Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger [2012]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 23. Oktober 2013
Genre: Fantasy / DramaOriginaltitel: Life of Pi
Laufzeit: 127 min.
Produktionsland: USA / Taiwan / Großbritannien
Produktionsjahr: 2012
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Ang Lee
Musik: Mychael Danna
Darsteller: Suraj Sharma, Irrfan Khan, Adil Hussain, Tabu, Ayush Tandon, Gautam Belur, Ayaan Khan, Mohd. Abbas Khaleeli, Vibish Sivakumar, Rafe Spall, Gérard Depardieu, Andrea Di Stefano, Shravanthi Sainath, James Saito, Jun Naito
Kurzinhalt:
Auf einen Rat hin sucht der Autor (Rafe Spall), der sein jüngstes Werk nicht vollenden konnte, in Montréal, Kanada den aus Indien stammenden Piscine Molitor Patel (Irrfan Khan) auf, der die fantastischste Geschichte zu erzählen haben soll, die man sich vorstellen kann. Der ruhige Patel erzählt daraufhin von seiner Kindheit in Pondicherry, Südindien, wo er (Gautam Belur / Ayush Tandon) und sein Bruder Ravi (Ayaan Khan / Mohd. Abbas Khaleeli) bei ihren Eltern Santosh (Adil Hussain) und Gita (Tabu) aufgewachsen sind. Da sein Vater ein Zoodirektor war, hatte er schon immer viel Kontakt mit Tieren.
Als sein Vater beschließt, die Zootiere zu verkaufen und nach Kanada auszuwandern, bricht für den nur noch Pi (Suraj Sharma) genannten Piscine eine Welt zusammen. Während der Überfahrt gerät der Frachter mit Pi, seiner Familie und den Tieren an Bord in Seenot und wenig später befindet sich Pi an Bord eines Rettungsbootes mitten auf dem Ozean. An Bord ist auch der bengalische Tiger des Zoos, Richard Parker. Auf sich allein gestellt, bleibt Pi nichts anderes übrig, als zu versuchen, den Tiger zu dressieren. Es beginnt für ihn ein verzweifelter Kampf ums Überleben – und ein unglaubliches Abenteuer ...
Kritik:
Ang Lees Fantasy-Abenteuer Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger, basierend auf dem Roman von Yann Martel, gewinnt in den letzten Minuten überraschend eine neue Bedeutung. Bis dahin ist es ein schön anzusehender, lyrisch erzählter Film, dem vor allem eines fehlt: Eine emotionale Bindung an die Hauptfigur. Dabei mangelt es nicht an möglichen Deutungen des Geschehens, seien es die offensichtlichen religiösen Fragen, oder aber die grundlegende Konfrontation Mensch gegen Natur. Aber während es vielen Geschichten gelingt, unser Interesse unabhängig davon zu wecken, dass der Erzähler sein lebensbedrohendes Abenteuer sicher überlebt, klingt der erwachsene Piscine Molitor Patel, der davon erzählt, wie er auf hoher See mit einem Tiger im Rettungsboot gestrandet ist, so melancholisch, dass seine Erzählung erst packt, wenn wir sie am Ende neu verstehen.
Seine Erlebnisse schildert er einem namenlosen Autor, der ihn in Kanada aufsucht. Patel, seit Kindertagen nur Pi genannt, lässt uns an verschiedenen Stationen seines Lebens teilhaben, in denen er sich auch verschiedenen Glaubensrichtungen gestellt hat und von ihnen gleichermaßen geprägt wurde. Ob Hinduismus, Islam oder das Christentum, sie alle haben ihn beeinflusst. Zwar verschweigt er nicht, weshalb, und sein Bestreben, die Gemeinsamkeiten aller Religionen gleichermaßen anzunehmen ist löblich, doch lässt er dabei auch ihre grundsätzlichen Unterschiede unter den Tisch fallen.
Als er 16 Jahre alt ist, entschließt sein Vater, die Tiere des Zoos, der ihm gehört, zu verkaufen und mit der Familie nach Kanada auszuwandern. Auf der Überfahrt geschieht ein Unglück und wenig später befindet sich Pi an Bord eines Rettungsbootes, zusammen mit dem bengalischen Tiger "Richard Parker".
