303 [2018]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 6. Juni 2018
Genre: Liebesfilm / Drama

Originaltitel: 303
Laufzeit: 139 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Hans Weingartner
Musik: Michael Regner
Darsteller: Mala Emde, Anton Spieker, Arndt Schwering-Sohnrey, Thomas Schmuckert, Jörg Bundschuh, Steven Lange, Martin Neuhaus, Hannah Schröder, Sophie Tschannett


Kurzinhalt:

Es ist ein Zufall, dass sich Jule (Mala Emde) und Jan (Anton Spieker) auf einem Rastplatz in der Nähe von Berlin treffen. Beide sind 24 Jahre alt und Studenten, wobei Jule gerade durch eine wichtige Prüfung ihres Biologiestudiums gefallen ist. Sie ist in ihrem Oldtimer-Wohnmobil auf dem Weg nach Portugal, um ihrem Freund etwas Wichtiges zu sagen. Politik-Student Jan hat gerade erfahren, dass sein Stipendium wegfallen wird und möchte seinen leiblichen Vater in Spanien kennenlernen, den er noch nie zuvor getroffen hat. An sich soll Jule Jan nur bis nach Köln mitnehmen, doch dann fahren sie weiter. Die langen Gespräche während der Fahrt drehen sich um alles mögliche und werden dabei immer persönlicher. Es entsteht eine Anziehungskraft zwischen beiden, die nicht beabsichtigt sein mag und die beide anfangs auch nicht bemerken, der sie sich aber auch nicht entziehen können …


Kritik:
Hans Weingartners 303 ist ein dialoghaltiges Road Movie, in dem im Grunde nicht viel passiert und doch beschreibt der Filmemacher vielleicht das Wichtigste auf der Welt. Er begleitet zwei vom Wesen her gar nicht so unterschiedliche, gleichzeitig in ihren Ansichten jedoch grundverschiedene Figuren auf einer Reise durch Europa, an deren Ende sie selbst stehen und in deren Verlauf sie gleichermaßen zu sich und zu einander finden. Das ist nicht nur malerisch bebildert und mit einem hervorragenden Soundtrack versehen, es ist auch ein Film, der einen glücklicher zurücklässt, als man zu Beginn war.

Getragen wird die Geschichte von Mala Emde in der Rolle von Jule und Anton Spieker als Jan. Jan und Jule treffen sich auf einer Raststätte, beide sind 24 Jahre alt und auf dem Weg aus Berlin heraus. Jule möchte nach Portugal, um ihrem Freund Alex eine wichtige Nachricht mitzuteilen. Jan hingegen nach Spanien, um seinen leiblichen Vater zum ersten Mal zu sehen. Als er von einer Mitfahrgelegenheit versetzt wird, spricht er Jule an, die einverstanden ist, ihn einen Teil des Weges in ihrem Wohnmobil, Modell Mercedes Hymer 303, mitzunehmen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten beginnen sie einen Road Trip, der sie aus Deutschland über Belgien bis nach Frankreich und eben Spanien sowie Portugal führt. Dabei unterhalten sie sich über Gott und wie Welt, Politik und Gesellschaft (mit sehr deutlicher Kapitalismuskritik), Liebe und Zukunft. Je länger sie unterwegs sind, umso mehr scheint das eigentliche Ziel an Bedeutung zu verlieren – und umso mehr gewinnt ihr Austausch untereinander.

Auf behutsame Weise beschreibt 303, wie sich der Umgang von Jule und Jan miteinander wandelt. So sind ihre Gespräche anfangs ein Dialog, bei dem jeder die eigenen Ansichten vorträgt und der andere darauf antwortet, ohne den eigenen Standpunkt jedoch zu überdenken. Aber je mehr Zeit sie miteinander verbringen, umso eher sind sie bereit, ihre unterschiedlichen Meinungen zu hinterfragen, die Positionen der bzw. des anderen anzunehmen. Mehr noch: Die Meinung des Gegenübers gewinnt für sie an Wichtigkeit. Regisseur Weingartner präsentiert sehr viele Dialoge, die mitunter länger als notwendig um dasselbe Thema kreisen. Einige sind für die Geschichte selbst gar nicht notwendig, tragen jedoch zur Bildung der unterschiedlichen Charaktere bei.

