Mein fabelhaftes Verbrechen [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 4. Mai 2023
Genre: Komödie / KrimiOriginaltitel: Mon crime
Laufzeit: 102 min.
Produktionsland: Frankreich
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: François Ozon
Musik: Philippe Rombi
Besetzung: Nadia Tereszkiewicz, Rebecca Marder, Isabelle Huppert, Dany Boon, Fabrice Luchini, André Dussollier, Édouard Sulpice, Olivier Broche, Félix Lefebvre, Franck de la Personne, Evelyne Buyle, Michel Fau, Régis Laspalès, Daniel Prévost, Jean-Christophe Bouvet
Kurzinhalt:
Paris, 1935. Seit einem Jahr ist Pauline Mauléon (Rebecca Marder) Anwältin und ebenso knapp bei Kasse wie ihre Mitbewohnerin Madeleine Verdier (Nadia Tereszkiewicz), eine wenig erfolgreiche Theaterschauspielerin. Als diese im Verdacht steht, den Produzenten Montferrand ermordet zu haben, aus dessen Haus sie floh, nachdem dieser sie bedrängt hatte, ist für Untersuchungsrichter Rabusset (Fabrice Luchini) de Fall sonnenklar. Wenigstens Madeleine, vielleicht sogar beide Frauen haben den einflussreichen Mann getötet. Anstatt auf unschuldig zu plädieren, nutzen Madeleine und Pauline die öffentliche Aufmerksamkeit des sich anbahnenden Gerichtsprozesses für sich, was ihnen sogar gelingt. Doch dann meldet sich die ehemalige Stummfilmlegende Odette Chaumette (Isabelle Huppert), deren Tage vor der Kamera seit der Einführung des Tonfilms überwiegend vergangen sind. Sie behauptet, sie habe Montferrand getötet. Das sorgt nicht nur bei Rabusset, sondern auch bei Madeleine und Pauline für reichlich Unruhe …
Kritik:
François Ozons Mein fabelhaftes Verbrechen ist ein Film, der sowohl inhaltlich wie hinsichtlich seiner Umsetzung vollkommen aus der Zeit gefallen scheint und dem es genau deshalb so eindrucksvoll gelingt, die Geschichte, die er erzählen will, auch zu erzählen. Die lose Adaption des Theaterstücks von Georges Berr und Louis Verneuil aus dem Jahr 1934 weist alle Merkmale amüsanter Krimikomödien der klassischen Filmära auf und modernisiert doch genügend Elemente, um auch heute relevant zu sein. Wer sich darauf einlässt, wird zunehmend spritziger unterhalten.
Im Zentrum der im Jahr 1935 in Paris spielenden Geschichte stehen die junge Schauspielerin Madeleine Verdier und ihre beste Freundin Pauline Mauléon, die zwar seit einem Jahr Anwältin ist, aber ebenso mittellos wie Madeleine. Sie können ihre Miete nicht bezahlen, weshalb ihnen in Kürze der Rauswurf droht. Da hilft es auch nicht, dass Madeleines Verehrer André zwar der Sohn eines reichen Reifenherstellers ist, denn André selbst will nicht arbeiten und hat viele Schulden angehäuft. Um sie loszuwerden, will er eine junge Frau heiraten, deren Mitgift seine Schulden tilgen und den in wirtschaftlich schwieriger Lage schlingernden Betrieb seines Vaters retten könnte. Madeleine will er als Geliebte behalten. Die hat gerade erst eine schlimme Begegnung mit dem Theaterproduzenten Montferrand hinter sich, der noch am selben Tag erschossen aufgefunden wird. Der Polizeiinspektor findet in Madeleines Wohnung eine Waffe, aus der eine Kugel fehlt und so steht für den Untersuchungsrichter Rabusset, der bislang hauptsächlich durch seine Justizirrtümer geglänzt hat, fest, dass die jungen Frauen den Mord begangen haben müssen. Rabussets Freund Palmarède, der eine große Summe durch den Tod Montferrands einspart, wähnt er hingegen unschuldig.
