District 9 [2009]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 16. September 2009
Genre: Science Fiction / Action / DramaOriginaltitel: District 9
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: USA / Neuseeland
Produktionsjahr: 2009
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Neill Blomkamp
Musik: Clinton Shorter
Darsteller: Sharlto Copley, Jason Cope, Nathalie Boltt, Sylvaine Strike, William Allen Young, Nick Blake, Louis Minnaar, Vanessa Haywood, Mandla Gaduka, David James
Kurzinhalt:
Vor beinahe 20 Jahren erschien über Johannesburg plötzlich ein riesiges Raumschiff, das seither über der Stadt schwebt. Nachdem monatelang nichts geschehen war, entschloss die Regierung, sich Zutritt zu dem schwebenden Objekt zu verschaffen. Darin fanden Wissenschaftler eine Million, insektenartig aussehender Wesen, die nicht nur größer als Menschen waren, sondern die ausgemergelt und am Verhungern gewesen sind.
Es wurde die Entscheidung getroffen, die Wesen auf die Erde zu holen und zu versorgen. Zu diesem Zweck wurde unterhalb des Schiffes mit "District 9" ein Auffanglager für die Aliens errichtet. Inzwischen, im Jahr 2010, ist die Zahl der Aliens gewachsen und der Unmut der Bevölkerung Johannesburgs ebenso, während die Fremden nach wie vor auf das Camp beschränkt werden. Also sollen die Aliens um 250 Kilometer außerhalb der Stadt verlegt werden, um so einen größeren Abstand zu den Menschen zu schaffen. Für diese Umsiedlungsaktion verantwortlich ist Wikus Van De Merwe (Sharlto Copley). Doch dieser kommt bei der Untersuchung eines Objekts der Fremden mit einer seltsamen Flüssigkeit in Kontakt und beginnt wenig später, sich zu verändern. Schon bald zeigen weniger die Ärzte, als die militärischen Wissenschaftler Interesse an ihm und er wird Opfer jenes entwürdigenden Regimes, dem er bislang angehörte. Seine einzige Chance ist die Flucht, doch muss er auf der Suche nach einem Gegenmittel für seine Veränderungen erkennen, dass sich auch bei den Aliens Gruppen gebildet haben, die jener unfreiwilligen Gefangenschaft auf der Erde ein Ende bereiten wollen ...
Kritik:
Eine Gruppe von einer Million Flüchtlingen wird in einem Auffanglager außerhalb von Johannesburg aufgenommen. Sie werden rudimentär mit Nahrung und Unterkunft versorgt, doch schon bald herrschen slumartige Zustände und es florieren Beschaffungskriminalität, Drogenkonsum, Prostitution und (auch im Bild der Öffentlichkeit) Diskriminierung. Irgendwann fühlen sich die Menschen in Johannesburg nicht mehr sicher vor den Fremden, so dass mit einer Umsiedlung begonnen wird, deren Legitimation fragwürdig ist, und bei der die eingesetzten Methoden moralisch fragwürdig bleiben.
Zusammen mit der Ausgrenzung der Fremden, derentwegen Schilder aufgestellt werden, wo sie nicht erwünscht sind, den schäbigen Behausungen und selbst der herabsetzenden und entwürdigenden Bezeichnung durch Personen der Öffentlichkeit, fühlt man sich bei District 9 vom Beginn bereits an ein Drama erinnert, das angesichts des Hintergrundes Südafrikas erschreckende Parallelen zum Apartheidsystem aufweist. Der größte Unterschied dabei: die Fremden sind vor 20 Jahren gelandete Außerirdische, die mit ihrem insektenhaften Aussehen ureigene Ängste der Menschen heraufbeschwören. Regisseur und Autor Neill Blomkamp, der selbst in Johannesburg geboren wurde, verarbeitet in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm Kindheitserfahrungen, die einen Menschen ohne Frage für den Rest seines Lebens prägen. Herausgekommen ist ein bedrückendes, nachdenklich stimmendes und leider nicht abwegiges Science Fiction-Drama, das im letzten Drittel jedoch auf Actionmomente getrimmt wurde.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Hauptfigur Wikus Van De Merwe, verkörpert vom ungelernten Darsteller Sharlto Copley, der bislang bereits im Kurzfilm Alive in Joburg [2005] zu sehen war. Auf Blomkamps sechsminütigem Werk basiert District 9. Wikus wird vorgestellt als ein nicht allzu schlauer und latent rassistischer Mitarbeiter jener Gesellschaft, die für die Umsiedlung der Aliens verantwortlich ist. Überfordert mit jener Aufgabe und ohne autoritäre Ausstrahlung, macht sich Wikus vom ersten Moment an alles andere als beliebt. Das ändert sich auch nicht, als klar wird, dass er während der "Säuberungsaktion" billigend in Kauf nimmt, dass einige Aliens die Umsiedlung nicht überleben und die ohnehin gereizten und angespannten Sicherheitstrupps der eingesetzten Privatarmee ihre Aggressionen an den Flüchtlingen abreagieren. Als er sich bei der Untersuchung eines Alienobjekts infiziert, geschieht ihm das an sich nur recht. Erst als seine Situation von den Wissenschaftlern für ihre Experimente ausgenutzt wird, er gegen seinen Willen zu menschen- und alienverachtenden Tests gezwungen wird, wandelt sich die Antipathie. Dann muss Wikus wie der Zuschauer erkennen, was seit langem hinter verschlossenen Türen stattfindet und worüber in der Öffentlichkeit nicht gesprochen wird. Wirklich sympathisch ist der unscheinbare "Held" wider Willen auch am Ende nicht. Doch vielleicht macht ihn gerade das für das Publikum greifbar. Er verhält sich wie jemand, der mit der Situation mit den Aliens im Camp, aufgewachsen ist und sich an seinen vermeintlich höheren Status seit jeher gewöhnt hat.
