Daddio - Eine Nacht in New York [2023]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 18. Juni 2024
Genre: Drama

Originaltitel: Daddio
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Christy Hall
Musik: Dickon Hinchliffe
Besetzung: Dakota Johnson, Sean Penn, Marcos A. Gonzalez, Shannon Gannon


Kurzinhalt:

Es soll die letzte Fahrt der Nacht sein, als Taxifahrer Clark (Sean Penn) am Flughafen in New York City eine junge Frau (Dakota Johnson) abholt, um sie nach Manhattan zu bringen. Sie reist mit leichtem Gepäck und ist auf dem Rücksitz in Gedanken versunken. Nicht nur, weil es eine lange Fahrt durch die finstere Nacht ist, beginnt Clark ein Gespräch mit ihr. Sie scheint traurig, als würde sie über etwas nachgrübeln. Es beginnt ein Dialog, in dem beide offen aus ihrer Vergangenheit und ihren Beziehungen erzählen. Ein Austausch über Alltägliches und sehr Privates, das der jungen Frau in Bezug auf ihre Liebesbeziehung Antworten auf Fragen liefert, die sie selbst bereits kennt. Denn während sie noch unterwegs sind, erhält sie Textnachrichten ihres Partners, die ebenfalls zunehmend persönlicher werden und ihr klarmachen, dass sie nicht sicher ist, wo das Ziel ihrer persönlichen Reise liegt …


Kritik:
Christy Halls Regiedebüt Daddio - Eine Nacht in New York bietet im Grunde die besten Voraussetzungen für ein dialoggetriebenes, kammerspielartiges Drama. Erzählt während einer langen, nächtlichen Taxifahrt vom New York City Flughafen JFK in den Stadtteil Manhattan, unterhalten sich eine junge Frau und der Taxifahrer über alle möglichen Themen. Doch so interessant sich das anhört und so gut das gespielt ist, die einseitigen Themen und dass das Drehbuch die Figuren nicht zu entwickeln wagt, sorgen dafür, dass die Fahrt weit weniger einprägsam gerät, als erhofft.

Dabei geben sich Sean Penn und Dakota Johnson in den beiden tragenden Rollen merklich Mühe, ihre Figuren so facettenreich erscheinen zu lassen, wie das Drehbuch ihnen zugesteht. Es ist für Taxifahrer Clark, dessen Gesicht erst nach einigen Minuten überhaupt gezeigt wird, die letzte Fahrt in der Nacht. Die junge Frau, die er in die Stadt fährt, ist am Flughafen angekommen und sieht bei seinem Blick in den Rückspiegel so nachdenklich aus, wie beinahe traurig. Er beginnt ein Gespräch über übliche Smalltalk-Themen, die für ihn jedoch existenziell sind. Wie Apps und Kreditkarten die klassischen, gelben Taxis, wie Clark eines fährt, verdrängen und auch das Trinkgeld schrumpfen lassen, bis er kaum mehr von seiner Arbeit leben kann. Dass Autos in absehbarer Zeit ganz allein fahren werden, ist von seiner Warte aus verständlicherweise nicht erstrebenswert. Mit wenigen Fragen gelingt es Clark, die junge Frau auf der Rückbank in das Gespräch einzubeziehen. Sie erzählt ihm, dass sie – zu seiner großen Überraschung – in der Technologiebranche arbeitet und in Oklahoma ihre ältere Halbschwester besucht hat, zu der sie früher kein gutes Verhältnis hatte. So pendelt sich ihr Gespräch schnell auf beide persönlich ein, so dass sowohl Clark aus seiner Vergangenheit und seiner vorigen Ehe erzählt, aber auch die junge Frau über ihre Kindheit und ihre derzeitige Beziehung spricht.

Die Dynamik, die Filmemacherin Hall, die auch das Drehbuch schrieb, entwickelt, ist durchaus interessant, umso mehr, da die junge Frau Nachrichten mit ihrem Freund austauscht. Auch die scheinen im ersten Moment harmlos und liebevoll, offenbaren aber schnell eine nicht nur zudringliche Art ihres Partners, sondern auch eine regelrecht manipulative Seite ihres ungesehenen Gegenüber. Nicht nur in den Textnachrichten, auch im Dialog mit Clark dreht sich Daddio schnell um das Thema Sex, mitunter verwoben mit Macht und Liebe, unerfüllten Wünschen und Fantasien. Doch so entlarvend Clarks Analyse seines Fahrgasts ist und so sehr diese die Art der Konversation mit ihrem Partner am Telefon abzulehnen scheint, das Drehbuch arbeitet nie heraus, weshalb sie den Nachrichtenchat nicht unterbricht – oder was sie überhaupt bei dieser Person hält, deren Mitteilungen immer expliziter werden und sie auch emotional unter Druck zu setzen versuchen.

