Patrick Süskind: "Das Parfum" [1985]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 27. Juni 2006
Autor: Patrick SüskindGenre: Historie / Krimi
Originalsprache: Deutsch
Gelesen in: Deutsch
Ausgabe: Gebundene Ausgabe
Länge: 316 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Deutschland
Erstveröffentlichungsjahr: 1985
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 3-25706-540-X
Kurzinhalt:
Am 17. Juli 1738 wird er inmitten des größten und stinkendsten Molochs der Welt geboren – in Paris erblickt Jean-Baptiste Grenouille das Licht der Welt und überlebt entgegen aller Widrigkeiten, entgegen aller Vernunft.
Der Waise jagt schon im Kindesalter allen Menschen um sich herum einen Schauer über den Rücken, auch wenn kaum jemand benennen kann, weshalb. Bei all dem besitzt dieser geruchslose Mensch eine unschätzbare Begabung, ein Talent, das ihn von allen übrigen Menschen auf der Welt abhebt. Er ist in der Lage, die feinsten und schwächsten Gerüche wahrzunehmen, sie in ihre einzelnen Bestandteile aufzuteilen und schließlich wieder zusammen zu setzen, neue zu komponieren und die Welt – wenn Menschen sie normalerweise mit den Augen sehen – allein mit seiner Nase durch die Gerüche zu erfassen.
So ist Grenouille immer auf der Suche nach dem perfekten Geruch und findet in der Kunst der Parfümerie seine Lebensaufgabe. Aber während die meisten Menschen für ihn unscheinbar und verachtenswert riechen, gibt es wenige Ausnahmen, die seine Nase in wahre Verzückung versetzen. Sie zu besitzen, macht sich Grenouille zum Ziel, und als er die Möglichkeit entdeckt, aus dem Eigengeruch jener jungen Frauen sein perfektes Parfum zusammen zu stellen, zögert er nicht, für sein Vorhaben über Leichen zu gehen.
Kritik:
Wie erfolgreich Patrick Süskinds Roman Das Parfum gewesen ist, sieht man schon daran, dass beinahe ein Jahrzehnt lang nur die gebundene Ausgabe des Buches verfügbar war, und es sich dennoch kaum vorstellbar lange in den Bestsellerlisten rund um die Welt hielt. Auch im Ausland zählt das Sittengemälde zu den einflussreichsten und hochgelobtesten Werken aus dem deutschsprachigen Raum.
Aber während sich um den Roman eine regelrechte Industrie aufgebaut hat, mit Interpretations- und Lernhilfen, Hintergrundmaterialien und Zusatzinformationen, so hinterlässt Süskinds Ausflug ins prä-industrielle Frankreich einen zwiespältigen Eindruck, was nicht zuletzt daran liegt, wie der Autor seinen Roman ansiedelt – trotz, oder gerade auf Grund der darin eingewobenen Gesellschaftssatire.
Die Ausgangslage von Das Parfum ist dabei überaus reizvoll, und wenn, wie in zahlreichen Berichten und auch im Klappentext beschrieben, "Die Geschichte eines Mörders" (wie es auch im Untertitel heißt) erzählt wird, erwartet man als Leser zweifelsohne, dass sich diese einerseits um die Taten des Bösewichts dreht, als auch um die Aufklärung jener Verbrechen. Aber während es bis zum ersten Mord lediglich 55 Seiten dauert, vergehen bis zu den übrigen zwei Dutzend weitere 190 Seiten, und von den restlichen Taten wird lediglich eine einzige näher geschildert. Die übrigen Morde werden lediglich mit einem Nebensatz erwähnt, die Ermittlungen nur gestreift und ehe man sich versieht, ist der Roman auch schon vorbei.
Man kommt nicht umhin, Süskind vorzuwerfen, er habe seinen Kriminalroman falsch angelegt, denn statt die Morde und ihre Nachwirkungen in den Mittelpunkt zu rücken, nimmt er sich seiner Hauptperson an, um an Hand deren Erlebnisse ein Sittenbild Frankreichs im 18. Jahrhundert zu zeichnen, wogegen ja prinzipiell nichts auszusetzen wäre, wenn denn dabei die Spannung nicht auf der Strecke bliebe.
Doch genau dies ist leider der Fall, und während man sich in den ersten 100 Seiten bereitwillig in der blumigen und bildlichen Umschreibung der Geruchswelt Grenouilles verliert, verblassen diese Eindrücke mit den immer spärlicher werdenden Details im Laufe der restlichen zwei Drittel, ehe der Autor ganze Seiten damit zubringt, den überdrehten und schizophrenen Geist des Pro- und Antagonisten gleichermaßen zu durchleuchten, wobei er sich sowohl in diesen Kapiteln, wie auch im fortwährenden Rest des Romans stellenweise sogar in den Ausdrücken wiederholt.
