Der Geheime Garten [2020]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. September 2020
Genre: Fantasy / Drama

Originaltitel: The Secret Garden
Laufzeit: 99 min.
Produktionsland: Großbritannien / Frankreich / USA / China
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Marc Munden
Musik: Dario Marianelli
Besetzung: Dixie Egerickx, Colin Firth, Julie Walters, Edan Hayhurst, Amir Wilson, Isis Davis, Maeve Dermody, Richard Hansell, David Verrey, Tommy Gene Surridge, Fozzie, Anne Lacey, Rupert Young, Jemma Powell


Kurzinhalt:

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird die junge Waise Mary (Dixie Egerickx) von Indien nach England zu ihrem Onkel gebracht. Archibald Craven (Colin Firth) lebt zurückgezogen in einem großen Anwesen, Mary bekommt ihn nur selten zu sehen und mit seinen Angestellten, angeführt von Mrs. Medlock (Julie Walters), kommt sie nicht allzu gut zurecht. Ein zotteliger Hund führt Mary eines Tages zu einer großen, verwilderten Mauer, hinter der ein sonderbarer Garten liegt. Als sie das weitläufige Anwesen erkundet, trifft sie unter anderem auf Dickon (Amir Wilson), dessen Schwester eine Haushälterin von Mr. Craven ist, und freundet sich mit ihm an. Schließlich entdeckt sie im Haus ihren in seinem Zimmer abgeschotteten Cousin Colin (Edan Hayhurst), der schwer erkrankt ist, und kommt auf die Idee, dass der geheime Garten, der über magische Kräfte verfügt, Colin heilen kann. Doch ist er nicht der einzige im Haus, der Marys Hilfe braucht …


Kritik:
Beinahe ein Dutzend Mal wurde die berühmte Kindergeschichte von Autorin Frances Hodgson Burnett bereits verfilmt. Als jüngste Adaption bleibt Der Geheime Garten der ursprünglich 1911 veröffentlichten Vorlage inhaltlich erstaunlich treu, verlagert die Erzählung aber in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Darin findet die Waise Mary bei ihrem Onkel ein neues Heim und in einem magischen Garten ein unerwartetes Zuhause. Ihre Geschichte ist überraschend ernst, bringt aber auch einem jungen Publikum die behandelten Themen anschaulich näher. Mehr kann man an sich kaum erwarten.

Beginnend in Indien im Jahr 1947 wird die Geschichte aus Sicht der jungen Mary erzählt. Nachdem sie ihre Eltern verloren hat, bleibt sie in dem luxuriösen, aber zerstörten Anwesen und wird eher zufällig gefunden. Was sie mit am Leben hielt, waren die Geschichten, die sich ausdenkt und erzählt. Nun soll sie nach England zu ihrem Onkel, den sie nie bewusst kennengelernt hat. Er war mit der Zwillingsschwester von Marys Mutter verheiratet, die jedoch ebenfalls vor einigen Jahren gestorben ist. Seither lebt Mr. Craven in dem riesigen Haus zurückgezogen. Ihre Fantasie hat sich Mary behalten als sie die Umgebung und das Anwesen selbst erkundet. Zu sehen, wie vor ihrem Augen Zeichnungen auf den Tapeten lebendig werden, sie in Tagträumen versinkt, in denen sie ihre Eltern wiedersieht, insbesondere ihre Mutter, von der sie glaubt, dass sie Mary nicht liebte, unterstreicht früh den Fantasy-Charakter des Films. Gleichzeitig offenbart das Anwesen mit seinen von Nebelschwaden durchzogenen Mooren oder den düsteren Gängen bei Nacht eine Finsternis, die allenfalls von den Schrecken übertroffen wird, die sowohl Mary als auch Craven bereits heimgesucht haben.

