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WhatYouSeeIsWhatYouForget | von Jens am 04.11.2009, um 15:00 Uhr. |
Gerade einmal fünf Wochen nach der jüngsten Bundestagswahl muss man sich (schon) wieder die Frage stellen, wie lange die Halbwertszeit eines deutschen Durchschnittsgedächtnisses ist. Nicht nur, dass die einstigen Wahlversprechen nun nicht mehr sind als ein Schatten ihrer selbst, auch scheint es niemanden mehr zu interessieren, was überhaupt versprochen wurde. Die Tagespresse hat sich anderen Themen gewidmet und der Normalbürger hat ohnehin die Nase voll von der Politik und wünscht sich nun wieder spannendere Themen. Dabei werden die großen Umstellungen erst noch kommen und sehen letztlich ganz anders aus, als die in Aussicht gestellten. Immerhin nimmt die Politbühne derzeit dabei keine Sonderstellung ein. Sieht man sich einmal genauer um, muss man sich fragen, ob all das was man zu sehen bekommt, überhaupt noch die Realität ist, oder gar nur das, was einem als real vorgegaukelt wird. |
Dass solche Themen nur aktuell sind, wenn das WWF neue Studien veröffentlicht, dann aber wieder rasend schnell in der Versenkung verschwinden, ist an sich eine Schande. Dabei sind es gerade die Lebensmittel, die bei genauerem Hinsehen momentan überall wieder unfreiwillig ins Rampenlicht gerückt werden.
So finden Interessenten auf der Internetseite der Verbraucherzentrale Hamburg gar so viele Informationen zum Thema, dass man fortan am liebsten gar nichts mehr essen wollte. In übersichtlichen Listen gesammelt finden sich dort nicht nur Lebensmittel, bei denen seit der Liberalisierung der Verpackungsordnung durch die EU kräftig an der Preisschraube gedreht wurde (unsichtbar versteht sich), sondern auch Lebensmittel, deren Inhalt letztlich gar nicht zum Namen auf dem Etikett passt.
Ein Beispiel ist hier die Modeerscheinung der Wasabi Erdnüsse (Firma Lorenz), wo der japanische Meerrettich Wasabi leider vollkommen fehlt. Stattdessen wird mit Geschmacksverstärkern und Farbstoffen gearbeitet. Oder Surimi-Garnelen, die aus gepresstem Fischeiweiß bestehen. Selbst bei vermeintlich harmlosen Produkten wie Fol Epi Nuss findet sich kein wirklicher Käse, sondern eine Schmelzkäsezubereitung, die nur zu zwei Dritteln aus Käse besteht und ansonsten mit Zusatzstoffen versetzt wurde. Wenn sich zudem bei einem Bio-Erfrischungsgetränk der Rewe Handelsgruppe GmbH statt Ananas und Citrus wie auf dem Etikett nur Zucker, färbende Extrakte und Aromen wiederfinden, verliert man schließlich ganz das Vertrauen in die Lebensmittelindustrie.
Da nimmt man sich als geringeres Übel lieber eine Auflistung zur Hand, bei der alte und neue Verpackungsgrößen miteinander verglichen werden. Wer hätte gedacht, dass bei I Love Milka Nuss-Nougat inzwischen 25g weniger drin sind, der Preis aber gleich geblieben ist? Insbesondere bei einer solchen Verpackung der Pralinés fällt das kaum auf. Gleichzeitig sind beinahe alle Schokoriegel indirekt im Preis hochgeschnellt – in fast allen findet sich weniger Inhalt. Auch bei der Tiernahrung macht dieser Trend nicht halt, Frolic-verwöhnte Hunde bekommen bei Unterwegs mit Rind nur noch 180 statt 200g serviert. Selbst in Teebeuteln, die zuvor 3g pro Beutel gehalten haben, sind neurdings nur noch 2,25g enthalten. Erschreckend ist in dem Zusammenhang auch, dass bei Iglos Schlemmer-Filet a la Bordelaise, in dem sich bislang immerhin 70% Fisch befunden haben, inzwischen nur noch 52% enthalten sind – der Rest wird mit der panadeartigen Auflage aufgefüllt. Und wer der Meinung ist, dass jener Trend nur bei Markenartikeln zu beobachten ist, dem sei versichert, dass auch die Eigenmarken der Discounter angepasst wurden. Bei Rossmann beispielsweise bekommen junge Eltern zwei Windeln weniger in der Packung. Ob die Plakate zur nächsten "Preissenkungsrunde bei Discountern", mit denen überall geworben wird, als Verhöhnung der Konsumenten zu verstehen sind, darf jeder für sich entscheiden.
