Kopfgeld - Einer wird bezahlen [1996]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 10. Juli 2005
Genre: Thriller / DramaOriginaltitel: Ransom
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1996
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Ron Howard
Musik: James Horner
Darsteller: Mel Gibson, Rene Russo, Brawley Nolte, Gary Sinise, Delroy Lindo, Lili Taylor, Liev Schreiber, Donnie Wahlberg, Evan Handler, Paul Guilfoyle
Kurzinhalt:
Gerade erst musste Tom Mullen (Mel Gibson) über sich und seine Familie eine Ermittlung des FBI ergehen lassen, unter dem Verdacht der Bestechung stehend. Doch der Inhaber einer Fluglinie hat alle Indizien gegen ihn entkräften können – da wird am hellen Tag bei einem Wissenschaftswettbewerb im Park sein zehnjähriger Sohn Sean (Brawley Nolte) entführt. Als Mullen und seine Frau Kate (Rene Russo) wenig später per E-Mail eine Nachricht mit Bildern ihres gefesselten Jungen bekommen, sind sie verzweifelt und schalten das FBI ein.
Nachdem die Kidnapper Jimmy Shaker (Gary Sinise), Clark (Liev Schreiber), Cubby (Donnie Wahlberg), Maris (Lili Taylor) und Miles (Evan Handler) zwei Millionen Dollar von Mullen fordern, scheitert bereits die erste Lösegeldübergabe. Doch während der FBI-Agent Hawkins (Delroy Lindo) weiterhin an eine Einigung mit den Entführern glaubt, fürchtet Mullen, dass die Entführer seinen Sohn auf jeden Fall töten werden.
So entschließt er sich zu einem unberechenbaren Schritt: er setzt das Lösegeld vor laufenden TV-Kameras als Kopfgeld auf die Entführer aus und provoziert so eine Kettenreaktion, die keiner der Beteiligten aufzuhalten vermag ...
Kritik:
Führt man sich einmal die Zahlen vor Augen, die in amerikanischen Statistiken aus dem Jahr 1999 veröffentlicht wurden und sich auf Kindesentführungen mit Lösegeldforderungen beziehen, möchte man als Elternteil sein Kind gar nicht mehr allein lassen: so wurden in jenem Jahr geschätzte 115 klassische Entführungen vorgenommen, in denen Lösegeld erpresst werden sollte. In 46 Fällen wurde das Kind getötet, in fünf weiteren nicht wieder gefunden. Sieht man sich andererseits die steigende Zahl der Kindesentführungen jedes Jahr an, die gerade in den Sommermonaten sichtlich ansteigen, kann man für die Betroffenen nur hoffen, dass es sich um eine Lösegelderpressung handelt. Dass dies in der heutigen Zeit, wie aber auch schon vor 10, 30 oder 50 Jahren ein heikles Thema ist, steht außer Frage – am 22. Juni 1954 wurde in der US-TV-Serie The United States Steel Hour [1953-1963] (eine Serie, in der Live vor laufender Kamera ein Stück aufgeführt wurde) das Theaterspiel "Fearful Decision" aufgeführt, in dem sich ein Vater weigert, das für seinen entführten Sohn verlangte Lösegeld zu bezahlen.
Die Episode war ein solch großer Erfolg, dass wenig später mit Glenn Ford in der Hauptrolle der Film Menschenraub [1956] produziert wurde, in dem das Thema erneut aufgegriffen wurde. 40 Jahre später setzte Regisseur Ron Howard den Stoff neu für die große Leinwand um, mit einer Starbesetzung und einem damals wie heute so brisanten wie kontroversen Thema.
Dass Kopfgeld dabei weltweit mit einem Einspielergebnis von über 300 Millionen Dollar überaus erfolgreich war, kann nicht an der vor Kinostart propagierten Marketing-Strategie gelegen haben, die leider das Bild vermittelte, als wäre es Tom Mullens einzige Absicht, das für seinen Sohn geforderte Lösegeld als Kopfgeld auf dessen Entführer auszusetzen – was damals viele Zuschauer abschreckte und zurecht als unlogisch, verkrampft und gekünstelt angeprangert wurde, entpuppt sich im Film jedoch als Mullens letzte Hoffnung, das Leben seines Sohnes zu retten; dem überaus gut geratenen Skript sei Dank.
