Gemini Man (HFR 120 fps 3D) [2019]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 4. November 2019
Genre: Action / Science Fiction / Thriller

Originaltitel: Gemini Man
Laufzeit: 117 min.
Produktionsland: USA / China
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Ang Lee
Musik: Lorne Balfe
Besetzung: Will Smith, Mary Elizabeth Winstead, Clive Owen, Benedict Wong, Douglas Hodge, Ralph Brown, Linda Emond, Ilia Volok, E.J. Bonilla


Kurzinhalt:

Henry Brogan (Will Smith) ist als Scharfschütze für den Verteidigungsnachrichtendienst DIA im Einsatz. Er ist der beste seines Fachs, aber nach inzwischen beinahe 30 Jahren im Dienst das Töten leid. Nachdem er seinen Ausstieg offiziell erklärt hat, wendet sich der ehemalige Kamerad Jack (Douglas Hodge) an ihn. Laut Jack wurde Henry zumindest bei seinem letzten Auftrag getäuscht und tötete keinen Terroristen, sondern einen für das mit der DIA vernetzte, private Sicherheitsunternehmen „Gemini“ unliebsamen Wissenschaftler. Noch bevor Henry reagieren kann, findet er sich selbst im Fadenkreuz der DIA und von Gemini wieder, mit dessen Leiter Clay Verris (Clive Owen) er sich vor Jahrzehnten überworfen hatte. Mit der ihn an sich beschattenden Agentin Danny Zakarweski (Mary Elizabeth Winstead) auf der Flucht, wendet sich Henry an seinen früheren Mitstreiter Baron (Benedict Wong) und versucht noch, das Puzzle zusammen zu setzten, als er sich einem ebenso effizienten wie tödlichen Killer gegenübersieht – seinem halb so alten Klon …


Kritik:
Ang Lees Gemini Man ist der vermutlich sehenswerteste, enttäuschende Film des Jahres. Sehenswert auf Grund der Vision des Filmemachers und enttäuschend angesichts der fehlenden Substanz. Es ist ein Blick in die Zukunft des Kinos, allen Unkenrufen der Ewiggestrigen zum Trotz. Nicht des Kinos in den nächsten fünf bis zehn Jahren, sondern der nächsten 20 Jahre. Wie der Filmemacher seinen Science Fiction-Thriller hier präsentiert ist – die richtige Präsentation vorausgesetzt – atemberaubend. Man kann nur hoffen, dass das Kino von übermorgen mehr Wert auf die Geschichten legt, die es erzählt.

Als vor sieben Jahren Filmemacher Peter Jackson seine Fantasy-Mär Der Hobbit – Eine unerwartete Reise [2012] in 3D und HFR präsentierte, war dies für mich eine Tortur. 3D als bis auf wenige Ausnahmen unnützes Gimmick ohnehin und die schnellere Bildwiederholrate (HFR) hatte zur Folge, dass die Figuren unnatürlich über die Leinwand zappelten und der Film einem seltsamen Spagat zwischen Kinoerlebnis und fiebrigem Tagtraum glich. Statt wie Jackson damals 48 Bilder pro Sekunde, präsentiert Ang Lee Gemini Man mit sage und schreibe 120 und damit das Fünffache dessen, was man im Kinosaal auf der großen Leinwand normalerweise gewohnt ist. Dies hat gleich mehrere Effekte zur Folge, abgesehen von dem nach wie vor wenig eindrucksvollen 3D.
Das als Seifenopern-Effekt bezeichnete Aussehen, bei dem die Bewegungen schneller erscheinen, als man es im Kino gewohnt ist, bleibt. Doch sind damit Bewegungen derart flüssig, dass es die Grenzen dessen, was die Leinwand vorgibt, zu sprengen scheint. Ein weiterer Nebeneffekt sind die unvorstellbar authentischen und kräftigen Farben, die hier nicht nur in Cartagena, Kolumbien, die Leinwand förmlich zum Glühen bringen. Die Bilder besitzen eine Klarheit, insbesondere in Bewegungen, die so bestechend wie eindrucksvoll ist. Ist dies bei den Szenen am Tag bereits gelungen, erwacht bei den Nachtaufnahmen eine ganz neue Welt zum Leben. Selbst bei den feinsten Schattierungen ist hier kein Rauschen zu sehen und kein bei Digitalkameras üblicher Nachzieheffekt. In 120 Bildern pro Sekunde ist das ein Kinoerlebnis, wie man es nie zuvor gesehen hat. Statt den Film lediglich zu beobachten ist es, als könnte man in wenigen Schritten selbst im Geschehen sein.