Als die selbstbestimmte junge Frau, die sie überzeugt ist zu sein, und die Clark in ihr sieht, wenn auch nicht objektiv genug, sich ihre Abhängigkeiten einzugestehen, man würde vermuten, dass Daddio sich zum Ziel setzt, eine persönliche Entwicklung der Figur vorzustellen. Dass sie Clarks Anmerkungen zum Anlass nimmt, zu reflektieren und eine Entscheidung hinsichtlich ihrer Beziehung zu treffen. Doch stattdessen wiederholen sich bestimmte Aussagen in den Dialogen, ohne dass sich dies im Verhalten der jungen Frau niederschlagen würde. Sie muss sich zwar einer unbequemen Wahrheit stellen, die sie grundsätzlich bereits kannte, aber nicht hören wollte – doch an ihrer Situation etwas ändern, möchte sie nicht. Das macht es allerdings sichtlich schwer, einerseits mit der Figur mitzufiebern, oder aber ihr Verhalten überhaupt nachvollziehen zu können. Werden die Textnachrichten immer zudringlicher, fragt man sich, weshalb sie überhaupt antwortet und liefert sie selbst schließlich Details zu ihrer Beziehung, erscheint das im Zusammenspiel mit ihren Handlungen doch nur klischeehaft.

Ob es glaubwürdig ist, dass das Gespräch im Taxi einem Seelen-Striptease gleich zunehmend privatere Details offenbart, sei dahingestellt. Die Erkenntnisse, die Daddio - Eine Nacht in New York daraus gewinnt, sind durchweg vorhersehbar und bewegen sich allenfalls auf Küchenpsychologieniveau. Zusammen mit einigen grafischen Einblendungen sollen die sexuell geprägten Nachrichten und Dialoge wohl eine verruchte Atmosphäre erzeugen. Tatsächlich erscheint es eher plump und verleiht den Charakteren eine Eindimensionalität, die die Darbietungen dahinter nicht verdienen. Denn nicht nur, dass Dakota Johnson einen stellenweise geradezu verspielten Facettenreichtum zeigen darf, der von der sichtbaren Distanz zu Beginn zu einer emotional ergriffenen Aufrichtigkeit am Ende führt, Sean Penn verleiht dem merklich weniger stark ausgearbeiteten Taxifahrer eine alltägliche Nonchalance, die gerade in seiner Art, seine Passagierin immer wieder in das Gespräch einzubeziehen, ansteckend wirkt. Es ist schade, dass Johnsons Figur erst ganz am Ende an dem Punkt ankommt, an dem sie sich eine grundlegende Frage stellen muss, und noch bedauerlicher, dass Filmemacherin Hall nicht weiß, wie sie sie beantworten soll – oder es nicht will. So fehlt es der gesamten Fahrt an einem größeren Ziel, einem Ende, an dem man auch etwas für sich selbst mitnehmen würde.


Fazit:
Man könnte vermuten, dass sich ein dialoglastiges Zwei-Personen-Stück, das Charaktere aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammenbringt, um große existenzielle Fragen dreht, oder den Versuch einer Annäherung unternimmt. Doch stattdessen entscheidet sich Regisseurin Christy Hall, ihre zwei so unterschiedlichen Figuren nach anfänglichem Smalltalk immer wieder bei demselben Thema landen zu lassen. Dass sich das um Sex, traumatische Kindheitserfahrungen und wie sich diese auswirken dreht, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Themen wie Liebe und Macht, ist kein Vorwurf. Doch statt ehrliche Lebensweisheiten herauszukristallisieren, wiederholt das Drehbuch Allerweltsfloskeln sowie Klischees, bei denen man an manchen Stellen merklich mit den Augen zu rollen beginnt. Immerhin, dank der sehenswerten und stilsicheren Inszenierung sowie der starken Besetzung, ist das nie uninteressant oder langweilig. Aber gerade hinsichtlich der Auflösung erscheint alles, was zuvor geschieht, vollkommen umsonst und die Geschichte überraschend ziellos. Man fragt sich auch, weshalb Daddio - Eine Nacht in New York, wenn der Film zwei Figuren an einem so beengten Raum zusammen bringt, ihnen nicht bedeutendere Konflikte mitgibt, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen? Stattdessen wirkt diese Taxifahrt wie eine Therapiesitzung, bei der die Patientin am Ende ihr Verhalten und was ihre Entscheidungen in ihr selbst auslösen, nicht einmal überdenkt.