Die beiden Drehbuchautoren Richard Price und Alexander Ignon legen dabei sehr viel Wert auf die Figuren, denen ein überraschend detaillierter Hintergrund verliehen wird, und die im Laufe des Films allesamt blank gelegt werden. Dass dabei die Motivation der Entführer großteils im Dunkeln belassen wird, ist schnell verziehen, denn dafür ist der ansich grundsympathische Tom Mullen erstaunlicherweise gänzlich anders angelegt, als man vermuten würde. So entfaltet der Film recht schnell eine Story um komplexe Charaktere, deren Bedrohung dank der intensiven Szenen sehr deutlich wird, und deren emotionsgeladene Momente zu den besten des Films gehören. Hinter Kopfgeld versteckt sich deshalb sowohl ein ausgeklügelter Thriller mit exzellenten Dialogen, als auch ein beklemmendes Drama, das nicht zuletzt Eltern an einem empfindlichen Punkt trifft.
Dass der Film dennoch sehr gut ausgearbeitete Momente des genreüblichen Katz-und-Maus-Spiels der beiden Protagonisten bietet, ist den ebenso ungewöhnlichen wie vielschichtigen Momenten der beiden zu verdanken, die gerade zum Finale hin die Spannung merklich anziehen und mit einigen Überraschungen aufwarten. So bleibt Ransom, wie der Film im Original treffend heißt – immerhin bedeutet es übersetzt sowohl Lösegeld, als auch Kopfgeld – gerade beim ersten Mal ansehen großteils unvorhersehbar und bietet auch bei wiederholtem Anschauen erfrischende Momente, auf die man zuvor nicht geachtet hat. Dass die Figuren statt der Action in den Vordergrund gestellt wurden tut dem Film sichtlich gut und hebt ihn auch deutlich über ähnliche Produktionen – dabei mag die demonstrierte Brutalität bisweilen erschrecken, und ist sicherlich für Jugendliche ungeeignet, trägt aber zum Realismus des Films merklich bei.
Die größte Stärke des Films ist jedoch unbestritten seine Besetzung, die man sich besser kaum wünschen könnte; von Mel Gibson mit einer seiner unscheinbarsten, weil am wenigsten auf heldenhaft getrimmten Figur angeführt findet man als Zuschauer eine Reihe bekannter, wenn auch häufig nur in Nebenrollen zu sehender Darsteller, die allesamt überzeugen und sich gegenseitig zu Höchstleistungen motivieren.
Dass Gibson zusammen mit Gary Sinise hier eine Vorreiterrolle übernehmen sei unbestritten, und beiden Darstellern zuzusehen ist ebenso beklemmend wie schweißtreibend, da ihre Reaktionen stets nachvollziehbar bleiben und ihre Charaktere – so unterschiedlich sie auch sein mögen – immer glaubhaft. Mel Gibson beweist hier Mut zu einer sehr ungewöhnlichen Rolle, für deren Verkörperung er zweifelsohne eine Oscarnominierung verdient hätte, während Sinise nach Apollo 13 [1995] und Forrest Gump [1994] zu einer ganz anderen Rollenart gegriffen hat, und hier mit seiner Mimik und Gestik die Zuschauer regelrecht schockiert.
Den beiden Stars stehen Akteure wie Rene Russo und Delroy Lindo zur Seite, die beide Szenen zugeschrieben bekommen, in denen sie in Aktion treten dürfen und dies auch problemlos meistern – Russo, die zuvor bereits in Lethal Weapon 3 - Die Profis sind zurück [1992] an Gibsons Seite zu sehen war, kann auch hier mit ihrer natürlichen Art überzeugen, wohingegen Lindo dank seines Charismas zweifelsohne in Erinnerung bleibt.
Donnie Wahlberg ist leider nur kurz zu sehen, hat jedoch einige exzellente Szenen, ebenso wie Liev Schreiber, dessen Rolle man sich noch ausführlicher gewünscht hätte. Lili Taylor überrascht mit einer gänzlich ungewöhnlichen Rollenauswahl, aber auch sie hinterlässt einen sehr guten Eindruck – ebenso wie Evan Handler, der aber kaum in Erscheinung tritt.
Wirklich überraschend ist hingegen der Auftritt von Brawley Nolte, Sohn von Hollywood-Schauspieler Nick Nolte, der allerdings nach Kopfgeld nur in einem weiteren Film mitgewirkt hat. Seine darstellerische Leistung ist gerade in den letzten 10 Minuten des Films wirklich außergewöhnlich gut gelungen und dank des intelligenten Drehbuchs auch weit weg von den Hollywood-Klischees.
