Robert Ludlum: "Das Bourne Imperium" [1986]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 28. Mai 2007
Autor: Robert Ludlum

Genre: Thriller

Originaltitel: The Bourne Supremacy
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 473 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1986
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1986
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-75286-039-9


Kurzinhalt:
Der chinesische Vize-Premier-Minister wird in Kowloon brutal ermordet – der Täter hinterlässt sogar seinen Namen: Jason Bourne. Doch während sich die Staatsmänner dieser Welt die Frage stellen, weswegen dieser sagenumwobene Auftragskiller zurückgekehrt ist und für wen er arbeitet, ahnen der Stratege McAllister und der amerikanische Botschafter Havilland in Asien, wer hinter den Taten steckt.
Denn in Wahrheit wurde dieser Mord nicht von Jason Bourne verübt, sondern von jemandem, der sich wie er ausgibt, ihm ähnelt und seine Methoden kopiert.
An sich könnte David Webb, der als Jason Bourne eben in Asien traurige Berühmtheit erlangte, dies alles egal sein, bis seine Frau Marie entführt wird. Um sie zurück zu bekommen, muss er seinen Nachahmer finden und zu den Entführern bringen. Doch dabei kommt Webb/Bourne den Auftraggebern seines Nachfolgers auf die Spur, und welche Pläne sie tatsächlich verfolgen. Urplötzlich sieht sich der traumatisierte Ex-Agent zwischen allen Fronten und muss, um Marie zu retten, wieder in die Dschungel Asiens vordringen und erneut jenen Alptraum durchleben, der vor vielen Jahren David Webb die Existenz kostete, sodass der Elite-Soldat als "Delta" der geheimen Einheit Medusa die gefährlichsten Aufträge übernehmen konnte. Erst danach wurde er zu Jason Bourne – und nun muss er alle drei Personen auf einmal sein, um zu überleben ...


Kritik:
Wer wissen wollte, wie es um den ebenso unheimlichen, wie interessanten Jason Bourne nach seinen Ereignissen in Die Bourne Identität [1980] bestellt war, wie er sich in sein normales Leben einleben würde, und ob es zu einer erneuten Konfrontation zwischen ihm und seinem eigentlichen Ziel, dem international operierenden Killer Carlos kommen würde, musste sechs lange Jahre warten, ehe Autor Robert Ludlum seine Geschichte weiterspinnen würde. Doch selbst dann gibt sich Ludlum nicht der Versuchung hin, Bourne gegen seinen Erzfeind antreten zu lassen, sondern er schickt seinen immer noch zutiefst traumatisierten Hauptcharakter auf eine Odyssee durch das von Gewalt und Macht zerrüttete Asien, getrieben von Furcht – nicht um sein Leben, sondern um das seiner Frau, derjenigen Person, wegen der er überhaupt am Leben fest hält.
Mit Das Bourne Imperium nimmt sich der politisch interessierte Autor einer hochbrisanten Thematik an und entwirft ein Szenario, das seinerzeit so abwegig gar nicht war, ging der Countdown um den Besitztum Hong Kongs durch Großbritannien mit großen Schritten seinem Ende zu. Dabei ist es mitunter schwer, den Sprüngen in den Erklärungen der unzähligen Figuren zu folgen, die parallelen Handlungsstränge so miteinander zu verknüpfen, wie der Autor dies beabsichtigt und bei den vielen verschiedenen Machtparteien noch den Überblick zu behalten, wer eigentlich für wen agiert.

