Dan Brown: "Sakrileg" [2003]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. Juli 2004
Autor: Dan Brown

Genre: Thriller

Originaltitel: The Da Vinci Code
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Paperback
Länge: 489 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2003
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2004
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-385-51322-4


Kurzinhalt:
Der für einen Vortrag nach Paris gereiste Symbologe Robert Langdon wird von der örtlichen Polizei des Nachts ins Louvre gebeten, wo der Kurator Jacques Saunière ermordet wurde. Der hinterließ neben einem Zahlenspiel auch einen Hinweis für die Pariser Polizei, woraufhin der Polizeichef Bezu Fache Langdon selbst für den Täter hält.
Die Kryptologin Sophie Neveu ist von Langdons Unschuld hingegen überzeugt und verhilft dem Amerikaner zur Flucht aus dem Museum. Doch wie die beiden Wissenschaftler entdecken, war der Kurator offensichtlich Mitglied einer geheimen Bruderschaft, der Prieuré de Sion, der vor Jahrhunderten auch Leonardo Da Vinci angehörte, auf dessen Werke Saunière in den letzten Minuten seines Lebens aufmerksam machte. Mehr noch, in den Werken des großen Künstlers verstecken sich Hinweise, elegant verwoben mit scheinbar profanen Dingen, die auf das uralte Geheimnis deuten, das der Grund für Saunières Ermordung war.
Auf der Flucht vor der Polizei ist Langdon zusammen mit Neveu nun auf der Suche nach dem wahren Mörder und folgt dafür dem Code in Da Vincis Werken – doch der Mörder ist ihnen dicht auf den Fersen und scheint Informationen von "oberster" Stelle zu bekommen.


Kritik:
Mit Illuminati [2000] gelang Autor Dan Brown ein Überraschungserfolg und brachte die Bruderschaft der Erleuchteten wieder in alle Munde. Für seinen nächsten Roman mit Hauptfigur Robert Langdon ließ sich der Schriftsteller jedoch drei Jahre Zeit, in denen er emsig recherchierte und sich einer noch viel größeren Geschichte verschrieb, als beim letzten Roman um den Symbologen. Erneut spielt sich die eigentliche Handlung in knapp 24 Stunden ab, was das enorme Tempo erklärt, mit dem Brown seine Leser über die Romanseiten hetzt. Ihm gelingt dabei das Kunststück, den Vorgängerroman noch zu übertreffen, dank der noch epischeren und faszinierenderen Story, einer schweißtreibenden Erzähltechnik und Offenbarungen auf jeder zweiten Seite. Man kommt angesichts der detaillierten Beschreibungen und der unumstößlichen Fakten bezüglich der Werke von Leonardo Da Vinci nicht umhin, verwundert die Augenbrauen zu heben und sich zu fragen, wie viel Wahres wohl in Sakrileg – so der völlig unpassende deutsche Titel des Romans – stecken mag.