Auch wenn sich Jan und Jule immer besser verstehen, erkennt Jan viele Anzeichen nicht, die sich an Jules Verhalten abzeichnen. Er erzählt beispielsweise ausschweifend über das Schwangerwerden und die biochemische Anziehungskraft zwischen Mann und Frau, ohne zu sehen, dass Jule selbst schwanger ist. Es ist nicht, dass Jan unsensibel oder egoistisch wäre, ganz im Gegenteil; wenn er die Zusammenhänge endlich erkennt, ist er aufrichtig betroffen, nur eben in gewisser Hinsicht etwas „schwer von Begriff“. Das Bemerkenswerte an den Dialogen ist, wie natürlich sie klingen und wie mühelos sie von oberflächlichem Smalltalk zu einem wahren Kern führen und mitunter sogar unvermittelt einen wunden Punkt treffen.
Dass dies gelingt, liegt zum großen Teil an den beiden Jungdarstellern im Zentrum von 303. Sowohl Mala Emde als auch Anton Spieker sind eine wahre Entdeckung, ihre Darbietungen gleichermaßen unverfälscht und ungefiltert, als würde man eine Dokumentation betrachten. Zu beobachten, wie sich zwischen ihnen ein zartes Band entwickelt, besitzt eine ganz eigene Faszination.

Auf der Reise durch Europa findet Hans Weingartner Bilder und Landschaftsaufnahmen, die dazu beitragen, dass das Publikum loslassen kann und lernt, den Moment als solches anzunehmen. Nicht als Wegstation einer stets voran preschenden Geschichte, sondern für sich genommen auf Grund der Wirkung der jeweiligen Situation. Zusammen mit der erstklassigen Musikauswahl lässt einen das zur Ruhe kommen. 303 vermittelt ein Gefühl der Freiheit, die die wachsende Intimität zwischen den beiden Hauptfiguren überhaupt erst zulässt. Das ist inhaltlich weder bahnbrechend neuartig, überraschend oder innovativ, aber das macht den Liebesfilm nicht zu einer weniger warmherzigen Erfahrung. So wie Jule und Jan hier nicht die Autobahn nehmen, um schnellstmöglich ihr Ziel zu erreichen, sondern auf Landstraßen die Wege entdecken, ist es erstaunlich, wie gut es tut, diese Figuren behutsam kennenzulernen, anstatt durch ihre Geschichte gehetzt zu werden. Das ist allein der „Erfahrung“ dieses Road Trips wegen bereits sehenswert.


Fazit:
Zweieinhalb Stunden für einen dialogreiches Road Movie klingen lang und tatsächlich ist 303 gute 30 Minuten länger, als er sein sollte. Dabei trägt gerade die ruhige, sorgsame Erzählung dazu bei, dass man die Entstehung der Anziehungskraft zwischen Jule und Jan beobachten kann. Anstatt von einem Algorithmus einer Dating-Plattform zusammengeworfen zu werden, lernen sie einander kennen – und verstehen. Zu sehen, wie sie schließlich zu einander finden, sie gegenseitig ihren Tag erhellen, macht unsere hektische Welt ein Stück weit farbenfroher angesichts eines so greifbaren Glücks. Regisseur Hans Weingartner erzählt seinen Road Trip wie eine besinnliche Meditation und ein Liebesfilm, bei dem das Publikum Zeit bekommt, die Seele baumeln zu lassen. Ja, 303 mag lange sein, zu lange sogar, aber es ist nichtsdestoweniger eine malerisch bebilderte und romantisch-poetisch erzählte Erfahrung, der Reise der beiden beizuwohnen.