Longlegs [2024]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 11. Juli 2024
Genre: Horror / Thriller / Fantasy

Originaltitel: Longlegs
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: Kanada / USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Oz Perkins
Musik: Zilgi
Besetzung: Maika Monroe, Nicolas Cage, Alicia Witt, Blair Underwood, Kiernan Shipka, Dakota Daulby, Lauren Acala, Lisa Chandler, Erin Boyes, Rryla McIntosh, Charles Jarman


Kurzinhalt:

Als die junge FBI-Agentin Special Agent Lee Harker (Maika Monroe) den Auftrag erhält, an Haustüren Befragungen auf der Suche nach einem gesuchten Verbrecher durchzuführen, hat sie eine starke Ahnung, in welchem Haus sich dieser aufhält. Es ist nicht das erste Mal, dass ihre Intuition geradezu übernatürliche Ausmaße annimmt. Genau deshalb betraut ihr Vorgesetzter, Agent Carter (Blair Underwood), Lee mit der Aufklärung einer Mordserie, die seit Jahrzehnten das FBI vor ein Rätsel stellt. Schon bald erkennt Lee nicht nur ein Muster, sondern ahnt, dass der Täter, der sich selbst „Longlegs“ (Nicolas Cage) nennt, mehr als ein gewöhnlicher Mensch sein könnte. Durch den Kontakt mit ihrer streng religiösen Mutter Ruth (Alicia Witt), von der Lee sich schon seit langem entfremdet hat, drängt sich sogar der Verdacht auf, es könnte eine persönliche Verbindung zwischen Lee und Longlegs bestehen, der ihr einen seiner unlesbaren Briefe zukommen lässt. Lee muss den Fall lösen, damit nicht eine weitere Familie ermordet wird, doch die Zeit läuft ihr davon …


Kritik:
Oz Perkins’ düsterer Okkult-Horror-Thriller Longlegs erinnert nicht von ungefähr an den Genre prägenden Das Schweigen der Lämmer [1991]. In beiden Filmen jagt eine junge FBI-Agentin einen Serienmörder und beide sind in einnehmend faszinierenden Bildern eingefangen. Aber während letztgenannter trotz der verstörenden Thematik für viele Zuschauerinnen und Zuschauer zugänglich in Szene gesetzt ist, richtet sich die bewusst langsame und durchaus beunruhigende Erzählung hier an ein spezielles Publikum.

Angesiedelt in den 1990er-Jahren, springt Filmemacher Perkins in einzelnen Szenen oder auch nur Erinnerungen der Figuren in der Zeit zurück und rahmt diese Momente bildlich auffällig ein. Die eigentliche Erzählung handelt von der introvertierten FBI-Agentin Lee Harker, die bei einem Außeneinsatz intuitiv das Versteck eines gesuchten Verbrechers bestimmt und anschließend in einer Reihe von Tests eine geradezu übernatürliche Intuition beweist. Deshalb betraut ihr Vorgesetzter, Agent Carter, sie mit einem Fall, der das FBI seit Jahrzehnten beschäftigt. Über einen Zeitraum von 30 Jahren wurden bislang 11 Familien an der Küste Oregons grausam ermordet. Das Bizarre daran ist, dass es den Anschein hat, die Taten wurden jeweils von einem Familienmitglied verübt, das sich im Anschluss selbst das Leben nahm. Dem steht jedoch entgegen, dass an allen Tatorten ein Brief in kryptischen Zeichen entdeckt wurde, deren Inhalte nicht entschlüsselt werden können. Sie alle sind mit „Longlegs“ unterzeichnet.

Schlimmer als der Horror, den man sieht, ist das Ungewisse, das man nur erahnen, aber nicht sehen kann. Insofern zahlt sich Oz Perkins’ Entscheidung, den Titel gebenden Bösewicht lange Zeit nicht vollends zu zeigen, spürbar aus. Umso mehr, da Nicolas Cage in der Rolle eine seiner beunruhigendsten und Furcht einflößendsten Darbietungen zeigt, unterstützt durch eine sein Erscheinungsbild entfremdende Maskenarbeit. Longlegs erzeugt dadurch bereits in den ersten Minuten eine beunruhigende Stimmung, die der Thriller bis zum Schluss selbst dann aufrecht erhält, wenn nichts Verstörendes geschieht. Das liegt auch an der geradezu surrealen Charakterisierung von Hauptfigur Lee Harker selbst. Die junge FBI-Agentin scheint auf eine Art und Weise distanziert, dass ihr die Gesellschaft anderer Menschen sichtbar Unwohlsein bereitet. Telefoniert sie mit ihrer Mutter, klingen auch diese Gespräche entfremdet und liefert das Drehbuch schließlich eine Begründung für all dies, fallen die vielen Puzzleteile, die zuvor vorgestellt werden, an Ort und Stelle.

