Anatomie einer Entführung [2004]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 09. April 2008
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: The Clearing
Laufzeit: 91 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2004
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Pieter Jan Brugge
Musik: Craig Armstrong
Darsteller: Robert Redford, Helen Mirren, Willem Dafoe, Alessandro Nivola, Matt Craven, Melissa Sagemiller, Wendy Crewson, Larry Pine, Diana Scarwid, Elizabeth Ruscio, Gwen McGee, Sarah Koskoff, Graciela Marin


Kurzinhalt:
An sich ist Wayne Hayes (Robert Redford) nur auf dem Weg zur Arbeit – als er von Arnold Mack (Willem Dafoe) entführt wird. Der führt ihn in einen abgelegenen Wald, wo sie in einer Hütte angeblich von der Organisation hinter der Entführung erwartet werden.
Währenddessen beginnt für die zurückgebliebene Ehefrau Eileen Hayes (Helen Mirren) eine ungewisse Zeit, in der sie zuerst vermutet, ihr Mann habe sie wortlos verlassen. Bis eine Lösegeldforderung eintrifft. Zusammen mit ihren Kindern Tim (Alessandro Nivola) und Jill (Melissa Sagemiller) und dem FBI-Agenten Fuller (Matt Craven) gehen sie alle möglichen Hintergründe für die Entführung durch und graben dabei auch Dinge wieder aus, die Eileen längst hätte vergessen wollen.
Dann muss sich die Familie entscheiden, ob sie das Lösegeld zahlen wollen. Auch wenn sie nur zögerlich Beweise von den Kidnappern bekommen, ob Wayne überhaupt noch lebt ...


Kritik:
Auch wenn der Name bekannt vorkommt, ein wirklicher Begriff ist Pieter Jan Brugge bislang nicht – dabei war dem langjährigen Produzenten von Michael Manns Filmen mit Insider [1999] sogar eine Oscarnominierung vergönnt. Anatomie einer Entführung markiert bislang seine einzige Regiearbeit, bei der er mit einem wahren Staraufgebot an Schauspielern eine Entführung inszeniert, die einer tatsächlich geschehenen in Holland (Brugges Heimat) nachempfunden ist.
Trotz der namhaften Darsteller war The Clearing, so der Originaltitel, allerdings kein Erfolg vergönnt. Nicht einmal 15 Millionen Dollar nahm der Streifen weltweit wieder ein. Über das Budget schweigt sich das Studio allerdings aus, gleichwohl abgesehen von den Akteuren nicht viel Aufwändiges zu sehen ist. Mit gerade einmal eineinhalb Stunden erscheint das Thrillerdrama überdies ungewöhnlich kurz, zumal andere Filme dieser Art wie beispielsweise Kopfgeld - Einer wird bezahlen [1996] deutlich mehr Zeit verwenden, das Schicksal der Betroffenen deutlich zu machen. Dennoch erscheint Anatomie einer Entführung ungewöhnlich lang – ein Eindruck, der während der Laufzeit auch stetig zunimmt.

Verantwortlich hierfür ist das Drehbuch von Justin Haythe, der versucht, die Geschichte durch eine vermeintlich undurchschaubare Erzählstruktur interessant zu halten. Doch spätestens nach der Hälfte des Films hat man als Zuschauer durchschaut, dass die verschiedenen Zeitebenen nicht zusammenpassen können und malt sich folglich das Ende der Entführung aus. Zwar hofft man weiterhin auf eine Überraschung, eine unvorhergesehene Wendung, doch bleibt einem das Skript solche Einfälle leider schuldig.
Stattdessen konzentriert sich die Vorlage auf die Figuren, die allerdings ebenfalls nicht weiter ausgearbeitet werden, sondern stattdessen den üblichen Klischees entsprechen müssen. Sei es der einst betrügerische, aber geläuterte Ehemann, der seine Frau dennoch über alles liebt, oder aber die Ehefrau, die von den Affären ihres Mannes weiß, diese aber toleriert. Über ihre eigentliche Persönlichkeit, ihren Hintergrund und ihre Vergangenheit erfährt man dagegen überhaupt nichts. Auch die Kinder bleiben einen bloßes Abziehbild einer tatsächlichen Person und bekommen im besten Fall Namen zugeschrieben. Über Tätigkeiten, Beziehungen zum Elternhaus, weswegen die Tochter sich so lange nicht gemeldet hat, all das bleibt dem Zuschauer vorenthalten, ohne dass man sich außerdem besonders dafür interessieren würde.
Dafür scheinen die Beteiligten außerdem alle viel zu gefasst und ruhig, die Panik angesichts ihrer Ohnmacht ebenso distanziert, wie die ermittelnden FBI-Agenten, die sich allesamt geben, als wären sie Versicherungsvertreter mit Polizeimarken. Wenn überhaupt sind nur zwei Agenten zu sehen, die Betreuung der Familie ist schlichtweg nicht existent, von psychologischer Hilfe, einem Zuspitzen der Situation oder innerfamiliärer Konflikte ist nichts zu sehen. Vielmehr scheinen sich alle Beteiligten mit den Gegebenheiten abzufinden – und das in einer Geschwindigkeit, dass es beinahe schon beunruhigend ist.
Dass man als Zuschauer hier nichts sofort das Handtuch wirft liegt zum einen an den Dialogen, die ja doch die ein oder andere Pointe besitzen, beziehungsweise so abwegig gar nicht wären, wenn das Drumherum nicht so völlig unnatürlich wirken würde. Zum anderen sind dafür auch die Darsteller verantwortlich, von denen zumindest die drei Hauptakteure gefordert sind.

