In with the Devil [2022]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. August 2022
Genre: Drama / Krimi

Originaltitel: Black Bird
Laufzeit: 347 min. (6 Episoden)
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Michaël R. Roskam, Jim McKay, Joe Chappelle
Musik: Mogwai
Besetzung: Taron Egerton, Paul Walter Hauser, Sepideh Moafi, Greg Kinnear, Ray Liotta, Robyn Malcolm, Robert Wisdom, Joe Williamson, Robert Diago DoQui, Alexander Babara, Jake McLaughlin, Laney Stiebing, Cecilia Leal, Cullen Moss


Kurzinhalt:

Als der junge James „Jimmy“ Keene (Taron Egerton) in den 1990er-Jahren wegen Drogenhandels verhaftet wird, glaubt er sich in Kürze wieder frei. Doch das Urteil lautet 10 Jahre Gefängnis, ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Bewährung. Im Gefängnis hat sich Jimmy mit der Situation arrangiert, als die FBI-Agentin McCauley (Sepideh Moafi) auf ihn zukommt. Die Staatsanwaltschaft bietet ihm Straferlass, wenn es Jimmy gelingt, in einer Haftanstalt für psychisch Kranke dem wegen mehrfachen Mordes an jungen Frauen verurteilten Larry Hall (Paul Walter Hauser) ein Geständnis zu entlocken. Der behauptet, die früheren Geständnisse wären erzwungen worden und bis auf eine Leiche, die nur bedingt mit ihm in Verbindung gebracht werden kann, gibt es keine Beweise – und keine Leichen. Um Larrys vielversprechende Berufung abwehren zu können, soll Jimmy daher auch den Ort herausbekommen, wo Larrys letzte Leiche vergraben ist. Notgedrungen geht Jimmy auf den Handel ein und während McCauley und Polizist Brian Miller (Greg Kinnear) die Fälle neu aufrollen, Zeugen wie Larrys Bruder Gary (Jake McLaughlin) vernehmen, wird Jimmy in Larrys Gefängnis verlegt. Dort sucht er Zugang zu dem zurückhaltenden Insassen und erfährt durch seine Gespräche mit ihm mehr über sich und seine Beziehung zu seinem eigenen Vater (Ray Liotta), als Jimmy angenehm ist. Wer wem Wahrheiten oder Geschichten entlockt, beginnt zu verschwimmen. Letztlich muss sich Jimmy fragen, wie weit er bereit ist zu gehen. Für seine eigene Freiheit oder die Familien der Opfer, die immer noch auf einen Abschluss und Gerechtigkeit hoffen …


Kritik:
Basierend auf dem 2010 erschienenen autobiografischen Buch In with the Devil: a Fallen Hero, a Serial Killer, and a Dangerous Bargain for Redemption von James Keene und Hillel Levin erzählt die sechsteilige Miniserie In with the Devil von einem so unglaublich klingenden wie verstörenden Fall, in dem sich ein wegen Waffenbesitz und Drogenhandel verurteilter, einst vielversprechender Football-Star auf ein Angebot von FBI und Staatsanwaltschaft einlässt, sich in ein Gefängnis für psychisch kranke Gewalttäter verlegen zu lassen, um dort von einem anderen Häftling zu erfahren, wo er seine Mordopfer vergraben hat. Was sich nach nur einer weiteren Episode der inzwischen allerorts verfügbaren True Crime-Formate anhört, ist in Wirklichkeit eines der packendsten und besten Krimidramen seit langem.

Entwickelt und großteils geschrieben von niemand geringerem als Dennis Lehane, der unter anderem die gefeierten Romanvorlagen zu Mystic River [2003], Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel [2007] und Shutter Island [2010] verfasste, ist die Geschichte in den späten 1990er-Jahren angesiedelt, als der Polizistensohn James Keene verhaftet wird. Vollkommen von sich selbst überzeugt, glaubt er, der Drogenbesitz könne ihm kaum etwas anhaben. Immerhin steht bei einem Geständnis ein Angebot der Staatsanwaltschaft im Raum, so dass „Jimmy“ nach wenigen Jahren auf Bewährung freikommen könnte. Er geht darauf ein, sieht sich dann jedoch mit den erschwerenden Umständen der ebenfalls gefundenen, illegalen Waffen konfrontiert und wird zu zehn Jahren Haft ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Bewährung verurteilt. Nach einigen Monaten tritt die FBI-Agentin Lauren McCauley zusammen mit Staatsanwalt Edmund Beaumont an Jimmy heran, der dank seiner einnehmenden Persönlichkeit im Gefängnis sehr gut zurechtkommt. Sie machen ihm ein Angebot: Der verurteilte Mörder Larry Hall hat Berufung eingelegt und behauptet, Geständnisse, die er zu Morden abgelegt hat, deren Leichen nie gefunden wurden, wären erzwungen worden und seinerseits lediglich Geschichten. Die Berufung hat durchaus Aussicht auf Erfolg und James soll von Larry durch seinen Charme in Erfahrung bringen, wo wenigstens eine weitere Leiche versteckt ist. Im Gegenzug erhält James vollständigen Straferlass. Auch wenn er anfangs zögert, dass sich James auf das Angebot einlässt, ist keine Überraschung, wohl aber, was seine Motivation dahinter ist und was ihn in der Haftanstalt für psychisch Kranke erwartet.

