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Aggressionen für das Volk
Treffpunkt: Kritik Iustitia, die römische Göttin der Gerechtigkeit, wird nicht ohne Grund sehr oft mit einer Augenbinde dargestellt. Nur wenn sie nicht sieht, kann sie auch unvoreingenommen und unparteiisch urteilen. Wessen Blick, aus welchen Gründen auch immer getrübt ist, wird voraussichtlich falsch entscheiden. Das ist keine neue Weisheit, sondern schon so lange bekannt wie es Menschen gibt. Umso erstaunlicher ist es, und in gleichem Sinne bedenklich, wie häufig heute von einem unparteiischen Standpunkt abgerückt wird, um außerhalb des Rechtssystems selbst für eine eigene Definition für Gerechtigkeit zu sorgen.
Dies leben Staaten vor, welche ohne die Internationale Gemeinschaft zu konsultieren Kriege beginnen, obgleich sie durch die vor Jahrzehnten abgeschlossenen Verträge daran gebunden wären. Oder Videospiele, in denen der Spieler selbst zur Rache nehmenden Figur wird, die sich an seinen Feinden abreagieren kann. Aber auch das Medium Film macht davor nicht halt. Gehörten jene Selbstjustizreißer vor Jahren noch zu einer Randerscheinung, die sich zumeist an ein fragwürdiges Publikum richtete, ist diese Form der passiven Gewalt salonfähig geworden und offensichtlich massentauglich.
Es gibt Internetseiten, die sich mit nichts anderem beschäftigen, als mit der Berichterstattung über Horrorfilme und ähnlich gelagerte Veröffentlichungen. Es gibt speziell eine Seite, die vor Jahren bereits ins Ausland abwandern musste, weil man dort Bilder aus Filmen veröffentlicht, die in Deutschland nicht zu sehen sind. Die so genannten Schnittberichte vergleichen die internationalen oder ungeschnittenen Versionen mit den geschnittenen Kino-, TV- oder Heimvideofassungen. Dies nutzen Tausende Interessenten jeden Tag als Entscheidungshilfe, den Film in Deutschland zu erwerben, oder über andere Kanäle aus dem Ausland zu beziehen. Dabei machen in Deutschland verbotene Filme keine Ausnahme und wenn man sich auf jener Seite umsieht und angesichts einer Meldung über die Zensur eines unvorstellbar brutalen Folterfilms Kommentare der Besucher findet, die sich darüber entrüsten, dass ihnen so etwas vorenthalten wird, beginnt man als normaler Mensch durchaus, sich Sorgen zu machen. Oder ist es nicht bedenklich, wenn sich eine bestimmte Zuschauergruppe darauf freut, in der kommenden, um neun Minuten längeren Fassung von Gesetz der Rache eine weitere Gewaltszene vorfinden zu können und nur das als Anhaltspunkt nimmt, den Film zu erwerben?
Gedanken macht man sich umso mehr, da der Markt für die Gewalt verherrlichenden Filme in den letzten Jahren enorm an Präsenz zugenommen hat. Ganz einfach schon deshalb, weil sich immer mehr bekannte Gesichter in ihnen wiederfinden. Sei es Mel Gibson, der in Auftrag Rache die Verantwortlichen hinter dem Tod seiner Tochter ausfindig macht und zur Strecke bringt. Selbst Daniel Craig in Defiance – Unbeugsam war letztlich nichts anderes als ein Selbstjustizfilm, wenn auch vor der Kulisse der Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges. In Gesetz der Rache ist es Gerard Butler, der sich die Maxime "Auge um Auge" auf den Tagesplan brennt und auch Mark Wahlberg bleibt in Max Payne dem Name seiner Filmfigur treu und teilt ebenso viele Schmerzen aus wie er einsteckt. Bezeichnenderweise beruht der Film bereits auf einem Videospiel. Angelina Jolie war in Wanted ebenfalls die Quelle der angewandten Gewalt und wurde hierfür gar noch als Heroin glorifiziert. Gleich so Kevin Bacon in Death Sentence - Todesurteil, der 'nur' die Gerechtigkeit in die eigenen Hände nimmt.
Sieht man sich die Zuschauerstatistiken solcher Filme an, bewegen diese sich zumeist zwischen 15 und 29 Jahren, was insofern schon ein Absurdum ist, als dass die Filme meist unter 18 Jahren gar nicht freigegeben sind. Denn die Gefahr ist groß, dass leicht beeinflussbare Zuschauer (und derer gibt es auch volljährig so viele wie BILD-Leser) sich die Verhaltensmuster der Stars zueigen machen. Immerhin bleibt ein Star auch ein Vorbild, wenn er abseits der gesetzlichen Rahmenbedingungen handelt. Zudem verschafft es einer Zielgruppe Zugang zu hochkarätig produzierten Filmen, die sich bislang mit billigen Slasherfilmen behelfen musste.

