E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer [2024]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. August 2024
Genre: Dokumentation / Biografie

Originaltitel: E.1027 - Eileen Gray and the House by the Sea
Laufzeit: 89 min.
Produktionsland: Schweiz
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Beatrice Minger, Christoph Schaub
Musik: Peter Scherer
Besetzung: Natalie Radmall-Quirke, Axel Moustache, Charles Morillon, Vera Flück, Eileen Gray


Kurzinhalt:

So sehr die Designs und Möbelstücke der irischen Architektin Eileen Gray (Natalie Radmall-Quirke) zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Aufsehen sorgen, erst, als der weniger als Architekt denn als Herausgeber eines avantgardistischen Architekturmagazins bekannte Jean Badovici (Axel Moustache) sie inspiriert, ein Haus zu bauen, in dem all ihre Werke zur Geltung kommen, erblickt eine Vision das Licht der Welt, von der Gray nicht einmal wusste, dass sie danach suchte. Sie erschaffen 1929 an der französischen Mittelmeerküste ein Haus, das sie E.1027 nennen, und das viele Bewunderer anlockt. Darunter den Architekten und Zeichner Le Corbusier (Charles Morillon), der so besessen von E.1027 ist, dass er die Wände darin mit Wandmalereien überzieht und behauptet, das Design des Hauses wäre nur eine Kopie seiner Visionen, die er nun vollendet habe. Für Gray, die zuvor bereits ausgezogen war, ist es ein Akt des Vandalismus, der auch die Stellung der Frau in einem von Männern dominierten Berufsfeld verdeutlicht …


Kritik:
Inspiriert von tatsächlichen Texten der dargestellten Personen erzählen Beatrice Minger und Christoph Schaub in E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer gewissermaßen eine von Darstellern zum Leben erweckte, biografische Dokumentation um die Titel gebende Architektin und eines ihrer prägenden Werke. Das klingt sperrig und ist nicht zuletzt auf Grund der Herangehensweise für ein spezielles Publikum gedacht. Doch das wird hier ebenso interessante wie aufschlussreiche Einblicke erhalten, die über das Offensichtliche hinausgehen.

Geboren Ende des 19. Jahrhunderts, studierte Gray als eine der ersten Frauen an der Slade School of Art in London. Ihre Designentwürfe zeugten von einer zukunftsgewandten Schlichtheit, die gängige Konventionen sprengte. Als sie den Architekten Jean Badovici kennenlernt, finden sich zwei verwandte Seelen mit unterschiedlichen Talenten. Badovici ist als Herausgeber eines avantgardistischen Architekturmagazins bekannt, wird jedoch als Architekt kaum wahrgenommen. Er inspiriert Gray, ein Haus zu bauen. Gray ist davon angetan, denn in einer Welt, die Männer nach ihren Bedürfnissen erschaffen haben, könnte ihr Entwurf die Existenz neu denken. Sie finden an der Côte d’Azur ein Grundstück und erbauen 1929 ein Haus, das den Titel „E.1027“ trägt, eine in sich verschlungene Folge ihrer beider Initialen. Zwei Sommer später geht Gray und überlässt das Werk Badovici. Es wird Jahre dauern, ehe Eileen Gray überhaupt nur erwägt, zurückzukehren und Jahrzehnte, ehe ihr prägender Entwurf von der Öffentlichkeit wiederentdeckt werden wird.

Was kann ein Haus dabei so besonders machen, sieht man von einer prunkvollen Extravaganz ab, die viele teure Anwesen prägt? E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer lässt die Architektin selbst zu Wort kommen und ihre Beweggründe hinter dem Entwurf erläutern. Geradezu waghalsig dicht an der Küste gebaut, zeichnet das Haus eine zweckmäßige Schlichtheit aus, mit praktikabler Möblierung und zurückhaltenden Wänden. Es soll eine Hülle sein, die ihre Bewohnenden verschluckt und von der restlichen Welt abschirmt, gleichzeitig aber als eine Verbindung zwischen ihnen und der Außenwelt dient. Es ist ein Ort, der all dies verkörpert, wonach sich Eileen Gray selbst sehnt. Eine Rückzugsmöglichkeit, ein Schutzraum, in dem sie frei sein kann, und wo ihrer Vorstellung keine Grenzen gesetzt sind. Lange wusste sie nicht einmal, dass sie einen solchen Ort überhaupt gesucht hat.

