Jojo Rabbit [2019]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 11. Dezember 2019
Genre: Drama / Komödie / KriegsfilmOriginaltitel: Jojo Rabbit
Laufzeit: 108 min.
Produktionsland: Tschechien / Neuseeland
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Taika Waititi
Musik: Michael Giacchino
Besetzung: Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie, Scarlett Johansson, Taika Waititi, Sam Rockwell, Rebel Wilson, Alfie Allen, Stephen Merchant, Archie Yates, Luke Brandon Field, Sam Haygarth
Kurzinhalt:
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs will der zehnjährige Johannes Betzler (Roman Griffin Davis), von seiner Mutter Rosie (Scarlett Johansson) und allen anderen nur Jojo genannt, nichts mehr, als ein guter Nazi zu sein. Während eines Ausbildungswochenendes bei der Hitlerjugend unter dem Kriegsveteranen Klenzendorf (Sam Rockwell) wird Jojo allerdings verletzt und sein Traum, selbst an der Front zu kämpfen, scheint unerreichbar. Seine Welt wird außerdem auf den Kopf gestellt, als er in dem Zimmer seiner verstorbenen Schwester, in einem Versteck unter der Dachschräge, das jüdische Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) entdeckt. Verraten kann er sie nicht, ohne dass er und seine Mutter ebenfalls unter Verdacht geraten würden. Also beschließt Jojo, der noch nie zuvor Kontakt mit Juden gehabt hat, die er, wie ihm beigebracht wird, hassen muss, dass ihm Elsa von den Juden berichten soll. Je mehr Zeit er mit ihr verbringt, umso schwieriger wird es für ihn, auseinander zu halten, was er weiß und was er zu wissen glaubt. Sein imaginärer Freund, niemand anderes als Adolf Hitler (Taika Waititi) selbst, macht es ihm dabei nicht unbedingt einfacher …
Kritik:
Es gehört viel Mut dazu, einen Film wie Jojo Rabbit zu machen. Nicht, weil die Aussagen, die Regisseur Taika Waititi hier trifft, gewagt wären. Die sind ebenso wichtig wie universell. Es ist vielmehr mutig, weil es bestenfalls ein kleines Publikum geben wird, das sich eben diese Aussagen in einer Satire ansehen wird, welche die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten aus der Sicht eines zehnjährigen Jungen demontiert. Dabei gibt es hier viel zu entdecken, das heute so aktuell ist wie eh und je.
Im Zentrum der Geschichte steht der Titel gebende Johannes Betzler, Jojo genannt, der, nachdem er sich bei einem Ausbildungswochenende der Hitlerjugend einer Mutprobe verweigert, im Englischen als „Jojo Rabbit“ gehänselt wird. Dass er unmittelbar darauf selbstverschuldet schwer verletzt wird, durchkreuzt vor allem seinen sehnlichsten Wunsch: Ein guter Nazi zu werden und lieber heute als morgen an der Front zu kämpfen. Scheinen selbst hochrangige Nazis wie der von Sam Rockwell herrlich subversiv gespielte Klenzendorf das Ende des Reiches kommen zu sehen, ist Jojo vollends und erfolgreich indoktriniert und bereit, seinem Vater nachzufolgen, obwohl von ihm seit zwei Jahren jede Spur fehlt. Seine Mutter Rosie ist das genaue Gegenteil. Nach außen die Fassade der systemtreuen Bürgerin aufrechterhaltend, weiß sie, was richtig und was falsch ist. Und ebenso, dass das Richtige zu tun ihren Sohn die Mutter kosten könnte. Der trägt seinen inneren Kampf zwischen Gehorsam und Treue zur Ideologie sowie dem, was ihm vorgelebt wird – und sich offenbar mit seinem gesunden Menschenverstand gleichermaßen deckt –, in Gesprächen mit seinem imaginären Freund aus: Adolf Hitler.
Doch dies ist nicht das Ende der Story von Jojo Rabbit, denn Jojo entdeckt in dem Haus, in dem er mit seiner Mutter wohnt, ein jüdisches Mädchen, das sich dort versteckt. Elsa, so ihr Name, liefert für ihn unwiderlegbare Beweise, weshalb er sie nicht verraten sollte und so beschließt Jojo stattdessen, ein Buch über Juden zu schreiben. Hierfür soll Elsa ihm alles über Juden erzählen, was sie weiß. Sie beginnt mit den Mythen und aberwitzigen Gerüchten, die nicht nur damals von Antisemiten gestreut wurden. Je mehr Zeit Jojo mit ihr verbringt, umso mehr lernt er sie kennen und die Fassade des Gedankenguts, das in seinen jungen Geist gepflanzt worden war, beginnt zu bröckeln.
