Spider-Man [2002]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Lars und Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Juni 2002
Genre: Fantasy / Action

Originaltitel: Spider-Man
Laufzeit: 121 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Sam Raimi
Musik: Danny Elfman
Darsteller: Tobey Maguire, Willem Dafoe, Kirsten Dunst, James Franco


Kurzinhalt:
Peter Parker (Tobey Maguire) ist alles andere als ein Superheld, er wird in der Schule gehänselt, ist immer spät dran und schon seit Jahren in ein Mädchen, Mary Jane Watson (Kirsten Dunst), verliebt, das direkt nebenan wohnt, und das er kaum anzusprechen wagt ... und das alles mitten in New York.
Doch eines Tages wird er während eines Schulausfluges in einem Genlabor von einer Spinne gebissen. Es handelt sich dabei um ein Exemplar, das von den Wissenschaftlern speziell gezüchtet wurde – sie versuchten, alle positiven Eigenschaften von Spinnen (Stärke, Schnelligkeit, usw.) in einer Spezies zu vereinen. Am nächsten Tag, nach einer Fiebernacht, muss Peter feststellen, dass diese Spinne wohl mehr als nur ihren Biss bei ihm hinterlassen hat: seine Augen sehen besser als die irgend eines anderen Menschen, seine Brille ist somit überflüssig. Er ist stark, hat schnellere Reflexe und wenig später stellt er sogar fest, dass er an Wänden hinaufgehen kann. Kurzum, der erste Schritt auf dem Weg zum Spider-Man ist getan, aber der Weg ist noch lang; zumal ein seltsames grünes Wesen, das von den Zeitungen als Green Goblin (Willem Dafoe) bezeichnet wird, die Stadt unsicher macht.


Kritik:
Spider-Man ist der erste einer ganzen Reihe von Comic-Verfilmungen, die uns in nächster Zeit ins Haus stehen: X-Men 2, Hulk, DareDevil, Hellboy, Wonderwoman, Catwoman ... und es gibt noch einige mehr. Auch Spider-Man 2, 3 und 4 sind schon fest geplant. Doch angesichts der düsteren Atmosphäre eines X-Men [2000] und der wirklich tollen Umsetzung eines Spider-Man haben es alle anderen Filme schwer, das ist sicher. Zumal schon die meisten Stories nicht einmal halb soviel Potential besitzen, auch wenn große Namen unter den Drehbüchern stehen.

Ich muss zugeben, ich bin in Spider-Man nicht ganz unbefangen hineingegangen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass der einstige Comic-Film-Thron, der für mich immer noch von Batman [1989] und Batmans Rückkehr [1992] besetzt ist, ernsthaft ins Wanken geraten könnte. Bereits Teil 3 [1995] und 4 [1997] haben mich großteils nur mit Kopfschütteln zurückgelassen. X-Men [2000] war zwar atmosphärisch sehr gut und auch die Story und die Darsteller haben überzeugt, doch wirkte der Film wie eine einzige Exposition und vor allem viel zu kurz.
Spider-Man hingegen läuft über zwei Stunden und wird im Gegensatz zu Batman oder X-Men hauptsächlich von Jungdarstellern getragen. Hinzu kommt ein Regisseur, Sam Raimi, der zwar Kulthorror geschaffen hat und auch mit dem Mystery-Thriller The Gift [2000] bewies, dass er übersinnliche Geschichten toll erzählen kann, sein Thriller Ein einfacher Plan [1998] zählt für mich zu den besten des Genres – aber kann er ein solch kommerzielles Produkt richtig inszenieren?
Ein halbes Duzend Drehbuchautoren wurden auf den Film angesetzt, dessen Grundstory von James Cameron (Titanic [1997])mit vielen Einzelheiten vorgegeben wurde, denn er selbst wollte das Projekt vor einigen Jahren inszenieren, entschied sich jedoch dann anders. Dazwischen schrieb auch David Koepp mit, der im Film als alleiniger Autor aufgeführt wird. Er zeichnet  unter anderem für die Drehbücher von Jurassic Park [1993], Echoes – Stimmen aus der Zwischenwelt [1999] und Panic Room [2002] verantwortlich. Nach ihm wurde das Drehbuch allerdings nochmals überarbeitet – in aller Regel kein gutes Zeichen, denn es besagt ja, dass den Produzenten das Drehbuch in dieser Form nicht gefiel.

