Untreu [2002]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 05. Oktober 2005
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: Unfaithful
Laufzeit: 124 min.
Produktionsland: USA / Deutschland / Frankreich
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Adrian Lyne
Musik: Jan A.P. Kaczmarek
Darsteller: Diane Lane, Richard Gere, Olivier Martinez, Erik Per Sullivan, Myra Lucretia Taylor, Michelle Monaghan, Chad Lowe, Joseph Badalucco Jr., Erich Anderson, Kate Burton, Margaret Colin, Larry Gleason, Dominic Chianese


Kurzinhalt:
Ansich fehlt in Connie Sumners (Diane Lane) Leben nichts – ihr Ehemann Edward (Richard Gere) ist in seinem Beruf sehr erfolgreich, ihr Sohn Charlie (Erik Per Sullivan) noch von der Pubertät entfernt, und auch sie hat ein ausgefülltes Berufsleben.
Doch als sie eines Tages auf den französisch-stämmigen Buchhändler Paul Martel (Olivier Martinez) trifft, wandelt sich ihr Leben. Sie fühlt sich zu dem deutlich jüngeren Mann auf eine Art und Weise hingezogen, wie es ihr selbst fremd ist. Die beiden beginnen eine Affäre, die Connie zuerst gut vor ihrer Familier verheimlichen kann; doch schon bald erfindet sie Ausreden, um in die Stadt zu fahren, belügt Edward wissentlich, der eine Veränderung in ihrem Verhalten spürt, und auch ihren Sohn vernachlässigt sie gegenüber Paul.
Während sich Connie selbst in einem Strudel aus Gefühlen gefangen sieht, den sie nicht durchbrechen kann, engagiert Edward den Privatdetektiv Frank Wilson (Dominic Chianese), der seiner Frau nachspüren soll – es beginnt eine Ereigniskette, die keiner der Beteiligten zu stoppen in der Lage ist ...


Kritik:
Die "Nouvelle Vague" ("Neue Welle") war eine im französischen Kino entstandene Stilrichtung während der späten 1950er Jahre. Bewusst gegen klischeehafte Handlungsverläufe und eine festgefahrene Bildersprache gerichtet versuchten junge Regisseure, sowohl intellektuelle wie realitätsnahe Themen auch in dem Stil einzufangen, ohne ausgeschmückte Studios mitten auf der Straße. François Truffaut, einer der bedeutendsten Regisseure der "Nouvelle Vague" meinte einmal, "Der Film von morgen wird ein Akt der Liebe sein"; wegweisend in dieser Stilrichtung, die ihre Ausläufer in die heutigen kommerziellen Filme Frankreichs hat, waren neben Truffaut auch Louis Malle und Claude Chabrol, der mit Die untreue Frau [1969] einen nach wie vor gern gesehenen Klassiker erschuf, der mit seiner kontroversen Story Weltruhm erlangte.
Und doch dauerte es über 30 Jahre, ehe man in Hollywood auf die Idee kam, die Geschichte ins Amerika der Jetztzeit zu verlagern, und mit einem amerikanischen Cast neu zuverfilmen. Die Story selbst wurde dafür verständlicherweise abgewandelt, und doch ist die Kernaussage erhalten geblieben, die klarer nicht sein könnte: Eine Affäre zerstört immer, im schlimmsten Fall Beteiligten.

Das Skript stammt aus der Feder von Alvin Sargent (Spider-Man 2 [2004]) und William Broyles, Jr. (Cast Away – Verschollen [2000]), die sich sehr viel Zeit nehmen, eine normale, glaubhafte und vor allem alltägliche Familie vorzustellen, die von alltäglichen Problemen geplagt wird. Auch die fatale Begegnung zwischen Connie und Paul erwächst aus einer gewöhnlichen Situation, und auch ihre gegenseitige Anziehung wird im ersten Drittel als ein zwar leideschaftliches, aber noch nicht zerstörerisches Element eingeführt, das sich aber im Verlauf des Films immer mehr wandelt.
Mit subtilen Mitteln stellen die Autoren heraus, wie sehr Connie der Affäre verfällt, wie sie beginnt ihre Familie, ihren Mann anzulügen, zu vernachlässigen und sogar ihren Sohn hinter ihren suchtartigen Bedrüfnissen anstellt. Ihr Fall ist dabei so glaubhaft wie unscheinbar, so schleichend wie verhängnisvoll, und dank der exzellenten Dialoge, die ebenso viel Subtilität wie offene Ehrlichkeit beinhalten, auch für den Zuschauer ergreifend dargebracht.
Die folgenschwere Wendung innerhalb der Story wird ebenfalls behutsam vorbereitet, kulminiert in einer Konfrontation, die sekündlich an Spannung zunimmt mit den besten Wortwechseln im Film gespickt sind, ehe das Drama um die Geschichte Sumner ihren unausweichlichen und doch erschreckend berauschenden Lauf nimmt. Zusehens verlageren die beiden Drehbuchautoren die Gewichtung des Films hin zu einem überaus realistischen und gerade deshalb Furcht einflößenden Szenario, dem sich keiner der Beteiligten scheint, entziehen zu können.
Die Handlungen der Figuren scheinen dabei gerade in Anbetracht der steigend stressbehafteten und fordernden Situationen überraschend natürlich und bisweilen in einem Maße nachvollziehbar, das einen als Zuseher abschrecken sollte – dank der pointierten, vielschichtigen Dialoge und der immer dichter, bedrückender werdenden Atmosphäre entfaltet das Drehbuch eine Sogwirkung, die nicht nur die Figuren mit sich zieht, sondern den Zuschauer gleichermaßen, der sich wie die Charaktere ohnmächtig fühlt, dem Geschehen zu entkommen.

