Orphan: First Kill [2022]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 16. Januar 2023
Genre: Horror / Thriller

Originaltitel: Orphan: First Kill
Laufzeit: 99 min.
Produktionsland: USA / Kanada
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: William Brent Bell
Musik: Brett Detar
Besetzung: Isabelle Fuhrman, Julia Stiles, Rossif Sutherland, Matthew Finlan, Hiro Kanagawa, Samantha Walkes, Dave Brown, Lauren Cochrane, Gwendolyn Collins, Alec Carlos, Jade Michael


Kurzinhalt:

Im Frühjahr des Jahres 2007 gelingt der Psychiatriepatientin Leena Klammer (Isabelle Fuhrman) in Estland die Flucht, bei der zwei Menschen sterben. Da Leena äußerlich einem vor vier Jahren verschwundenen, amerikanischen Mädchen ähnelt, meldet sie sich bei der Polizei und gibt vor, Esther Albright aus Connecticut zu sein. Wenig später wird sie mit Esthers Familie wiedervereint und während Esthers Vater Allen (Rossif Sutherland) seinen Lebensmut wiedergefunden hat und sich der Künstler endlich wieder seinen Werken zuwendet, erscheint Esthers Bruder Gunnar (Matthew Finlan) abweisend und nicht froh, seine jüngere Schwester zurückbekommen zu haben. Esthers Mutter Tricia (Julia Stiles) fallen die Veränderungen an ihrer Tochter auf und auch Polizist Donnan (Hiro Kanagawa), der Esthers Fall damals untersucht hatte, ist nicht überzeugt. Als er Ermittlungen zu Esthers Herkunft aufnimmt, schreckt Leena vor nichts zurück, um den Platz bei ihrer neuen Familie zu bewahren …


Kritik:
Es gibt Elemente an Orphan: First Kill, der ebenso unerwarteten wie späten Fortsetzung des insbesondere in Fankreisen erfolgreichen Thrillers Orphan - Das Waisenkind [2009], die beim Ansehen nicht auffallen, aber beim genauen Hinsehen verblüffen und regelrecht überraschen. Umso unverständlicher ist, weshalb William Brent Bells Vorgeschichte um die psychopathische Esther von einem Klischee zum nächsten springt und inhaltlich so raue Kanten besitzt, als wäre mehr die Idee einer Story denn ein Drehbuch verfilmt worden.

Ein warnender Hinweis vorab, man kann kaum über Orphan: First Kill sprechen, ohne die inhaltliche Überraschung von Orphan - Das Waisenkind vorweg zu nehmen. Wer die direkte Fortsetzung der Geschichte noch nicht gesehen hat und an diesem Gerne interessiert ist, sollte dies vor dem Weiterlesen tun.
Kenner von Orphan wissen, dass Esther nicht das Titel gebende Waisenkind ist, das sie vorgibt, zu sein. Tatsächlich leidet die psychisch gestörte Esther an einer Krankheit, die sie seit ihrem 10. Lebensjahr nicht altern lässt. In Wirklichkeit ist sie eine Frau von mehr als 30 Jahren, die vor der Anwendung tödlicher Gewalt nicht zurückschreckt, um zu erreichen, was sie will. Dies weiß das Publikum, das den inhaltlich später angesiedelten Vorgängerfilm gesehen hat und so macht Regisseur Bell kein Geheimnis darum, wer Esther, die zu Beginn noch Leena heißt, im Grunde ist. Es ist das Jahr 2007, als eine neue Therapeutin das Saarne Instituute in Estland betritt. Sie trifft auf die scheinbar erst neunjährige Leena und erlebt mit, wie diese mehrere Morde begeht, um aus der Einrichtung auszubrechen. Anschließend gibt sich Leena als die vor vier Jahren spurlos verschwundene Esther Albright aus, deren Familie in den USA die Hoffnung längst aufgegeben hat, dass ihre Tochter wiedergefunden wird. Doch Leenas Auftritt als Esther kann überzeugen und so kommt sie bei der Familie Albright unter. Ihre Tarnung ist jedoch in Gefahr, als der Polizist Donnan Verdacht schöpft, Esther könnte nicht diejenige sein, die sie vorgibt. Auch sind längst nicht alle Familienangehörigen überzeugt.

