Michael Crichton: "Andromeda" [1969]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 31. Dezember 2005
Autor: Michael CrichtonGenre: Science Fiction / Thriller
Originaltitel: The Andromeda Strain
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 327 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1969
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1969
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-06-054181-4
Kurzinhalt:
Die Scoop-Satelliten der US-Regierung umkreisen die Erde, um Spuren von "außerirdischem Leben" im Erdorbit und in der oberen Atmosphäre zu sammeln – im Jahr 1969 stürzte eine der Sonden in einer spärlich bewohnten Gegend in Arizona ab. Kurz nachdem die Einwohner des Dorfes Piedmont den künstlichen Himmelskörper sichergestellt und untersucht hatten, waren die meisten Bewohner tot.
Als sich die Hintergründe und die möglichen Auswirkungen der Krise offenbarten, wurden die vier bekannten und renommierten Wissenschaftler Dr. Stone, Dr. Hall, Dr. Burton und Dr. Leavitt, alle Mitglieder des geheimen US-Regierungs-Projekts "Wildfire", mobilisiert, um die Ursache für das Massensterben, ein mögliches Gegenmittel und vor allem die Ansteckungsgefahr des auf den Namen "Andromeda" getauften Virus zu ermitteln, das sich offensichtlich an Bord der Sonde befand.
Es begann eine Krise, die fünf Tage dauerte – Andromeda chronologisiert dieses Ereignis.
Kritik:
Für sein Erstlingswerk, das Autor Michael Crichton vor 37 Jahren unter dem Pseudonym Jeffery Hudson schrieb, A Case of Need [1968], erhielt er den Edgar Award für den besten Mystery-Roman des Jahres. Es folgte bereits im Jahr darauf Andromeda, bei dem Crichton, wie er selbst sagt, zuerst den Titel entschieden hatte und danach lange Zeit auf der Suche nach einer Geschichte war, die dazu passen würde. Von einem Tutor in einer wissenschaftlichen Abhandlung auf ein Thema gebracht, machte sich der damals 25-jährige Crichton daran, den Roman zu verfassen und sandte seine erste Fassung an seinen neuen Lektor Bob Gottlieb, der ihm antwortete, er müsse den gesamten Roman von Anfang bis Ende umschreiben, sollte er je veröffentlicht werden. Von Gottliebs ausgezeichnetem Ruf beeindruckt, machte sich der junge Autor daran, das Werk umzuschreiben und versuchte auch, die "Authentizität" herzustellen, die sein Lektor gefordert hatte. Den Anweisungen folgend, stellte sich Michael Crichton vor, woher er seine Informationen bekommen hätte, welche Quellen er zitieren würde, was wäre, wenn die Geschehnisse in Andromeda real wären.
Als Crichton das umgeschriebene Manuskript an seinen Editor sandte, meinte dieser, er habe sehr gute Arbeit geleistet – und müsse nur noch die Hälfte erneut umschreiben. Erneut erklärte sich Crichton einverstanden und wurde von Gottlieb fortan immer wieder kontaktiert, um Kleinigkeiten im Roman zu ändern, neu zu verfassen oder zu ergänzen. Inzwischen ist Crichton dankbar für die Arbeit seines Lektors, und gesteht ein, dass er damals nicht wusste, wie rar solch gute Editoren sind. Was ihn dabei selbst faszinierte, war, dass viele Menschen nach der Veröffentlichung des Romans davon überzeugt waren, dass es ein Tatsachenbericht sei, dass die Installationen, die Untersuchungsmethoden, usw. tatsächlich existieren würden. Umso erstaunlicher war es, dass das Filmteam um Regisseur Robert Wise, das eine Rohfassung des Buches wenig später als Vorlage für den Film Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All [1971] nutzte, die meisten Technologien vorfand, die Crichton ansich frei erfunden hatte.
Ob man den Autor für seine seherischen Fähigkeiten nun bewundern sollte oder nicht, sei jedem selbst überlassen – tatsächlich beeindruckend und auch verblüffend ist der authentische Stil, mit dem Crichton seinen ersten Techno-Thriller erzählt. Dabei nutzt er viele Stilmittel, die man in der Form bei ihm später selten gesehen hat, um die Neugier des Leser zu halten und dennoch den dokumentarischen Charakter des Werks zu unterstreichen. So nimmt er in Andeutungen kommende Ereignisse und Recherchefehler des Wildfire-Teams vorweg, kündigt Änderungen an und lässt auch immer wieder Abschnitte aus, an die sich die Figuren in (später stattfindenden Unterredungen) nur wage erinnern können.
Diese Stilbrüche erschweren bisweilen den Lesefluss, halten dabei aber das Interesse konstant und steigern mitunter merklich die Spannung im ansich sehr einfach erzählten Science-Fiction-Thriller, der seine größten Interessenspunkte daraus zieht, dass man selbst wissen möchte, wie sich die Infektion durch den Andromeda-Stamm entwickelt und wie das Forschungsteam versucht, dem Virus Einhalt zu gebieten.
Doch gerade rückblickend offenbaren sich hier auch die Schwächen von Crichtons erstem großen Genrewerk: Denn während immer wieder Andeutungen gemacht werden, was sich ereignen könnte, bleiben wirkliche Erklärungen letztlich aus. Man bekommt keinen Abschluss für die Story um den Andromeda-Erreger geliefert, und auch die Figuren werden im Endeffekt in medias res zurückgelassen, woran auch der Epilog wenig ändert.