Von diesem Genre ist es letztlich nur ein kleiner Sprung zu den so genannten Folterpornos, die sich an eine ähnliche Zielgruppe richten, also zumeist von denjenigen konsumiert werden, die ohnehin zu jung dafür sind, oder aber emotional und intellektuell nicht in de Lage, die Filme zu verarbeiten. Man wird kaum jemanden treffen, der zugibt, an der Saw-Filmreihe die Gewalt selbst schön und reizvoll zu finden. Vielmehr verweisen die Fans immer auf den psychologischen und gesellschaftskritischen Hintergrund. Wer sich einmal in eine solch fruchtlose Diskussion begibt, könnte den Brutalitätsfanatikern eine einfache Frage stellen: würden sie sich denn die Filme ansehen, wenn man zuvor alle brutalen Szenen entfernt? Dann bliebe ja nur noch der angeblich so hochinteressante Inhalt zurück.
Spätestens hier allerdings mauern dann die meisten Zuschauer mit nichtssagenden Kommentaren. Über die tatsächliche Bedeutung der ablehnenden Haltung machen sie sich keine Gedanken.

Die Frage bleibt im Raum, weswegen es für die viele Menschen in der heutigen Zeit so unterhaltsam scheint, anderen bei der Ausübung oder dem Erleiden von Gewalt zuzusehen. Die unbedarften, sicherlich nicht zimperlichen Actionmeiler der 1980er und 90er Jahre, die sich ebenfalls an ein erwachsenes Publikum richteten, sind offensichtlich ausgestorben. Es scheint auch, als wäre der Trend hin zum Massenkonsum der Selbstjustiz und Gewaltverherrlichung seit dem 11. September 2001 angestiegen. Zumindest wird man aus heutiger Sicht das Gefühl nicht los. Ganz eindeutig bedeutet jenes Datum einen nicht zu widerrufenden Einschnitt in der Art und Weise, wie gewaltbeinhaltende Filme erzählt werden. Nur scheint man sich insbesondere in Hollywood hierzu keine Gedanken zu machen, dass der seither eingeschlagene Kurs einen Verfall der Moral, der Werte und nicht zu vergessen der Hemmschwellen mit sich bringt.
Im Gegenteil, die Traumfabrik scheint darum bemüht, die billig zu produzierenden Brutaloschinken an den Mann und die Frau bringen zu wollen, solange der Markt noch nicht völlig übersättigt ist. Anders ist es nicht zu erklären, dass namhafte Darsteller und Regisseure inzwischen in Produktionen zu sehen sind, für die sie früher ihren Namen nicht hergegeben hätten.
Es bleibt auch hier strenggenommen ein Balanceakt zwischen Angebot und Nachfrage. Nur, woher kommt die heute so stark gestiegene Nachfrage? Vielleicht sollten wir uns alle selbst einmal kontrollieren, wenn wir beim Sehen oder Hören von schlimmen Nachrichten wieder denken, dass da jemand die Wiedergutmachung selbst in die Hand nehmen sollte. Womöglich liegt es daran, dass wir vom ersten Aufstehen bis zum Zubettgehen einer Flut an negativen Neuigkeiten ausgesetzt sind, die sich in zweierlei Reaktionen aufteilen können. Entweder man akzeptiert die Welt wie sie ist (und resigniert), oder man möchte eine Resignation nicht akzeptieren und wandelt sie in reaktionäre Gewaltfantasien um. Und diese scheinen beim Publikum der derzeit wieder auf Hochkonjunktur befindlichen Vergeltungs-Medien nach wie vor im Mittelpunkt zu stehen. Ganz egal wie sehr der Konsument beteuert, es ginge ihm um den einen oder anderen Aspekt.

Was kann man also tun?
Wer hierauf eine Antwort weiß, sollte sie nicht für sich behalten. Der aktuelle Trend ist beunruhigend genug, dass sich ein jeder dazu Gedanken machen sollte. Denn die einstige Randerscheinung ist längst ins Zentrum einer Multimillionendollarindustrie gerückt worden. Gegen die verrohende Wirkung insbesondere bei jungen Menschen kann man indes nicht argumentieren. Hierfür muss man leider nur die Nachrichten anschalten.
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