Lyle - Mein Freund, das Krokodil [2022]

Wertung: 2.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 8. Oktober 2022
Genre: Komödie / Fantasy

Originaltitel: Lyle, Lyle, Crocodile
Laufzeit: 106 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Josh Gordon, Will Speck
Musik: Matthew Margeson, Benj Pasek, Justin Paul
Besetzung: Javier Bardem, Constance Wu, Winslow Fegley, Scoot McNairy, Shawn Mendes (Stimme), Brett Gelman, Lyric Hurd


Kurzinhalt:

Trotz größter Mühe, bleibt dem singenden wie tanzenden Entertainer Hector P. Valenti (Javier Bardem) der Erfolg verwehrt. Bei einer wichtigen Talentshow wird er sogar wiederholt abgelehnt. Auf der Suche nach etwas, das seinen Auftritt einzigartig macht, findet er in einer Tierhandlung ein singendes Krokodilbaby, Lyle (Shawn Mendes). Doch Lyle leidet unter Lampenfieber, so dass Hector weiterhin allein auftreten muss. Als in seine Wohnung die Familie Primm einzieht, findet der ängstliche Teenager Josh (Winslow Fegley) in Lyle seinen ersten Freund in der neuen Stadt. Doch Lyle erkennt auch, weshalb Joshs Mutter Katie (Constance Wu), eine erfolgreiche Kochbuchautorin, unglücklich ist. Während Lyle nicht nur ihr Leben, sondern auch das von Joshs Vater Joseph (Scoot McNairy) zum Besseren wendet, hat es der verbitterte Nachbar Mr. Grumps (Brett Gelman) auf Lyle abgesehen und auch Hectors Rückkehr sorgt für Wirbel, denn der will endlich mit dem singenden Lyle Erfolge feiern …


Kritik:
Die Realverfilmung der Kindergeschichte Lyle - Mein Freund, das Krokodil aus dem Jahr 1965 (bzw. von dessen Vorgeschichte drei Jahre zuvor) ist weniger ein Film für die ganze Familie als ein mit Musikeinlagen versetztes Märchen um ein singendes Krokodil, das sich bewusst an ein ganz junges Publikum richtet. Dagegen ist grundsätzlich auch nichts einzuwenden, doch geben sich die Verantwortlichen kaum Mühe, ihre Geschichte über das Mindestmaß hinaus zu entwickeln. Das Ergebnis ist so oberflächlich, dass man direkt hindurchsehen kann.

Wer außer dem Titel gebenden Krokodil im Zentrum der Geschichte steht, ist dabei schwer zu sagen. Zu Beginn wird Lyle von dem wenig erfolgreichen Entertainer Hector P. Valenti entdeckt, nachdem dieser erneut bei einer Talentshow untergegangen ist. Ihm wird der Rat mit auf den Weg gegeben, die Jury mit etwas zu überraschen, was diese noch nicht gesehen hat. In einem Geschäft für tierische Kuriositäten wird Hector auf ein singendes Krokodilbaby aufmerksam, das er Lyle nennt, und mit dem er fortan probt. Er verwettet sogar seine Wohnung in Manhattan auf den Erfolg, doch Lyle ist schüchtern und hat Lampenfieber. So muss Hector, um seine Schulden abzubezahlen, allein auf Tour gehen und Lyle bleibt zurück. Eineinhalb Jahre später bezieht die Familie Primm Hectors verlorene Wohnung. Die drei Familienmitglieder haben jeweils mit eigenen Unsicherheiten zu kämpfen. Vater Joseph ist Lehrer, kann sich aber vor der Klasse nicht durchsetzen. Sein Sohn Josh ist generell sehr ängstlich, wagt sich kaum nach draußen und ist auch an der neuen Schule isoliert. Seine Stiefmutter Katie hat Kochbücher veröffentlicht, ist aber so sehr Routinen und gesunder, zuckerarmer Ernährung verhaftet, dass ihr der Spaß im Leben ebenso fehlt, wie sie fürchtet, den Draht zu Teenager Josh zu verlieren und nicht mehr gebraucht zu werden. Ihrer aller Leben wird verändert, als sie auf Lyle treffen, der all diese Monate auf dem Dachstuhl verbracht hat. Hinzu kommt ein pedantischer Nachbar, der das Leben der Familie noch schwerer macht, und der Umstand, dass urplötzlich Hector wieder vor der Tür steht, um einen weiteren Anlauf mit dem singenden Lyle zu wagen.