Die Story macht in der daliegenden Form mit der Konzentrierung auf die gesellschaftlichen Verhältnisse einen nicht ausgenutzten Eindruck, der sich am Ende mit einem gänzlich abgehobenen und weltfremden Finale noch verstärkt.
Es ist bemerkenswert, dass es Süskind gelingt, jeder Figur im Roman, die mit Grenouille interagiert, einen kompletten Lebenslauf zuzuschreiben, der den damaligen Verhältnissen entspricht und jeweils mit einer besonders makabren bis ironisch-sarkastischen Note endet. Doch da die tatsächlichen Gespräche des Romans kaum der Rede wert sind, konzentriert sich der Autor verständlicherweise auf seine Hauptfigur Jean-Baptiste Grenouille, deren Lebensgeschichte zwar erzählt wird, bei dem allerdings nie geklärt wird, was ihn letztlich zu derjenigen Person macht, die er ist. Der Vergleich Grenouilles mit einer Zecke ist somit überaus treffend und auch amüsant, doch lässt die Erzählung vermissen, weshalb die Person so empfindungskalt und verbittert geworden ist. Dahingehend ändert sich im Verlauf der 300 Seiten auch nichts, obgleich der Parfumeur seine Reise durch das Frankreich des 18. Jahrhunderts antritt und nach einem langjährigen Exil seine Bestimmung gefunden zu haben glaubt.
Eine nennenswerte Erweiterung seiner Figur, abgesehen von der Erkenntnis seiner imaginären Aufgabe im Leben, findet sich allerdings nicht. Somit gibt sich Grenouille am Ende von Das Parfum nicht wirklich anders, als zu Beginn, allenfalls selbstsicherer und überzeugter, in seinem Wesen aber kein bisschen weiterentwickelt.
Dieser mangelnden Entwicklung ist es letztlich zuzuschreiben, dass Süskinds Werk kaum einen nennenswerten Spannungsbogen aufzuweisen vermag. Wer auf Grund des Klappentexts damit rechnet, dass sich das Buch einerseits darum drehen könnte, wie Grenouille zu derjenigen Person wurde, oder was ihn letztlich dazu bewegt, die Morde zu begehen, der irrt leider. Stattdessen finden sich zwar mannigfaltige Passagen wider, wie "die weltbeste Nase" ihre Umwelt wahrnimmt und welche Schlussfolgerungen sie daraus zieht, aber da diese Figur den Leser weder sonderlich berührt, noch dieser mit den Opfern tatsächlich mitfühlen kann, da schlichtweg die vorbereitende Vorstellung der Figuren fehlt, wird der Leser überrascht feststellen, dass das Buch trotz des unterhaltsamen Schreibstils und der schnell erzählten Story keinen wirklichen Spannungsbogen besitzt. Selbst bei der Gefangennahme Grenouilles (die zugegebenermaßen anders verläuft, als man erwarten würde), bleiben die Empfindungen beim Leser erstaunlicherweise aus.
Dass sich das beinahe 30-seitige Finale zudem vom Obskuren ins Abstruse, bis hin zum Fantastischen wandelt, erschwert den Ausstieg aus der Geruchswelt und ihrer Jünger nicht wirklich, und wer trotz der überspitzten Elemente des Romans die ernst gemeinten Kernpunkte erkannt hat, wird mit dem vollkommen überdrehten Ende, so sehr Süskind dort hinein auch eine hehre Bedeutung legen möchte, seine Schwierigkeiten haben.
Zur sprachlichen Finesse seines Werks darf man Autor Patrick Süskind neidlos gratulieren. Ihm gelingt es sehr, sehr gut, über die verschachtelte Syntax und die bisweilen sehr grob gewählten Worte das Flair und die Atmosphäre des damaligen Frankreichs einzufangen und die tagtäglichen Verhältnisse sehr bildlich für den Leser entstehen zu lassen. Und doch scheint es bisweilen, als würde der Autor trotz der subtilen und hin und wieder auch weniger subtilen Anspielungen in den Dialogen mancherorts absichtlich zu weit über die Stränge schlagen und den Leser aus der gelungenen Illusion heraus reißen. Dies geschieht entweder durch unendlich lange Sätze, die durch Semikola, Einschübe und Relativsätze so lange zusätzlich konstruiert erweitert werden, bis sie beim Zerpflücken tatsächlich keinen Sinn mehr ergeben, oder aber durch Ausdrucksweisen und gewählte Wörter, die es zu jener Zeit schlichtweg nicht gegeben haben kann.