Es wundert daher nicht, dass alsbald erneut Leichen Esthers Weg säumen. Es überrascht allerdings, dass sich die Opfer durchweg verhalten, als besäßen sie keinen Überlebensinstinkt. Man nehme die Ärztin zu Beginn, die miterlebt, wie tödlich Esther sein kann. Doch als sie kurz darauf vermuten muss, dass Esther ihr gefolgt ist, holt sie keine Hilfe, sie läuft auch nicht weg – sie tut genau das, was unvorsichtige, dem filmischen Tod geweihte Figuren in solchen Filmen immer tun. Es ist ein Schema, das sich durch Orphan: First Kill wie ein roter Faden zieht. Auch dann, wenn sich Esther zwei ihr körperlich überlegenen Gegnern gegenüber sieht, haben diese sich unvorsichtigerweise aufgeteilt, so dass Esther sie einzeln stellen kann. So kommt es, dass Regisseur William Brent Bell die Szenen eben so auflöst, wie man es erwartet. Verweilt die Kamera ein paar Sekunden auf einem Messer, das eine Figur gerade abgelegt hat, kann man sicher sein, dass wenn die Kamera kurz darauf zu jenem Ort zurückkehrt, das Messer fehlt und unmittelbar danach eingesetzt wird.

Bei all den absehbaren Slasher-Momenten lässt Orphan: First Kill gleichzeitig jede Weiterentwicklung der Figur vermissen. Was genau ist Esthers Motivation, sich eine neue Familie zu suchen? Wie wäre es, insbesondere in Anbetracht des Verlaufs der Story, wenn Esther wirklich bemüht wäre, die Situation für sich zu nutzen, wenn sie dem Morden abgeschworen hätte, sie aber auf Grund der äußeren Umstände dazu gezwungen wäre? Es würde der Figur eine Tragik verleihen, sie auf eine andere Ebene heben. Doch diese Mühe macht sich das Drehbuch nicht. Es wird nicht einmal vernünftig geklärt, was Esthers Mutter Tricia, mehr routiniert denn motiviert verkörpert von Julia Stiles, beruflich macht.

So enttäuschend dies ist, es gibt hier auch gelungene Aspekte, insbesondere diejenigen, die man gar nicht wahrnimmt. So ist es nicht nur überraschend, dass es nach all den Jahren überhaupt ein Prequel zu Orphan gibt. Es ist vielmehr unglaublich, dass die damals 10jährige Isabelle Fuhrman erneut in die Rolle der neunjährigen Esther schlüpft – im Alter von 23 Jahren. Es ist den Verantwortlichen bei Orphan: First Kill hoch anzurechnen, dass man dies nicht wirklich bemerkt. Dank cleverer Schnittarbeit und gelungenen Kamera-Tricks gelingt die Illusion, dass die Esther von einst erneut ihr Unwesen treibt – mit einer Ausnahme. Um die kindlichen Gesichtszüge in Szene zu setzen, greift Kameramann Karim Hussain auf ein weichgezeichnetes Bild zurück, das beinahe traumähnlich überzeichnete Lichtquellen in den Einstellungen zurücklässt. Das Ergebnis ist ein weiches, überstrahltes Bild, das mühelos aus einer Produktion der 1970er-Jahre stammen könnte. Doch dies passt stilistisch wenig zu der Zeit, in der die Geschichte spielt und lenkt über weite Strecke spürbar von den Geschehnissen ab. Umso mehr, da in Außenaufnahmen, in denen Esther nicht zu sehen ist, die Bilder ohne diesen Effekt aufgenommen werden und mit der kühlen Farbpalette beinahe wie aus einer anderen Produktion zu stammen scheinen.
Ein weiterer Punkt, der auf eine ganz eigene Weise gelungen ist, ist eine Storywendung in der Mitte des Films, die selbst ein genreerfahrenes Publikum nicht wird kommen sehen. Inhaltlich ist der Twist vollkommen abstrus, aber er ist zugegebenermaßen originell und daher überraschend.