Das klingt, als wäre hier viel zu erzählen. Umso erstaunlicher, wie wenig die Regisseure Josh Gordon und Will Speck daraus machen. Dass die verschiedenen Figuren nicht viel mehr als die Anhäufung von Klischees sind, darüber kann man noch hinwegsehen und wer denkt, beim in der neuen Stadt von Furcht ergriffenen Josh würde einzig ein Asthmainhalator fehlen, um das Klischee abzurunden, dann zieht er diesen aus der Tasche. Auch wäre es eine schöne Aussage, würde Lyle - Mein Freund, das Krokodil davon erzählen, wie Lyle das Leben dieser Familie zum Besseren wendet, ihnen ihre Ängste nimmt und sie selbstbewusster werden lässt. Doch geschieht das alles in einer Geschwindigkeit, die man sich kaum ausmalen kann. In einem Moment steht Lyle Josh gegenüber, im nächsten verbringen sie die Nacht damit, in Mülltonnen nach Essen zu suchen und auf einem verlassenen Hausdach ein fürstliches Mahl zu genießen. In einer Sekunde sieht Lyle Katie mit Wehmut Kinderfotos von Josh ansehen, in der nächsten kocht und backt er singend mit ihr. Die einzelnen „Episoden“ dieser Charaktere, die in einem Kinderbuch jeweils ein Umblättern entfernt aufgelöst werden, sind kein wirklicher Prozess im Film, sie werden gezeigt und gelöst. Dabei spielen viele Details, wie dass Joshs Mutter starb, als er sehr klein war oder eben sein Asthma, keine wirkliche Rolle für die Figur und scheinen unnötig aufgesetzt.

Doch spätestens, wenn Hector zurückkehrt, um mit den Primms in seinem ehemalig Haus zu wohnen, nimmt Lyle - Mein Freund, das Krokodil surreale Züge an, was viel aussagt, in Anbetracht der Ausgangslage. Die an sich hörenswert und kindgerecht dargebrachten Aussagen, mutig und selbstbewusst zu sein, aber auch den Zufall zuzulassen, weichen dann Eindrücken wie einem grundlos vor der Kamera Zaubertricks vollführenden Hector (der von niemand geringerem als Charakterdarsteller Javier Bardem gespielt wird), während Lyle im Hintergrund kocht oder steppt. Sie machen sich auf, die Stadt zu erkunden, wobei niemand bemerkt, dass Lyle ein aufrecht gehendes Krokodil mit einem T‑Shirt ist. Hinzu gesellt sich eine Katze mit Durchfall oder die wiederkehrende Talentshow, zu der die Erzählung unweigerlich führt. Die Songs wirken inhaltlich so dürftig wie erzwungen. Dabei erzählen sie die Geschichte nicht wirklich fort, wobei es eine tatsächliche Story im Mittelteil gar nicht gibt. Dafür Szenen wie den erwachsenen Joseph, der in voller Sportkleidung mit einem ausgewachsenen Krokodil auf dem Dachstuhl ringt.

Hier gibt es viele herzerwärmende Ideen, nicht zuletzt Lyles Feingefühl, der sich in seinen Songs ausdrückt, immerhin sind sie seine Art, zu sprechen. Er scheint auch zu erkennen, zu spüren, was für Absichten die Menschen haben – was nicht erklärt, weshalb er zu Hector steht, der ständig aus ihm Profit schlagen will. Dass auch hier eine Kehrtwende kommt, überrascht nicht, nur ergibt sie für die Figur keinen großen Sinn. Lyle - Mein Freund, das Krokodil will Unterhaltung für die ganze Familie sein, was durch die positiven Aussagen unterstrichen wird, die zuckersüß lächelnden Hauptfiguren und die Musikeinlagen, die traditionell ein junges Publikum begeistern. Inhaltlich ist das von den Verantwortlichen auch sicher nicht böse gemeint, doch in der besuchten Vorstellung gab es keine Handvoll Momente, bei denen die Kinder im Publikum gelacht haben. Das ist an sich bereits Wertung genug.


Fazit:
Selbst, wenn man keine anspruchsvolle Geschichte erzählt, kann diese doch inhaltlich wertvoll dargebracht sein. Dass bei Hectors Absichten um Ruhm und Erfolg Lyles Wünsche außen vor bleiben, er damit aber auch glücklich sein muss, ist ebenso hörenswert, wie die Veränderung der Familie Primm. Nur ist all das so oberflächlich präsentiert und in jeweils einem Moment thematisiert, als gäbe es keinen inhaltlichen Aufbau, keine Entwicklung. Auch streut Lyle - Mein Freund, das Krokodil viele aufmunternde Aussagen ein, die für sich genommen aufgesetzt erscheinen. Ebenso die Musikeinlagen, die kaum Text oder Inhalt besitzen. Und obwohl die Trickeffekte bei allen tierischen Akteuren erstaunlich gut gelungen sind, erscheint der junge Darsteller im Zentrum überfordert, ohne menschlichen Gegenpol agieren zu müssen. Die Filmemacher Josh Gordon und Will Speck adaptieren die Kindergeschichte um das singende Titelkrokodil womöglich werkgetreu, doch funktioniert die Story als Film nur bedingt. Dabei wären die Aussagen durchaus wichtig. Sicher, die Musik ist eingängig und wenn das Zielpublikum auch deshalb unterhalten wird, gibt es dagegen nichts einzuwenden. Doch mehr als gute Absichten der Verantwortlichen finden sich hier insgesamt nicht. Schade.