Die Story, dies ist im Vergleich zur Bourne Identität keine wirkliche Neuerung, beginnt inmitten eines bereits laufenden Szenarios, in das sich Bourne selbst, wie der Leser erst im Nachhinein einfinden muss. Entfalten sich dann aber die verschiedenen Äste dieser Verschwörung, nimmt die Geschichte mitunter epische Ausmaße an, die weitreichender und verstrickter kaum sein können.
So empfiehlt sich ausdrücklich, Das Bourne Imperium ohne lange Unterbrechungen am Stück zu lesen, um der Vielzahl an Charakteren und den Wendungen der Geschichte auch folgen zu können. Gelungen sind die Beschreibungen Ludlum dabei durchweg, seien es nun viktorianische Häuser im Herzen Hong Kongs, oder aber die Beschreibungen der tödlichen und kaum zu durchdringenden Dschungel im asiatischen Hinterland. Dabei betreibt der Autor viel Aufwand, um auch die Bräuche und Ansichten der asiatischen Figuren zu porträtieren, veranschaulicht die unterschiedlichen Auffassungen der Kulturen und ihr jeweiliges Bestreben darum, möglichst viel Profit heraus zu schlagen. Stellenweise lässt sich dabei nicht leugnen, dass Ludlum den asiatischen Figuren (zumindest dem Großteil der als Nebenfiguren vorgestellten) eine gewisse Verachtung der menschlichen Würde unterstellt und sie als ebenso brutale, wie korrupte und skrupellose Geschäftsmänner darstellt.
Inhaltlich verbindet Robert Ludlum geopolitische Zusammenhänge mit provinziellen Sonderheiten und zeichnet damit ein sehr plastisches und eindrucksvoll detailliertes Bild jeder aufgezeigten Umgebung. Nicht zuletzt durch die verschiedenen Schauplätze, die jeweils mit derselben akribischen Genauigkeit vorgestellt werden, verblüfft der Roman und fesselt auch dann noch, wenn man den inhaltlichen Wirrungen gar nicht mehr folgen kann.
Was allerdings (negativ) überrascht, ist gerade im letzten Drittel der sprunghafte Anstieg sehr gewalttätiger und dabei mitunter schon anatomisch genauer Beschreibungen von Folterszenen und Tötungstaktiken. Auch wenn Das Bourne Imperium bis dahin nicht wirklich zimperlich ausgefallen ist und sich schon Die Bourne Identität an eine erwachsene Leserschaft richtet, so ausführlich hätte es nicht immer beschrieben werden müssen.

Das schiere Aufgebot an Haupt- und Nebenfiguren ist atemberaubend und nicht zuletzt der grundsätzlich sehr ausführlich beschriebene Hintergrund belegt im Roman viel Platz. Dadurch erreicht Ludlum zwar einen hohen Grad an Authentizität, verliert sich aber insbesondere bei den Dialogen mitunter in sehr ausschweifenden und mitunter schon pathetischen Beschreibungen, die die wahre Essenz einer Unterhaltung um so viel Erweitern, dass man das Gefühl nicht los wird, er würde die jeweilige Szene unnötig aufblähen.
Dabei sind es die beiden Hauptfiguren, die hauptsächlich interessieren, denn während Marie Webb hier stärker eingebunden wird noch, als in Teil eins, spaltet Autor Robert Ludlum seinen Protagonisten hier gleich in drei verschiedene Persönlichkeiten auf, deren Werdegang zu folgen und ihre Reihenfolge zu beobachten, den Reiz des Romanes ausmacht. So wird der anfängliche David Webb nicht nur gezwungen, ein Abbild seiner selbst zu jagen und dafür erneut zu Jason Bourne zu werden, vielmehr wandelt er sich in eine noch weiter zurückliegende Persönlichkeit, wenn er in den Dschungeln (sowohl der asiatischen Städte, als auch deren Umgebungen) zum gewissenlosen Delta mutiert, jener Kämpfer, der während des Vietnamkrieges die gefährlichsten und aussichtslosesten Missionen übernnahm.
Gekonnt und mit einer nicht zu unterschätzenden Präzision wechselt Ludlum zwischen diesen drei Personen hin und her und versetzt den Leser dabei sogar in die Lage, allein in der Beschreibung, welche der Figuren den folgenden Satz sagt, abzuschätzen, welche Persönlichkeit in Webb/Bourne/Delta die Oberhand gewonnen hat.
Die anderen Figuren, von Alexander Conklin, über Botschafter Havilland, den Analytiker McAllister und den charismatischen Polizisten Lin Wenzu, sind allesamt sehr gut ausgearbeitet und offenbaren im Laufe der immerhin 500 Seiten neue Facetten, die man an ihnen kaum vermutet hätte.
Dabei übertrifft Ludlum sein Aufgebot von Die Bourne Identität noch und feilt seine Figuren in epischem Maße zurecht, sodass selbst die kleinsten Dialoge noch interessant bleiben.