Von der vielschichtigen und sehr gut ausgearbeiteten Vorlage profitieren selbstverständlich die Darsteller, allen voran Diane Lane, die für ihre Darbietung zahlreiche Nominierungen, darunter auch die des hochrangigen Oscars als beste Hauptdarstellerin bekam. Und das zurecht: sie spielt mit einer Intensität, die sowohl ergreift, als auch überrascht, dabei dennoch natürlich und mit einer Glaubhaftigkeit, die man kaum vermuten würde.
Gegen diese außergewöhnliche Leistung kommt Richard Gere zwar nicht ganz an, doch gibt er sich sichtlich Mühe, seine Figur für den Zuschauer greifbar zu machen, wobei auch er eine der besten Darbietungen der letzten Jahre zeigt. Ebenso wie Olivier Martinez, der schon auf Grund seines Filmcharakters unnahbar bleibt, und dies auch bewusst, aber in seiner Rolle voll und ganz aufgeht und keinerlei Grund zur Beanstandung lässt.
Auch Jungdarsteller Erik Per Sullivan versucht, sich selbst zu übertreffen, gleichwohl ihm das bereits in der englischen Originalfassung nicht so recht gelingt. Er macht seine Sache wirklich gut, kann aber in Hinblick auf den hervorragenden Main-Cast nicht an die drei Hauptakteuer heranreichen.
Auch an den übrigen Beteiligten gibt es nichts auszusetzen, sowohl Myra Lucretia Taylor, als auch Michelle Monaghan und Chad Lowe machen ihre Sache sehr gut. Leider ist von Gastdarsteller Dominic Chianese kaum etwas zu sehen, seine Szenen wurden meist gekürzt oder ganz aus dem Film genommen.
Die Besetzung ist sehr sorgfältig ausgewählt und vor allem so zusammen gestellt, dass sie in den Rollen glaubhaft erscheinen – wer hätte nach Pretty Woman [1990] gedacht, dass Richard Gere als alltäglicher Geschäftsmann überzeugen könnte? Wie man eindrucksvoll gezeigt bekommt, ist er auch jener Herausforderung problemlos gewachsen.

Auch wenn der inzwischen 64jährige, britische Regisseur Adrian Lyne nicht für allzu viele Filme verantwortlich zeichnet, seine Regieauswahl überrascht mit einem durchgängigen Thema, das er auch in Untreu erneut aufgreift; mit Flashdance [1983] gelang ihm ein Überraschungshit, 9 1/2 Wochen [1986] gilt nach wie vor als einer der einflussreichsten Filme seiner Art, und auch Eine verhängnisvolle Affäre [1987] ist ein Klassiker seines Genres. Selbst Ein unmoralisches Angebot [1993] beschäftigte sich mit dem Thema des Vertrauensverlusts innerhalb einer Beziehung und seinen Folgen. Einzig mit der Neuadaption des Skandalromans Lolita [1997] vermochte Lyne weder Zuschauer noch Kritiker zu überzeugen.
Was alle Filme jedoch gemein haben ist eine herausstechende Optik, die auch Untreu auszeichnet. Mit Kameramann Peter Biziou (oscarprämiert für Mississippi Burning - Die Wurzeln des Hasses [1988]) kleidet Lyne seinen Film in ebenso malerische wie melancholische Bilder, die nicht von ungefähr in ihrer Auswahl ein herbstliches Ambiente vermitteln und dabei bisweilen ebenso farbarm und farbenfroh geraten sind. Interessante, ungewöhnliche Perspektiven gekoppelt mit einem exzellenten Schnitt von Anne V. Coates (vier Mal oscarnominiert und ausgezeichnet für Lawrence von Arabien [1962]) gelingt den Beteiligten ein komponiertes, persönliches – gerade in den Liebesszenen sehr intimes Werk, das den Zuschauer als Teil des Geschehens sieht und ihn an den Höhe- und Tiefpunkten der Geschichte Teil haben lässt.
Die brilliante Perspektivenwahl und die herausragende Bilderfolge, die bisweilen temporeich, stellenweise unheilahnend, stets aber interessierend und lockend geraten ist, machen Untreu zu einem der bestfotografierten Filme seines Jahres – wobei es die Filmemacher in einem Jahr mit Road to Perdition [2002], Der Pianist [2002] und dem zweiten Teil der Der Herr der Ringe-Trilogie sichtlich schwer hatten.

