Arthur C. Clarke: "Die letzte Generation" [1953]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 09. Februar 2006
Autor: Sir Arthur Charles Clarke

Genre: Science Fiction

Originaltitel: Childhood's End
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 212 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Großbritannien
Erstveröffentlichungsjahr: 1954
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1960
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-345-34795-1


Kurzinhalt:
Egal wie sehr die Menschheit mit sich selbst und mit ihren Geschäften beschäftigt war, als die Overlords, eine außerirdische Rasse, mit riesigen Schiffen über allen Großstädten der Welt erschienen, änderten sich schlagartig die Geschicke der Menschen. Technologisch, intellektuell und militärisch der Erde weit überlegen, unterstützen die "Besucher" die Zivilisationen, Kriege, Hunger und Krankheit auszurotten – und es begann ein Goldenes Zeitalter auf der Erde.
Doch dessen Schattenseiten blieben vielen verborgen, denn während die Menschen technologische Neuerungen und vieles mehr von den Overlords gestellt bekamen, bildeten sich Forschung, Kreativität und Entdeckergeist ebenso bei den Menschen zurück, wie die Selbstzufriedenheit immer mehr überhand nahm.
Einzig der Weltraum war den Erdbewohnern zur Entdeckung verboten – eine von zahlreichen seltsamen Entscheidungen der Overlords, die eine persönliche Agenda zu verfolgen schienen, eine, deren Ziel nicht in der Generation lag, zu der sie in die Welt kamen, sondern in einer Zukunft, die von den Besuchern stärker gesteuert wurde, als zunächst abzusehen war.
Andererseits schien es, als würden auch die Overlords befehligt, so dass die Geschicke der Welt immer mehr das letzte Rädchen in einem großen Gebilde zu sein scheinen, deren Ausgang nicht abzusehen ist ...


Kritik:
Bereits seine frühen Werke wie Die letzte Generation, prägten das Science-Fiction-Genre nachhaltig, beinhalteten Muster und Ideen, die seither unzählige Male kopiert und abgewandelt wurden. In Film und Fernsehen sind seine Einfälle dabei ebenso zu finden wie in anderen Büchern – wobei eben jener Abschnitt, für den Die letzte Generation so berühmt ist, nämlich das Eintreffen riesiger außerirdischer Schiffe, die den Himmel verdunkeln, gar nicht Arthur C. Clarkes Einfallsreichtum entsprang. Wie der Autor selbst im Vorwort eingesteht, gelang seinem Kollegen Ted Sturgeon jener Geniestreich bereits sechs Jahre zuvor.
Nichtsdestotrotz zählt Clarke neben Robert A. Heinlein und Isaac Asimov zu den bedeutendsten und einfallsreichsten Autoren seiner Zeit; und nicht zuletzt dank der zusammen mit Stanley Kubricks filmischer Vision entstandenen Romanumsetzung von 2001: Odyssee im Weltraum [1968] sicherte sich Arthur C. Clarke einen dauerhaften Platz im Thronsaal seiner literarischen Kollegen.
Im Dezember 1917 in England geboren, war Clarke schon im Kindesalter von den Sternen fasziniert und verschlang in Mengen alte Science Fiction-Hefte. Nach seinem Dienst als Radar-Spezialist im Zweiten Weltkrieg, widmete er sich dem Schreiben und baute diese Nebentätigkeit ab 1951 zu einer Vollzeittätigkeit aus. Als Vorsitzender zahlreicher Organisationen und Vereine (darunter die British Interplanetary Society) war er ebenso bekannt, wie für sein immer wiederkehrendes Thema, dem Treffen einer technologisch fortgeschrittenen, aber voreingenommenen Menschheit mit einer weit höher entwickelten, außerirdischen Intelligenz. 1956 wanderte Clarke nach Sri Lanka aus, wo er seither lebt und im November 2005 mit der Lankabhimanaya-Auszeichnung (der Stolz Sri Lankas) geehrt wurde – er überstand auch die Flutkatastrophe 2004 unverletzt. Seit 1986 wird jährlich ein "Arthur C. Clarke Award" für das beste in Großbritannien veröffentlichte Science Fiction-Buch vergeben, eine Einrichtung, die er mit ins Leben rief. Im Jahr 1998 wurde seine Ritterehrung bereits angekündigt, verzögerte sich aber auf Grund von Anschuldigungen der Pädophilie ins Jahr 2000, bis sein Name rehabilitiert wurde. Seit er 1988 mit dem Post-Polio Syndrom diagnostiziert wurde, ist Arthur C. Clarke auf einen Rollstuhl angewiesen.
Zu seinen Ehren wurde sowohl ein Asteroid (4923 Clarke), als auch ein Dinosaurier, der Serendipaceratops Arthurclarkei, benannt.

