Eric Nylund: "Halo: Erstschlag" [2003]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 04. Oktober 2007
Autor: Eric Nylund

Genre: Action / Science Fiction

Originaltitel: First Strike
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 340 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2003
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2004
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-345-46781-7


Kurzinhalt:
Halo, die uralte Ringwelt, auf der die außerirdische Flood-Infektion alles Leben bedrohte, ist zerstört – die letzte Festung der Menschheit, der Planet Reach, ist noch zuvor gefallen. Die Allianz mit ihrer übermächtigen Flotte ist nun mehr als zuvor entschlossen, die Menschheit aus dem Universum zu tilgen.
Der Master Chief, der mit ansehen musste, wie sein Team aus genetisch verbesserten Spartan-II-Soldaten im Kampf um Reach sein Leben gab, ist von Halo mit einem kleinen Raumschiff entkommen – nur um der Allianz erneut in die Hände zu fallen. Durch taktisch geschickte Manöver der Künstlichen Intelligenz Cortana und der furchtlosen Art des Chief, kann der Spartan mit einigen Überlebenden ein Schiff der Allianz in seine Gewalt bringen. Doch während die Allianz auf Reach nach wie vor nach einem Artefakt sucht, das den Ausgang des Krieges beeinflussen könnte, und einige Menschen auf Reach überlebt zu haben scheinen, kommt für den Chief eine erschütternde Nachricht: Die Allianz hat den Standort der Erde heraus gefunden. Ein Erstschlag, und gleichzeitig eine hoffnungslose Selbstmordmission, scheint die einzige Möglichkeit, die Allianz zumindest zu verlangsamen ...


Kritik:
Dass Videospiele heutzutage für alles Übel auf der Welt verantwortlich gemacht werden, ist leider wahr – und ebenso irrsinnig. Wer behauptet, man könne mit einem Videospiel Zielübungen vornehmen, muss im Umkehrschluss auch denken, dass man mit einer wirklichen Waffe virtuelle Figuren auf dem Bildschirm erschießen kann.
Nicht nur, dass es Unterschiede der verschiedenen Arten von Videospielen gibt, auch innerhalb eines Genres, beispielsweise der so genannten Ego-Shooter, gibt es große Unterschiede. Zweifelsohne sind die meisten dieser Spiele nicht für Kinder gedacht und sollten auch nie in Kinderhände gelangen. Doch spricht grundsätzlich nichts dagegen, sich selbst in die Figur eines Videospiels hinein zu versetzen, dessen Aufgabe es ist, die Menschheit vor der endgültigen Vernichtung zu bewahren. Auch hier kommen die gewohnten Elemente eines Shooters zum Tragen, doch mit dem Unterschied, dass es nicht wie bei manchen Genrevertretern (und populären Horror-Filmen) Ziel ist, die Gegner auf möglichst grausame Weise zu ermorden, sondern so schnell wie möglich die Missionen zu erfüllen. Ohne moralische Ausflüchte jenes der Grauzone wie in ebenfalls populären Spielereihen.
Mit dem Science Fiction-Shooter Halo: Kampf um die Zukunft [2001] gelang der Spieleschmiede Bungie nicht nur ein erfolgreiches Videospiel, sondern auch der Grundstein für eine ganze Reihe Videospiele, die jüngst mit Halo 3 [2007] in ihre vorerst letzte Runde gingen. Da Halo selbst aber in einem weit entfernten Zukunftsszenarion spielt und im Rahmen eines Spieles kaum die Zeit bleibt, alle Aspekte, Hintergründe und Zusammenhänge zu erklären, wurde das Franchise neben Spielzeug und anderem Merchandising auch um mehrere Romane erweitert, die die Hintergrundgeschichte zum unerbittlichen Krieg der Menschen mit der Allianz vertiefen und ausschmücken. Mit Die Schlacht um Reach [2001] erzählte Autor Eric Nylund erfolgreich die Vorgeschichte zum Geschehen auf der Ringwelt Halo. Mit Erstschlag überbrückt er das Geschehen zwischen dem ersten und dem zweiten Spiel, das 2004 in den Läden stand.

