The Woman in the Window [2021]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 23. Mai 2021
Genre: Drama / Krimi / ThrillerOriginaltitel: The Woman in the Window
Laufzeit: 100 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Joe Wright
Musik: Danny Elfman
Besetzung: Amy Adams, Gary Oldman, Jennifer Jason Leigh, Julianne Moore, Wyatt Russell, Fred Hechinger, Brian Tyree Henry, Jeanine Serralles, Anthony Mackie, Mariah Bozeman, Tracy Letts
Kurzinhalt:
Die Psychologin Anna Fox (Amy Adams) leidet an Agoraphobie. Ausgelöst durch ein traumatisches Erlebnis, kann sie ihr Haus in Manhattan nicht mehr verlassen. Ihre sozialen Kontakte sind so gut wie zum Erliegen gekommen. Wäre es nicht um ihren Untermieter David (Wyatt Russell) und ihren Psychiater Dr. Landy (Tracy Letts), würde sie niemanden sehen. Mit ihrem Mann Ed (Anthony Mackie) und ihrer Tochter Olivia (Mariah Bozeman) spricht sie zwar, doch sie sind getrennt. Anna beschäftigt sich stattdessen damit, ihre Nachbarn zu beobachten. Als gegenüber die Familie Russell einzieht, macht Anna die Bekanntschaft mit dem Teenager-Sohn Ethan (Fred Hechinger). Kurz darauf erhält sie Besuch von dessen Mutter (Julianne Moore). Als Anna eines Abends sieht, wie Ethans Mutter gegenüber erstochen wird, ruft sie die Polizei, doch die versichert Anna ebenso wie Ethans Vater Alistair (Gary Oldman), dass Jane Russell (Jennifer Jason Leigh), Ehefrau von Alistair und Mutter von Ethan, am Leben ist. Fest davon überzeugt, dass die Jane Russell, die vor ihr steht, nicht die wirkliche ist, beobachtet Anna weiterhin das Haus gegenüber. Nun könnte es sein, dass sich Anna auf Grund der Medikamente, die sie nimmt, zusammen mit ihrem Alkoholkonsum, das Verbrechen nur eingebildet hat – oder ihr neuer Nachbar ein kaltblütiger Mörder ist …
Kritik:
Eine Verschiebung um ein Jahr, Nachdrehs und alle Arbeit der Verantwortlichen im Hintergrund helfen am Ende nicht darüber hinweg, dass Joe Wrights Adaption des Erfolgsromans The Woman in the Window, trotz einer hochkarätigen Besetzung mit zwei für den Oscar nominierten Darstellerinnen und zwei Beteiligten, die bereits mit der Trophäe ausgezeichnet wurden, ein vollkommener und gleichzeitig mit Klischees überladener Schlamassel geworden ist. So offensichtlich sämtliche Klassiker, die hier Pate standen, so enttäuschend ist der direkte Vergleich.
Inhaltlich angelehnt an Alfred Hitchcocks Klassiker Das Fenster zum Hof [1954], in dem ein an den Rollstuhl gefesselter Mann, der seine Nachbarschaft im Innenhof beobachtet, vermutet, dass dort jemand seine Frau ermordet hat, und den Sigourney Weaver-Thriller Copykill [1995], in dem die Hauptfigur – eine Psychologin – nach einem traumatisierenden Vorfall unter Agoraphobie leidet und das Haus nicht mehr verlassen kann, vereint bereits die Romanvorlage bekannte Elemente des Genres. Sie in filmischer Form komprimiert zu sehen, macht die vertrauten Merkmale nur noch offensichtlicher.
Im Zentrum steht die von Amy Adams merklich engagiert gespielte Psychologin Anna Fox, die von einem Vorkommnis traumatisiert, ihr mehrstöckiges Haus in Manhattan nicht mehr verlassen kann. Außer ihrem Untermieter David und ihrem Psychiater Dr. Landy hat sie kaum direkten Kontakt zur Außenwelt. Selbst Lieferungen müssen im Eingangsbereich abgestellt werden, da sie sich nicht traut, die Haustür zu öffnen. Als gegenüber eine neue Familie einzieht, knüpft Anna zuerst Kontakt zu dem Teenager Ethan und wenig später zu dessen Mutter. Ethans Vater Alistair soll unbeherrscht und im Umgang nicht immer angenehm sein. Als Anna beobachtet, wie Ethans Mutter gegenüber erstochen wird, ruft sie die Polizei, doch die und Alistair präsentieren Anna eine Frau, die Jane Russell heißt und doch nicht diejenige ist, die Anna zuvor kennengelernt hat. Entweder soll somit ein Mord vertuscht werden, oder Anna verliert in ihrer Abgeschiedenheit zunehmend den Verstand.