Auch wenn einige überzeichnete Figuren und die Erzählweise selbst bis dahin an exzentrische europäische Filme erinnert haben, was nach dem Schiffbruch folgt, behält gleichermaßen das Fantasy-Element bei, wie es auch den künstlichen Look bewahrt. Muss sich Pi den Platz auf dem Boot mit dem Tiger teilen (oder besser gesagt, dem Raubtier selbiges überlassen), fühlt man sich an ein Überlebensdrama erinnert. Nicht zuletzt, da Richard Parker aussieht wie ein wirklicher bengalischer Tiger. Im Gegensatz dazu lassen die Wasseraufnahmen selbst mit riesigen, leuchtenden Meeressäugern, malerischen Sonnenaufgängen vor einer spiegelglatten Wasseroberfläche, oder aber der Besuch auf einer seltsam geformten und geheimnisvollen Insel nie einen Zweifel daran aufkommen, dass Pis Geschichte nur eine Geschichte ist.
Aber wie packend kann eine solche Erzählung sein, wenn man weiß, dass sie in der Form nie stattgefunden haben kann? Ang Lee lässt sich mit seinen Figuren viel Zeit, im Mittelbereich, wenn man erwarten würde, dass er zwischen Pi und dem Tiger eine gewisse Beziehung entwickeln würde, vielleicht sogar zu viel. Dabei zeigt Life of Pi zwar die Einsamkeit, der sich Pi gegenübersieht, doch die ständige Bedrohung durch den Tiger ebbt nach wenigen Szenen schon wieder ab. Man ertappt sich sogar bei der Frage, weshalb Pi so viel daran gelegen ist, den Tiger im Boot zu behalten. Eine Antwort darauf gibt das Ende, das der Geschichte einen neuen Aspekt verpasst.
An einer Stelle verweist der Filmemacher darauf, dass man Raubtiere nie unterschätzen sollte, dass wir in ihnen nur sehen, was wir sehen wollen. Es ist eine Lektion, die Pi erst zu begreifen scheint, wenn er auf ewig von seinem Gefährten getrennt wird. Auch in dieser Facette schwingt bei dem Abenteuerfilm eine Botschaft mit, die so offensichtlich dargebracht wird, dass sie nicht zu überhören ist. Allerdings sind sie alle nicht neu oder überraschend vorgetragen. Life of Pi bietet in den fantasylastigen Teilen der Story unerwartete Wendungen, die gleichzeitig das persönliche Drama der Hauptfigur weniger ergreifend erscheinen lassen. Das macht am Ende die Parabel nicht weniger gelungen, doch passt hierzu der harte und vielleicht zutreffende Kern von Pis zweiter Geschichte nicht.
Fazit:
Abgesehen vom 3D experimentiert Regisseur Ang Lee auch mit verschiedenen Bildschirmformaten und wechselt gleich an zwei Stellen. Einmal ins Breitbildformat, einmal in die von früher bekannte Fernsehausrichtung. Während dies bei The Dark Knight [2008] beinahe unmerklich geschah, fällt der Wechsel hier deutlicher aus, vielleicht auch, da sich nicht alle Figuren an die Bildbeschränkung halten. Zusammen mit den beeindruckenden Bildern, denen aber eine ständige Künstlichkeit anhängt – von den Interviewszenen in Kanada abgesehen – verstärkt es den Eindruck, dass Lee seinem Film einen anspruchsvollen Touch verleihen möchte.
Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn er das menschliche Drama nicht aus den Augen verlieren würde. So fantastisch und unglaublich Pis Geschichte klingt, sie erscheint ab dem Moment, da er ins Rettungsboot fällt, bis er anlandet, nie wirklich. Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger ist nicht nur toll und aufwändig, wenn auch lang umgesetzt, es ist ein Film, der durch Pis zweite Geschichte einen glaubhaften, menschlichen Aspekt offenbart, welcher der Story bis dahin gefehlt hat. Pis Frage, welche Geschichte dem Autor besser gefallen hat, verleiht dem schwermütigen Erzähler eine Tiefe, die so spät im Film leider kaum mehr ins Gewicht fällt.