Gletschergrab [2023]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. Februar 2023
Genre: Thriller

Originaltitel: Operation Napoleon
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: Island / Deutschland
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Óskar Thór Axelsson
Musik: Frank Hall
Besetzung: Vivian Ólafsdóttir, Iain Glen, Jack Fox, Wotan Wilke Möhring, Ólafur Darri Ólafsson, Atli Óskar Fjalarsson, Adesuwa Oni, Þröstur Leó Gunnarsson, Nanna Kristín Magnúsdóttir, Alex Freeman, Jaymes Butler, Sabine Crossen, Hjörtur Jóhann Jónsson, Kathleen Renish


Kurzinhalt:

Zuerst glaubt die Bankangestellte Kristín (Vivian Ólafsdóttir) an einen Scherz ihres Bruders Elías (Atli Óskar Fjalarsson), als dieser ihr ein Video sendet, auf dem ein auf dem Vatnajökull-Gletscher abgestürztes Flugzeugwrack aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen ist. Doch dann verschwindet Elías spurlos und in Kristíns Wohnung steht der skrupellose deutsche Agent Simon (Wotan Wilke Möhring), der Kristín mundtot machen will. Ihr gelingt die Flucht und zusammen mit dem Historiker Steve Rush (Jack Fox) versucht Kristín, aus dem abgestürzten Flugzeug schlau zu werden, für das manche Menschen offenbar zu morden bereit sind. Es ist eine internationale Verschwörung, die bis zu den Geheimdiensten reicht, immerhin ist CIA-Vizedirektor William Carr (Iain Glen) zusammen mit seiner rechten Hand Julie Ratoff (Adesuwa Oni) vor Ort. Dabei steckt hinter „Operation Napoleon“ mehr, als Kristín und Steve anfangs ahnen und während ihnen Simon immer dichter auf den Fersen ist, läuft dem in die Wildnis geflohenen Elías die Zeit davon …


Kritik:
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Arnaldur Indriðason aus dem Jahr 1999 erzählt der isländische Thriller Gletschergrab von einem Geheimnis, das seit Generationen gehütet wird, und welches das sich zurückziehende Gletschereis nun preisgibt. Mit Geheimdiensten, Verschwörungen und viel Action hat Filmemacher Óskar Thór Axelsson die besten Voraussetzungen für einen Publikumshit an der Hand. Das Ergebnis wird dem Potential nie gerecht und enttäuscht durch inhaltliche wie handwerkliche Entscheidungen gleichermaßen.

Die Geschichte beginnt im April 1945, als in einer stürmischen Nacht ein Flugzeug auf den isländischen Gletscher Vatnajökull abstürzt. Beinahe 80 Jahre später entdeckt Elías zusammen mit zwei Freunden bei einem Ausflug das aus den Schnee- und Eismassen ragende Seitenleitwerk (Heckflosse) eines alten, deutschen Flugzeugs mit Nazi-Emblem. Die Passagiere an Bord sind ebenso wie der offenbar amerikanische Pilot erfroren. Es gelingt Elías noch, seiner Schwester Kristín ein Video des Wracks zu senden, ehe die drei von Unbekannten angegriffen werden. Kristín selbst glaubt anfangs noch, ihr Bruder wolle sie auf den Arm nehmen, doch er ist nicht mehr erreichbar und kurz darauf wird sie selbst in ihrer Wohnung von einem Killer angegriffen. Zusammen mit ihrem Ex-Freund Steve, ein Historiker, versucht Kristín hinter das Geheimnis des auf dem Video erkennbaren Flugzeugs zu kommen und ihren Bruder zu finden, während der Mörder ihnen immer dichter auf den Fersen ist.

Das klingt inhaltlich packend und mysteriös und man muss Gletschergrab zugutehalten, dass bedeutend mehr geschieht, als man erwarten würde. Glaubt man, dass die Story auf die Zielgerade einbiegt, ist gerade einmal die Hälfte der Laufzeit vergangen. Doch schon zu Beginn, wenn Ausschnitte aus Kristíns Privatleben gezeigt werden, während ihr Bruder das Flugzeug entdeckt, werden die einzelnen Szenen wenig schlüssig miteinander abgewechselt. Anstatt die Entdeckung zu begleiten, das Publikum Teil dieser unverhofften Expedition werden zu lassen, wird die Mystery-Atmosphäre immer wieder durchbrochen, nur damit Kristín kurz darauf vor einem unbekannten Mörder steht, der andere mit bloßen Händen töten kann, die Heldin aber selbstverständlich nicht zu fassen bekommt. Überhaupt ist der Auftritt der Schurken so vorhersehbar wie plump. Sei es, wenn Elías und seine Freunde überrascht werden, die Bösen auch hier in Sekunden zu tödlicher Gewalt greifen, um dem Publikum zu vermitteln, wie böse sind – und gleichzeitig unprofessionell genug, dass Elías fliehen kann. Oder wenn der von Wotan Wilke Möhring gespielte Killer immer dann auftaucht, wenn die Story es erfordert, als müsste er nie wirklich suchen. Dass die Bösen schießen, ohne überhaupt Fragen zu stellen, rundet die Ansammlung an Klischees nur ab.