Das waren sehr viele Dinge, die mich dazu veranlassten, Spider-Man nicht so optimistisch entgegen zu sehen, wie es viele andere Leute taten. Doch ich muss sagen, ich wurde angenehm überrascht.

Die Einführung des Peter Parker ist interessant, sympathisch und überzeugend gelungen, man lernt ihn als ganz normalen jungen Menschen kennen, der sich auch wie ein Jugendlicher verhält. Dann wird er von einer Spinne gebissen und sein Leben verändert sich radikal. Doch die ganzen neuen Fähigkeiten, sei es das Netzespinnen, oder das Springen, die schnellen Bewegungen, all das muss erst einmal gelernt sein.
Gerade dieser erste Abschnitt des Filmes – die Entwicklung von Peter Parker zu Spider-Man – hat mir besonders gefallen:
Die einzelnen Schritte, vom Biss durch die genmanipulierte Spinne bis hin zum Superhelden, der sich seiner durch die zusätzlichen Fähigkeiten gestiegenen Verantwortung bewusst wird, ist sowohl unterhaltsam, als auch überzeugend umgesetzt.
Besonders die Passagen in der Schule gehören zum Witzigsten und Mitreißendsten, das seit langem in einem sogenannten Sommer-Blockbuster zu sehen war.
In diesen ersten 25 Minuten des Filmes steckt mehr Unterhaltungswert als in den gesamten 142 Minuten Star Wars: Episode II [2002] zu sehen war.
Auch die Inszenierung in diesen Szenen ist gelungen:
Wenn Peters neue Reflexe gefragt sind, und die Kamera das Geschehen stark verlangsamt, haben die Macher es geschafft, die Matrix [1999]-Technik einzusetzen, und dabei ihren eigenen Stil mit ihr zu finden. Sie plagiieren die Technik des genannten Blockbusters nicht einfach, wie es in zahlreichen Filmen und Serien der Fall ist (man denke nur an den unsäglichen Romeo Must Die [2000]), sondern variieren sie und geben dem Zuschauer dadurch die nötige Übersicht. Im Ganzen gesehen ist der Film hervorragend fotografiert und geschnitten, auch in den Szenen, in denen sich Spider-Man durch die Straßen hangelt, über die Autos oder Häuser hinweg, hat man immer einen Überblick über das Geschehen, ohne dass etwas von der vermittelten Geschwindigkeit auf der Strecke bliebe.

Nicht nur Peter macht in dem Film eine Entwicklung durch, alle Charaktere entwickeln sich über die zwei Stunden stetig weiter. Der junge Spider-Man muss seinen Platz in der Welt finden, zumal er einsehen muss, dass ihn doch viele Probleme etwas angehen, von denen er gar nichts geahnt hätte. Zudem sind alle Menschen in Gefahr, denen er nahe steht, sollten seine Widersacher erfahren, dass er derjenige ist, der immer öfter im Spinnenkostüm durch die Gegend springt.
Bei all diesem stilisierten Heldentum schafft es der Film dennoch, den Bezug zur Person des Peter Parker nicht abreißen zu lassen – wie oft sieht man einen Superhelden schon weinend auf dem Bett sitzen?

Ebenso gelungen ist die Darstellung der Familie: Hier gibt es endlich einen Comic-Helden, dessen Familie - also Onkel und Tante - realistisch und liebenswert zugleich dargestellt wird.
Der Verlust des Onkels wird dadurch für den Zuschauer ebenso tragisch wie für Peter Parker selbst.

Seine Beziehung zu Mary Jane Watson bekommt vor allem in der Schlussszene eine völlig neue Richtung und hinterlässt den Zuschauer mit Fragen über Fragen. Auch die Beziehung zwischen Parker und Harry Osborn (James Franco), dem Sohn von Norman Osborn, der widerum Spider-Mans Widersacher Green Goblin ist, nimmt gegen Ende eine unerwartete Wendung; dieses gesamte Geflecht könnte in den kommenden Teilen für viele Spannungen sorgen.