Zwar sind auch die Nebenrollen mit bekannten Gesichtern besetzt, wie Alessandro Nivola, Matt Craven oder Melissa Sagemiller, doch kann man sich als Zuschauer mit ihnen nicht so recht identifizieren. Sei es ihre beherrschte, unaufgeregte Art, die meist nur oberflächliche Mimik oder aber die unterkühlte Ausstrahlung. Sie alle hat man schon deutlich motivierter vor der Kamera agieren sehen.
Robert Redford merkt man sein Alter nur in manchen Szenen an, auch wenn der damals 68jährige selbst dann noch eine gute Figur macht. Gleichwohl er seine Szenen mühelos meistert hat man nicht das Gefühl, als würde er die Rolle gern spielen. Dafür scheinen auch die unbeschwerteren Szenen zu oberflächlich, seine Konfrontationen mit Willem Dafoe von seiner Seite aus zu glimpflich. Auch Dafoe meistert seine Rolle durch Routine, wirklich neue Facetten kann er der Klischee beladenen Figur allerdings auch nicht abgewinnen. Beunruhigend und verstörend wirkt er allemal.
Als beste im Bunde entpuppt sich einmal mehr Helen Mirren, die insbesondere jenen Moment so subtil und natürlich zur Geltung bringt, als Eileen von den erneuten Fehltritten ihres Mannes erfährt. Wie sie um Fassung bemüht ist, das Wohl der Familie über ihr eigenes stellt, ist nicht nur würdevoll, sondern auch ihrem Charakter entsprechend. Auch als sie am Ende erkennen muss, was man als Zuschauer viel eher schon erahnt, ist es ihre Mimik, die das Publikum packt – insofern ist es erstaunlich, wie sie ihrer Figur eine Tiefe verleiht, die ihr durch das Skript schlichtweg fehlt.

Handwerklich verleiht Regisseur Pieter Jan Brugge Anatomie einer Entführung durch die gewählten Einstellungen, Perspektiven und die Schnitttechnik, die mitunter nicht nur die Dialoge der Figur einfangen, sondern sich mitunter schlicht auf ihre Gesichtszüge konzentrieren, einen sehr europäischen, mindestens aber britischen Look.
Die Szenen scheinen allerdings oft ein wenig zu kurz, als würde die Pointe, die Essenz jener Begegnung noch ausstehen, ehe man bereits zur nächsten Einstellung wechselt. Auch der Erzählstil selbst, der als Teil der Geschichte zu verstehen ist, lässt nicht wirklich Spannung aufkommen und das schon deswegen, weil man als Zuseher längst die Hintergründe durchschaut hat.
So gibt sich The Clearing zwar inszenatorisch ordentlich, aber auch uninspiriert und vorhersehbar

Der schottische Komponist Craig Armstrong, der kurz zuvor den ebenso malerischen wie einnehmenden Score zu Der stille Amerikaner [2002] schrieb, gibt sich Mühe, die Bilder in ebenso wieder erkennbare wie eingängige Töne zu kleiden. Das gelingt ihm zwar oft, doch abgesehen von den Klavierstücken umgibt den Soundtrack ein ständig präsenter Synthesizer, der in den seltensten Fällen mitzureißen vermag.
Hörenswert ist das wenn überhaupt im Film, Fans des Komponisten werden aber bessere Werke kennen oder finden.

Man sollte meinen, dass einem die Geschichte einer solchen Entführung bewegen würde, zumal es traurigerweise nichts ist, das man aus Nachrichten und Zeitungen nicht bereits kennen würde.
Doch die Art und Weise, mit der Regisseur Pieter Jan Brugge seine Figuren etabliert, es verpasst den Darstellern mehr zur Verfügung zu stellen, als die rudimentärsten Elemente, um ihre Charaktere auch zu entwickeln, kostet The Clearing letztlich auch die Sympathien des Zuschauers. Denn wenn der Entführte nicht wirklich sympathisch ist, die zurückbleibende Familie gar nicht so sehr interessiert scheint, sondern sich viel eher wieder ihrem Alltag widmet und auch der Entführer so böse eigentlich nicht ist, verkommt das Gezeigte zu einem künstlerischem Anspruch versehenen Melodram, bei dem man sich als Zuseher ständig ausgeschlossen fühlt.


Fazit:
Und die Moral von der Geschichte? Das ist am Ende eine wirklich gute Frage, auf die es seltsamerweise keine Antwort gibt; es ist nicht, dass sich irgendeine Figur im Laufe des Filmes wandelt, oder dass sich am Ende etwas anderes ergibt, als vermutet. Vielmehr scheint Anatomie einer Entführung wie eine Charakterstudie ohne Aussage.
Die drei Hauptdarsteller agieren motiviert, vermögen jedoch lediglich durch ihr Charisma zu interessieren – die Figuren im Film sind weder nobel noch erstrebenswert, weder stark noch feige. Sie sind einfach da und zeigen, was man an sich gar nicht sehen wollte. Für Fans der Beteiligten mag dies Pflichtprogramm sein, und dank der routinierten Umsetzung ist es auch keine Qual, doch gerät der Film schneller wieder in Vergessenheit als manch andere Produktion mit demselben oder einem ähnlichen Thema.