Dank der hochkarätigen Besetzung, die vom Drehbuch ausnahmslos gefordert und im Falle der Hauptakteure auch bis an die Grenzen gebracht wird, verfügt Ransom über eine Ausgangslage, die sich viele Produktionen nur wünschen können – dass neben bekannten Akteuren auch unverbrauchte Gesichter zu sehen sind, die vom Regisseur aber ebenso stark gefordert werden, spricht nur für den Film.
Geht es um die Auswahl seiner Kameramänner, sah sich Regisseur Ron Howard Anfang der 1990er Jahre einem recht ungewöhnlichen Problem gegenüber: nachdem er mit dem Dänen Mikael Salomon sowohl an Backdraft - Männer, die durchs Feuer gehen [1991], als auch bei In einem fernen Land [1992] zusammen gearbeitet hatte, hängte Salomon seinen bisherigen Job an den Nagel und wechselte ins Regie-Fach, wo er an einigen Serien mitwirkte, Hard Rain [1998] in die Kinos brachte und auch an Band of Brothers - Wir waren wie Brüder [2001] beteiligt war. Seither wechselte Howard bei beinahe jeder Produktion seinen Hauptverantwortlichen für die Optik, griff bei Kopfgeld auf den in Polen geborenen Piotr Sobocinski zurück, der für seine Kameraführung beim letzten Teil der Drei Farben-Trilogie sogar für den Oscar nominiert wurde.
Ebenso wie die beiden Cutter Mike Hill und Daniel P. Hanley (mit denen Howard häufig zusammenarbeitet, und die für Apollo 13 auch den Oscar erhielten) hätte Sobocinski zumindest eine Nominierung sicherlich verdient, denn handwerklich verbirgt sich hinter Ransom einer der bestfotografierten und geschnittenen Thriller des Genres. Mit klugen Szenenwechseln, parallelen Erzählweisen in bestimmten Sequenzen und durchdachten Kameraeinstellungen, die in manchen Situationen nah an die Beteiligten herangehen und dann wieder geschickt mit einer sich entfernenden Kamerafahrt verdeutlichen, wie verlassen und allein sich die Charaktere fühlen, wird man als Zuschauer Teil des Geschehens, bekommt die Zweifel und Sorgen, Ängste und den Zorn der Charaktere zu spüren, ohne dass Regisseur Howard die leidenden und weinenden Gesichter in Großaufnahme ausbeuten würde.
Temporeich und spannend, dabei doch immer einfallsreich was die Blickwinkel angeht und nie vorhersehbar kann man allen Beteiligten nur gratulieren – umso größer der Verlust, dass Piotr Sobocinski im Frühjahr 2001 im Alter von nur 43 Jahren verstarb.
Nach Willow [1988] und dem oscarnominierten Apollo 13 markiert Kopfgeld eine weitere Zusammenarbeit zwischen Regisseur Ron Howard und Komponist James Horner, die seitem noch drei weitere Male zusammen gearbeitet haben – dabei war Horner allerdings gar nicht als Komponist für Ransom vorgesehen. Doch nachdem der ursprünglich von Howard Shore (Der Herr der Ringe [2001-2003]) komponierte Soundtrack vom Regisseur abgelehnt wurde, stieß Horner hinzu und verlieh dem Film einen ebenso mitreißenden wie bedrückenden Score, der mit vielen dumpfen Stücken, rhythmischen Themen und wuchtigen Bässen überzeugt.
Höhepunkt auf dem auch auf CD erhältlichen Soundtrack sind zweifelsohne die beiden Stücke der ersten Lösegeldübergabe, das über zehn Minuten lang ist, und das ebenso brutale wie hitzige Finale des Films, das allerdings stark an Horner kongenialen und oft (auch von ihm) kopierten Score zu Aliens – Die Rückkehr [1986] erinnert. So ist sein Soundtrack zu Kopfgeld zwar nicht der originellste und abwechslungsreichste (immerhin hatte Horner knapp zwei Wochen Zeit, den Score zu vollenden nach Shores abgelehnter Musik), bringt aber mit seinen hohen Streichern die Emotionen der Figuren ebenso gut zum Vorschein, wie die bedrohliche Situation des Jungen und die verzweifelte Situation der Eltern. Wenn Regisseur Ron Howard gekonnt das Tempo anzieht, ohne Worte nur durch die Mimik der Darsteller die Entscheidungen der Figuren verdeutlicht und so die Kreise um die unausweichliche Katastrophe immer enger zieht, ist es James Horners Score, der die Handflächen des Zuschauers vor Anspannung feucht werden lässt, und einem an anderen Stellen die Kehle zuschnürt – mehr kann man sich von einer Filmmusik nicht erhoffen. Horner wurde hierfür von seiner Zunft zurecht mit einem Preis ausgezeichnet.
