von einem Dokumentarfilm doch einen Blick hinter den Vorhang erhoffen würde.
Fazit:
Anrufe in der Nacht über eine neue Entdeckung, Allianzen, die geschmiedet werden, um sich gegen Mitbewerber zu wappnen … Álvaro Longoria beginnt seine Dokumentation wie einen Thriller, und könnte diesen auch noch um den Wettlauf der Kunsthändlerszene mit der Kunstgeschichte kombinieren, die in unterschiedliche Richtungen streben. Aber auch wenn das Konfliktpotential angesprochen wird, der Filmemacher bietet kaum einen weitergehenden Einblick. Nicht bei der Recherche, den Dokumenten über den Ursprung des Werkes habhaft zu werden, noch bei der Restaurierung, die man sich akribischer dargestellt wünschen würde. Dass die Kunsthändler kaum über ihre bisherige Arbeit oder ihre Kundschaft sprechen können, ist noch nachvollziehbar, aber aus Sicht der Kunsthistorikerinnen und -historiker hätte man dem wiedergefundenen Gemälde und vor allem Caravaggios Einfluss auf die Kunstszene mehr Gewicht verleihen können. So bleibt Ecce Homo - Der verlorene Caravaggio als Dokumentarfilm an der Oberfläche verhaftet, was nicht bedeutet, dass ein kunstinteressiertes Publikum nicht nur interessante Informationen finden, sondern sich in den vielen Bildern verlieren können wird.