Wenn diese Inhaltsbeschreibung eines deutlich macht, dann dass Regisseur Taika Waititi einen Film erzählt, der inhaltlich kaum vorherzusagen ist und der mit so vielen Momenten aufwartet, in denen man sich fragen muss, ob dies tatsächlich angebracht ist. Kann man, selbst wenn inzwischen 75 Jahre vergangen sind, eine historische Figur wie Adolf Hitler auf eine Art und Weise darstellen, dass er die Unsicherheiten eines zehnjährigen Jungen in seinen Dialogen zum Ausdruck bringt?
Es wäre zu vorschnell, hier ein „Nein“ entgegenzuhalten. Der Schlüssel, dies nicht respektlos gegenüber den Opfern des Faschismus zu tun, liegt darin, dass selbst wenn Waititi die Absurdität der Protokolle der Nationalsozialisten vorführt (so dass wenn die Gestapo Jojo in seinem Haus „besucht“, innerhalb einer Minute mehr als zwei Dutzend mal die typische Nazi-Grußformel fällt), er nicht davor zurückschreckt, die Grausamkeit jener Ideologie aufzuzeigen.
So gibt es in Jojo Rabbit einen Moment, in dem die Stimmung merklich kippt und ab dem sämtlichen Aspekten, die Jojo bislang als belanglos oder „nicht schlimm“ wahrgenommen hat, die Maske abgenommen wird. Es ist der Moment, in dem Jojo seine Vorstellungen, was es heißt, ein Nazi zu sein, nicht länger aufrechterhalten kann angesichts dessen, was er sieht und mit beiden Händen berühren kann. Insofern ist es nur umso passender, dass wenn sein imaginärer Freund danach vor ihm erscheint, er nicht mehr fröhlich umherhüpft, ihm Mut zuspricht, sondern Jojo mit einem Monolog des Führers konfrontiert wird, der auf ebenso beängstigende wie greifbare Weise die Nazi-Rhetorik anwendet, um seine Ideologie auf den Punkt zu bringen.
Ist seine Darbietung bis dahin mutig, beweist Filmemacher Taika Waititi in diesem Moment – und er verkörpert Jojos imaginären Freund überdies selbst –, dass ihm der Ernst der Geschichte nicht nur bewusst ist, sondern er auch vor der Kamera bereit und in der Lage ist, dies zum Ausdruck zu bringen. Für den erst zwölfjährigen Hauptdarsteller Roman Griffin Davis ist dies die erste Rolle und sie lässt Großes erhoffen und vermuten. Er ist eine wahre Entdeckung und verkörpert die Titelfigur mit einem Facettenreichtum, dass es einem den Atem nimmt. Ebenso hervorragend sind Thomasin McKenzie und Scarlett Johansson. Ihnen gelingt das Kunststück, die Ideologie der Nationalsozialisten zu demaskieren und das Publikum dabei über weite Strecken zum Lachen zu bringen, ohne deren Taten zu verharmlosen. Ein Dreivierteljahrhundert später könnten wir soweit sein, diese Herangehensweise anzunehmen.
Fazit:
Dass Regisseur Taika Waititi nicht leicht ein Publikum finden wird, das bereit ist, sich auf den von ihm gewählten Ansatz einzulassen, überrascht nicht. Die unaussprechlichen Verbrechen der Nationalsozialisten lassen es unangemessen scheinen, bei einer Erzählung davon zum Lachen gebracht zu werden. Zeigt er aber zu Beginn Archivaufnahmen, in denen Adolf Hitler wie ein Popstar empfangen wird, untermalt von „Komm gib mir deine Hand“ von den Beatles, lässt das bereits erkennen, dass seine Satire eine unterschwellige Ebene besitzt. Die hält sich in der ersten Hälfe mehr im Hintergrund, gewinnt in der ernsteren zweiten Filmhälfte dann aber die Oberhand. Mann kann ihm nichtsdestoweniger vorwerfen, dass die Satire bissiger hätte sein können, oder dass manche Aussagen und Momente zu offensichtlich mit dem Holzhammer präsentiert werden. Doch das ändert nichts daran, dass Jojo Rabbit auch dank der herausragenden Besetzung ein bemerkenswerter und sehr guter Film ist, der es wert ist, gesehen zu werden. Seine Botschaft der Einbeziehung statt des Ausgrenzens könnte aktueller kaum sein. Ein Publikum dafür sollte es überall geben.