Glaubt man nun zu wissen, wie sich die Geschichte weiter entwickeln wird, wird man durchaus überrascht, denn um das Rampenlicht zu nutzen, gesteht Madeleine den Mord und lässt sich von Pauline verteidigen. Ihr Plan geht sogar auf, das öffentliche wie mediale Interesse an dem Fall ist groß, bis die ehemalige und inzwischen in Vergessenheit geratene Stummfilmschauspielerin Odette Chaumette (gespielt von einer fantastisch energiegeladenen Isabelle Huppert) auftaucht, die behauptet, sie habe Montferrand ermordet – und sie wolle ihr Verbrechen zurück. Denn damit will sie, wie die zwei jungen Frauen zuvor, wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, wobei Richter Rabusset froh ist, einen wasserdichten Fall vorweisen zu können und ihr stattdessen sogar andere offene Mordfälle als Alternative anbietet, die sie für sich beanspruchen kann. Dass Mein fabelhaftes Verbrechen mit viel Augenzwinkern erzählt ist, sollte spätestens jetzt überdeutlich sein, wobei die überspitzten Darbietungen auch von einer ebenso leichtfüßigen Musik untermalt werden. Filmemacher Ozon nimmt die Eigenschaften des Genres und kostet sie spürbar aus. Angefangen von einer Besetzung, die mit vielen Figuren aufwartet, die schließlich alle zusammenkommen, um die entscheidende Wendung von Madeleines und Paulines Zwickmühle aufzulösen, über die in Schwarzweißbildern eingestreuten Mordtheorien, bis hin zu Dialogen, die flotter kaum dargeboten sein könnten und im Verlauf der Geschichte nur immer spitzer werden.
Wie dicht der Regisseur an den Wurzeln der Geschichte als Theaterstück bleibt, sieht man bereits daran, dass sich zu Beginn buchstäblich der Vorhang öffnet und die Erzählung ganz am Ende sogar wieder zur Bühne zurückkehrt. Es ist ein Rahmen, in dem sich eine im besten Sinn französische Komödie abspielt, mitunter ein wenig anzüglich, aber mit einem Engagement, das von den Beteiligten auf das Publikum überspringt. So absurd dies inhaltlich sein mag, zumal keine Handlung hier eine wirkliche Konsequenz nach sich zieht, die Verweise, die Mein fabelhaftes Verbrechen zur Rolle der Frauen in der Gesellschaft findet, die dann an den Pranger gestellt werden, wenn sie sich wehren oder dasselbe Recht beanspruchen, das Männer für sich reklamieren, ist so treffend wie gelungen. Vom gesellschaftlichen Gefälle reich zu arm, über eine Justiz, die im Klüngel privater Verbandelungen mitunter nur ein Auge zudrückt, bis hin zur Darstellung einer Oberschicht, die Menschen anderer gesellschaftlicher Schichten als verfügbar und nicht als gleichberechtigt ansehen, sind hier viele treffende Beobachtungen dabei, die heute ebenso Bestand besitzen und unserer Gesellschaft gar den Spiegel vorhalten.
Diese Punkte modernisieren inhaltlich eine Krimikomödie, die weder hinsichtlich ihrer handwerklichen Umsetzung, noch ihrer grundsätzlichen Geschichte klassischer kaum sein könnte. Insoweit ist Mein fabelhaftes Verbrechen gleichermaßen Hommage wie eigenständig in einem Genre, das man so heutzutage nicht mehr zum Leben erweckt sieht. Sich auf die Stimmung einzulassen, mag anfangs ungewohnt sein, doch je abstruser die Entwicklung wird und je enger François Ozon am Ende die Schlinge um seine Figuren legt, umso amüsanter ist es, dem zuzusehen.
Fazit:
„Ich weiß langsam nicht mehr, was Gut und was Böse ist“, sagt der Vater von Madeleines Verehrer André in einem Moment. An diesem Punkt kann man ebenfalls bereits angekommen sein, wenn man sich fragt, ob es richtig, oder falsch ist, dass diese zwei Frauen die Sensationslust einer Gesellschaft, die sie zuerst übersieht und dann vorverurteilt, für sich nutzt. Bewusst humorvoll, im Verlauf nur umso mehr, gelingt Filmemacher François Ozon eine Krimikomödie, die nicht nur die Eigenschaften derselben aus der Goldenen Zeit des Films aufgreift, sondern dem Ursprung jener Theaterstücke im selben Zug Respekt zollt. Mit rasanten Dialogen, teils beißend satirisch, einer tadellosen Inszenierung und viel Augenzwinkern, ist Mein fabelhaftes Verbrechen so amüsant wie charmant. Klasse!