Die Vergessenen [2004]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 28. August 2005
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: The Forgotten
Laufzeit: 87 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2004
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Joseph Ruben
Musik: James Horner
Darsteller: Julianne Moore, Dominic West, Anthony Edwards, Gary Sinise, Christopher Kovaleski, Matthew Pleszewicz, Jessica Hecht, Linus Roache, Alfre Woodard, Lee Tergesen, Katie Cooper, Kathryn Faughnan, Robert Wisdom


Kurzinhalt:
Vor vierzehn Monaten kam Sam (Christopher Kovaleski), der kleine Sohn von Telly (Julianne Moore) und Jim Paretta (Anthony Edwards) bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, über den Verlust ist die verzweifelte Mutter noch nicht hinweg und sucht diesbezüglich regelmäßig den Psychologen Dr. Jack Munce (Gary Sinise) auf. Doch eines abends sieht sie auf dem vermeintlichen Familienfoto mit Mann und Kind nur noch sich und Jim; davon überzeugt, dass ihr Gatte das Bild austauschen ließ, um Telly zu überzeugen, loszulassen, konfrontiert sie ihn damit, der jede Schuld abstreitet. Er ruft Dr. Munce herbei, der Telly erklärt, dass sie nie einen Sohn hatte, und all ihre Erinnerungen nur eingebildet seien.
Am Boden zerstört, flieht Telly zu Ash Correll (Dominic West), dessen Tochter ebenfalls bei dem Absturz ihr Leben verlor. Doch auch er scheint sich nicht an Telly, oder gar seine eigene Tochter zu erinnern – erst als Telly in seinem Apartment hinter den Tapeten diejenigen aus dem Kinderzimmer von Corrells Tochter entdeckt, beginnt Ash an sich zu zweifeln. Doch wenig später ist schon die NSA auf der Spur von Ash und Telly, einzig die Polizistin Anne Pope (Alfre Woodard), die von Dr. Munce unerwartet Hilfe erhält, scheint daran zu glauben, dass alle Menschen außer Telly und Ash die Existenz der Kinder vergessen zu haben scheinen ...


Kritik:
Wer bei dem Wort "Spoiler" zuerst an Autos oder Flugzeuge denkt, liegt bei dem Ausdruck in Bezug auf Filme und Bücher beinahe richtig; abstammend vom englischen Verb "to spoil", was übersetzt "verderben" heißt, handelt es sich bei einem "Spoiler" im Fachjargon um etwas, das den Luftwiderstand nicht stören/verderben soll, also eine gute Aerodynamik garantieren soll. Im Bezug auf die Unterhaltungsindustrie hat sich das Wort "Spoiler" eingebürgert, um eine Beschreibung eines wichtigen Punktes der Geschichte zu bezeichnen. Hierin wird ein entscheidendes Handungselement verraten, das dem interessierten Leser/Zuschauer die Überraschung verderben könnte. Aus diesem Grund sollten Kritiker wie Zuschauer tunlichst auf Spoiler verzichten, wenn über einen Film geredet wird, oder aber eine Spoiler-Warnung voraus stellen.
Etwas ähnliches hätte auch die Firma tun müssen, die den wirklich atmosphärischen und gelungenen Trailer zum Film Die Vergessenen zusammenstellte, denn wie zuletzt beim Kinofilm Die Insel [2005] gelang es der Trailer-Firma, in dem zweieinhalb Minuten Spot den wichtigsten Handlungskniff zu verraten. Zuschauer, die den Trailer also kennen und über ein wenig Kombinationsgabe verfügen, wussten bereits vorab Bescheid, worauf die unheimliche Geschichte hinaus läuft und konnten den Film dadurch überwiegend überraschungsfrei genießen. Ärgerlich ist das vor allem insofern, als dass sich hinter Die Vergessenen ein wirklich gut gemachter und ansich auch solider Thriller mit vielen Dramaelementen verbirgt, der (sofern man den Trailer nicht gesehen hat und gewagten Storyentwicklungen aufgeschlossen ist) auch mit einer überraschenden Auflösung aufwartet.