Allerdings scheint Longlegs nicht darauf aus, eine Entwicklung von Harker vorzustellen, was es überaus schwer macht, mit ihr mitzufiebern. Behält sie bestimmte Erkenntnisse für sich, studiert ihr Gegenüber, anstatt durch tatsächliche Ermittlungsarbeit das Rätsel um die Morde aufzudecken, dann wirkt ihr Verhalten geradezu weltfremd und nur schwer nachvollziehbar. Das gipfelt schließlich darin, dass sie – als hätte sie ihren Körper verlassen und würde sich selbst beobachten – am Ende so spät eingreift, dass man nicht einzuschätzen vermag, auf welcher Seite sie tatsächlich steht. Die schweigsame, in sich gekehrte Figur bringt Maika Monroe gelungen zur Geltung, doch bedeutet das, dass kaum deutlich wird, was wirklich in Lee Harker vorgeht.

Die Unterteilung in drei Kapitel verleiht der Erzählung zumindest augenscheinlich eine Bedeutsamkeit, die sich zudem nicht in der Geschichte widerspiegelt. Selbst wenn die an sich durchaus einfallsreich gelungen ist, worauf manche Verbindungen hier hinauslaufen, welche Figuren das Finale letztlich umfassen wird und wie der Prolog damit in Zusammenhang steht, ist für Genrefans weit absehbar. Dafür hält sich Longlegs mit der Einbindung des Fantasy-Elements erstaunlich lange zurück und etabliert trotz der ausführlich dargelegten Hintergrundgeschichte keine greifbare Mythologie. Nimmt man hierzu noch den bewusst langsamen Aufbau der Erzählung, der auf Atmosphäre denn auf Fortschritte bei der Ermittlung des FBI setzt, wird deutlich, dass sich Regisseur Perkins zwar an erfolgreichen Genrevertretern wie eben Das Schweigen der Lämmer oder auch Sieben [1995] orientiert, aber doch ein anderes Publikum ansprechen will. Das wird sein Film auch finden – es wird nur ein kleineres sein.


Fazit:
Es ist kaum zu übersehen, mit viel Bedacht Filmemacher Oz Perkins seine düstere Geschichte in Szene setzt. Mit großen, roten Flächen, die lange gezeigt werden, erzeugt er Falschfarben auf der Netzhaut der Zuschauerinnen und Zuschauer. Selbst in kargen Schneelandschaften oder den spärlich ausgeleuchteten Räumlichkeiten glaubt man, schemenhafte Umrisse im Hintergrund zu erkennen. Zeigt er schließlich die Titelfigur, ist sie ganz anders, als man sie sich vorgestellt hat. Vieles hieran ist gelungen und sehenswert, allen voran die erstklassige Optik, die mit ihrer oftmals praktizierten Symmetrie und langen Einstellungen eine Atmosphäre und Spannung erzeugt, die vielen anderen Genrefilmen fehlt. Simmernd stimmungsvoll von Beginn bis Schluss, ist Longlegs insbesondere von Maika Monroe und Nicolas Cage fantastisch gespielt. Doch ist die erste Stunde derart langsam erzählt und Lee als Figur auf eine Art und Weise unnahbar, dass man kaum mit ihr mitfiebern kann. Dass sie sich nicht wirklich entwickeln darf, verstärkt dies nur noch. So einfallsreich und auch interessant die Geschichte zudem ist, viele Details sind absehbar und die okkulte Ausrichtung kommt beinahe zu spät, wobei die Zusammenhänge in einem langen Monolog erläutert werden, anstatt dass Lee sie Stück für Stück aufdecken darf. Das ist zwar schade, wird jedoch das spezielle Publikum, an das sich der unheimlich übersinnliche Thriller richtet, nicht stören.