Auch Die letzte Generation spiegelt jenen Leitgedanken wider, für den Clarkes Werke bekannt sind, wobei der Autor die Ausgangslage um das Eintreffen der Außerirdischen Besucher eher als Anlass für eine philosophische Studie nimmt, die aber ebenso viele Elemente des Evolutionismus enthält. Das entspricht zwar sowohl dem künstlerischen Schaffen des Autors, wie auch den für die Zeit bahnbrechend vielschichtigen Inhalt des Romans, verunsichert heutige Leser aber vor allem dadurch, dass Childhood's End, wie der Roman im Englischen treffend genannt wurde, auf einer gänzlich anderen Ebene funktioniert und den Leser zum Weiterlesen animiert, als man zunächst erwarten würde.
Die Geschichte selbst ist dabei sehr schnell erzählt und hätte auch ohne weiteres gekürzt werden können, wollte sich Clarke nicht im selben Maße auf die Beobachtung der evolutionären Veränderung der Menschheit, wie auch auf die sozialen Aspekte einer durch höher entwickelte Wesen geregelten Gesellschaft verlassen – wobei er gerade in der zweiten Romanhälfte überraschend viel Zeit darauf verwendet, die Umgebung und Struktur von Welten und Zivilisationen aufzuzeigen, die unterschiedlicher von der der Menschen kaum sein könnten.
Arthur C. Clarke wagt in seinem Roman einen sehr großen Schritt, verzaubert den Leser mit einer bildhaft beschriebenen Erde, deren weitere gesellschaftliche Entwicklung überaus nachvollziehbar ist und in einem gänzlich unerwarteten Ausgang endet. Hierfür kann man dem Autor nur gratulieren; doch scheinen die inhaltlichen Sprünge der Geschichte bisweilen sehr groß und man hätte sich gewünscht, Clarke hätte dies in mehreren Bändern und mit weiteren, gesellschaftlichen Details ausgearbeitet, ja eine Chronik daraus entworfen, anstatt das Potential in so kurzer Zeit, einer ausgeschmückten Studienarbeit gleich, zu komprimieren.

Wie viel Möglichkeiten ihm dadurch entgehen ist besonders an den Figuren zu erkennen, die ohnehin viel zu schnell wechseln (immerhin ist keine der Hauptfiguren – von den Overlords einmal abgesehen – den gesamten Roman über präsent, da die Handlung einen viel zu großen Zeitrahmen abdeckt) und in der kurzen Zeit auch kaum ausgearbeitet werden. Erst in der zweiten Hälfte des Buches wandelt sich dahingehend das Bild, wenn der fortschreitende Entwicklungsprozess aus der Sicht von Jean und George Greggson, sowie der Erlebnisse von Jan Rodricks, die zwar faszinierend und beeindruckend erfasst sind, aber letztlich keinen Einfluss auf die hauptsächlich dargebrachte Aussage des Buches haben.
Die einzigste wirklich sympathische Person im Roman, der UN-Generalsekretär Stormgren, genießt leider nur einen Kurzauftritt, wobei mit keinem Wort erwähnt wird, wie denn sein weiterer Werdegang verlief. Hier hätte man sich sichtlich mehr gewünscht. Es ist dabei aber unbestritten, dass Clarke auf den wenigen Romanseiten ausgesprochen viele Informationen zur Dynamik der menschlichen Entwicklung hinein packt, die von den Overlords gelenkt und teilweise auch initiiert wird. Diese subtilen Änderungen zu erfassen und elegant in Worte zu fassen, ist eine Meisterleistung, entschädigt aber nicht für die fehlenden einzelnen Charakterisierungen und für das Fehlen einer durchgehenden Hauptfigur, der man als Leser durch die Geschichte folgt.
Was dem Autor damit allerdings gelingt, ist ein ungemein größeres Verständnis für die Sicht der Overlords, die in ihren erheblich längeren Lebensspannen das Dasein einzelner Menschen kaum erfassen oder wahrnehmen.

Dramaturgisch arbeitet Clarke stetig auf eine kataklysmische Auflösung hin, deren Verlauf man aber zuvor nicht absehen kann. Dies erhält die Spannung bis zur letzten Seite, bis klar wird, worauf die Overlords die Menschheit vorbereitet haben und wie es letztlich um das Schicksal der Erdenbewohner bestellt ist.
Dabei nicht in Genreklischees zu verfallen und eine einfache, leicht rückgängig zu machende Auflösung anzubieten, wie es gerade in den Jahren der Pulp-Romane mit Science-Fiction-Inhalten der Fall war, ist dem Autor hoch anzurechnen, steht gleichzeitig aber auch im Einklang mit der sehr philosophischen Natur des Werkes.
Das Finale überrascht dabei durch die vielen neuartigen, erfrischenden und doch logisch aufgebauten Ideen, die verdeutlichen, dass sich Clarke intensiv mit dem Thema beschäftigte und dabei doch genügend Fragen offen lässt, die Raum für Spekulationen bieten.

