Get Out [2017]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. Mai 2018
Genre: Horror / Thriller

Originaltitel: Get Out
Laufzeit: 104 min.
Produktionsland: Japan / USA
Produktionsjahr: 2017
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Jordan Peele
Musik: Michael Abels
Darsteller: Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Keener, Bradley Whitford, Caleb Landry Jones, Marcus Henderson, Betty Gabriel, Lakeith Stanfield, Stephen Root, LilRel Howery


Kurzinhalt:

Freude kommt bei Chris (Daniel Kaluuya) angesichts des geplanten Besuchs bei den Eltern seiner Freundin Rose (Allison Williams) nicht auf. Er weiß nicht, wie sie auf den ersten farbigen Freund ihrer weißen Tochter reagieren werden, ungeachtet von Roses Beteuerungen, sie seien keine Rassisten. Auf dem luxuriösen Anwesen der Familie Armitage angekommen, scheint für Chris die gesamte Situation seltsam. Schwiegervater Dean (Bradley Whitford) betont ständig, er würde keine Afroamerikaner diskriminieren, seine Frau Missy (Catherine Keener) möchte Chris unbedingt hypnotisieren, um ihm das Rauchen abzugewöhnen und Roses Bruder Jeremy (Caleb Landry Jones) provoziert Chris bereits beim ersten Aufeinandertreffen. Darüber hinaus verhalten sich die farbigen Bediensteten ihm gegenüber distanziert und hölzern, als wären sie nicht sie selbst. Als wäre all das nicht beunruhigend genug, sind für den nächsten Tag zahlreiche Gäste eingeladen. Dabei fühlt sich Chris in der beinahe ausschließlich weißen Gesellschaft zunehmend unwohl – und bedroht …


Kritik:
Jordan Peeles Get Out ist ein Film, der bei wiederholtem Ansehen nur gewinnt. Stehen beim ersten Mal die satirischen Untertöne und der soziale Kommentar zum alltäglichen (und weniger alltäglichen) Rassismus insbesondere in den USA im Vordergrund, kommen beim zweiten Mal die vielen Details zum Vorschein, die den Horror so eng mit der restlichen Story verweben. Das ist nicht nur von Hauptdarsteller Daniel Kaluuya fantastisch gespielt, es erzeugt eine so unbequeme wie unheimliche Atmosphäre.

So harmlos der Anlass im Grunde ist, bereits ab der ersten Minute erzeugt die Geschichte des jungen, afroamerikanischen Fotografen Chris Washington bereits eine beklemmende Stimmung. Er soll seine Freundin Rose, mit der er beinahe ein halbes Jahr zusammen ist, zu deren Eltern begleiten. Es ist sein erster Besuch bei der „weißen“ Familie Armitage. Als sie eintreffen, ist vor allem Schwiegervater Dean beinahe verkrampft darum bemüht zu betonen, dass sie keine Rassisten sind, auch wenn sie sowohl einen farbigen Gärtner als auch eine farbige Haushälterin beschäftigen. Dass Deans ständig auf den Rassismus verweist und damit eine mögliche Diskriminierung unterstreicht, ist ein gelungener Seitenhieb des Drehbuchs.

Das sonderbare Verhalten von den Bediensteten der Armitages ruft einem förmlich zu, dass irgendetwas in diesem Haushalt nicht stimmt. Als Roses Mutter, eine praktizierende Therapeutin, Chris ohne Vorwarnung und gegen seinen Willen hypnotisiert, kippt die Stimmung von sonderbar zu undurchschaubar feindselig. Die Bilder, die Regisseur Peele dabei findet, verdeutlichen ebenso gelungen wie unaufgeregt, was mit Chris geschieht. Dass der junge Afroamerikaner damit seiner freien Entscheidungen beraubt und instrumentalisiert wird, ist gleichermaßen beunruhigend. An sich sollte man viel mehr über die Story von Get Out auch nicht verraten, um die Überraschungen nicht zu verderben.
Zwei Dinge seien noch erwähnt: Zum einen der schleichende Wandel des unterschwelligen Rassismus gegenüber Chris hin zur unverblümten Diskriminierung, wenn eine (ausschließlich) weiße Partygesellschaft eintrifft und Chris wie ein Ausstellungsstück begutachtet. Zum anderen Chris‘ Freund Rod, mit dem er immer wieder telefoniert und der ihn warnt, die vornehme weiße Gesellschaft würde Afroamerikaner als willenlose Sexsklaven missbrauchen.

Dass Rod mit seiner Stereotypisierung ebenso diskriminierende Klischees bedient, ist zwar gleichermaßen beabsichtigt wie die humorvolle Auflockerung der bedrohlichen Situation, doch stören die Witze mehr im Fluss der Story, als dass sie sie voranbringen. Auch wenn das Publikum bereits vor Chris an den Punkt gelangt, dass man am liebsten aus dem Haus der Armitages verschwinden würde, er verhält sich erfreulicherweise nicht wie viele „Opfer“ typischer Hollywood-Horror-Filme, sondern trifft in den richtigen Momenten die richtigen Entscheidungen. Darüber hinaus gelingt es dem Drehbuch, das seltsame Verhalten der Familie Armitage und deren Gäste zu erklären, ohne dass die Auflösung vollkommen aus der Luft gegriffen scheint. Im Gegenteil, viele Details erklären sich erst, wenn man weiß, wie alles zusammenhängt (wieso begrüßt der Gärtner beispielsweise die Gäste der Gesellschaft persönlich mit Handschlag?).

Die Optik ist überaus gelungen und trägt mit den wohl ausgesuchten Perspektiven, die das Publikum an die Seite von Chris und nicht der Bedrohung versetzen, immens zur Stimmung bei. So auch die Musik von Michael Abels, die afroamerikanische Einflüsse ebenso aufweist wie sie an Alfred Hitchcocks Werke erinnert. Dass manche der Schockmomente genretypisch und wenig originell von laut eingespielter Musik oder den Geräuschen herrühren, verzeiht man insofern gern. Wie auch das ruhige Erzähltempo, das sich im Mittelteil etwas zu lange Zeit lässt, ehe sich abzeichnet, wohin sich die Geschichte entwickelt. Dafür macht Get Out Vieles richtig und besser als die meisten anderen Horror-Filme. In der Hauptrolle zeigt Daniel Kaluuya eine Darbietung, mit der er die Oscar-Nominierung mehr als verdient hat.


Fazit:
Die Idee, aktuelle soziale Themen mit einer Geschichte zu verweben, die einer Episode aus Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI [1993-2002] entsprungen sein könnte, ist nicht neu. Immerhin war dies selbst bei der Mystery-Serie in den besten Zeiten der Fall. Doch es gelingt Regisseur Jordan Peele, beide Aspekte auf eine Weise miteinander zu verknüpfen, dass sie erst beim wiederholten Ansehen ihre volle Wirkung entfalten. Fragt man sich beim ersten Mal, was all das zu bedeuten hat und wird auf die ständige Diskriminierung aufmerksam, die Chris widerfährt, ist es der eigentliche Mystery-Horror, der beim zweiten Mal mit seinen vielen Vorboten und Details zur Geltung kommt. Handwerklich tadellos, mit einem tollen Gespür für Optik und Szenenaufbau umgesetzt, ist das fantastisch gespielt und atmosphärisch. Einzig der Humor erscheint aufgesetzt, doch dafür entschädigt ein wenig zimperliches Finale, das auch einen vernünftigen Abschluss bietet. Klasse!