Als Kopfgeld für eine Heimvideo-Veröffentlichung vorbereitet wurde, ein Jahr nach Kinostart in den USA, war das Medium DVD bei weitem nicht so weit verbreitet, wie es heute der Fall ist. Kein Wunder also konnte die auf der Silberscheibe veröffentlichte Filmfassung keine Lorbeeren kassieren, überzeugte zwar mit einem Atmosphärischen Surround-Sound und einer guten Bildschärfe, wies jedoch Kompressionsartefakte und einige Dropouts auf. Vollkommen unverständlich ist allerdings, weswegen sechs Monate zuvor ausschließlich in den USA eine LaserDisc-Veröffentlichung des Films stattfand, auf der ganze 18 Minuten mehr Film enthalten waren!
Diese "Extended Edition" war wohl ursprünglich für die Kinoveröffentlichung vorgesehen, ehe die Produzenten der Ansicht waren, man müsse das Geschehen für das Publikum straffen – dass dabei aber ganze Nebenhandlungsstränge und Charakterentwicklungen weichen mussten, ist wirklich bedauerlich, zumal manche Entscheidungen von Tom Mullen (wie sein Geständnis über die Bestechungs-Affäre gegenüber Agent Hawkins) durch die neuen Szenen auch mehr Sinn ergeben. Vor knapp einem Jahr, im Frühjahr 2004 erschien eine neue DVD-Auflage in den USA, die zwar nun die in der europäischen Version enthaltenen Gelöschten Szenen samt Regiekommentar enthielt, aber nach wie vor keine neuen Szenen. So kann man als Filmfan nur hoffen, dass sich der Verleih für das zehnjährige Jubiläum des Films dazu durchringen kann, die erweiterte Fassung von Ransom auf DVD zu veröffentlichen, auch wenn ein deutscher Vertrieb eher unwahrscheinlich ist, da man hierzulande die Kosten für eine Nachsynchronisation oftmals scheut.
Doch auch in der vorliegenden Version gibt es an Kopfgeld nicht viel auszusetzen, dank der intensiven Darstellerleistungen, der handwerklich erstklassigen Umsetzung und des schweißtreibenden Scores von James Horner sieht man auch über unlogische Momente des bisweilen kammerspielartig umgesetzten Entführungsthrillers gern hinweg. Zu sehen, wie sich Mel Gibson und Gary Sinise gegenseitig zu Höchstleistungen anspornen, ist bereits das Einschalten wert, und wenn man sich einmal ernsthaft die Frage stellt, wie man denn selbst reagieren würde, sollte man in eine solche Situation geraten, dürften manche ins Grübeln geraten.
Es ist eine vielzitierte Politik, sich bei Lösegeldforderungen eisern zu zeigen, um sich nicht erpressbar zu machen, doch trifft dies tatsächlich einen geliebten Menschen, kann man mit Logik nicht mehr argumentieren.
Fazit:
Zu welchen Mitteln würde man greifen, wäre man in der Situation von Tom Mullen? Diese Frage muss man sich als Zuschauer spätestens nach dem Film stellen, und wird dann ebenso ahnungslos wie überrascht sein. Dass die beinahe schon wahnwitzig anmutende Entscheidung der Hauptfigur, das Lösegeld als Kopfgeld auf die Entführer auszusetzen, ebenso riskant wie absurd klingt, aber im Film glaubhaft als Mullens Verzweiflungstat aufgezeigt wird, ist ein Verdienst des intelligenten und reifen Skripts, das dem Zuschauer lebensnahe Figuren präsentiert, ohne in Klischees zu verfallen – und wenn im Laufe der knapp zwei Stunden so manche Seele blank gelegt wird, lässt einen das auch nicht unberührt zurück.
Dies ist den herausragenden Darstellern zu verdanken, die Kopfgeld über vergleichbare Filmproduktionen hinausheben und auch lange im Gedächtnis bleiben, allen voran Mel Gibson, Gary Sinise und Rene Russo. Dank der sehr guten Inszenierung von Ron Howard, der seinen Film in ebenso einfallsreiche wie aussagekräftige und symbolische Bilder kleidet, das Geschehen schweißtreibend spannend und doch unvorhersehbar hält, gehört Ransom zu den besten Thrillern seines Fachs – wozu auch die beklemmende Musik von James Horner beiträgt.
So mag es unbestritten einige Schwachpunkte in der Logik geben, doch die werden von allen positiven Aspekten des Thrillerdramas rasch aufgewogen.