In with the Devil verschiebt mehrmals den Fokus der Erzählung. Zuerst liegt dieser separat auf den beiden tragenden Figuren, die sich erst nach einigen Folgen begegnen. Die ermittelnden Laura McCauley und Polizist Brian Miller, der von Larrys Schuld von Beginn an überzeugt war, als ihn die übrigen Polizeibehörden als Geschichtenerzähler abstempelten, bleiben zwar Randfiguren, werden aber dennoch ein wenig vertieft. Überraschend und umso bewegender ist allerdings, wenn in der fünften Folge ein Opfer von Larry Hall die Rahmenhandlung bildet. Der Blick auf sie, durch ihre Augen, trifft das Publikum derart unvermittelt, dass es selbst die unter die Haut gehenden Dialoge zwischen Larry und Jimmy in der vierten Episode übertrifft. Diese zählen zu den Highlights und offenbaren letztlich mehr über die Charaktere, als man im ersten Moment vermuten würde. Mitanzusehen, wie der überheblich auftretende, selbstbezogene Jimmy in jenem Gefängnis nicht nur diese Selbstsicherheit unterhalb der obersten Schicht, die er nach außen trägt verliert, sondern wie er daran zu zerbrechen droht, dass er sich bei Larry mit seinem teils menschenverachtenden Blick auf die Welt einschmeicheln soll, ist packend. Komplizierter wird seine Situation nicht nur dadurch, dass er es mit einem korrupten Wärter zu tun bekommt, sondern dass Jimmys Vater „Big Jim“ an den Folgen eines Schlaganfalls leidet und die Wahrscheinlichkeit besteht, dass er die Zeit bis zu Jimmys regulärer Entlassung nicht überleben wird.

Im Gegensatz zu zahlreichen aktuellen Serienformaten wirkt es hier nicht, als wären diese Nebenhandlungen ein Kniff der Verantwortlichen, die Laufzeit zu strecken. Vielmehr dienen sie jeweils dazu, die Figuren selbst voran zu bringen und auszuarbeiten. So auch bei Larrys Bruder Gary, der zu Beginn kaum eine Rolle zu spielen scheint, in der letzten Episode jedoch einige der besten Szenen zugeschrieben bekommt. Dass diese gelingen, liegt zum einen an der authentischen und zurückhaltenden Umsetzung, die von den drei Regisseuren in erstklassige Bilder gekleidet ist und eine durchweg bedrohliche Stimmung erzeugt. Anstatt auf reißerische Einstellungen zu setzen oder um eine moderne Inszenierung zu wetteifern, gelingt ihnen ein einheitlicher Look, der die unvorstellbaren Verbrechen an diesen Frauen vor einer geradezu unscheinbar alltäglichen Kulisse des ländlichen Amerika vorstellt. Handwerklich ist In with the Devil tadellos und mit einer so ungewöhnlichen wie stimmungsvollen Musik zum Leben erweckt, die in den richtigen Momenten eine Filigranität offenbart, die man bei den sonstigen, sphärischen Klängen kaum vermuten würde.

Die unterschiedlichen Facetten der Figuren zum Leben zu erwecken, fällt einer Besetzung zu, die bis in die Nebenrollen fantastisch ausgewählt ist. Als Gary Hall ist Jake McLaughlin erstklassig und Ray Liotta beweist in einer seiner letzten Rollen, weshalb er eine unschätzbare Bereicherung für jede Produktion war. Der Spagat des korrupten Polizisten, der sich Vorwürfe macht, dass sein Verhalten ursächlich sein könnte, dass sein Sohn auf die schiefe Bahn gerät, und seine Verzweiflung in Anbetracht der Einschränkungen des Schlaganfalls, die es ihm noch schwerer machen, seine Versprechungen gegenüber seinem Sohn zu erfüllen, machen seine Darbietung zu einem so berührenden wie einprägsamen Schwanengesang. Greg Kinnear und Sepideh Moafi haben zwar spürbar weniger zu tun, machen ihre Sache aber gut. Dreh- und Angelpunkt sind jedoch Taron Egerton und Paul Walter Hauser. So prestigeträchtig ihrer beide Karrieren bislang waren, dies dürfte für beide die beste darstellerische Leistung darstellen, die sie bislang zeigen durften. Sowohl für sich genommen als auch insbesondere im Zusammenspiel in den späteren Episoden und vor allem der letzten ist das preisverdächtig und derart packend, dass die einzelnen Momente nachwirken. Kommen teilweise sogar Zweifel an Larrys Schuld auf, ist der Wechsel seines Blicks, seiner Körperhaltung seiner Stimme ausreichend, um für Gänsehaut beim Publikum zu sorgen. Hauser spielt hervorragend und Egerton dabei zu beobachten, wie er sich immer weiter verliert, ist beängstigend.