Es ist eine weit verbreitete Theorie, dass Da Vinci in vielen, wenn nicht in allen seinen Werken, geheime Zeichen und Mitteilungen versteckte, und Gelehrte sind sich darüber einig, dass seine bekanntesten Werke wie "Das Letzte Abendmahl" oder "Die Mona Lisa" einige sehr seltsame Ungereimtheiten aufweisen. 1975 wurden in der Pariser Nationalbibliothek die "Dossiers Secrets" gefunden, die zahlreiche Menschen als Teil eines Geheimbundes mit dem Namen "Prieuré de Sion" in Verbindung bringt, darunter auch Leonardo Da Vinci. Dieser Geheimbund soll seit fast 1000 Jahren ein Geheimnis bewahren – welches das ist, darüber streiten sich die Historiker nach wie vor.
Auch die im Roman erwähnte streng gläubige katholische Sekte "Opus Dei" existiert wirklich und errichtete vor einiger Zeit in New York ihr Hauptquartier, für sagenhafte 47 Millionen Dollar; in Verruf geriet "Opus Dei" durch ihre bisweilen umstrittenen Rekrutierungsmethoden, angebliche Gehirnwäschen und Selbstbestrafungsmethoden.
Während die Rituale, Dokumente und Gebäude, die in Sakrileg beschrieben werden, echt sind, ist ihre eigentliche Interpretation allerdings der Phantasie des Autors entsprungen; was letztendlich wahr ist und was Spekulation, muss jeder Leser für sich entscheiden. Dabei existieren die verschiedenen Theorien um den geheimen Code, den Da Vinci hinterlassen hat, durchaus, auch was sich hinter der historischen Figur Maria Magdalena verbirgt, wird in Fachkreisen schon seit Jahren diskutiert – nur fanden diese Themen mit Dan Browns Roman nun ein öffentliches Forum und wurden quasi über Nacht derart populär, dass die Katholische Kirche um ihre Basis fürchtet.
Seit der Erstveröffentlichung von The Da Vinci Code veröffentlichte der Vatikan seinerseits zwei (!) Bücher, die auf bedeutend mehr Seiten alle Theorien, die in Browns Buch beschrieben werden, widerlegen sollen. Der kleinste Staat der Welt spricht von einer Hetzkampagne gegen den Christlichen Glauben, wodurch sich vielleicht auch am ehesten der deutsche Titel erklärt, der mit dem Inhalt ansich nichts gemein hat. Im Roman wird weder die katholische Kirche als skrupelloser Unheilbringer dargestellt, noch an den Grundfesten des christlichen Glaubens gerüttelt. Wenn Brown hingegen behauptet, dass das Christentum systhematisch die Bedeutung der Frau immer weiter verdrängt hat und sie in der Bibel sogar als Auslöser für das Leid der Menschen darstellt, dann ist das leider ein historischer Fakt, den der Vatikan nicht mit zwei Bücher widerlegen kann. Es bedeutet nicht, dass die katholische Kirche mit ihren Praktiken der letzten 1500 Jahre allein dasteht, vielmehr haben in kürzester Zeit andere Religionen rund um den Globus dahingehend gleichgezogen und die Frauen in ihren Rechten beschnitten, anstatt sie dem Mann gleich zu stellen, aber es macht diese Ungerechtigkeit auch nicht besser. Was in den Schriftrollen von Qumran steht, den weiteren Evangelien, die vom Vatikan unter Verschluss gehalten werden (eines soll sogar von Maria Magdalena selbst sein), werden die Gläubigen wohl nie erfahren. Aber dies hilft dem Ansehen der Kirche sicher genauso wenig, wie die Feststellung, dass die Bibel selbst kein vom Himmel gegebenes Werk, sondern ein von Menschen Jahrhunderte nach dem Tod Jesu zusammengetragenes Schriftstück ist, bei dem die Interpretation eine größere Rolle spielt als historische Fakten, als frevelhaften Akt zu bezeichnen. Dass Konstantin der Große, der im Jahr 325 das Christentum als Staatsreligion ausrief, nicht nur verschiedenste Religionen unter einen Hut bringen musste, sondern auch die damalige Bibel großteils umschrieben ließ, lässt sich nicht widerlegen.
Es ist andererseits nicht zu leugnen, dass viele Gläubige mit den Ansichten, die in Browns Buch vertreten werden, nicht so einfach klarkommen werden und sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Dabei behauptet Brown im Endeffekt nicht, dass Jesus nicht der Sohn Gottes wahr, vielmehr stärkt er den ansich mutmachenden Glauben, dass er trotz allem ein Mensch war und wie einer gelebt hat.
Welchen Theorien in Sakrileg man letztendlich Glauben schenkt und welchen nicht, muss jeder Leser für sich entscheiden. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob man gläubig ist oder nicht; einen Denkanstoss diesbezüglich können beide Parteien gut gebrauchen. Die offensichtliche Angst, die der Vatikan vor Browns erfolgreichem Buch hat, ist auf den ersten Blick zwar verständlich, aber doch kindisch und die Maßnahmen schaden dem Ansehen der Katholischen Kirche auf lange Sicht mehr, als dass sie nützen.
The Da Vinci Code gehörte 2003 zu den meistgelesenen Büchern weltweit; der Erfolg lässt sich kaum in Worte fassen und wenn Hollywood seinen Willen bekommt, wird bis in einem Jahr – wenn Browns dritter Robert Langdon-Roman erscheinen soll – der Da Vinci Code auch im Kino gebrochen.

