96 Hours [2008]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 19. Februar 2024
Genre: Action / Thriller

Originaltitel: Taken
Laufzeit: 90 min.
Produktionsland: Großbritannien / Frankreich / USA
Produktionsjahr: 2007
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Pierre Morel
Musik: Nathaniel Méchaly
Besetzung: Liam Neeson, Maggie Grace, Famke Janssen, Katie Cassidy, Leland Orser, Jon Gries, David Warshofsky, Holly Valance, Xander Berkeley, Olivier Rabourdin, Gérard Watkins, Arben Bajraktaraj, Camille Japy, Nicolas Giraud


Kurzinhalt:

Auch wenn seine Kollegen ihm anbieten, er könne zur CIA zurückkehren, der ehemalige Agent und Elite-Soldat Bryan Mills (Liam Neeson) entscheidet sich weiter für seinen selbst gewählten Ruhestand, um selbst nach der Trennung von seiner Frau Lenore (Famke Janssen) in der Nähe seiner 17jährigen Tochter Kim (Maggie Grace) sein zu können. Als sie ihn bittet, mit ihrer Freundin Amanda (Katie Cassidy) nach Paris fliegen zu dürfen, lehnt Bryan zunächst ab, gibt aber schließlich nach. Doch kurz nach der Ankunft und während Kim mit ihrem Vater telefoniert, werden sie und Amanda aus der Wohnung entführt. Hinweise aus dem Telefonat deuten darauf hin, dass Bryans Tochter und ihre Freundin in die Fänge eines albanischen Menschenhändlerrings gefallen sind, der Frauen in die Prostitution zwingt. Erfahrungsgemäß bleiben nur wenige Tage, die Opfer der Entführungen ausfindig zu machen, ehe sie unauffindbar werden. So reist Bryan nach Paris und setzt alle Hebel in Bewegung und sein ganzes Können ein, um seine Tochter zu retten. Doch die Zeit ist knapp und selbst sein Bekannter, Jean-Claude Pitrel (Olivier Rabourdin), ehemals Agent des französischen Auslandsnachrichtendienstes, scheint entweder nicht in der Lage, oder nicht willens, Bryan zu helfen …


Kritik:
Pierre Morels Action-Thriller 96 Hours, besser bekannt unter dem Originaltitel Taken, war nicht zuletzt zur Überraschung seines Stars Liam Neeson ein derartiger Erfolg, dass er nicht nur ein Franchise mit zwei Fortsetzungen begründete, sondern auch als Fernsehserie adaptiert wurde. Weshalb das Publikum von dem einfachen Konzept angesprochen wurde, ist leicht zu sehen. Unerwartet ist allerdings, dass es bereitwillig darüber hinweg gesehen hat, mit wie wenig Finesse der Filmemacher es zum Leben erweckt.

In dem unter anderem von Luc Besson (Léon: Der Profi [1994]) geschriebenen Thriller muss der ehemalige CIA-Agent und Elite-Soldat Bryan Mills am Telefon mit anhören, wie seine gerade erst 17 Jahre alt gewordene Tochter bei einem Urlaub mit ihrer Freundin in Paris entführt wird. Mills, der seine Tätigkeit beim Geheimdienst aufgab, um seiner Tochter näher zu sein, die bei seiner Ex-Frau und ihrem Stiefvater lebt, reist nach Europa, um Tochter Kim aus den Fängen eines albanischen Menschenhändlerrings zu befreien. Dafür bleiben ihm, nach Erfahrungswerten, 96 Stunden, ehe die Opfer solcher Verbrechen erfahrungsgemäß unauffindbar verschwinden. In Paris angekommen, nutzt Mills nicht nur seine sehr besonderen Fähigkeiten seiner beruflichen Laufbahn, sondern auch Kontakte mit ehemaligen, französischen Agenten vor Ort und kommt dabei nicht nur einem Verbrechernetzwerk auf die Spur.

Angesichts der durchaus komplex klingenden Beschreibung sollte man sich vor Augen führen, dass Filmemacher Morel sein Publikum in gerade einmal 90 Minuten (inklusive Abspann) durch diese inhaltlichen Verstrickungen peitscht. Dabei nimmt die Vorbereitung, bis Mills überhaupt in Paris eintrifft, ein Drittel der Geschichte in Anspruch. In der ersten halben Stunde wird vorgestellt, dass Bryan von seiner Frau geschieden ist und sie neu geheiratet hat. Ihre Tochter Kim, gespielt von einer sichtlich weit älter als 17jährigen Maggie Grace, rennt aus unerfindlichen Gründen selbst kürzeste Strecken und schwindelt ihren Vater an, als es um den Urlaub in Frankreich mit ihrer Freundin Amanda geht. Dass sie an sich einer Tour der Musikband U2 quer durch Europa folgen wollen, spielt am Ende jedoch ebenso wenig eine Rolle wie Kims Stiefvater. Auch Bryans Kurzzeitjob als Bodyguard eines jungen Musikstars ist selbst in Anbetracht des Epilogs im Grunde unnötiger Ballast. Es sind Aspekte, die dafür sorgen, dass 96 Hours nach bestimmten Maßstäben Spielfilmlänge erreicht, mehr aber auch nicht. Vor allem erzeugen sie kaum eine merkliche emotionale Bindung des Publikums an die Figuren, die bereits auf Grund der erschreckend realistischen Bedrohung durch Kims Entführung und die ihrer Freundin Amanda gegeben ist. Dass letztere im Übrigen nach kurzer Zeit keine wirkliche Rolle mehr spielt, unterstreicht nur die Oberflächlichkeit des Drehbuchs.