Die Story selbst entfaltet sich allerdings überraschend schnell, konfrontiert den Leser mit einer Vielzahl erschreckender und dabei doch nicht so abwegiger Szenarios, die zur Zeit, als der Roman erschien (im selben Jahr fand die erste bemannte Mondlandung der Apollo 11-Mission statt) noch greifbarer waren. Was der Geschichte allerdings etwas zu fehlen scheint, ist ein richtiger Gegner für das Wildfire-Team, denn auch wenn der Andromeda-Virus eine konstante Bedrohung darstellt, die Verhaltensmuster, eine Änderung des bedrohlichen Charakters, tritt erst sehr spät im Roman ein. Hier hätte man sich ganz ohne Zweifel etwas mehr Komplexität gewünscht.
Selbiges gilt auch für die Figuren, von denen verständlicherweise vier im Mittelpunkt stehen. So vermisst man nicht nur ein Konfliktpotential, das sich in der sehr engen und stressigen Arbeitsumgebung des Wildfire-Teams hätte entladen können, vielmehr scheinen die vier Hauptpersonen, obgleich mit Hintergrund und Werdegang versehen, mehr oder weniger eindimensional und ohne besondere Charakterzüge.
Zwar arbeiten alle nur in ihrem speziellen Fachgebiet, aber allein durch ihre Verhaltensweise hätte man bei vielen Situationen die Namen der Charaktere untereinander austauschen können, ohne den Inhalt des Romans zu verändern. Richtige Charakterentwicklungen sucht man außerdem vergebens und auch eine Besorgnis der Figuren bezüglich ihren Familien, Ehefrauen und Kindern, wird völlig übergangen.
Baut sich die Spannung im Roman durchgehend weiter auf, und ist man als Leser immer der Meinung, dass sich die Auflösung im nächsten Kapitel verstecken könnte, kommt das Finale dann doch recht überraschend und ist ebenso schnell auch schon wieder vorbei. Etwas ärgerlich ist das insofern, als dass man sich im Wildfire-Komplex ein wirklich komplexes Finale auf mehreren Ebenen hätte vorstellen können, bei dem auch alle Mitglieder des Teams etwas zu tun hätten. Doch hier scheinen Crichton etwas die Ideen ausgegangen zu sein und nach den vielen Andeutungen sieht man als erfahrener Leser den Ausgang des Finales, bevor es überhaupt recht begonnen hat.
Nichtsdestotrotz ist Michael Crichtons Einstand im Techno-Thriller-Genre mehr als nur gelungen; mit einer aktuellen und vor allem visionär-realistischen Story, viel Einfallsreichtum und einem dokumentarischen Stil, der stellenweise zu überzeugend scheint, entführt der Autor seine Leser in die Welt des Andromeda Strain (so der Originaltitel) und zeigt auf, wie eine Gruppe exzellenter Wissenschaftler versuchen würde, einem extra-terrestrischen Krankheitserreger Herr zu werden. Ob dies in Wirklichkeit ähnlich ablaufen würde, sei dahingestellt, es liest sich aber nicht nur sehr flüssig und packend, sondern vor allem mit dem Quäntchen Realismus, das vielen anderen Autoren des Genres fehlt. Und lässt man die mangelnde Charakterentwicklung und die etwas einfach gestrickte Grundstory außer Acht, könnte Andromeda ebenso gut aus dem Jahr 1999 stammen – stilistisch ist Crichtons zweites Werk so zeitlos wie viele seiner meisten anderen.
Fazit:
Dass sich der Autor trotz der vielen technischen und medizinischen Ausdrücke sehr einfach gibt und seinen Lesern ein recht leichtes, vor allem aber schnelles Lesegefühl vermittelt, trägt zur durchweg guten Atmosphäre des Romans entscheidend bei.
Ich fand es erneut sehr interessant zu beobachten, wie Michael Crichton seine Leser mit zahlreichen Quellzitaten, Verweisen und sehr passend eingebrachten Bilder, Tabellen und "Beweis"-Unterlagen verunsichert und ihnen so vorgaukelt, sie würden tatsächlich einen Tatsachenbericht lesen, anstatt einen fiktiven Science-Fiction-Roman, dem jedoch durchaus ein glaubhaftes Thema zu Grunde liegt. Dank der zahlreichen Handlungsebenen, des sich steigernden Spannungsbogens und der scheinbar nicht zusammenhängenden Handlungsstränge, die im Verlauf des Romans zusammengeführt werden, blieb ich als Leser auch dann noch interessiert, wenn die vorgestellte Situation, die beschriebene Technik allzu fantastisch erschien, und auch manche medizinische Fakten werden seither, zugegeben, anders präsentiert, als es vor immerhin 35 Jahren der Fall war.
Doch ist The Andromeda Strain aus heutiger Sicht immer noch ein wirklich guter Techno-Thriller, der eindrucksvoll beweist, dass Crichton seinen Stil schon bei seinen frühen Werken zu nutzen vermochte, wenngleich er ihn später perfektionierte. Allerdings nagt an dem Roman der Zahn der Zeit, weswegen heute weder der wissenschaftliche Hintergrund vollkommen überzeugen kann, noch die zugegebenermaßen blassen Charaktere, die sich durch eine durchweg spannende und überraschungsreiche Geschichte schlagen dürfen.