In seinem Debütroman präsentiert der ehemalige Verleger bzw. Buchlektor Daniel Mallory unter dem Pseudonym A.J. Finn eine Geschichte, die nach bekanntem Muster abläuft. Wie in Gillian Flynns Gone Girl - Das perfekte Opfer [2012] oder The Girl on the Train [2015] von Paula Hawkins steht im Zentrum eine weibliche Figur, aus deren Perspektive die Geschehnisse erzählt werden. In allen drei Vorlagen sind ihre Beschreibungen bestenfalls nicht zuverlässig und auch ein Mord bzw. ein psychopathischer Täter steht im Raum. Veröffentlicht im Jahr 2018, beschreitet die Buchvorlage zu The Woman in the Window damit bereits bekanntes Terrain und es gelingt der Verfilmung nicht, dieser Thematik neue Aspekte abzugewinnen. Dies liegt zu einem großen Teil auch daran, dass Filmemacher Joe Wright mehr um den Mystery-Aspekt bemüht ist, als darum, eine Verbindung zwischen Anna und dem Publikum aufzubauen. Wenn man sie zum ersten Mal sieht, wacht sie nach einem Alptraum in einem riesigen, unaufgeräumten Haus, das sie ganz allein bewohnt, auf. Es hat den Anschein, als würde sie nie etwas anderes als ihre Schlafkleidung tragen, nimmt auf Anraten ihres Psychiaters verschiedene Medikamente und begießt all dies zu jeder Uhrzeit mit Wein und anderem Alkohol. Dabei hat es nicht einmal den Anschein, als würde sie sich selbst bemitleiden, sondern vielmehr, als hätte sie sich mit dem Zustand arrangiert.
Wirft ihr Alistair Russell vor, sie wäre nur eine alleinlebende, alkoholsüchtige Katzenlady mit einem Drogenproblem, die sich einen Mord eingebildet hat, trifft er in vielen Belangen den Nagel auf den Kopf. Mit einer seltsamen Schnittfolge in dem Moment, in dem Anna glaubt, einen Mord zu beobachten, versucht The Woman in the Window ebenso wie in den darauffolgenden Szenen offenbar, die Wirkung der Selbstmedikation zusammen mit dem Alkoholkonsum zu veranschaulichen. Es wirkt, als würden Übergänge fehlen, urplötzlich befinden sich Personen im Raum, die Anna nicht hat hereinkommen sehen oder hören. Ganz offenbar kann sie sich auf ihre Sinne nicht verlassen. Doch anstatt nachvollziehbar mit der Situation umzugehen, ändert sie ihr Verhalten nicht – und all das, ohne dass das Publikum bis dahin einen Grund dafür bekommen hätte, weshalb sich Anna so verhält, so dass man wenigstens Verständnis für ihre Handlungen entwickeln könnte. Hinzu kommt eine musikalische Untermalung des die ursprünglich vorgesehenen Komponisten Atticus Ross und Trent Reznor ersetzenden Danny Elfman, die bedauerlicherweise gar kein Gespür dafür besitzt, wann keine Musik für mehr Spannung sorgen würde, oder wann eine Untermalung für den Gemütszustand der tragenden Figur angebracht wäre. Die meistens präsente und wahrnehmbar laute Musik ertränkt die allermeisten Szenen in einem tonalen Einerlei und lenkt in entscheidend spannenden Situationen die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich, anstatt den Moment für sich wirken zu lassen.