Beide sind gebrochene Figuren, wenn sie auch unterschiedlich mit der Trauer und dem Verlust umgehen. Während Mary, verzogen von den Dienerinnen und Dienern in Indien, abwertend und überheblich auftritt, hat sich Craven zurückgezogen und es vergehen Tage, ehe er seine Nichte überhaupt begrüßt. So abweisend Mary anfangs gegenüber allen anderen im Haus ist, die Macher finden viele Möglichkeiten zu zeigen, wie einsam sie sich im Grunde fühlt. Als sie auf dem Anwesen einen Hund findet, den sie „Jemima“ tauft, wie ihre Kinderpuppe, der sie in Indien ihre Geschichten erzählt hat, führt dieser sie zu einer hohen Mauer, die einen riesigen Bereich auf dem Gelände umgibt. Mary klettert darüber und landet in dem Titel gebenden geheimen Garten, der tatsächlich eher ein Wald ist. Es ist ein magischer Ort, wie Regisseur Marc Munden gelungen vorstellt. Die Sonne scheint heller, die Farben intensiver und die Blumen wechseln ihre Farben mit dem Wind. Zusammen mit einer Ruine und einem tiefen Teich könnte der Kontrast dieses Ortes zu dem verlassenen, düsteren Anwesen, in das Mary täglich zurückkehrt, kaum größer sein.

Was Der Geheime Garten in beiden Aspekten auszeichnet, ist die künstlerische Leitung hinter der Produktion. Die Bauten, Kulissen und Kleidung sind schlicht umwerfend. Sowohl der Garten als auch das Haus der Cravens besitzen eine eigene Persönlichkeit, die im Laufe der Geschichte noch eine Rolle spielt. So ist der Hausherr bemüht, das Anwesen von all den Dingen zu befreien, die ihn an seine verstorbene Frau erinnern. Einen großen Teil der Geschichte nimmt sein Sohn Colin ein, der schwerkrank sein Zimmer seit langer Zeit nicht verlassen hat. Er ist es, für den Mary sich ändert, für den sie über sich hinauswächst, um zu helfen. Dass die übrigen Figuren nur wenig zu tun bekommen, darunter auch der Bruder der Haushälterin, Dickon, mit dem sich Mary ebenfalls anfreundet, ist bedauerlich. Auch erhalten manche Lehren, die der Witwer hier zum Ausdruck bringt, nicht in dem Sinn den Raum, ihre Bedeutung zu entfalten, und stellenweise fällt es schwer, zu entscheiden, was in jenem Garten wirklich ist und was Marys Fantasie geschuldet. Letzteres spielt am Ende jedoch keine wirkliche Rolle und die Frage sei erlaubt, wie viele der Aussagen das Zielpublikum behalten würde. Die grundsätzliche Story und ihre Botschaft bringt der Fantasy-Film gelungen zur Geltung und zeigt dabei, dass ein beliebtes Kinderbuch mühelos als eigenständige Geschichte bestehen kann.


Fazit:
Ob ein junges Publikum die über weite Strecken ruhige Erzählung annimmt, ist eine berechtigte Frage. Anstatt mit immer neuen und aufregenderen Abenteuern begeistern zu wollen, beschreibt Filmemacher Marc Munden weniger den Weg seiner Figuren durch die Story, als ihren Pfad, einen Weg aus ihrer Situation heraus zu finden. Themen wie Verlust und Trauer und wie diese Erfahrungen Menschen unterschiedlich prägen, wie was nicht gepflegt wird, verkümmert, während es nie zu spät ist, das Miteinander zu beleben, sind schwere Kost. Doch es gelingt Der Geheime Garten erstaunlich gut, eine Hoffnung machende Fantasy-Geschichte für ein junges Publikum zugänglich aufzubereiten, ohne die Ernsthaftigkeit einzubüßen. Der Garten als Spiegel der Seele erlaubt einen wortlosen Blick auf das Innerste der Figuren und ist gleichzeitig in zauberhaften Bildern zum Leben erweckt. Dies ist ein überraschend ernster Film mit einer guten Besetzung und dem Herz am rechten Fleck.