Dabei sind die einzelnen Szenen im Grunde durchaus interessant, von der Prämisse selbst ganz zu schweigen. Doch die Umsetzung, von der Inszenierung an sich, die in den besten Momenten durchschnittlich anmutet, sich aber trotz der tollen Landschaftsaufnahmen in keiner Weise von übriger Genrekost abhebt, bis hin zu den absehbaren Dialogen, erinnert an eine Fernsehproduktion, die weniger Zeit in ihrer Entwicklung bekommen hat, als sie gebraucht hätte. Hat es nach dem erzählerisch etwas holprigen Start lange den Eindruck, als würde Gletschergrab seinen Rhythmus finden, begibt sich das letzte Drittel wieder auf den Pfad des Beginns. Bis hin zu einem Schlusstwist, der amüsant sein soll, aber mehr an eine Episode von Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI [1993-2018] erinnert. Dass dem Publikum dabei der Abschluss der eigentlichen Geschichte gewissermaßen verwehrt wird, nehmen die Verantwortlichen schlicht in Kauf.

So hinterlässt Óskar Thór Axelssons Adaption insgesamt einen insgesamt durchwachsenen Eindruck. Es gibt zahlreiche Elemente, die für sich genommen überzeugen können und Lust auf Mehr wecken, darauf, die Hintergrundgeschichte weiter zu erkunden und dem Weg zu folgen, der hier am Ende aufgezeigt wird. Auch die Besetzung wartet beispielsweise mit Iain Glen nicht nur mit bekannten Namen auf, sondern Hauptdarstellerin Vivian Ólafsdóttir macht ihre Sache ausgesprochen gut. Bis ihre Figur Schusswunden wie Kratzer abstreift und aus der Bankangestellten eine Actionheldin wird, der offenbar nichts etwas anhaben kann. Ihr zu folgen fällt ebenso schwer, wie sich vor Bösewichten zu fürchten, die Spaß am Töten zu haben scheinen, denen aber über weite Strecken jede Motivation fehlt. Gletschergrab findet keine Balance zwischen dem schweißtreibenden Thriller und der historischen Mystery-Story. Das ist schade, denn die Ansätze sind durchaus vorhanden.


Fazit:
Wird eine Figur, die ausgemergelt und unterkühlt ist, von der Helferin des Schurken ohne Notwendigkeit, Sinn oder Verstand gefoltert, fragt man sich durchaus: Wieso? Nicht nur, dass man dies lange kommen sieht, es ist vollkommen unmotiviert und unnötig, zumal das Drehbuch dafür auch keine Erklärung liefert. Außer, um die Bösen noch böser wirken zu lassen. Óskar Thór Axelssons Thriller wartet mit einigen solcher Entscheidungen auf und nimmt sich gleichzeitig nicht die Zeit, den Moment, in dem Kristíns geordnetes Leben aus der Bahn geworfen wird, mit einem Spannungsbogen vorzustellen. Die Action wirkt in dem Zuge unbeholfen, wie auch zahlreiche Dialoge, die oftmals dem Drehbuchhandbuch für Thriller-Standardkost entnommen scheinen. Viele Klischees gesellen sich zu Figuren, die sich nicht so verhalten, wie sich Menschen in dieser Ausnahmesituation verhalten würden. Bedauerlich ist das umso mehr, da viele Elemente an Gletschergrab durchaus überzeugen. Der Aufwand ist sichtbar, die Landschaft traumhaft schön und auch die Ausstattung ist durchweg gelungen. Vollkommen abgesehen von der interessanten Grundidee. Über einige eher mäßige Trickeffekte kann man gut hinwegsehen, an der unausgewogenen Umsetzung ändert das aber nichts.