Die Geschichte selbst setzt dabei genau in jenem Moment an, an dem Halo endet, leitet den Master Chief aber nicht auf direktem Weg zur Erde, sondern schildert seine Erlebnisse dazwischen, die auch andere Soldaten des Spartan-II-Programms beinhalten.
Dabei siedelt Nylund die Story auf mehreren Zeitebenen an, springt auch zwischen den verschiedenen Erzählsträngen in der Vergangenheit, der Gegenwart und den verschiedenen Perspektiven des aufgesplitteten Spartan-Trupps hin und her. Dabei sind seine Blickwinkelwechsel durchaus durchdacht eingebracht, ergänzen zusammen die Hintergrundgeschichte um das zweite Team des Chief, das auf der Oberfläche von Reach eingesetzt wurde mit den Geschehnissen auf Halo und Reach.
Zugegeben, die Geschichte selbst ist nicht unvorstellbar komplex, verknüpft allerdings Momente aus dem ersten Roman gekonnt mit den Spielen eins und zwei, leitet viele Kleinigkeiten, Hintergrundinformationen und auch neue Rassen innerhalb der Allianz ein, entfaltet mit den Legenden und Prophezeiungen der Allianz auch eine sehr plastische Mythologie und rückt einmal mehr den Chief in den Mittelpunkt. Diesbezüglich hat Nylund seine Hausaufgaben merklich gemacht und bemüht sich zusehends, die Lücken zwischen Halo und Halo 2 [2004] zu schließen. Der Reiz der Geschichte liegt dabei einmal mehr darin, die aus Die Schlacht um Reach bekannten Figuren weiter zu verfolgen, als auch mitzuerleben, wie die Allianz überhaupt auf den Standort der Erde kommt, beziehungsweise welche Ziele sie überhaupt verfolgen.
Die unterschiedlichen Rassen der Allianz werden wieder vorgestellt und mit ihrer seltsam anmutenden Architektur und Technologie weiter vertieft – auch wenn man das Gefühl nicht los wird, als würde Nylund dem Leser etwas bewusst vorenthalten, um manche Überraschungen nicht vorweg nehmen zu wollen.

Die Figuren werden erneut treffend beschrieben, allen voran das unschlagbare Gespann Master Chief / Cortana, die hier erfreulich viel zu tun bekommt und mit ihrem messerscharfen, künstlichen Verstand und ihrer schnellen Zunge für viele gute Momente sorgt.
Auch der Master Chief wird gekonnt geschildert, bekommt trotz seiner unnahbaren MJOLNIR-Panzerung und seines undurchsichtigen Sichtvisiers viele emotionale Züge verpasst und bleibt seinem Gegenüber geistig doch immer einen Schritt voraus.
Einmal mehr Doktor Halsey und die übrigen Spartan-II-Soldaten in Aktion zu sehen, ist ebenfalls als Bonbon für die Fans zu verstehen und leitet zudem einen neuen Handlungsstrang mit ein, der im kommenden Roman Nylunds, Halo: Geister von Onyx [2006] weiter ausgeführt wird. Dabei verwendet der Autor viel Zeit darauf, die Stärken und Schwächen der einzelnen Spartans zu erläutern, meist in Kombination mit einem Rückblick auf ihr gemeinsames Training oder mit einer erzählten Anekdote aus ihrer gemeinsamen Karriere.
Eine richtige Wandlung widerfährt zwar niemand, doch gerade die Charaktermomente in stressigen Situationen oder während Feuergefechten, fängt der Autor gekonnt ein, ohne dass ein Kommentar nicht zu derjenigen Figur zu passen scheint.

Wenig Abwechslung bietet dabei grundsätzlich die Dramaturgie des Romans, die von den ersten Seiten an konstant ein sehr hohes Tempo vorlegt. Da sich Erstschlag aus nicht viel mehr als einer Reihe von Kampf- und Fluchtsequenzen zusammen setzt, ist der Spannungsbogen sehr stark angespannt, die Erzählgeschwindigkeit hetzt die Leser über die Seiten und lässt einen somit bei den Schlachten fast selbst anwesend sein.
Wenn der Adrenalinspiegel bei den Protagonisten steigt, bricht beim Leser meist schon der Schweiß auf der Stirn aus, und wenn sich die Helden einer übermächtigen Allianz-Armee gegenübersehen, schluckt man unweigerlich. Dabei macht Nylund nicht den Fehler, die strapazierfähigen Spartan-Soldaten als unverwundbar und unsterblich zu vergöttern. Auch wenn sie mehr ertragen können, als ein normaler Mensch, die Verluste in den eigenen Reihen sind vernichtend und demoralisierend.
Dadurch steigt letztlich der Spannungsgrad zusätzlich an, insbesondere, wenn man weiß, wie Halo 2 beginnt.

