Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit [2018]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 18. Februar 2019
Genre: Drama / BiografieOriginaltitel: On the Basis of Sex
Laufzeit: 120 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Mimi Leder
Musik: Mychael Danna
Darsteller: Felicity Jones, Armie Hammer, Justin Theroux, Sam Waterston, Kathy Bates, Cailee Spaeny, Jack Reynor, Stephen Root, Chris Mulkey, Gary Werntz, Francis X. McCarthy, Ben Carlson
Kurzinhalt:
Als Ruth Bader Ginsburg (Felicity Jones) Mitte der 1950er-Jahre in Harvard Jura studiert, ist es ihr größter Wunsch, Anwältin zu sein. Aber nicht nur, wie wenige Frauen überhaupt für das Studium zugelassen werden, zeigt ihr, dass ihre Ziele nur schwer erreichbar sein werden. Jahre später, nachdem sie trotz eines Abschlusses mit Bestleistungen keine Anstellung als Anwältin gefunden hat, unterrichtet sie als Professorin. Ihre Ehemann Martin (Armie Hammer), selbst Anwalt für Steuerrecht, macht sie auf den Fall von Charles Moritz (Chris Mulkey) aufmerksam. Der wurde als Steuerhinterzieher verurteilt, da er eine Steuervergünstigung geltend machen wollte, die von Gesetzes wegen nur Frauen gewährt wird. Diese Diskriminierung auf Grund des Geschlechts sieht Ruth als möglichen Ausgangspunkt, eine wirkliche Gleichstellung zwischen Mann und Frau richterlich durchsetzen zu können. Mit ihrem Mann an ihrer Seite übernimmt sie die Berufung des Falles und sieht sich vor Gericht Männern aus ihren Studientagen, darunter Harvard-Dekan Griswold (Sam Waterston), gegenüber. Auf ihren Schultern lastet dabei nicht weniger als die Hoffnung aller Frauen auf eine tatsächliche Gleichbehandlung …
Kritik:
Man könnte meinen, ein biografisches Drama um eine Frau, die vor beinahe 50 Jahren für die Abschaffung der Diskriminierung in der US-amerikanischen Gesetzgebung einen wegweisenden Sieg errang, könnte kaum etwas zur heutigen Debattenkultur beitragen. Dabei führt Mimi Leders teils recht juristisch geprägter Film Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit nicht nur die Notwendigkeit des damaligen Rechtsstreits und seine Auswirkungen vor Augen, sondern auch, was er für die heutige Zeit an Lehren – und Aufträgen – beinhaltet.
So leicht es fällt, die grundsätzliche Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau als Selbstverständlichkeit zu begreifen, so leicht ist es auch, zu vergessen, dass der heutige Stand das Ergebnis eines langsamen Prozesses und eines ebenso langen Kampfes um Anerkennung und Gleichbehandlung darstellt. Vielleicht macht genau das es den rückwärts gewandten Kräften heute einfach, ein antiquiertes Rollenverständnis als salonfähig anzupreisen, das vor gar nicht allzu langer Zeit noch gang und gäbe war. Doch ich schweife ab.
Die Berufung erzählt die Geschichte von Ruth Bader Ginsburg, die im Jahr 1956 an der juristischen Fakultät von Harvard studierte. Sie folgte ihrem Mann nach, der im Studium ein Jahr über ihr war. Es ist erst das sechste Jahr, dass Frauen dort überhaupt zum Jurastudium zugelassen sind und sie ist eine von neun in diesem Jahrgang.
Hört man die vielen kleinen Spitzen der männlichen Studenten und Professoren um sie herum, dass sie sich beispielsweise beim Dinner des Dekans dafür rechtfertigen sollen, weshalb sie einen Studienplatz belegen, der von einem Mann hätte wahrgenommen werden können, dann verdeutlicht das, an welchem Platz Frauen in dieser Gesellschaft gesehen werden. Es wäre aber zu leicht, würde Die Berufung alle Männer als Chauvinisten darstellen, die ihre Frauen unterdrücken. Zwar hat es Ruth insbesondere in der zweiten Hälfte, wenn die Gerichtsszenen vorbereitet oder dann gezeigt werden, mit Männern zu tun, die auf Grund eines absurden Verständnisses der „natürlichen Ordnung“ oder da sie ihren eigenen Platz in der Gesellschaft gefährdet sehen. Aber gleichzeitig hat sie in ihrem Ehemann Martin ihren größten Fürsprecher und jemanden, der stets an sie glaubt. Dass sich Armie Hammer zurückhaltend und unterstützend unterordnet, er zwar in dem ein oder anderen Moment ins Rampenlicht tritt, aber ebenso schnell wieder zurückweicht, so wie es bei den Figuren ebenfalls der Fall ist, ist ihm hoch anzurechnen.
