Juno [2007]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. Mai 2007
Genre: Komödie / Unterhaltung

Originaltitel: Juno
Laufzeit: 96 min.
Produktionsland: USA / Kanada
Produktionsjahr: 2007
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Jason Reitman
Musik: Matt Messina
Darsteller: Ellen Page, Michael Cera, Jennifer Garner, Jason Bateman, Allison Janney, J.K. Simmons, Olivia Thirlby, Eileen Pedde


Kurzinhalt:
Juno (Ellen Page) ist 16 – und schwanger. Schuld daran ist sie selbst, immerhin war es ihre Idee, mit ihrem Freund Paulie Bleeker (Michael Cera) zu schlafen. Für sie war es eher ein Zeitvertreib, eine Zukunft kann sie sich mit ihm nicht vorstellen. Doch als sie sich die Abtreibungsklinik von innen ansieht, kommen ihr Zweifel. Junos Vater Mac (J.K. Simmons) und ihre Stiefmutter Bren (Allison Janney) sind von der Situation nicht begeistert, unterstützen sie aber in ihrem Vorhaben, das Baby nach der Geburt dem kinderlosen Paar Vanessa (Jennifer Garner) und Mark Loring (Jason Bateman) zu geben.
Doch je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, umso mehr stellt sich Juno die Frage, ob Paulie, den sie immer wieder von sich gewiesen hat, nicht doch der richtige ist – und umso mehr fragt sich Mark, ob er denn bereit ist, Vater zu werden. Bis die Situation schließlich doch komplizierter wird ...


Kritik:
Als Juno, inszeniert vom Thank You for Smoking [2005]-Regisseur Jason Reitman, im Spätsommer 2007 auf verschiedenen Festivals zu sehen war, konnte die Produktion schnell ein Publikum für sich gewinnen. Als der Film wenige Wochen vor Weihnachten in den amerikanischen Kinos anlief und trotz der relativ geringen Anzahl an Kopien beinahe 150 Millionen Dollar einspielte – und zusätzlich noch vier Oscarnominierungen einheimsen konnte – war sein Kultstatus insbesondere bei der Independent-Filmgemeinschaft zementiert. Juno steht seither für die Verknüpfung von Arthouse-Kino mit Mainstream-Unterhaltung. Er brachte sozusagen den Kunstfilm in die großen Lichtspielhäuser.
Seither wurde er beworben und gelobt, das Skript der Autorin Diablo Cody sogar mit dem Oscar prämiert – doch nach all dem Hype ist die Ernüchterung nach den knapp eineinhalb Stunden Unterhaltungskino recht groß. Und das Hauptmanko scheint dabei insbesondere die Vorlage zu sein.