Zwar mag das geneigte Publikum kaum auf Grund tiefschürfender Charakterentwicklungen einschalten, doch es verwundert, wie wenig die beiden Autoren überhaupt an ihren Figuren interessiert sind. Für Liam Neeson, der bis dahin insbesondere für seine Charakterdarstellungen bekannt war, markiert 96 Hours in gewisser Hinsicht einen Richtungswechsel seiner Rollen. Seither ist er auf eben diese Art Figur abonniert, einen Einzelkämpfer, der mit einer Palette ganz spezieller Fertigkeiten für (seine Form der) Gerechtigkeit sorgt. In welcher Funktion Bryan Mills bei der CIA tätig war, erfährt man ebenso wenig, wie gegen wen er eigentlich antritt. Die überwiegende Mehrheit der mehr als drei Dutzend Schurken, die er auf der Suche nach seiner Tochter aus dem Weg räumt, erhält nicht einmal einen Namen, geschweige denn so etwas wie einen Hintergrund. Dafür treibt Regisseur Pierre Morel seinen schlagkräftigen Helden von einer Actionsequenz zur nächsten, wechselt Verfolgungsjagden mit Faustkämpfen und Feuergefechten ab, wobei Mills bis zum Finale beinahe unverwundbar erscheint.

Die Art der Umsetzung erinnert, wie auch die grundsätzliche Stimmung des in Europa spielenden Thrillers, an die rasant inszenierte Bourne-Reihe, insbesondere Die Bourne Verschwörung [2004]. Doch die vielen rasanten Schnitte und die enorm verwackelte Kameraführung geraten lediglich hektisch bis zu dem Punkt, dass die Übersicht in den jeweiligen Momenten ganz auf der Strecke bleibt. Anstatt die dicht an den Figuren gewählten Bildausschnitte und die rasanten Szenenwechsel zur Steigerung des Tempos zu nutzen, so dass dem Publikum die körperliche Vehemenz der Auseinandersetzungen bewusst wird, geraten die Actionszenen nur chaotisch. Die durchaus aufwändigen und anspruchsvollen Stunts schmälert das nicht, nur gelingt es 96 Hours kaum, sie so zu präsentieren, dass man sie entsprechend bewundern kann. Dass man über all diese Kritikpunkte zumindest soweit hinwegsieht, um sich von der an Erwachsene gerichteten Geschichte unterhalten zu lassen, ist Hauptdarsteller Liam Neeson zu verdanken, der seiner Figur durch seine Körperhaltung und den Blick allein eine Tiefe und Härte verleiht, die weder die Dialoge, noch die Erzählung ihr zuschreiben. Doch auch er kann nicht verhindern, dass sich bereits beim bloßen Ansehen das Gefühl einstellt, man habe all das bereits gesehen. Und oftmals in stimmigerer Ausführung.


Fazit:
Nimmt man die, ungeachtet der handwerklichen Unzulänglichkeiten, rasante Inszenierung und die Hauptfigur, die alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, um ihr Ziel zu erreichen, koste es, was es wolle, dann erinnert Pierre Morels durchaus harter Action-Thriller an eine Mischung aus den Bourne-Filmen und der prägenden TV-Serie 24 [2001-2010]. Trotz des erschreckend realen Hintergrunds um einen Menschenhändlerring, der Frauen in die Prostitution zwingt, entwickelt die Geschichte aber nie eine emotionale Zugkraft, so dass man mit den Figuren tatsächlich mitfiebern würde. Das mag daran liegen, dass ab dem Moment der Entführung die Erzählung einzig aus Mills’ Perspektive geschildert wird. Doch es hilft auch nicht, dass es keine tatsächlichen Charakterzeichnungen gibt und die Inszenierung den vorgenannten Produktionen weder was das Erzähltempo, oder die Authentizität des jeweiligen Moments das Wasser reichen kann. 96 Hours erinnert in dieser Beziehung durchweg an eine direkte Videoproduktion. Veredelt wird sie durch Hauptdarsteller Liam Neeson, der nicht nur die Actionszenen gelungen zum Leben erweckt, sondern auch seiner Figur mehr Tiefe verleiht, als es dem Drehbuch selbst gelingt. Auch wenn die schnörkellose Erzählung ganz offenbar ihr Publikum gefunden hat, mit mehr Substanz und einer solideren Inszenierung wäre hier so viel mehr möglich gewesen.