Sprachlich schwebt Erstschlag sicherlich nicht auf derselben Stufe wie andere, zeitlose Weltliteratur, doch wächst der Autor erfreulicherweise erneut über die Konventionen eines genreüblichen Romans hinaus, verlangt vom Leser einerseits sehr viel Fantasie bei seinen detaillierten Beschreibungen der UNSC- und Allianz-Einrichtungen und auch der unterschiedlichen Charaktere. Allein auf Grund ihrer Äußerungen und ihrer Gestik formen sich so im Kopf des Lesers Gesichtszüge, die an sich gar nicht beschrieben werden.
Auch die Unheil bringenden Panoramas, die die Spartans mitunter zu sehen bekommen, darunter auch die Zerstörung von Reach, fügen sich vor dem geistigen Auge zu einem sehr farbigen und düsteren Bild zusammen. Von den taktischen Beschreibungen Nylunds bei den Kämpfen und Weltraumschlachten ganz zu schweigen.
Nichtsdestotrotz bleibt der zweite Halo-Roman des Autors leicht zu lesen und erschließt sich auch schnell einer Leserschaft, die im Englischen nicht so sehr bewandert ist.

Blickt man auf die schnell gelesenen 340 Seiten dieses Intermezzo-Romans zurück, bleibt derselbe Eindruck, wie bei den meisten Romanen dieser Art. Einerseits vermag die Geschichte auf Grund des Ausmaßes, des Universums, der Figuren und der Beschreibungen durchaus zu fesseln, andererseits bleibt einem eine wirkliche Auflösung, ein Abschluss der Mythologie verwehrt.
Nicht nur, dass viele Frage unbeantwortet bleiben, sich manche Zusammenhänge noch nicht in dem Maße erschließen, die Story um den Master Chief, den hier eingeleiteten Angriff auf die Erde und das Schicksal der Menschheit findet auch im zweiten Spiel keinen Abschluss – sondern erst mit Halo 3.
Wer die Zeit zwischen den Halo-Spielen überbrücken möchte, sich tiefer in das facettenreiche Universum einlesen und Hintergründe erkennen möchte, sollte sich auch Erstschlag nicht entgehen lassen. Der Roman verbindet gekonnt die ersten beiden Teile der Videospiel-Trilogie. Dabei ist er zwar nicht zwingend notwenig. Beinhaltet aber viele Bonbons für Fans und solche, die es werden wollen.


Fazit:
Die Wartezeit zwischen Halo 2 und Halo 3 war lange genug; angesichts der Tatsache, dass die Spielereihe damit erst einmal einen Abschluss gefunden hat, vielleicht aber doch zu kurz. Insgesamt sechs Romane sollen vorerst in dem Universum erscheinen, Erstschlag markiert dabei den dritten, Nylunds Geister von Onyx den vierten. Während der kommende Halo: Contact Harvest [2007] die erste Begegnung der Allianz mit den Menschen erzählt, könnte Eric Nylund selbst den sechsten Roman mit einem noch nicht bekannt gegebenen Inhalt verfassen. Er wäre zumindest daran interessiert.
Die Leser auch, wenn man sich überlegt, was der talentierte Autor aus einem an sich sehr einfachen und auch eindimensionalen Universum herausgeholt hat. Mit Halo etablierten die Macher zwar die Grundlagen, konnten sie selbst aber erst im zweiten Spiel ausbauen. Diese Arbeit hat ihnen Die Schlacht um Reach bereits abgenommen und nicht nur facettenreiche Figuren, sondern auch eine packende Mythologie etabliert. Mit Erstschlag setzt der Autor zwar ein wenig nach dem Ende seines ersten Romans an, fängt aber sofort das bekannte Halo-Flair ein und fühlt sich offensichtlich auch mit den Figuren wieder sehr wohl. Anders ist es kaum zu erklären, weswegen die Dialoge hier mitunter stimmiger wirken, als in manch anderem, "richtigen" Science Fiction-Roman. Dabei setzt der Autor auf seine Stärken und präsentiert einige der packendsten, schweißtreibendsten Actionmomente, die seit langem auf Papier gebannt wurden. Er malt ein sehr buntes, lebendiges Bild jener Charaktere und Schauplätze, dem er mit detaillierten Beschreibungen und viel Hintergrundinformation Leben einhaucht.
Mehr hatte ich nicht erwartet, und war folglich mit dem, was ich bekommen habe, mehr als zufrieden.