Sieht man diese Gegensätzlichkeit, fällt es schwer, Orphan: First Kill wirklich einzuordnen. Einerseits ist es so unerwartet wie einfallsreich, ein Prequel zur Figur überhaupt auf die Leinwand und hierfür die Hauptdarstellerin von damals zurück zu bringen. Andererseits gelingt es Filmemacher William Brent Bell nicht, darüber hinaus irgendwelche neuen Akzente zu setzen und auch die Figur von Esther wird nicht weiterentwickelt. So ist das Prequel keine Bereicherung und bedient willens jedes Genreklischees, das man sich vorstellen kann. Nimmt man die eigenwillige, durchaus den Umständen geschuldete Optik hinzu, macht es das nicht einfacher, hier seine Zeit investieren zu wollen, während der erste Film in sämtlichen Belangen mehr überzeugen kann.

Die Heimvideoveröffentlichung von STUDIOCANAL wartet auf der 4K Ultra-HD-Disc mit einer deutschen und englischen Sprachspur in 7.1 DTS-HD Master Audio auf. Hinzu kommen deutsche Filmuntertitel. Die Bildqualität der 4K-Fassung ist schwer zu beurteilen, da die weichgezeichneten Aufnahmen grundsätzlich an Schärfe vermissen lassen und auch der Kontrast entsprechend in Mitleidenschaft gezogen ist. Die Farbwiedergabe ist bewusst zurückgehalten, dezente Highlights unterstreichen jedoch den HDR-Kontrastumfang und auch die Schwarzlichtaufnahmen können durch die neonfarbenen Akzente überzeugen. Das Bonusmaterial umfasst neben einer dreiminütigen „Behind the Scenes“-Featurette und dem Trailer zum Film auch eine Programmvorschau bei Disc-Start. Dass kein Audiokommentar vorhanden ist, ist bedauerlich. Geradezu unverständlich ist jedoch, dass sogar eine Kapitelauswahl fehlt. Trotz der technisch nicht zu bemängelnden Präsentation, hätte man hier mehr erwartet. Immerhin, die 4K-Veröffentlichung wartet neben dem Film selbst auf 4K Ultra-HD-Disc mit zwei Blu-rays auf. Neben der zusätzlichen Blu-ray-Fassung liegt auch die Blu-ray von Orphan - Das Waisenkind im Set. Wer Esthers Geschichte neu entdecken möchte, ist hier somit gut bedient.


Fazit:
Es wird nie so richtig greifbar, was Filmemacher William Brent Bell mit dem späten Prequel um die psychopathische Esther eigentlich erzählen möchte. Bereits früh nimmt der Film vorweg, wer Esther ist und richtet sich somit nur an ein Publikum, das Orphan - Das Waisenkind bereits kennt. Doch folgt die Story dessen Verlauf zu genau, als dass man vom Gezeigten wirklich mitgenommen werden könnte. Zugegeben, der Aufbau ist stellenweise unheimlich, läuft aber innerhalb der Szenen genau so ab, wie man es bereits unzählige Male gesehen hat. Die inhaltliche Wendung in der Mitte ist vollkommen unerwartet, aber sie würde die Möglichkeit bieten, Esther als Figur voranzubringen, ihre tragische Sehnsucht nach Anerkennung zu definieren. Hierauf lässt sich der Film nur leider nicht ein. Isabelle Fuhrman in der Hauptrolle zurückzubringen, ist eine Überraschung und ebenso gut gelungen. Die Optik lässt teilweise gute Ideen für tolle Perspektiven erahnen, denen aber letztlich das Budget zu fehlen scheint. Die Grundidee von Orphan: First Kill klingt durchaus verlockend und bietet Potential, aber auch wenn das Prequel ohne grobe handwerklichen Schwächen präsentiert wird, es besitzt auch keinerlei Alleinstellungsmerkmale. Unablässig in Genreklischees gefangen, ist das so durchschnittlich wie vorhersehbar. Der wenig passende, wenn auch notwendige Weichzeichner und die deutsche Synchronfassung, der es an Dynamik und Räumlichkeit fehlt, tun hier ihr Übriges.

Wertung der 4K Ultra-HD-Disc:
3.5 von 6 Punkten

Orphan: First Kill-Packshot Orphan: First Kill
ist seit 12. Januar 2023 Digital und
26. Januar 2023 als DVD und Blu-ray sowie als 4K Ultra HD Special Edition (inkl. Orphan – Das Waisenkind als Blu-ray)
im Verleih von STUDIOCANAL Home Entertainment erhältlich!
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