Dabei trägt Autor Lehane Schicht um Schicht dieser Charaktere ab, entblättert das Selbstverständnis von männlichen Figuren, die wie Jimmy entweder vor Muskeln und Testosteron beinahe zerspringen, aber anfangs keinerlei soziales Verständnis oder moralischen Kompass mitbringen. Larry ist hierzu ein düsteres Spiegelbild, ein Gegenpol mit seiner hohen, zerbrechlichen Stimme und seinem in sich zusammengefallenen Auftreten. Er sieht sich selbst als Opfer jener Frauen, die ihn schlecht behandelt hätten, weil sei ihm ein selbst zugesprochenes Recht absprechen würden. Ihre Gegenwehr angesichts seiner Zudringlichkeiten nimmt er als Rechtfertigung für seine Gewalttaten, er hätte tun müssen, was er tat, da sie ihm wehgetan hätten. Ihm zuzuhören, wie er durch eine verklärende Geschichtsaffinität Mädchen objektiviert, sie für sich selbst „verfügbar“ macht, ist erschreckend. Diese Täter-Opfer-Umkehr in einer solchen Selbstverständlichkeit zum Leben erweckt zu sehen, offenbart nicht nur den Blick in einen unendlich düsteren Abgrund, sie ist auch überaus Furcht einflößend.

In with the Devil ist kein durch eine moderne Inszenierung auf sich aufmerksam machendes True Crime-Format, das aus der Sensationslust des Publikums Kapital zu schlagen sucht. Behutsam baut Drehbuchautor Dennis Lehane seine Geschichte auf, stellt die verschiedenen Figuren vor und vor allem die unvorstellbare Umgebung, in der sie sich befinden und welcher Druck insbesondere auf Jimmy Keene lastet. Gleichzeitig verleiht er den Opfern eine Stimme und dem Schrecken eines mörderischen Psychopathen mehr als nur ein Gesicht. Ohne Verständnis für die Taten zu wecken, gibt er soweit möglich Einblick in die Motivation, der Handlungsweisen und des Selbst- wie Weltverständnisses. Das relativiert die Verbrechen nicht, aber es kann helfen, ihnen die Mystik des Monströsen zu nehmen. Doch das macht das Gezeigte mitunter nicht leichter verdaulich.


Fazit:
Wie der Versuch von James Keene, ein Geständnis oder weitere Informationen von Larry Hall über seine vermeintlichen Opfer zu erhalten, ausgeht, ist bis kurz vor Schluss vollkommen offen. Dabei sät das Krimidrama selbst Zweifel, ob Larry überhaupt der (einzige) Täter ist. Mit Fingerspitzengefühl für die verschiedenen Figuren und auch die Opfer erzählt In with the Devil eine letztlich in mehrerlei Hinsicht unglaublich klingende Geschichte. Nicht tempo- oder actionreich, sondern bedächtig und mit einem Augenmerk auf den Figuren. Dabei werden selbst Nebencharaktere wichtig und viele Erkenntnisse und Selbstzweifel bleiben unausgesprochen, einem aufmerksamen Publikum vorbehalten. Handwerklich erstklassig in Szene gesetzt, ist die Atmosphäre einnehmend und beängstigend. Ebenso wie die zentralen Darbietungen. Die Besetzung ist ausgezeichnet und preiswürdig, angeführt von Taron Egerton und Paul Walter Hauser, deren Figuren kaum unterschiedlicher sein könnten und die sich in ihren Gesprächen auf eine geradezu einnehmende Art und Weise ergänzen. Hinzu kommt eine nicht minder packende Verkörperung von Ray Liotta, die gleichermaßen unter die Haut geht. Stellenweise erschreckend und beunruhigend, ist dies eine der besten und nahe gehendsten Miniserien, die es seit langem zu sehen gab und bei der man jede einzelne Minute in sich aufnimmt, von manchen gar unerwartet berührt wird, ohne dies kommen zu sehen. Mag sein, dass sich der Beginn für manche etwas langsam anfühlen mag, doch wenn der Sog erst einmal packt, gibt es kein Entrinnen. Klasse!