Kann man die Satzdehnung noch akzeptieren und der immer größenwahnsinniger werdenden Gedanken Grenouilles zuschieben, gestaltet es sich mit den Fehlgriffen in der Wortwahl anders. Diese sind mitunter schlicht nicht nachvollziehbar und stören im Kontext der ansonsten exzellent eingefangenen Stimmung des Buches.
Es dauerte zwei Jahrzehnte, ehe der medienscheue Autor Patrick Süskind die Filmrechte an Das Parfum verkaufte – unter der Regie von Tom Tykwer entstand eine internationale Produktion, die im Herbst 2006 auf der Leinwand zu sehen sein wird.
Man darf gespannt sein, wie die Filmemacher ihre Geschichte um Jean-Baptiste Grenouille anlegen werden, denn in der vorliegenden Form ist die Story kaum zu verfilmen, einerseits auf Grund der wenigen inhaltlichen Höhepunkte, als auch wegen der mannigfaltigen Beschreibungen von Grenouilles Geruchsempfinden, das sich nur schwer visualisieren lassen wird. Es wird vielmehr damit gerechnet, dass sich der Film um eben jenes Element drehen wird, das im Roman so sträflich vernachlässigt wird: Die Kriminalgeschichte. Hätte Süskind sich ebenfalls darauf verstanden, hätte er die übrigen inhaltlichen Elemente nicht wirklich vernachlässigen müssen und er hätte dennoch einen bedeutend stimmigeren Roman verfasst. Von den überall angepriesenen Überraschungen und Spannungsmomenten finden sich erstaunlich wenige im Buch, das aber allein auf Grund der einfallsreichen Beschreibungen schon lesenswert ist und zweifellos einen unschätzbaren Beitrag zur deutschsprachigen Literatur leistete und nach wie vor leistet.
Fazit:
Kaum irgendwo findet sich eine negative Meinung zu Süskinds Das Parfum, im In- wie im Ausland wird der Roman als eines der wichtigsten deutschen Werke des 20. Jahrhunderts gefeiert und zählt auch zu den meistgelesensten Büchern unserer Zeit.
Vielleicht war meine Enttäuschung gerade deshalb so groß, nachdem ich nur die Hälfte des Romans gelesen hatte; ein Gefühl, das sich gerade am Schluss noch eher verstärkte, denn abschwächte. Zugegebenermaßen gelingt es Süskind auf bestechende und plastische Art und Weise, die Welt der Gerüche vor dem Auge des Lesers entstehen zu lassen, die feinen Schwaden und die kräftigen Wolken im olfaktorischen Reich zu zeichnen und auch zu benennen. Doch Das Parfum als Krimi zu bezeichnen, wie es vielerorts getan wird, halte ich schlichtweg für falsch, zumal dem Roman sämtliche Charakteristika eines Kriminalromans fehlen. Unspannend und vorhersehbar gibt sich Patrick Süskinds Werk, wobei weder die Morde, noch die Aufklärung derselben auch nur die geringste Rolle spielen. Stattdessen wird in einem unbeteiligten und doch verachtenden Schreibstil die Lebensgeschichte einer Figur erzählt, die sowohl Erzähler wie Leser unsympathisch und von Moral frei geschildert wird, und deren Begabung gleichsam nicht als Gabe, sondern viel eher als ein zur Präpotenz verleitender Fluch nahe gebracht wird. Es stellt sich also die Frage, wieso man diese Geschichte überhaupt erzählt bekommen möchte. Unterhaltungswert hin oder her, man ist am Ende ebenso schlau wie zuvor, hat sich allerdings in der Zwischenzeit mit einem Jean-Baptiste Grenouille beschäftigt, der nicht zu dem gemacht wurde, wie er war und bei dem auch nicht interessiert, wieso er so war, sondern von dem einfach gesagt wird, dass er so war, und dass das, was er war, nicht erstrebenswert sei.
Als Übung in zeitgenössischer Prosa, angesiedelt im Frankreich des 18. Jahrhunderts, ist dies durchaus gelungen, und auch die gesellschaftlichen Untertöne sind herausgearbeitet, ohne aber wirklich Neues zutage zu fördern – aber mehr als diese Übung, wenn auch auf rasante und einfallsreiche Weise geschrieben, vermag ich aus Das Parfum nicht herauszulesen.
Gleichzeitig stellt sich allerdings die Frage, wie denn ein wirklicher Kriminalroman vor diesem Hintergrund und mit diesem Hauptcharakter ausgesehen hätte, der sich um die Ermordung von Grenouilles Ingredenzien und die polizeiliche Aufklärung derselben gedreht hätte. Dies hätte sowohl unterhaltsam, als auch spannend sein, und die prosaischen Elemente enthalten können. Kurzum, es hätte für mich einen bedeutend besseren Roman ergeben.