Drehbuchautor Gerald Di Pego gehört sicherlich seit seiner Adaption des Bestseller-Romans Message in a Bottle - Der Beginn einer großen Liebe [1999] zu den bekannten Namen Hollywoods, auch wenn sich der seit den frühen 1970ern in der Traumfabrik aktive Autor großteils bedeckt hält. Mit seiner Vorlage zum intensiv-gespielten und ungewöhnlichen Kammerspiel Instinkt [1999] konnte er zwar weniger für Aufsehen sorgen, als mit dem Skript zum Scientology-Selbstbildnis Phenomenon - Das Unmögliche wird wahr [1996], doch auch jenes Drehbuch überzeugte mit einfallsreichen und vielschichtigen Figuren.
Mit die Vergessenen unternimmt Di Pego das sicherlich mutige Unterfangen, verschiedene Genres zu mischen, um den Zuschauer mit einer sehr weit hergeholten Erklärung auf die sicher beunruhigende Situation von Hauptfigur Telly Parette zu bedienen; dass gerade diese Genremischung bei vielen Zuschauer nicht gut ankam, ist verständlich, zumal Die Vergessenen dem Zuseher die Hälfte der Laufzeit einen anderen Storyverlauf suggeriert, als man letztlich bekommt; nicht nur, dass nach eben dieser Zeit für versierte Zuschauer schnell offensichtlich wird, wer hinter dem Ganzen steckt, man wird das Gefühl sicherlich nicht ganz los, dass sich der Autor mit einer solchen Lösung aus der Breduille befreien wollte, irgendeinen Abschluss zu liefern, der einen Sinn ergibt.
Was die Zuseher in Die Vergessenen erwartet, hat sicher einen etwas faden Nachgeschmack, auch wenn die Charakterisierung von Hauptfigur Telly sehr gut gelungen ist, und auch Ash Correll ganz gut ausgearbeitet ist. Man hätte aus dem Drama, würde es denn weiter so gesponnen, mehr machen können, als Di Pego letztlich im Stande ist, doch das heißt nicht, dass er eine schlechte Vorlage lieferte. Trotz allem überrascht sein Skript mit einigen innovativen Einfällen, einer (für Genrefans zwar recht vorhersehbaren, aber nichts desto trotz) spannenden Erzählweise und auch guten Dialogen, einzig die Auflösung lässt zu wünschen übrig, was aber glücklicherweise durch die übrigen Beteiligten wieder wett gemacht wird.

Allen voran Hauptdarstellerin Julianne Moore, die auch ihre Kollegen mühelos an die Wand spielt. Als gebrochene Mutter, verzweifelte Frau ohne Hoffnung bricht sie mit ihrer intensiven Darbietung ebenso das Eis zum Publikum, wie als kämpferische, aber ebenso ängstliche Heldin wider Willen. Mimisch erscheint sie nicht nur natürlich, sondern auch glaubhaft in den Extremen, die ihre Figur durchleben muss. Dass die inzwischen 45jährige Darstellerin in ihrer zwanzigjährigen Karriere auf viele Erfolge zurückblicken kann, auch wenn sie mit Vergessene Welt - Jurassic Park [1997] erst in das Bewusstsein der Zuschauer gerufen wurde, ist unbestritten. Ihren ersten erinnerungswürdigen Auftritt hatte sie dabei in Auf der Flucht [1993] und auch an der Seite von Sylvester Stallone in Assassins - Die Killer [1995] machte sie eine gute Figur. Ihr Durchbruch kam jedoch mit Das Ende einer Affäre [1999], für den sie die erste von vier Oscarnominierungen erhielt – die letzte für The Hours - Von Ewigkeit zu Ewigkeit [2002] an der Seite von Nicole Kidman (die den Oscar auch bekam und für die Hauptrolle in Die Vergessenen im Gespräch war).
Dominic West hat an ihrer Seite sicherlich weniger zu tun, gibt sich jedoch alle Mühe, seinem Charakter Tiefe zu verleihen und hat dabei auch Erfolg; etwas blaß bleibt der routiniert agierende Gary Sinise, für den dies vorerst die letzte Filmrolle war, nachdem er die Hauptrolle in der Serie C.S.I.: NY [seit 2004] übernahm.
Alfre Woodard hat hier leider nur einen Kurzauftritt, ebenso wie Anthony Edwards, der sich seit seinem Ausscheiden aus der erfolgreichen Ärzte-Serie Emergency Room - Die Notaufnahme [seit 1994] sichtlich rar gemacht hat. Beide leisten gute Arbeit, auch wenn man sich größere Rollen für sie gewünscht hätte.
Einen ungewöhnlichen Auftritt hat auch Linus Roache, der zuletzt in Batman Begins [2005] als Vater von Bruce Wayne zu sehen war. Mit seiner ruhigen Erscheinung verleiht er seiner Figur genau das Maß an Mysterium, das im Film benötigt wird, bleibt aber gerade beim Finale schwach.
Der schwächste Beteiligte ist dabei leider der Jungdarsteller Christopher Kovaleski, der zwar in den Rückblenden zu sehen ist, dem aber genau die Natürlichkeit fehlt, die Julianne Moore ausstrahlt, und so auch seine Szenen rettet.
Über die Besetzung lässt sich eigentlich nicht viel streiten, es wurden durchweg gute Darsteller ausgewählt, die von einer sehr guten und intensiven Julianne Moore solide angeführt werden. Sicher wäre bei einem weiter ausgearbeiteten Dramaaspekt des Films auch schauspielerisch mehr drin gewesen, aber angesichts des Themas kann man sich nur über die engagierten Darsteller freien.