Sprachlich ist der Roman ein Kind seiner Zeit und dürfte heutigen Lesern vor allem durch die teils etwas längeren, zusammenhängenden Absätze und die ungewohnte Syntax Leseschwierigkeiten bereiten.
Die Wortwahl ist dabei mitunter sehr spezifisch, dürfte für Genrefans allerdings keine Probleme bereithalten. Ebenfalls nicht erstaunlich ist das Einbringen von älteren Ausdrücken und Wörtern, die in der englischen Populärliteratur kaum mehr gebraucht werden, doch dies unterstreicht nochmals die Aspekte des Buches, die sich eindeutig nicht an eine Leserschaft richten, die mit schnell zu lesenden Sätzen von einem Kapitel zum nächsten springen. Die letzte Generation ist damit zwar nicht ausgesprochen schwierig zu lesen, mitunter aber etwas fordernd.

Dass Arthur C. Clarkes Roman recht schnell als Meilenstein des Genres erkannt wurde, verwundert nicht, immerhin verquickt der Autor hier gekonnt ein damals wie heute aktuelles Thema der Unterhaltungsliteratur (das Eintreffen einer außerirdischen Spezies) und erweitert diese Prämisse um Facetten, die man in diesem Fall nicht erwartet hätte. Die evolutionären Schlussfolgerungen, zu denen Clarke seinen Leser leitet, sind dabei so prägnant wie fantastisch, orientieren sich am wissenschaftlich möglichen, dabei aber immer mit einem Hauch Fantasy und Science Fiction.
Dass auch in diesem Roman das Paranormale (ebenfalls eines von Clarkes Leitthemen) eingewoben wird, mag auf den ersten Moment überraschend erscheinen, macht aber gerade im Rückblick der Auflösung der Geschichte durchaus Sinn.
Empfehlenswert ist der Roman somit für all diejenigen, die die komprimierte Studie als Anlass für weitere Gedankenspiele nehmen, sich in einer vollkommen andersartigen Kultur und ihren angedeuteten Ursprüngen verlieren möchten und der Menschheit über ihre sozial so wichtigen und (hoffentlich) nicht utopischen Entwicklungen hin zu ihrem Sprung über eine Schwelle beiwohnen wollen, die größer kaum sein könnte.
Das ist für das Science Fiction-Genre zwar bahnbrechend und ein nicht zu unterschätzendes Vermächtnis, aber auf Grund des Alters des Romans literarisch nicht immer so packend dargebracht, wie man es von einem waschechten Klassiker erwarten würde.


Fazit:
Die letzte Generation
schließlich zu bewerten, fällt mir insofern sehr schwer, als dass Arthur C. Clarke mit seinem Science-Fiction-Roman das Genre sichtlich prägte. Dabei tat er das weniger mit der vielseits zitierten Passage um einschwebende Raumschiffe über den Großstädten der Welt, als mit seiner unvergleichlich einfallsreichen Darbringung einer Geschichte, die die Brücke zwischen Unterhaltungsliteratur und Philosophie schlägt.
Die Ansätze der Story wurzeln dabei ohne Zweifel im Bereich des Fantastischen, münden in der Durchführung allerdings in einer schwermütigen Rezitation einer ebenso tragischen, wie ansich verwundernd frohen Entwicklung. Diese Ambivalenz fängt Clarke gekonnt ein und stellt damit den Roman gerade in der zweiten Hälfte in den Schatten seiner Deutungen und Vermutungen und der mit der Geschichte einhergehenden Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit.
Aber während diese wissenschaftlich-philosophisch angehauchte Studie wirklich mehr als geglückt ist, empfand ich den Roman stellenweise als literarisch zäh und an Stellen, die man bedeutend weiter hätte ausbauen können, zu hastig erzählt. Es wirkt beinahe, als wären dem Autor die Figuren in der ersten Romanhälfte eine Last, eine Notwendigkeit, um seine prototypischen Charaktere im weiteren Verlauf einzubringen und an ihnen seine Aussage zu exerzieren.
Das ist durchaus legitim, macht Childhood's End aber zu einer schweren Kost, die dabei allerdings zum Nachdenken anregt und auf dieser Ebene mehr als funktioniert. Für Science Fiction-Fans ist der Roman ein willkommenes, hintersinniges Gedankenspiel, das aber die emotionale Tiefe vermissen lässt, den Leser mitzureißen; packend bleiben die mannigfaltigen Aussagen dennoch.