Selbstverständlich steht und fällt ein solcher Film mit dem Darsteller des Helden.
Für die Rolle des Peter Parker bzw. Spider-Man kann ich mir im Rückblick keinen besseren Darsteller als Tobey Maguire vorstellen. Er hat mir zwar schon in Pleasantville [1998] und Die Wonder Boys [2000] gefallen, in Spider-Man ist er aber geradezu genial.
Er wirkt sympathisch und charismatisch zugleich und haucht dem Charakter des Spider-Man alles ein, was ein Held braucht: Wärme, Undurchschaubarkeit, Witz und Charme. Vor allem wirkt er bei allem noch wie ein normaler Junge, ohne völlig abgehoben über allen anderen zu stehen.
Seine Natürlichkeit besonders in den inhaltlich eher abstrusen Szenen, seine Fähigkeit durch sparsam eingesetzte Mimik und Gestik komplexe Gefühle und Handlungen darzustellen, das alles zeugt von einer großen schauspielerischen Reife. Mit diesem Film hat Tobey Maguire einmal mehr bewiesen, dass er zu den besten Schauspielern seiner Generation gehört. Und das in einem eigentlich "reinen" Unterhaltungsfilm zu erreichen, ist wirklich eine große Leistung.

Mary "M.J." Jane, gespielt von Kirsten Dunst stellt ebenfalls eine tolle Wahl dar; sie spielt hervorragend und verleiht ihrem Charakter alles, was es zur überzeugenden Darstellung braucht. Sie wirkt stark und doch verletzlich, vor allem stimmt bereits in der ersten Szene die Chemie zwischen ihr und Maguire – im Gegensatz zu allem, was man in Star Wars: Episode II beobachten konnte, wo viele Darsteller wie Karikaturen ihrer selbst wirkten.

Harry Osborn wird von James Franco gespielt und auch er ist in meinen Augen eine Idealbesetzung. Interessant ist seine Verwandlung im Laufe des Films, während er zu Beginn seinem Vater sehr ähnelt, schmilzt diese Ähnlichkeit in der Mitte, während Harry von Zuhause ausgezogen ist, nur auf die Kleidung dahin, ansonsten könnten sie unterschiedlicher nicht aussehen. Am Ende des Filmes könnte Harry Norman Jr. sein: seine Frisur, seine Auftreten und sogar seine Mimik stimmen mit der von Norman Osborn überein, eine beeindruckende Leistung.

Anders als bei Star Wars: Episode II - Angriff der Klonkrieger überzeugten gerade die Dialoge der Jungdarsteller. Hier gab es nachvollziehbare Gespräche zwischen jungen Menschen, die nicht hochgestochen und weltfremd über irgendwelche politischen Situationen sinnierten und gleichzeitig ihr Herzeleid beklagten, sondern sich ganz normal über ihre eigenen Ängste und Sorgen unterhielten. Die Charaktere wuchsen dem Zuschauer ans Herz und man konnte mit ihnen mitfühlen. Die Liebesgeschichte war mitreißend und natürlich.

Es kann nur einen Superhelden geben, wenn er einen starken Widersacher hat:
Der Green Goblin ist Spider-Mans zweite große Prüfung und für mich persönlich der Hauptkritikpunkt des Films.
Während ich ansich kein Fan von Willem Dafoe bin, fand ich ihn in diesem Film sehr gut und überzeugend, obgleich nur in der Rolle des Norman Osborn. Er verkörpert die Schizophrenie wirklich beängstigend und ergreifend. Doch ich verlor jeglichen Bezug zu seinem Charakter, als er im grünen Anzug des Green Goblin steckte. Nicht nur, dass mir die Motivation völlig unklar war, weshalb er Spider-Man eigentlich umbringen möchte; sein ständiges Gekicher und seine bedrohliche Erscheinung fand ich mehr oder weniger unfreiwillig komisch. Er ist sicher kein schlechter Bösewicht, aber bereits dieses überdesignte Kostüm war meiner Meinung nach ein Fehlgriff. Dagegen ist der Schlusskampf zwischen ihm und Spider-Man wirklich überzeugend gespielt und inszeniert, er wirkt darin auch sehr bedrohlich.
Wäre diese Figur anders konzipiert gewesen, wären in der Endwertung sicher noch 0.5 Punkte mehr drin gewesen.