Einzig der dramaturgische Aufbau vermag bei Das Bourne Imperium nicht so recht zu überzeugen, was aber hauptsächlich daran liegt, dass sich Robert Ludlum dazu hinreißen lässt, Bourne und seinen Nachahmer in einem Vor-Finale zusammentreffen zu lassen, wohingegen er ein zusätzliches Finale mit dem eigentlichen Drahtzieher hinter den Verschwörungen um die Hong Kong-Verträge folgen lässt. Dieses kann weder was die Ausmaße, noch was die Vorbereitung oder die Ausführung angeht, mit dem vorangegangenen mithalten und scheint aus diesem Grund ebenso aufgesetzt wie überflüssig.
Bis dahin steigert sich das Erzähltempo mitunter in schwindelerregende Höhen und auch die beinahe aussichtslose und fatale Fehleinschätzung mancher Figuren macht dem Leser zu schaffen, während sich vor seinen Augen ein tödliches Fiasko anbahnt. Umso bedauerlicher, dass der Autor dies mit der letztendlichen Konfrontation nicht übertreffen kann.

Sprachlich wirkt Das Bourne Imperium weit technischer, als sein Vorgänger, verlangt vom englischsprachigen Leser viele Fremdworte und Terminologien ab, die sich mitunter nur bedingt erschließen lassen.
Zudem fallen die Dialoge vulgärer aus, als bei Die Bourne Identität, was aber auch am Hintergrund des Romans liegt. Davon abgesehen liest sich Ludlums Thriller gewohnt flott, wenn auch die Dialoge stellenweise aufgebläht erscheinen. Nichtsdestotrotz verliert man sich sehr schnell in den Beschreibungen des Autors, die die Welt des Jason Bourne vor den Augen des Lesers zum Leben erwecken.
Eben dies sollte die Interessenten des Buches auch reizen, denn während aus heutiger Sicht die Story verständlicherweise überholt erscheint, ist es dennoch das Bourne-Universum, das den Leser zum weiterblättern animiert. Dank der spannenden und unvorhersehbaren Story und den lebendigen Figuren hilft dies sogar über manche Schwächen im Roman hinweg, zumal man bei Robert Ludlums Erzählung nie mit Sicherheit sagen kann, wer letztlich überlebt, und wer nicht.
Umso gespannter darf man sein, welchen Ausgang sich der Autor für seinen dritten Roman, Das Bourne Ultimatum [1990], einfallen lässt.


Fazit:
Ob Jason Bourne ein Held ist, oder nicht, lässt Autor Robert Ludlum zwar durchklingen, letztlich aber doch offen. Dafür ist seine Hauptfigur, die selbst in mehrere Persönlichkeiten gespalten ist, die hier alle zum Vorschein kommen, zu undurchschaubar, seine verschiedenen Seiten zu unterschiedlich und seine Vorgehensweise trotz Gewissensbissen zu rigoros.
Dabei treibt der Autor seinen Protagonisten in Das Bourne Imperium an den Rand des menschlich Fassbaren, verlangt von ihm wie von seiner Ehefrau Marie Webb unausstehliche Entscheidungen und Situationen ab und gewinnt gleichzeitig die Leserschaft für sie. Dabei fühlt man sich als Leser – wie die Charaktere selbst – wie Bauern auf einem Schachbrett, dessen Sinn und Zweck man noch nicht versteht. Die Enthüllungen und Erkenntnisse treffen einen selbst erst dann, wenn sie auch den Marionetten der Verschwörer aufgehen und treffen einen somit doppelt so schwer.
Dabei standen für mich neben der spannend erzählten und ebenso verworrenen Geschichte hauptsächlich die verschiedenen Persönlichkeiten von David Webb im Mittelpunkt und mitzuverfolgen, wie sich die einzelnen Figuren durchsetzen, ihm helfen die vor ihm liegenden Aufgaben zu meistern, war der größte Reiz des Romans.
Die Geschichte selbst ist so einfallsreich wie komplex, aber gerade im letzten Drittel außergewöhnlich brutal geschildert und mit dem aufgesetzten Finale nach dem Höhepunkt des Buches nicht zu einem zufriedenstellenden Ende gebracht. Hier konnte Die Bourne Identität mehr überzeugen, auch wenn allein die Vertiefung jener Story hier und das kaum fassbare Ausmaß der Verschwörung faszinieren.