Inhaltlich vollbringt Brown einmal mehr ein kleines Wunderwerk.
Was als ein ungewöhnlicher Mordfall beginnt, wandelt sich binnen kurzer Zeit zu einer Hetzjagd nach Robert Langdon, einer Flucht vor der Pariser Justiz und der Suche nach der Wahrheit, die in den Händen zweier Menschen liegt, die ungleicher kaum sein könnten.
Dank der rasanten Erzählweise, der fliegenden Szenewechsel (es geht von Museen in Kirchen, Kellergewölbe und hoch über die Wolken) und den verschiedenen Erzählebenen kommt sofort wieder eine spannende Krimiatmosphäre auf, die nur durch die faszinierenden und bisweilen fast schon kopfzerbrechenden Rätseleinlagen übertroffen werden. Kaum zuvor wies ein Thrillerroman derart viel Hintergrundwissen und Puzzles auf, wie Sakrileg. Wie viel historisches Material Brown in seinen zweiten Langdon-Roman packt, ist dabei wirklich beeindruckend; sei es die Entstehungsgeschichte der verschiedenen Da Vinci-Werke, das Louvre selbst, der Geheimbund Prieuré de Sion oder die verschiedensten Theorien zum Thema – der Leser bekommt neben einer überaus mitreissenden Geschichte um zwei grundsympathische Charaktere und zwielichtige Nebengestalten auch noch einen Geschichtsunterricht der Extraklasse geboten, der nie langweilig oder zäh wirkt, sondern derart kompakt präsentiert wird, dass man von einer Seite zur nächsten liest, ohne die Uhr im Auge behalten zu können.
Wer dabei den Kurator des Louvre ermordet hat, ist ansich schnell geklärt, das Wieso ist die weitaus größere Frage und wenn den Leser letztendlich die Auflösung trifft, könnte man sich selbst in den Hintern treten, denn nach den ersten 150 Seiten besitzt man ansich schon genügend Informationen, um selbst darauf zu kommen. Inhaltlich übertrifft der Autor damit Illuminati um ein ganzes Stück an Komplexität und überraschenden Wendungen, die auch dann noch anhalten, wenn das Finale ansich schon vorbei ist. Mehr wäre auch kaum möglich gewesen, Sakrileg ist zweifelsohne einer der besten Thriller-Romane der letzten Jahre, dessen Erfolg nicht nur berechtigt, sondern vielmehr unausweichlich gewesen ist.

Die Charaktere und ihre Verwicklungen sind dabei wieder so unterschiedlich, wie schon im ersten Roman, wobei Brown bei Langdon einmal mehr die Phantasie des Zuschauers walten lässt. Es gibt keine ausgiebigen Beschreibungen seiner Gesichtszüge, vielmehr soll sich der Leser selbst ein genaues Bild machen entsprechend einer Figur, mit der ersich am ehesten identifizieren kann. Selbiges gilt für Sophie Neveu, wohingegen die zwielichtigen Gestalten Silas und auch der französische Polizeichef Bezu Fache eine sehr detaillierte Beschreibung erfahren. Ihre letztendlichen Verstrickungen überraschen den Leser aber dann doch, denn hinter den meisten Figuren verbirgt sich weitaus mehr, als man augenscheinlich vermutet.
Wie bereits bei Illuminati haben die meisten Figuren eine nachvollziehbare Motivation für ihre Handlungen, und sind häufig mehr oder weniger bemitleidenswerte Schachfiguren auf einem Brett der Macht, auf dem zahlreiche Spieler geopfert werden.