Technisch brennt Spider-Man ein Feuerwerk ab, das sich vor Star Wars nicht zu verstecken braucht, im Gegenteil, es führt den jüngsten Blockbuster sogar vor und zeigt, dass Spezialeffekte nicht zum Selbstzweck eingesetzt werden müssen, sondern der Story dienlich sein können.
Die Flugszenen, die Kletterpartien und nicht zuletzt der Schlusskampf und die Zeitlupen (vor allem in dem brennenden Gebäude) sind schlicht und ergreifend atemberaubend, zumal man den Effekt meistens nicht einmal sieht. Manche Bewegungen Spider-Mans am Boden sind dagegen doch wieder deutlich als CGI zu erkennen – ganz ohne Knochen kann nicht einmal der Spinnenmann sein.
Leider waren auch einige Szenen mit dem fliegenden Green Goblin nicht gerade überzeugend. Zu offensichtlich waren Blue- bzw. Green-Screen und Computer-Trickeffekte zu erkennen.
Doch diese kleinen "Patzer" kann man dem Film leicht verzeihen, zumal man vor allem bei den früheren Sommer-"Hits" wie Die Mumie kehrt zurück [2001] und Tomb Raider [2001] bedeutend schlechteres gesehen hat - und diese Filme waren nicht viel billiger, beziehungweise entsprechend kürzer.
Ein Film, bei dem ich in überhaupt keiner CGI- oder Blue-/Green-Screen-Szene den Effekt "bemerke", ist mir übrigens bisher auch noch nicht untergekommen.
Alles in allem hat man viel geboten bekommen und das Effekteteam kann stolz auf seine Arbeit sein.

Die Musik wurde von Danny Elfman geliefert, der erneut ein sehr interessantes und eingängiges Thema für den Film komponierte. Vom restlichen Score bleibt leider nicht viel hängen, auch wenn er die Szenen immer hervorragend untermalte.

Interessant bei Comic-Verfilmungen ist immer die Titelsequenz, die bei Spider-Man mit einer Mischung aus Effekten und comicartigen Netzzeichnungen glänzt. Meiner Meinung nach erreichte sie nicht die Klasse von X-Men oder Batman, aber sie war wirklich gut.

Fans der Comicreihe bemängelten viele Dinge an Spider-Man, und das kann ich verstehen, auch wenn ich die Comics nicht kenne. Eine Adaption eines Comics ist in vergleichbarem Maße schwer, wie die eines Buches, und doch haben die Produzenten meines Erachtens diesen Spagat vom Comic-Klassiker zu einem zeitgemäßen Film hervorragend umgesetzt, mit vielen kleinen Anspielungen und Details, vor allem aber mit unzähligen sehr guten Ideen, die sowohl die Fähigkeiten des neuen Helden unterstreichen, als auch seine Menschlichkeit.

Spider-Man ist für mich eine absolute Empfehlung, auch wenn er von der Inszenierung her nicht so düster ist wie Batman oder Batmans Rückkehr, inhaltlich erreicht er beinahe deren Niveau.


Fazit:
Spider-Man ist ein intelligenter und mitreißenderUnterhaltungsfilm.
Und in manchen Szenen bietet er mehr, als bloße Unterhaltung. Der Zuschauer wird nicht für dumm verkauft und muss mitdenken. Etwas, das gerade in den letztjährigen "Sommerhits" selten bis gar nicht vorkam. Im Gegenzug bekommt man die Geburt eines neuen Superhelden geboten, der außergewöhnlich und "normal menschlich" zugleich ist.
Auf Grund der Endsequenz des Films kann man sich im kommenden Teil auf einiges gefasst machen, sollte es den Autoren gelingen eine ebenso gute Vorlage wie für diesen Film zu liefern.
Sam Raimi erweist sich einmal mehr als Allround-Talent und auch die Darsteller, allen voran Tobey Maguire, stellen ihr Können erneut unter Beweis.
Im direkten Duell gegen Star Wars: Episode II - Angriff der Klonkrieger geht Spider-Man eindeutig als Sieger hervor: Er ist unterhaltsamer, bietet mehr Inhalt, Action und vor allem eine bessere Inszenierung als George Lucas jüngste Episode. Das wurde glücklicherweise auch an den Kinokassen deutlich.