Der unsichtbare Dritte [1959]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 5. Januar 2025
Genre: ThrillerOriginaltitel: North by Northwest
Laufzeit: 136 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1959
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Alfred Hitchcock
Musik: Bernard Herrmann
Besetzung: Cary Grant, Eva Marie Saint, James Mason, Jessie Royce Landis, Leo G. Carroll, Josephine Hutchinson, Philip Ober, Martin Landau, Adam Williams, Edward Platt, Robert Ellenstein, Les Tremayne, Philip Coolidge, Patrick McVey, Edward Binns, Ken Lynch
Kurzinhalt:
Als er bei einem Geschäftstermin von zwei bewaffneten Männern abgefangen wird, glaubt Werbefachmann Roger Thornhill (Cary Grant) noch an einen schlechten Scherz. Doch wenig später steht er deren Auftraggeber gegenüber, der sich als Mr. Townsend (James Mason) ausgibt und der behauptet, er wisse, dass Roger an sich anders heißen würde. Auch wenn es sich hierbei um eine Verwechslung handelt, es gelingt Roger nicht, die Männer davon zu überzeugen, dass er tatsächlich er selbst ist und niemand anders. Dem Treffen entkommt er nur knapp und macht sich auf, George Kaplan zu suchen, mit dem ihn Townsend verwechselt hat. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und Roger wird landesweit wegen Mordes gesucht. Auf der Flucht vor der Polizei und darauf aus, seinen Namen reinzuwaschen, trifft er auf die mysteriöse Eve Kendall (Eva Marie Saint), die ihm hilft. Während Roger erkennt, dass er in etwas viel Größeres hineingeraten ist, muss er sich doch fragen, ob er Eve tatsächlich vertrauen kann. Seine Verfolger schließen unterdessen immer weiter auf …
Kritik:
Mit seinem überaus amüsanten Der unsichtbare Dritte erschuf Altmeister Alfred Hitchcock nicht nur einen preisgekrönten Agenten-Thriller während des Kalten Krieges, sondern prägte mit seinem visuellen Stil das Genre gleich mit. So sehr, dass einzelne Elemente Filmschaffende über Jahrzehnte inspirierten, bis hin zu direkten Anspielungen selbst in der größten Spionage-Filmreihe unserer Zeit. Dabei hat der Klassiker nichts von seiner Wirkung und seinen Stärken verloren.
Im Zentrum der Geschichte, die die von Geheimagenten und Spionagegeschichten definierte Paranoia des Kalten Krieges so unterhaltsam wie treffend auf den Punkt bringt, steht der erfolgreiche Werbefachmann Roger Thornhill, der bei einem Geschäftsessen in New York City von zwei bewaffneten Männern entführt und zu einem großen Anwesen gebracht wird. Dort erfährt er in einem Gespräch mit dem wenig zimperlichen Mr. Townsend, dass sie Roger für jemand anderes halten: George Kaplan. Nichts, was Roger als Gegenbeweis vorbringt, kann die Männer überzeugen. Nur knapp dem Tod entkommen, versucht Thornhill daher, George Kaplan selbst ausfindig zu machen, mit dem er offenbar so große Ähnlichkeit hat. Doch kurz darauf wird er wegen Mordes landesweit gesucht und sein ganzes Leben ist auf den Kopf gestellt. In was auch immer Roger verwickelt wurde, es scheint viel größer, als er ahnt. Einzig Eve Kendall, die ihn vor der Polizei im Zug versteckt, glaubt Roger scheinbar. Doch nagen an ihm Zweifel, ob er ihr wirklich vertrauen kann.
Roger Thornhill ist dabei kein klassischer Held der Geschichte, was nicht nur daran liegt, dass er nicht weiß, weshalb er überhaupt in all dies hineingezogen wurde. Weder ist er stärker als sein Gegenüber, noch besser vernetzt. Vielmehr ist der die allermeiste Zeit in Der unsichtbare Dritte im Nachteil und auf der Flucht, wobei er versucht, sich aus den wenigen Hinweisen ein mögliche Erklärung zusammen zu basteln. Dass die nicht einmal stimmt, was das Publikum sogar relativ früh erfährt, macht es nur umso spannender, ihm dabei zuzusehen, immerhin geht er beständig von unvollständigen oder falschen Annahmen aus. Dieser so außergewöhnlichen Situation begegnet Roger über weite Strecken mit einer Offenheit und einem Humor, dass dies merklich die Bedrohlichkeit der Geschichte aufwiegt. Erst ab der Hälfte ist er dann gefordert, selbst aktiv zu werden und beweist hierbei ungeahntes Improvisationsgeschick. Anstatt also mit einem Helden zu beginnen, der nicht weiß, wie ihm geschieht, stellt Filmemacher Hitchcock Roger als einen gewöhnlichen, wenn auch erfolgreichen, Büroarbeiter vor, der erst zum Helden wird und über sich hinauswächst.
