Der Pate [1972]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 20. April 2022
Genre: Drama / Krimi

Originaltitel: The Godfather
Laufzeit: 175 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1972
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Francis Ford Coppola
Musik: Nino Rota
Besetzung: Marlon Brando, Al Pacino, James Caan, Richard Castellano, Robert Duvall, Sterling Hayden, John Marley, Richard Conte, Al Lettieri, Diane Keaton, Abe Vigoda


Kurzinhalt:

New York im Jahr 1945. Noch während der Hochzeitszeremonie seiner Tochter geht der Kopf der Mafia-Familie Corleone, Vito (Marlon Brando), der gemeinhin als „Der Pate“ bekannt ist, seiner Tätigkeit nach und regelt die verschiedenen Bitten der Menschen, die sich an ihn wenden. Unterstützt wird er dabei von Consigliere Tom Hagen (Robert Duvall), den er gewissermaßen adoptierte, sowie seinem ältesten Sohn Sonny (James Caan), der einmal selbst die Corleone-Familie anführen soll. Vitos jüngster Sohn Michael (Al Pacino), der bei der Hochzeit seine Freundin Kay (Diane Keaton) vorstellt, ist mit den Machenschaften seiner Familie nicht einverstanden, doch als sein Vater Opfer eines Anschlags durch eine rivalisierende Familie wird, die die Einflussbereiche der italienischen Familien in New York neu ordnen will, wird Michael immer weiter in die Familienangelegenheiten verstrickt und offenbart dabei ein Talent, das seinen Geschwistern offenkundig fehlt …


Kritik:
Wie Metropolis [1927] oder Ben Hur [1959] vor bzw. Der weiße Hai [1975] oder Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt [1979] nach ihm, ist Francis Ford Coppolas Der Pate ein Werk, das nicht nur sein eigenes Genre merklich geprägt, sondern gewissermaßen ein eigenes Genre geschaffen und über diese Grenzen hinaus Einfluss genommen hat. Getragen von einer ebenso namhaften wie herausragenden Besetzung, erzählt der Filmemacher darin beginnend im Jahr 1945 ein Jahrzehnt der Chronik der Mafia-Familie Corleone. Dabei wertet er nicht in Anbetracht der Verbrechen, die begangen werden, selbst wenn er nicht vollends objektiv zu bleiben scheint. Dem Publikum kann es dabei ähnlich ergehen.

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Mario Puzo aus dem Jahr 1969, der zusammen mit Coppola auch das Drehbuch verfasste, sind die Einflüsse der literarischen Vorlage bereits in den ersten Minuten überdeutlich. Den Auftakt der Erzählung bildet die Hochzeit der Tochter von „Don“ Vito Corleone, bei der nicht nur die unmittelbare Familie, sondern auch zahlreiche andere Familien zugegen sind. Was wie wahllos zusammengestellte Aufnahmen erscheint, ergibt beim zweiten Ansehen umso mehr Sinn, wenn man die vielen Gesichter der fünf führenden Mafia-Familien in New York zuzuordnen vermag. Während der Feierlichkeiten empfängt Don Corleone, der den Titel des Paten trägt, zahlreiche Petenten, darunter den Vater von Vitos Patenenkelin, der darum bittet, dass den beiden Männern, die seine Tochter angegriffen haben, Gerechtigkeit widerfährt. In dieser scheinbar so nebensächlichen Szene wird kondensiert auf wenige Minuten nicht nur deutlich, welches Verständnis von Familie Corleone verkörpert, sondern auch, welche Wirkung seine Autorität auf andere hat. Dass das gelingt, liegt zum einen an den durchweg hervorragend abgestimmten Dialogen, aber auch schlichtweg daran, dass Marlon Brando in der Rolle des Patriarchen brillant besetzt ist. Nicht von ungefähr wird die Filmreihe unmittelbar mit seiner Person verbunden, selbst wenn Der Pate im Grunde eine andere Figur ins Zentrum rückt und deren Werdegang schildert.

Dabei handelt es sich um Vitos jüngsten Sohn Michael, gespielt von Al Pacino in einer Darbietung, die vermutlich trotz zahlreicher herausragender Rollen die beste seiner Karriere bleiben wird. Während sein älterer Bruder Sonny vorgesehen ist, die Familiengeschäfte des Glücksspiels, der Prostitution oder der Beeinflussung der mächtigen Gewerkschaften eines Tages zu übernehmen, ist Michael ein Außenseiter seiner Familie, der weder mit der Tätigkeit seines Vaters sympathisiert, noch dessen Vermächtnis annehmen will. Was Vito bereit ist, zur Erreichung seiner Ziele – und zum Schutz seiner Familie – zu unternehmen, wird kurz nach der Hochzeitsfeier deutlich, wenn er einem Filmproduzenten „ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann“. Gleichzeitig hält er aber an seinen Überzeugungen fest, nicht in das aufstrebende Drogengeschäft einsteigen zu wollen, woraufhin er Opfer eines Anschlags durch eine andere Mafia-Familie wird. Was folgt, stürzt die Corleones in Aufruhr und führt dazu, dass Michael Zug um Zug in den inneren Kreis hineingezogen wird, um schließlich zu der Person zu werden, die er immer bestimmt war, zu sein. Dabei verbindet ihn bei seinem Exil auf Sizilien am Ende mehr mit seinen Wurzeln, als es beispielsweise bei Sonny der Fall ist. Ist letzterer ein Hitzkopf, der Stärke zu zeigen mit Entschlossenheit und Klugheit verwechselt, entpuppt sich Michael als der Puppenspieler, der auch sein Vater ist. Die Wandlung von Al Pacinos Figur ist so brillant wie Brandos Darbietung, wobei Pacino ihm am Ende diesbezüglich in nichts nachsteht. Zu sehen, wie das Drehbuch in Ereignissen, die zehn Jahre überdauern, diesen Charakter formt, ihn durch all seine Wegstationen definiert, bis hin zu einem perfekt orchestrierten Finale, macht den Reiz von Der Pate aus.