Die Musik des polnischen Komponisten Jan A.P. Kaczmarek (Aimée & Jaguar [1999]) trägt ihren Teil dazu bei, sowohl die Atmosphäre des Films zu erschaffen, als auch die Szenen an Intensität zu bereichern. Sei es nun die erste Hälfte des Films, das sich immer klarer abzeichnende Drama oder die schon inszenatorischen Höhepunkte des Films.
Wie er gekonnt die Temperatur der Melodie abwandelt, die Intensität des Themas mit ein wenig härteren Klavierschlägen untermalt oder aber die Musik allgemein in ihrer Gewichtung verlagert ist bemerkenswert.
Stets fängt Kaczmarek gekonnt die Stimmung der jeweiligen Szene ein, verurteilt dabei aber nicht die Figuren ihrer Handlungen, und versucht auch nicht, sie zu beschönigen. Er findet für seinen beinahe schon minimalistischen, aber sehr atmosphärischen Score eine Stimmung, die mit den Bildern einhergeht, immer präsent ist, aber nie aufdringlich.

Wie der Film ausgesehen hätte, hätte Robert Redford die Rolle des Edward Sumner angenommen, oder wäre Brad Pitt oder Ryan Phillippe als Paul gecastet worden – als die Rolle noch nicht an einen Franzosen gehen sollte – lässt sich nicht einmal erahnen.
Dass für Untreu bedeutend mehr gedreht wurde, als letztlich zu sehen ist, sieht man schon daran, dass auf der US-DVD ganze 11 Deleted Scenes zu finden sind, darunter auch ein alternatives Ende, das etwas konkreter ausfällt, als der sehr mutige Schluss der Kinofassung. Die deutsche DVD zeigt hingegen nur zwei Gelöschte Szenen, und auch die amerikanische Silberscheibe offenbart nicht alles Material – einige Szenen, deren Existenz anhand des Trailers bekannt ist, sind auch dort nicht zu finden. Weswegen, wird ein Geheimnis des Studios bleiben, mit einem internationalen Einspielergebnis von 120 Millionen Dollar nahm der Film immerhin über das doppelte seines Budgets wieder ein und war durchaus ein Erfolg, angesichts des schweren Themas ohnehin.
Der künstlerische Erfolg ist dabei ebenso den beiden Drehbuchautoren zu verdanken, wie Regisseur und Darstellern, die hier ein schweres Thema zwar nicht leicht verdaulich, doch immerhin ansprechend und interessant einfangen – ohne auf hollywoodtypische Klischees zu setzen, oder dem Zuschauer jede Antwort vorzukauen, und ohne den moralischen Zeigefinger zu haben, aber doch mit einer klaren Aussage, die zu Chabrols Zeiten so galt wie heute, und die wohl auch in Zukunft Bestand haben wird.


Fazit:
Ein Seitensprung, das ist nicht nur frisch verheirateten klar, ist kein Kavaliersdelikt; eine im persönlichen Leben begründete Unzufriedenheit, das Verlangen nach mehr in der eigenen Entwicklung, ist hingegen eines der innersten Bestrebungen des Menschen und dabei in egoistischer Hinsicht sowohl destruktiv wie unbezwingbar.
Wenn eine Affäre jedoch wie im Falle der Hauptfigur zur Obsession wird, ist damit nicht nur das eigene Wohlergehen in Gefahr. Was als unscheinbare, reifere Fassung von Eine verhängnisvolle Atmosphäre beginnt wandelt sich dank des exzellenten Skripts in ein psychologisches Drama, eine Fallstudie einer Tragödie, die in ihrem Verlauf immer konkretere Formen annimmt und mehr Schicksale mit sich zieht, als einer der Beteiligten erahnen könnte.
Dank der hervorragenden Darsteller, der überwältigenden Optik und der sehr stimmungsvollen Musik ist das in gewissem Sinne auf beunruhigende Weise berauschend, was den Zuschauer nur noch näher an die Figuren bringt. Doch fühlt man sich ebenso machtlos, wenn sich die Konsequenzen der Handlungen der Charaktere offenbaren, wenn der zerstörerische Stein ins Rollen kommt – so steht Untreu weniger für die Hoffnung auf einen versönlichen Ausgang, als als Mahnmal, im wahren Leben der Tragödie mit dem einfachsten Mittel der Kommunikation entgegen zu wirken: der ebenso schmerzlichen wie endgültigen Ehrlichkeit, die als einzige die Möglichkeit für einen Neubeginn bietet.