Dass Hauptdarsteller Cary Grant sämtliche Aspekte seiner Figur derart natürlich und gelungen zum Ausdruck bringt, macht es umso leichter, mit ihm mitzufiebern. Seine lockeren Bemerkungen entwickeln früh einen ansteckenden Charme und seine nur zunehmende, sichtbare Verwirrung in Anbetracht des Unverständnisses der Situation, in der er sich befindet, macht sein Abenteuer nur noch greifbarer. Der unsichtbare Dritte stellt ihm in Eva Marie Saint als Eve Kendall eine Figur an die Seite, deren selbstsicheres und doch unterkühlt distanziertes Auftreten ihre Hilfsbereitschaft vom ersten Moment an in ein zweifelhaftes Licht rückt. Was es mit ihr auf sich hat, sei ebenso wenig verraten wie in welches Netz Roger tatsächlich verstrickt wird. Es soll genügen zu sagen, dass zahlreiche Genrevertreter, darunter auch James Bond-Filme (der erste Teil der Reihe kam erst drei Jahre später in die Kinos), sich nicht nur merklich an Elementen von Hitchcocks Werk orientierten, sondern teilweise sogar Ideen auch als Hommage an Ernest Lehmans gelungenes Drehbuch schlicht übernommen haben.
So lebt Der unsichtbare Dritte gleichermaßen von seiner sich langsam entfaltenden Spionagestory wie der elegant gekleideten, nie um eine spritzige Bemerkung verlegenen Hauptfigur. Aber auch die teils weltbekannten Wegstationen, die Roger auf seiner Flucht besucht, tragen zur Atmosphäre bei, wie auch die Musik oder die actionreichen Highlights. Die Kostüme, nicht nur von Eve Kendall, die Filmemacher Alfred Hitchcock zum Teil selbst aussuchte, besitzen eine zeitlose Schönheit und Eleganz, wobei allein Roger Thornhills Anzug, den er die meiste Zeit über trägt, seither Pate für andere Filmfiguren stand. Auch die Bildersprache ist überragend, die Perspektiven regelrecht komponiert, wie auch die Farbgebung, die blaue oder rote Töne in bestimmten Momenten ganz bewusst einsetzt.
Bis hin zum Finale auf einem Nationaldenkmal weist Der unsichtbare Dritte alle Merkmale des Agentenfilms auf, die man in den darauffolgenden Jahrzehnten mit dem Genre untrennbar verbinden sollte. Regisseur Alfred Hitchcock gelingt mit seinem späten Werk ein ebenso unterhaltsamer wie handwerklich eindrucksvoller Klassiker, dem man auch gern nachsieht, dass viele Aufnahmen im Studio entstanden, anstatt vor Ort gedreht worden zu sein. Manches Mal lag dies daran, dass man keine Genehmigung für den Dreh an Ort und Stelle erhielt, ein andermal, da Fans die Außendrehs belagerten und so die Produktion verzögerten. Letztendlich verleihen auch die Studioaufnahmen der Geschichte etwas, was vielen ihrer Nachahmer merklich fehlt: Charme.
Fazit:
Selbst wenn er von Schurken mit der Waffe bedroht wird, bleibt Roger Thornhill zu Beginn regelrecht gelassen, als würde er sie nicht ernst nehmen. Wie soll man auch ernst bleiben, wenn jemand anderes behauptet, man sei nicht, wer man ist und nichts, was man sagt oder tut, kann die Person vom Gegenteil überzeugen? Cary Grant bringt dies in einer gleichermaßen eingängigen wie charmanten Darbietung zur Geltung. Regisseur Alfred Hitchcock präsentiert seine im Grunde ernste Agentengeschichte auf eine so amüsante wie geradezu spielerische Art und Weise, dass man sich merklich darin verliert, stets an der Seite einer Figur, die gar nicht weiß, wie ihr geschieht. Der unsichtbare Dritte ist ein das Genre definierender, handwerklich herausragend umgesetzter und stilistisch wegweisender Klassiker, dessen clevere Story und die gelungenen Dialoge immer noch bestehen, selbst wenn die britische Spionagefilmreihe nur wenig später mehr Action bieten sollte. Aber nicht nur als leicht zugängliche Geschichte des Kalten Krieges ist dies hier immer noch eine Entdeckung wert, sondern auch als Werk, in dem der Filmemacher viele Elemente seiner vorigen Arbeiten zusammenfasst. Dank der überragenden Restaurierung zum 65jährigen Jubiläum lohnt er heute umso mehr.