Ob Brooke Busey, die unter dem Pseudonym Diablo Cody unter anderem das Drehbuch schrieb, autobiografische Elemente in Juno mit einfließen ließ, ist nicht bekannt. Dabei wäre ihr bisheriges Leben ebenfalls ein Skript wert; Anfang zwanzig begann sie nebenberuflich als Stripperin zu arbeiten, eine Tätigkeit, die ihr so viel Spaß machte, dass sie es gar zum Vollzeitberuf umfunktionierte, ehe sie ihren Langzeitfreund Jonny heiratete, den sie über das Internet kennen gelernt hatte. Die Ehe ist nach nur drei Jahren wieder geschieden worden, Busey veröffentlichte ihre Memoiren im Entblätterungsgewerbe und wurde für Juno mehrmals preisgekrönt. Neue Projekte sind seither in Arbeit und werden von Hollywood sehnlichst erwartet.
Dabei spricht nichts gegen den offenen, unverblümten Humor, mit dem Diablo Cody die Figuren in ihrem Teenager-Unterhaltungsdrama vorstellt. Die Dialoge, so sehr sie auch auf Schockmomente ausgelegt sind, um die Prüderie des Unterhaltungsfilms auf den Kopf zu stellen, scheinen meistens aus dem Leben gegriffen, oder zumindest nahe heran zu kommen. Doch von der üblichen Dreiteilung des Filmes einmal abgesehen, die Junos Erlebnisse in Herbst, Winter und Frühling gliedert, fehlen der Vorlage einige elementare Bausteine, um die unerwartete Teenie-Schwangerschaft auch für das Publikum interessant werden zu lassen.
So mag die trotzig-naive Juno zwar reden, als wäre sie eine nur leidlich erzogene junge Frau, doch gibt sich das Girlie nach seinen Erlebnisse, nach der Schwangerschaft und der Geburt, genauso naiv-trotzig wie zu Beginn, ein Lernprozess scheint bei ihr nicht eingesetzt zu haben. Ihre Figur entwickelt sich nicht, weder entstehen in dem unreifen "Fruchtzwerg", wie sie im Film genannt wird, Muttergefühle, noch ein Verantwortungsbewusstsein dem neuen Leben gegenüber, das sie in sich trägt. Sie scheint die neun Monate als netten Zeitvertreib zu sehen, eine Abwechslung zu ihrem sonst tristen Alltag. Doch bringt sie weder Verständnis für die Lage von Vanessa auf, deren Mutterwunsch unerfüllt blieb, noch dafür, dass ihre Situation alles andere als normal ist. Ihre Verantwortungslosigkeit wird in dem Sinne sogar noch dafür belohnt, dass sie auf einmal im Mittelpunkt des Geschehens steht. Insofern quasselt sie zwar unentwegt und dabei stellenweise noch pseudo-philosophisch, scheint dabei allerdings die unreifste Figur im ganzen Film. Wirklich sympathisch ist sie weder zu Beginn, noch am Ende.
Grundsätzlich scheint Juno auch keine konkrete Aussage treffen zu wollen. Vielmehr möchte einem das Drehbuch vermitteln, dass der verantwortungslose Umgang Jugendlicher mit Sexualität insofern ohne Konsequenzen bleibt, als dass es entweder genügend Einrichtungen gibt, in denen man die "Ergebnisse" jener Zeitvertreibe abtreiben lassen kann, oder aber man findet im Anschluss jemand, an den man das Kind abgeben kann. Verantwortung lernen kann man schließlich, wenn man erwachsen ist. Wie ein solcher Umgang mit der Thematik von der "Filmbewertungsstelle Wiesbaden" mit dem "Prädikat besonders wertvoll" versehen werden kann, ist wirklich schleierhaft.
Ohne Zweifel sind die Dialoge pointiert geschrieben, der Wortwitz mitunter sehr charmant, doch fehlt es mitunter an einer Ernsthaftigkeit, mit der das Thema ebenfalls bedacht werden sollte. So wird beispielsweise angedeutet, dass Vanessas Melancholie angesichts von Junos Schwangerschaft beispielsweise von tragischen Fehlgeburten herrühren könnte, die sie selber erlitt – doch jene Gestik muss man als Zuseher selbst deuten, und ob es überhaupt so beabsichtigt war, wird ebenfalls nicht geklärt. Es scheint beinahe, als würden hier ganze Nebenhandlungen fehlen, als wäre man verzweifelt darum bemüht gewesen, jede negative Nuance aus Juno heraus zu halten. Was letztlich dabei herauskommt ist zwar durchaus unterhaltsam, hinterlässt aber denselben Nachgeschmack wie zwei Portionen Eiscreme. Auch wenn man sich kurz danach besser fühlt, stellt sich schnell das Gefühl ein, es hat das eigentlich Nahrhafte daran gefehlt.

An den Darstellern liegt es in diesem Falle wirklich nicht, zumal Ellen Page in der Hauptrolle derart charismatisch wirkt, dass man sich kaum vorstellen kann, dass die junge Schauspielerin erst 21 Jahre alt geworden ist. Mimik und Gestik wirken bei ihr so hervorragend auf einander abgestimmt, dass es eine Freude ist, ihr zuzusehen, auch wenn sie auf Grund der Drehbuchvorgaben nicht wirklich sympathisch erscheint.
Michael Cera, dem ein Moment im Film vorenthalten scheint, in dem er mehr verkörpern darf, als den trotteligen Erzeuger, der sich mit "tic tacs" durchs Leben schlägt, macht seine Sache grundsätzlich ebenfalls gut. Es bleibt abzuwarten, ob sich der Superbad [2007]-Darsteller auch in ernsthafteren Rollen bewähren kann. Olivia Thirlby, die unter anderem im Drama Flug 93 [2006] in einer Nebenrolle zu sehen war, spielt ihre Rolle zwar überzeugend, ist aber schauspielerisch nicht wirklich gefordert.
Anders hingegen Jennifer Garner, die die Entfremdung von ihrem Leinwandpartner Jason Bateman ebenso subtil zur Geltung bringt, wie ihr immer stärker werdender Wunsch nach einem Baby. Dass sie ohne die bei ihr gewohnten Actioneinlagen auch ruhige Momente zu tragen vermag, ist ein Tribut für ihre Fans und lässt auf eine breiter gefächerte Rollenauswahl für die Zukunft hoffen. Auch Bateman fügt sich demzufolge tadellos in den Cast ein und ergänzt insbesondere Ellen Pages Szenen durch seine undurchsichtigen Absichten.
Abgerundet wird die Besetzung von J.K. Simmons und Allison Janney, die es sichtlich genießen, ein Elternpaar abseits der klischeebeladenen Stereotypen zu mimen. Sie runden einen bunt zusammen gewürfelten Cast ab, dem insbesondere die Dialoge wohl merklich Spaß gemacht haben.