Sieht man sich auf dem Portal der hamburger Verbraucherzentrale um, kann man immerhin erkennen, dass einige Erfolge bereits erzielt wurden. Beispielsweise verwendet die Schnellpizzakette Ditsch seit einiger Zeit keinen Analogkäse mehr – dafür sind auch die Preise nach oben gegangen. Und Abmahnungen wie beispielsweise an Hersteller von Zitronenkuchen, in denen keine Zitrone enthalten war, sind erfolgreich verlaufen. Die meisten Lebensmittelproduzenten schweigen sich aber zu Vorwürfen der Mogelverpackung oder der Käufertäuschung aus – und das leider ebenfalls mit Erfolg, denn die Konsumenten scheinen daraus keine Lehren zu ziehen.
Insofern ist es für unser Land schon exemplarisch, wenn in einer Pressekonferenz der Berlin-Korrespondent der holländischen Tageszeitung "De Telegraaf", Rob Savelberg, die neue alte Bundeskanzlerin Angela Merkel offen darauf anspricht, wie sie einem Mann wie Wolfgang Schäuble künftig das Finanzministerium anvertrauen kann, wenn dieser während des Skandals um Waffenhändler Schreiber "vergessen hat", dass er 100.000 DM des Herren bei sich im Hause gelagert hatte. Als die Regierungschefin mit einem lapidaren "der Mann hat mein Vertrauen" antwortete und der Journalist nochmals nachhakte, wurde die Frage abgewürgt und übersprungen.
Als wäre es nicht schon blamabel genug, dass jene kritische und berechtigte Frage nicht von einem inländischen Journalisten stammte, dass es sich irgendjemand, der im Dienst der Öffentlichkeit steht, leisten kann, eine solche Frage zu ignorieren, ist im Grunde genommen eine Frechheit und eine Ohrfeige für alle Bürger in diesem Land. Aber auch hier scheinen die deutschen Medien nur ein Kurzzeitgedächtnis zu besitzen. Davon abgesehen wurde jener "Vorfall" interessanterweise an den meisten Stellen übersprungen, wer darauf hofft, etwas in den großen Zeitungen oder den Fernsehsendungen darüber zu erfahren, wird lange warten können. Auch stellen die Talkshowgastgeber solche Fragen nicht. Oder zumindest nicht vor laufender Kamera.
Andererseits darf man schon lange nicht mehr für bare Münze nehmen, was man an Bildern vorgesetzt bekommt. Wer der Meinung ist, ein Bild sage mehr als tausend Worte, der sollte sich die in englischer Sprache gehaltene Internetseite PhotoshopDisasters ansehen. Dort werden Pannen vorgestellt, die bei den überall eingesetzten Retuschierungen von Fotos auftraten. Wer also denkt, dass Bratt Pitt und Angelina Jolie immer dicht an dicht laufen, der wird sich eines Besseren belehren lassen können. Ebenso diejenigen, die der Meinung sind, die Figur eines Model wäre auch natürlich. Mittels einfacher Bildbearbeitung werden nicht nur Körpermaße geändert und ergänzt, es werden Wahrheiten geschaffen, die einmal gedruckt kaum mehr rückgängig gemacht werden können.
So sollte man also auch all dem, was in den großen Tagesboulevardblättern gedruckt wird, immer mit mehr Skepsis gegenüber stehen, als es die meisten Menschen auf der Welt tun. Wir denken, darüber sind sich viele Gelehrte einig, in Bildern. Gleichzeitig versucht unsere moderne Welt mit einer wahren Bilderflut, den Menschen das Denken aber grundsätzlich zu ersparen. Wer darauf setzt, dass wie vor 100 Jahren ein Bild auf der Titelseite so aussagekräftig ist, dass es an sich keine Titelzeile mehr benötigt, der sollte sich vielmehr überlegen, ob ein Bild, das durch die internationale Presse geistert, überhaupt noch glaubwürdig ist.
Um letztlich irgendeine Konsequenz daraus zu ziehen, sei es aus einer angekündigten Steuerreform, die lediglich die Einnahmen umverteilt und somit mehr Menschen stärker zur Kasse bittet, oder der Art und Weise, wie und was die Lebensmittelkonzerne heutzutage in ihre Produkte verpacken, müssten die Menschen im Land aber zuerst in der Lage sein, sich eine solche Information länger als bis zur nächsten Soap-Opera im Fernsehen zu behalten. Denn so viele Menschen laut den aussagelosen Zuschauerzahlen das Bildungsfernsehen auch verfolgen, so wenige Menschen scheinen im Alltag auch entsprechend zu handeln und zu denken.
Der Sprung vom Goldfischgedächtnis hin zur Langzeiterinnerung muss vollzogen werden, um am nächsten Tag nicht schon vergessen zu haben, was im Alltag nicht stimmt. Hier treten die Medien in Aktion und bescheren uns jeden Tag aufs Neue Leid rund um die Welt, so dass wir nie anfangen, vor der eigenen Haustüre aufräumen zu wollen.
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