Die Inspiration bezieht die Geschichte aus Ruth Bader Ginsburg selbst. Sieht man, wie sie, als ihr Mann schwer erkrankt, zu ihrem eigenen Studium die Vorlesungen ihres Mannes ebenfalls besucht, um ihm die Inhalte abends weitergeben zu können, während sie jedoch auch ihre kleine Tochter erziehen muss, wird die Herausforderung, ja die Belastung, der sie sich gegenüber sieht, spürbar. Hauptdarstellerin Felicity Jones verkörpert die Frau, die Geschichte schreiben würde, nicht nur mit einer inneren Stärke, sondern, als würde es angesichts der ständigen Ungleichbehandlung ununterbrochen in ihr brodeln und sie müsste explodieren, würde sie nichts unternehmen.
Ruth folgt ihrem Mann als Jahrgangsbeste nach dem Abschluss nach New York, findet dort jedoch in keiner Kanzlei eine Anstellung. Schweren Herzens übernimmt sie stattdessen eine Professur und unterrichtet damit die nächste Generation an Studentinnen und Studenten in Jura, die selbst die Welt verändern möchte. Aber während sie dies mit Demonstrationen unterstreichen, muss Ruth erkennen, dass sich ihr eigener Traum, etwas in der Welt zu verändern, so nicht erfüllen wird.
Obwohl Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit sich anfühlen mag, als wäre es eine Biografie, handelt der Film hauptsächlich von Ruths Kampf für den vermeintlichen Steuerhinterzieher Charles Moritz. Der alleinstehende Mann wollte die Kosten für die Pflegekraft seiner Mutter steuerlich geltend machen, was per Gesetz jedoch nur Frauen oder verwitweten bzw. geschiedenen Männern möglich ist. Da das Gesetz somit jedoch eine Verletzung des verfassungsgemäßen Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellt, strebt Ruth eine Berufung an, in der Hoffnung, dies wäre der Anstoß für eine Korrektur der diskriminierenden Gesetzgebung. Wie bereits erwähnt, beleuchtet die Geschichte die Art der amerikanischen Gesetzgebung und Rechtsprechung, so dass wer damit nicht rudimentär vertraut ist, sich mitunter schwertun wird, den Auswirkungen der Überlegungen des Films zu folgen. Dabei machen ihn gerade diese Aspekte überaus lohnenswert. Denn nur wenn man versteht, woher der aktuelle Stand der Gleichberechtigung kommt, kann man die Anzeichen erkennen, wenn ein immer wieder propagierter, vermeintliche Fortschritt zurück in die Vergangenheit führt.
Fazit:
Teenagertochter Jane, die von der für ihre Grundrechte demonstrierenden Bewegung der Gleichberechtigung mitgenommen wird, ist hier nur der Funke, der in der Hauptfigur das unauslöschbare Feuer entzündet. Aber auch wenn Filmemacherin Mimi Leder diesen Teil des Lebens von Ruth Bader Ginsburg beleuchtet, Vieles bleibt im Dunkeln. Inwieweit sich das Drama als Biografie eignet, sei deshalb dahingestellt. Die grundsätzliche Frage ist, ob es über das Niveau einer Fernsehproduktion hinauswächst. Sie ist nicht leicht zu beantworten. Ausstattung, Kleidung, Autos oder Accessoires tragen zur Authentizität der beschriebenen Zeit ungemein bei. Dennoch entwickelt der Film nur in wenigen Momenten die emotionale Zugkraft ,die man erwarten würde, beinahe, als würde nicht deutlich, was auf dem Spiel steht. Doch das ändert nichts daran, dass die starke Besetzung von zwei tollen Darbietungen getragen wird und das Plädoyer bei der letztendlichen Gerichtsverhandlung zu den besten Dialogszenen des vergangenen Kinojahres gehört. Als Porträt und Mahnmal gleichermaßen für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung, kommt Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit angesichts des erneuten Aufkeimens überholter Rollenmodelle genau zur richtigen Zeit. Schon deshalb lohnt sich hier das Zusehen – und Zuhören.