Stilistisch ist das nicht unbedingt mitreißend umgesetzt, wenngleich von der ersten Minute an die schiere Authentizität der Szenerie, des geradezu unüberschaubar großen Familienstammbaums mit seinen vielen Verästelungen, packend fasziniert. Die einzelnen, offen ausgetragenen Konfrontationen sind dabei zwar schockierend durch die Brutalität (obwohl kaum ein Vergleich zu dem, was heutzutage in vielen Filmen zu sehen ist). Die viel subtilere Spannung zieht Regisseur Francis Ford Coppola jedoch aus den Abhängigkeiten zwischen den Figuren, die sich aus den Dialogen ergeben. Vitos Ansprache vor dem Rat der Familien könnte aufschlussreicher kaum sein und hört man Michaels Vorstellung bei seinem ersten Schwiegervater oder seine Verhandlung mit dem Casinobesitzer später, scheint seine persönliche Wandlung bereits beinahe vollzogen.

Der Pate ist ein handwerklich so überlegtes wie tadelloses Werk, das inhaltlich mit all seinen Szenen, die schlussendlich in ein großes Gesamtbild münden, so komplex gesponnen ist, dass es beinahe verblüfft, wie mühelos diese vielen Aspekte der Familienchronik aufgezeigt und konstant weiterverfolgt werden. Mit dezenten Kamerazooms in den in langen Einstellungen umgesetzten Gesprächen und unnachgiebig ausgekosteten Eindrücken, gelingt Coppola ein in gewisser Hinsicht bereits dokumentarisch anmutendes Bild, dessen Parallelen zu wirklichen Mafia-Familien oder Schlüsselfiguren zwar der Vorlage entsprungen sind, aber nichtsdestoweniger geradezu bedrohlich glaubwürdig erscheinen.
Dem beizuwohnen fühlt sich schließlich deutlich kürzer an, als die dreistündige Laufzeit vermuten lässt und offenbart in der Charakterentwicklung mehr Finesse und Erzählkunst, als man in zahlreichen Fernsehserien beobachten kann. Für sich genommen ist das bereits eine kaum vorstellbare Errungenschaft. Bedenkt man, dass die Verantwortlichen diese Welt von Grund auf er- statt auf einer aufbauen können, ist das schlichtweg beeindruckend und funktioniert durch das erzählerische Können auch nach einem halben Jahrhundert noch genauso gut wie seinerzeit.


Fazit:
Nicht nur viele Darstellungen von Momenten oder Figuren, auch Dialoge und die schiere Atmosphäre haben ganze Generationen von Filmschaffenden im Nachgang geprägt und inspiriert. In meisterhafter Manier entspinnt Filmemacher Francis Ford Coppola in unfassbar kurzer Zeit einen Mikrokosmos, der sich nicht nur nahtlos in die wirkliche Welt einfügt, sondern von eigenen Abhängigkeiten, Verbindungen und – ja – Gesetzen geprägt ist. Wird das Publikum in jene Gesellschaft unvorbereitet hineingeworfen, kann es einzig durch Beobachtung der Charaktere diese Zusammenhänge erkennen und beim zweiten Blick selbst trivialen Szenen wie der scheinbar langen Hochzeit zu Beginn neue Bedeutungen abgewinnen. Das Drehbuch offenbart eine Komplexität und Vielschichtigkeit, die dafür sorgt, dass das Gezeigte fesselt, selbst wenn was zu sehen ist nur selten mitreißend erscheint. Gerade durch den ruhigen, methodischen Aufbau entfaltet das Finale schließlich seine bleibende Wirkung. Von sämtlichen Beteiligten bemerkenswert, von Marlon Brando und Al Pacino grandios zum Leben erweckt, ist Der Pate ein über die Genregrenzen hinaus prägendes Werk, das von seiner Faszination nichts eingebüßt hat. Auch in der fantastischen Ausstattung meisterlich umgesetzt, mit erstklassigen Dialogen gespickt, überragend bebildert und mit einer geradezu beunruhigend authentischen Atmosphäre, ist dies ein Klassiker im wahrsten Sinne des Wortes.