Nachdem Aristokraten, Künstler und die sonstige High Society die französische Mittelmeerküste für sich entdecken, wird auch das E.1027-Haus einem größeren Publikum bekannt, nicht zuletzt nach einer Vorstellung in Badovicis Magazin. Die Kritiker sind begeistert von einem Entwurf, von dem sie glauben, dass er von Jean Badovici stammt. Dass die unterschiedlichen Lebensauffassungen zu einem Bruch zwischen ihm und Gray führen, überrascht daher nicht. Doch es ist nicht, bis der Architekt und Maler Le Corbusier das Haus entdeckt, dass E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer eine Erzählebene erkennen lässt, die man nicht erwarten würde. Von dem Haus fasziniert und geradezu besessen, beginnt er, mit Badovicis Einverständnis die von Gray bewusst weiß gehaltenen Wände mit Wandmalereien zu übermalen. Als die Designerin davon erfährt, ist es für sie ein Akt der Gewalt, der sie selbst dann schmerzt, wenn sie das Haus zuvor Badovici überlassen hat.

Vor allem gelingt es damit Le Corbusier in einer von Männern beherrschten Domäne, das Haus als ein Kunstwerk, das er sich selbst stilistisch zuschreibt, durch seine eigene Handschrift einzuverleiben. Mehr noch, versucht er durch eine Hütte, die er oberhalb des Hauses baut, die Erzählung des Ortes gewissermaßen für sich zu beanspruchen. Was dies in der zunehmend zurückgezogenen Künstlerin auslöst, kann man nur erahnen. Zwar lässt E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer diese ebenso wie die beiden männlichen Protagonisten zu Wort kommen, doch einen tatsächlichen Blick in ihr jeweiliges Gefühlsleben ermöglichen die Verantwortlichen kaum. Das mag auch an der Präsentation insgesamt liegen, die ebenso kunstvoll gelingt, wie die Werke der Titel gebenden Architektin. Stellenweise wartet die Erzählung mit einnehmenden Aufnahmen des ebenso eindrucksvoll restaurierten wie in Anbetracht des Alters geradezu unwirklich erscheinenden E.1027-Hauses auf. Dann jedoch erinnert die Umsetzung wieder an ein Theaterstück, in dem die Besetzung entweder vor schwarzen Hintergründen oder an Kunstinstallationen erinnernden Kulissen agiert, die mit Aufnahmen aus jener Zeit kunstvoll angeleuchtet werden.

Kommen am Ende Aufnahmen aus tatsächlichen Dokumentationen mit Eileen Gray hinzu, oder Eindrücke des Zerfalls sowie der Restaurierung des Titel gebenden Hauses, die jedoch allesamt stilistisch, durch Farbgebung und Rauschen, an einen mehrere Jahrzehnte alten Dokumentarfilm erinnern, wirkt die stilistische Bandbreite wenigstens für ein Gelegenheitspublikum doch befremdlich. Der Respekt, den die Verantwortlichen der einflussreichen Designerin und Architektin zollen, ist in jedem Moment spürbar und ihren langen Weg der Anerkennung machen sie ebenso greifbar, wie ihren inneren Kampf, überhaupt hierfür kämpfen zu wollen. Ob die Herangehensweise in E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer tatsächlich die günstigste ist, kann man dabei sicherlich diskutieren. Unbestritten eignet sie sich nicht für ein breites Publikum.


Fazit:
Für beinahe jeden ist ein Haus mehr, als nur ein Haus. Es ist ein Zuhause, ein Ort, an dem man so sein kann, wie man möchte. Dadurch, dass Regisseurin Beatrice Minger und ihr Ko-Regisseur Christoph Schaub erst ganz am Ende Eileen Grays Motivation aufdecken, weshalb sie überhaupt die Kunstschule besuchte, wird erst spät deutlich, wie viel ihr dieser Zufluchtsort bedeutet haben muss. Da sich die Verantwortlichen mit der Darstellung ihres Privatlebens zurückhalten und viel Zeit auf die männlichen Protagonisten verwenden, fällt es zudem schwer, sich in sie hinein zu versetzen. E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer wirkt daher weniger wie eine Biografie der Künstlerin, als eine dokumentarische Nacherzählung, wie es zu dem architektonisch wie künstlerisch bedeutenden Haus an der Küste der Côte d’Azur kam, in dem mehrere Stilrichtungen um die Oberhand zu kämpfen scheinen. Gleichermaßen späte Würdigung des Schaffens der verantwortlichen Architektin wie treffender Kommentar über die Weiblichkeit der Kunst und das männliche Bestreben, diese für sich einzunehmen, eignet sich die Herangehensweise nur für einen speziellen Kreis an Zuschauerinnen und Zuschauern. Dieser wird darin jedoch ebenso einen künstlerischen Ausdruck sehen wie in den Einblicken des Hauses schwelgen können.