District 9 erzählt die Geschichte aus einer sehr ungewohnten Perspektive und haucht sie gleichzeitig wie eine Dokumentation an, die nach den Ereignissen aufgezeichnet wird. Zusammen mit dem frischen und interessanten Hintergrund vor Johannesburg und mit den Parallelen zur Vergangenheit der Rassentrennung in Südafrika, ergibt das eine Science Fiction-Story, die für den aufmerksamen Zuschauer nach wie vor im hier und jetzt verankert ist. Das mag stellenweise unbequeme Erinnerungen an Bilder aus jenem Land wecken, macht den Film aber nicht weniger wichtig oder aktuell.
Was zum Realismus der Independentproduktion beiträgt ist die beeindruckende Machart des Films. Regisseur Blomkamp verleiht der Inszenierung zwar dokumentarische Eigenschaften, verwackelt das Geschehen aber nicht so sehr wie beispielsweise Cloverfield [2008]. Zudem gelingt es trotz des niedrigen Budgets von nur 30 Millionen Dollar und trotz der Vielzahl an Spezialeffekten, diese so authentisch in den Film einzubetten, dass man nie bemerkt, wo die Realaufnahme aufhört und der Trickeffekt beginnt. Sei es beim Raumschiff selbst, das über Johannesburg schwebt, oder den vielen, beeindruckend gestalteten Aliens, die verblüffend lebendig wirken. Authentischer hätte District 9 auch mit einem fünfmal so hohen Budget nicht aussehen können.
Mit vielen guten Ideen gespickt, schreckt allenfalls der gezeigte Gewaltgrad ab, wodurch sich der Film (unabhängig von der zu niedrigen FSK-Freigabe) eindeutig an ein erwachsenes Publikum richtet. Wird zu Beginn nämlich hauptsächlich Gewalt gegen die Aliens gezeigt, wandelt sich die Perspektive im Verlauf und schildert die Gewalt gegen die Menschen. Vor einigen Jahren waren solche Bilder mit einer FSK-18-Freigabe versehen, weswegen das heute nicht für notwendig gehalten wird, verstehe wer will.
Fazit:
Es gehört viel Mut dazu, eine solch ernste Geschichte als Allegorie in ein Science Fiction-Gewand zu kleiden. Die Parallelen zur Apartheid in Südafrika sind unübersehbar und die Absicht von Autor und Regisseur Neill Blomkamp, jene Thematik mit einfließen zu lassen, genauso offensichtlich. Erstaunlicherweise gelingt der Mix sehr gut und überzeugt insbesondere in der ersten Hälfte durch Szenen und Momente – wie beispielsweise den Waffenexperimenten, zu denen Wikus gezwungen wird –, bei denen einem als Zuseher zuerst unwohl wird, ehe man die Wut in einem aufsteigen spürt.
Erstklassig gefilmt und mit preisverdächtigen, nahtlosen Spezialeffekten versehen, die man so unscheinbar und realistisch seit Jahren und schon gar nicht bei diesem Budget gesehen hat, zeichnet sich District 9 durch eine nachdenklich stimmende Geschichte aus, die in ein unterhaltsames Science Fiction-Action-Drama verpackt wird. Das ist zwar auf Grund der Hauptfigur nicht immer fesselnd, aber durchweg sehenswert, auch wenn im letzten Drittel die Story zurückgefahren und der Actionanteil hochgeschraubt wird.