Die ersten beiden Akte der Erzählung gestalten sich mehr als Drama, denn als Krimi, in dem eine Frau auf Grund eines Traumas so sehr in ihre eigene Welt zurückgezogen lebt, dass sie nicht nur den Anschluss an die übrige Gesellschaft verliert, sondern zunehmend den Bezug zur Realität. Im letzten Drittel versuchen die Verantwortlichen dann, den Crimethriller-Aspekt in den Vordergrund zu rücken. Das beginnt mit der Auflösung von Annas großem Geheimnis, das all diejenigen, die bereits die vorgenannten Filme gesehen haben, lange werden kommen sehen. Was folgt, ist eine Reihe von Szenen aus dem Klischeehandbuch der Drehbuchautoren, angefangen mit einer Szene, in der die Täterin bzw. der Täter in einem Monolog erklärt, weshalb sie oder er getan hat, was sie bzw. er getan hat, gefolgt von einem Überlebenskampf, der niemals auch nur ansatzweise an die packende Dynamik oder die handwerkliche Finesse von David Finchers Panic Room [2002] heranreicht, trotz des ähnlichen Settings. Wer dabei nicht vorhersehen kann, wozu das gläserne Kuppeldach am Ende dienen wird, mag hier tatsächlich gut unterhalten werden.
Bedeutend interessanter als The Woman in the Window, ist die problematische Entstehungsgeschichte des Thrillerdramas und auch die Kontroversen betreffend den Autor der Romanvorlage. Letztere wurden erst im Frühjahr 2019 bekannt und damit, nachdem die hauptsächlichen Dreharbeiten im Spätsommer 2018 bereits abgeschlossen waren. Da nämlich teilte Buchautor Mallory mit, dass er entgegen seine vorigen Behauptungen keine Doktorwürde erhalten hatte, und dass tödliche Schicksale in seinem unmittelbaren familiären Umfeld nicht geschehen waren. Nach enttäuschenden Reaktionen auf die ersten Filmfassungen, wurde die für 2019 gedachte Veröffentlichung auf 2020 verschoben, so dass Regisseur Wright mit Nachdrehs noch retten konnte, was zu retten war. Dass dies der letzte Film des Studios Fox 2000 sein sollte, das im Zuge des Aufkaufs von Twentieth Century Fox durch Disney aufgelöst wurde, hat all dies wohl nicht einfacher gemacht. Nach einer erneuten Verschiebung auf Grund der Corona-Pandemie, erscheint der einst mit vielen Vorschusslorbeeren bedachte Film nicht einmal mehr bei Disney selbst, sondern bei Netflix. Viele Filme werden von solchen Produktionsschwierigkeiten und Verschiebungen heimgesucht. Manchen sieht man dies nicht unbedingt an. The Woman in the Window erscheint dabei wie ein passendes Spiegelbild seines Werdegangs.
Fazit:
Dass Filmemacher Joe Wright seine Inspiration aus dem Film Noir-Bereich zieht, ist unübersehbar und auch seine vielen Verweise auf Alfred Hitchcocks Werke sind deutlich. Nur reicht es nicht, Schauwerte und eine erlesene Besetzung zu präsentieren, wenn es keine Geschichte gibt, die all dies zusammenhält oder ihnen etwas zu tun gibt. Die kammerspielartige Atmosphäre verliert sich nicht nur dadurch, dass die Figuren meist wie angewurzelt irgendwo stehen oder sitzen, sondern dadurch, dass Anna in ihrem eigenen Haus nie eingeschlossen erscheint. Das Verständnis des Publikums für ihre Situation wird so spät geweckt, dass man mit ihr nie mitfiebert. Überraschend belanglos gefilmt, steht ein ausgesprochen brutaler Moment beim Finale schon deshalb hervor, weil er ebenso unnötig wie fehlplatziert ist. Auch was die Täterin bzw. den Täter antreibt, erklärt das Drehbuch auf die einfachste Art und Weise, wobei sämtliche Zusammenhänge, wer und warum und wie die vermeintlich „ausgetauschte“ Jane Russell in all dies passen, Genrefans im Schlaf vorhersehen können. The Woman in the Window ist ein Film, dessen Potential sich hauptsächlich auf dem Papier durch die Beteiligten erschließt. Die Umsetzung ist teils verwirrend und im besten Fall durchschnittlich, während die Geschichte sich als nicht mehr entpuppt, als eine Mischung originellerer Ideen. Das vermag auch die Besetzung nicht zu retten.