Dass Regisseur Joseph Ruben handwerklich immerhin routiniert arbeitet, hat bereits im schnell zum Kult aufgestiegenen Slasher-Horror Stepfather - Kill, Daddy, Kill [1987] bewiesen, und auch seine folgenden Filme, Der Feind in meinem Bett [1991], Das zweite Gesicht [1993] und Money Train [1995] ließen daran keinen Zweifel. Nicht zuletzt lebt auch der durchaus ergreifende Für das Leben eines Freundes [1998] von seiner Umsetzung.
Für Die Vergessenen greift Ruben einerseits zu vielen interessanten Kamereinstellungen, die einem durch die "Aufsicht" auf das Geschehen oder die Stadt, und auch die gerade in der zweiten Hälfte eingesetzten Handkamera samt den ausgesuchten Perspektiven, das Gefühl vermitteln, die Protagonisten würden beobachtet; andererseits sind gerade die spannenderen Szenen mit einigen sehr guten Kamerafahrten versehen, und nicht zuletzt fällt das durch fallende Blätter und die suggeriert kühle Umgebung vermittelte Herbstgefühl auf, das dem Regisseur samt Kameramann und Cutter gut gelungen ist.
Was den Film zudem sehr gut abrundet, ist die Auswahl an Farbfiltern, die die Szenerie meist in ein kühles blau kleiden, wohingegen Tellys Erinnerungen an Sam mit überstrahlenden, unwirklichen Farben dargestellt werden. Was für einen großen Einfluss die Farbgebung auf die Bildersprache hat, sieht man vor allem dann, wenn man die unterkühlten Blautöne mit den warmen Herbstfarben am Schluss vergleicht. Inszenatorisch gibt sich Ruben alle Mühe, der doch sehr abgehobenen Story einen soliden Touch zu verleihen, was ihm auch sehr gut gelingt.

James Horners Soundtrack, so passend er im Film ist, ist ein wenig schwer einzuordnen; mit seinen minimalistischen Themen, dem wiederkehrenden Akkord, der in verschiedenen Musikfarben durch das Klavier eingespielt wird, und nicht zuletzt mit der Verquickung zwischen Synthesizer und Orchester, erinnert er bisweilen sehr stark an Jerry Goldsmith, und auch Parallelen zu James Newton Howard und Mark Snow sind hörbar.
Wodurch der Score aber überrascht, ist die Melancholie, mit der Horner das herbstliche Gefühl des Films einfängt, und das in seinen ruhigen, rhythmischen Themen perfekt zum Ausdruck kommt. Es ist mit Sicherheit kein leichtgängiger Score, den man ohne weiteres ohne den Film hören kann, es sei denn man befindet sich in der richtigen Stimmung. Im Film wirken die düsteren, subtilen Klänge aber nicht nur sehr gut zu den Bildern, sondern verwundern mit der ruhigen, statt meist doch sehr ähnlich klingenden Instrumentierung, die Horner für viele seiner Soundtracks wählt. Hier ging er bewusst einen anderen, mutigen Schritt, der Die Vergessenen über den Durchschnitt hinweg hebt, und den Film für ein aufgeschlossenes Publikum so atmosphärisch erfahrbar macht, wie kaum einer in der letzten Zeit.

Finanziell hatte sich das Studio Columbia sicherlich etwas mehr von Die Vergessenen erhofft, auch wenn die Produktion knapp das Dreifache ihrer Kosten (circa 40 Millionen Dollar) weltweit wieder einspielte. Ob es tatsächlich daran lag, dass viele Zuschauer angesichts des Trailers die Auflösung vorher sahen, sei dahingestellt. Sicher ist The Forgotten, wie der Film im Original heißt, nicht so schlecht, wie viele Kritiker ihn seinerzeit machten, auch wenn die sicher abgehobene Auflösung nicht mit dem grundsoliden und durchweg beunruhigenden Anfang zusammen passt.
Der Genremix mag nicht jedermann gefallen, und die Erklärungen auch nicht jeden zufrieden stellen, handwerklich gibt es an dem sehr gut inszenierten Dramathriller von Regisseur Joseph Ruben jedoch nichts auszusetzen. Und das ist schon mehr, als man von vielen, als Blockbuster angepriesenen Filmen behaupten kann.


Fazit:
Dass viele Zuschauer von Die Vergessenen enttäuscht waren, ist einerseits verständlich, und andererseits doch wieder nicht. Während die zu Anfang als Drama angelegte Story schnell in eine ganz andere Richtung geht, und so manche Zuschauer mit ihrem unerwarteten Verlauf sicher vor den Kopf stoßen wird – von der zugegebenermaßen hanebüchenen Erklärung am Schluss einmal abgesehen –, ist es letztlich die handwerkliche Umsetzung, die Joseph Rubens Regiearbeit bedeutend besser geraten lässt, als sie im Kino von der Kritik gemacht wurde.
Mit interessanten Perspektiven, die eine sehr gute Bildersprache beherbergen, bis hin zu temporeichen Kamerafahrten, spannenden Momenten und einigen Szenen, die den Puls des Zuschauers in Sekunden in die Höhe schnellen lassen, deckt Ruben alles ab, was man sich für einen düsteren Thriller wünschen kann, und auch die Darsteller, angeführt von einer sehr guten Julianne Moore tragen ihr übriges dazu bei, dass die Figuren immer einen Draht zum Publikum finden und ihnen auch bereit sind, zu folgen.
Dass die Auflösung besser und vor allem plausibler hätte gelöst werden können, ist unbestritten, und dafür hat der Film auch Abzug verdient, doch das schmälert nicht die Leistung der übrigen Beteiligten.