Ebenfalls aus dem ersten Roman um den Symbologen Langdon bekannt sind die "süchtig" machenden Methoden des Autors bei den Kapitelenden, die in der Regel mit einer überraschenden Wendung aufwarten und einen so zum Weiterlesen animieren. Die Spannung, die daraus resultiert, besitzt beinahe schon eine Sogwirkung und so liest sich The Da Vinci Code noch schneller als sein Vorgänger.
Ein sehr interessantes Stilmittel von Dan Brown sind die Perspektivenwechsel innerhalb einer Szene; steht der Bösewicht den beiden Helden gegenüber, so kommt es mitunter vor, dass mitten in der Szene die Sichtweise von Langdon und Sophie zu der des Widersachers wechselt, wobei die beiden Helden dann auch keine Namen haben. Damit kann sich der Leser noch besser in die jeweilige Situation der Figuren hineinversetzen und bekommt sie auch einmal aus der Sicht eines anderen Charakters präsentiert.
Zieht Brown die Spannungsschraube wie gewohnt stetig an, kommt das Finale selbst doch recht überraschend und nicht so pompös wie noch in Illuminati daher. Dies ist jedoch kein Kritikpunkt, sondern vielmehr eine willkommene Weiterentwicklung seit dem ersten Roman um Hauptfigur Langdon. Der Schluss samt Epilog ist überaus mitreissend gelungen und gibt Antworten auf beinahe alle Fragen, die dem als Leser während der fast 500 Seiten durch den Kopf gesprungen sind.

Autor Dan Brown, der selbst Kunstgeschichte in Spanien studierte und dessen Frau eine Historikerin und Malerin ist, arbeitete an The Da Vinci Code drei lange Jahre – eine Zeit, die sich ausgezahlt hat.
Neben seinem Plädoyer für die Weiblichkeit im Glauben schuf er einen der spannendsten, einfallsreichsten und originellsten Thrillerromane der letzten Jahre; so ungewöhnlich die Geschichte auf den ersten Blick sein mag, wer seine Skepsis behält und sich dennoch auf die faszinierende Hintergrundstory einlässt, wird nicht enttäuscht.
Dank des unglaublich schnellen Erzähltempos – das Brown damit erklärt, dass das Buch ursprünglich viel länger war und er unter Zuhilfenahme der "Delete"-Taste am Keyboard seines Computers nur die notwendigsten Informationen in den fertigen Roman aufnahm – wird Sakrileg nie langweilig und behält bis zur letzten Seite die Überraschungen, die man nach dem mehr als nur vielversprechenden Illuminati erwartet hatte.
Und auch wenn Sakrileg ein Jahr nach den Ereignissen aus Illuminati spielt und es ansich bis auf einige Anspielungen keine Bezüge auf den ersten Roman gibt, sollte man als geneigter Leser dennoch zuerst den Vorgänger genossen haben – es entgeht einem sonst schlicht etwas. Wem der erste Ausflug in das Leben von Robert Langdon allerdings schon gefallen hat, der wird hier nichts auszusetzen haben. Das ist der Indiana Jones des dritten Jahrtausends.


Fazit:
Vielleicht war es erst dem Protest der Kirche zu verdanken, dass The Da Vinci Code ein derart großer Erfolg wurde, künstlerisch hat es Dan Browns Roman auf jeden Fall trotzdem verdient.
Mit seinem sympathischen Hauptcharakter begibt sich der Autor auf die Suche nach einem der größten Schätze der Geschichte und verblüfft den Leser immer wieder mit neuen Erkenntnissen und Fragen, die jeder für sich beantworten muss. Dabei steht aber nicht die Verurteilung der Katholischen Kirche im Vordergrund, sondern die Betonung der Bedeutung der Frau im Glauben.
Schweißtreibend spannend, unvorstellbar originell, malerisch detailreich und bis zur letzten Seite ein erstklassiger, raffinierter Verschwörungsthriller. Nach dem sehr guten Illuminati hat Brown hier die Latte noch einmal höher angelegt und vollbringt damit ein Kunststück, das ich kaum für möglich gehalten hätte – den dritten Langdon-Roman, der in einem Jahr erscheinen soll, kann ich kaum erwarten.