An der handwerklichen Umsetzung gibt es grundsätzlich nichts zu bemängeln, auch wenn sich Juno durch die zahlreichen Rückblenden, Einschübe und gezeigten Gedankengänge der Figuren bemüht, einen künstlerischen Anspruch zu wahren, der die grundsätzlich eher schleppende Dramaturgie zu unterbrechen sucht. Zusammen mit den zahlreichen, mitunter auch elegischen gesungenen Songs ergibt das zwar ein Gesamtbild eines typischen Independentstreifens, doch malerische Einstellungen, ungewöhnliche Perspektiven oder eine Bildersprache, die sich über Farben, Formen oder Muster dem Zuschauer subtil erschließt, sucht man leider vergebens.
In dieser Beziehung scheint Regisseur Jason Reitman eher konventionell angesiedelt. Die Szenen erscheinen zwar ruhig geschnitten, aber ebenso wenig überraschend. Insgesamt bleibt ein routinierter Eindruck, der bei Thank You For Smoking allerdings mit einem satirischen Biss unterlegt war, der Juno leider fehlt. Ebenso wie eine instrumentale musikalische Untermalung. Welche Stimmung die Filmemacher durch die Musik, die Möblierung im Stil der neunziger Jahre und den aus jener Zeit gewählten Kleidungsstil gewinnen wollten, bleibt ihnen wohl allein vorbehalten. Fernab von der Modernität von DVDs, Handys und weiterem in allen übrigen Einstellungen scheinen ein urplötzlich eingeblendeter Flachbildfernseher oder große LCD-Monitore im Hintergrund einfach fehl platziert. Und die Atmosphäre von Juno somit auf künstlerische Art und Weise zuerst erzwungen, dann aber wieder gestört.

So ergibt sich nach den knapp eineinhalb Stunden ein sehr zwiespältiger Eindruck. Einerseits erzählt der Film von der Leichtigkeit einer Schwangerschaft und ihrem unkomplizierten Verlauf. Doch unterschlägt er gleichzeitig, wie Juno mit den sozialen Folgen ihrer Situation umgehen lernt, der Film scheint lediglich die positiven Seiten der Thematik herausstellen zu wollen, ohne aber alle Seiten zu beleuchten. Ob dies allerdings ein richtiges Signal in einer Gesellschaft ist, in der die Schwangerschaftsrate bei Minderjährigen von Jahr zu Jahr ansteigt, sei dahingestellt.
Es sorgt ohne Frage für zwanglose, aber eben auch belanglose Unterhaltung. Grundsätzlich verbirgt sich hinter dem Thema aber viel mehr, als Juno dem Zuschauer glauben machen möchte. Und selbst für ein jugendliches Publikum sollte man alle Seiten der Teenager-Schwangerschaft beleuchten. An sich gerade für ein solches Publikum.


Fazit:
Iuno war die römische Göttin der Geburt und der Ehe – man merkt also schon bei der Namensgebung, dass sich die Macher mit der Thematik beschäftigt haben. Zumindest manche Aspekte möchten sie dem Zuschauer nahe bringen und stellen einem eine Hauptfigur vor, die aus schierer Langeweile heraus sich dazu entschied, Sex zu haben. Fortan entscheidet sie sich, das Kind nicht abtreiben zu lassen, weil ihr die Atmosphäre der Klinik nicht gefällt. Dass sie das Kind weggeben möchte, steht von Anfang an fest, und sie bezeichnet es ohnehin nur als "Ding", bis es endlich "draußen" ist, und sie wieder gewohnt ihrem Leben nachgehen kann. Zweifel kommen in ihr während der neun Monate nicht auf, ein Muttergefühl stellt sich nicht ein. Diese Figur ist 16 Jahre alt ... und scheint am Schluss, als sie glaubt, die ewige Liebe fürs Leben gefunden zu haben, noch naiver als zu Beginn.
Eine Entwicklung durchläuft sie nicht wirklich, Verantwortung übernehmen lernt sie ebenfalls nicht, und was dem Zuschauer in Juno in der Zwischenzeit geboten wird, gaukelt einem eine Lebensweisheit vor, die keine ist, von einem Hauptcharakter, der ebenso unreif scheint, wie die Thematik unvollständig präsentiert. Weswegen eine solche Schwangerschaft unter Jugendlichen als hip, nebensächlich, witzig und für die Personen ohne irgendwelche Folgen beschrieben wird, ist unverständlich und hebt sich lediglich durch die handwerklich solide Umsetzung, die Darsteller und die spritzigen Wortgefechte vom Durchschnitt ab. Aber inhaltlich gibt sich Juno einseitig und enttäuschend.