Genau hierin liegt jedoch auch der größten Schwachpunkt von Gemini Man: Die Geschichte lädt nicht sehr dazu ein, sich in ihr verlieren zu wollen. Seit Jahrzehnten in Hollywood gehandelt – das ursprüngliche Drehbuch wurde laut IMDb für Clint Eastwood geschrieben –, war selbst damals die Idee eines Auftragskillers, der selbst zum Ziel wird, nicht neu. Dass hier sein jüngerer Klon geschickt wird, ihn zu töten, nimmt die Filmvorschau vorweg, so dass dies nicht als Spoiler zu werten ist. Zugegeben, diese Idee klingt frisch. Nur wird sie hier auf arg ungelenke Art und Weise zu Ende erzählt. Henry Brogan arbeitet als Scharfschütze für die Defence Intelligence Agency, kurz DIA. Nachdem er 72 Ziele ausgeschaltet hat, sucht er nach seiner eigenen Aussage Frieden, obwohl er glaubt, im Namen seiner Regierung die Welt sicherer gemacht zu haben. Als ein ehemaliger Mitstreiter auf ihn zukommt und ihm offenbart, dass die letzte Person, die er getötet hat, kein Terrorist war, sondern Henry benutzt wurde, könnte sich daraus ein interessanter Thriller entwickeln.

Doch noch bevor es soweit ist, setzt der von Clive Owen trotz eines Mangels an Tiefe seiner Filmfigur solide verkörperte Clay Verris, der das private Sicherheitsunternehmen „Gemini“ leitet, seinen größten Trumpf auf Henry an – ein Klon, von dessen Existenz Henry nichts wusste. So kämpft der inzwischen über 50 Jahre alte Will Smith, der sich mit merklich Körpereinsatz in seine Rolle wirft, gegen eine nur halb so alte Version seiner selbst. Die ist der zweite Grund, der Gemini Man sehenswert macht. Denn anstatt den Darsteller Smith schlicht zu verjüngen, erschufen die Trickkünstler hier eine Version des jungen Will Smith neu. Das ist ein feiner, aber entscheidender Unterschied, der dafür sorgt, dass Ang Lee die erste, vollständig am Computer entstandene menschliche Figur präsentiert. Das Ergebnis ist vor allem in den dunklen Szenen so beeindruckend, dass man glaubt, einen jungen Will Smith vor sich zu sehen. Doch es gibt andere Momente, in denen die Illusion nicht gelingt, allen voran die letzten Einstellungen des Films. Auch hier kann man sich kaum vorstellen, was Filmemacher in den nächsten zwei Jahrzehnten mit dieser Technik anstellen werden. Es ist in gleichermaßen auch beängstigend.

Wer jedoch vermutet, dass die Macher wie bei den meisten Science Fiction-Geschichten auf die existenziellen Fragen im Hintergrund eingehen, wird enttäuscht. Vielmehr entpuppen sich die Dialoge zwischen Henry Brogan und dem nur Junior genannten Klon als Wiederholung der Leugnung des jüngeren, eine Version des älteren zu sein. Der scheint in seinem halb so alten Pendant so etwas wie einen Sohn zu sehen, oder die Chance, ein anderes Leben zu führen. Beides wird jedoch nie deutlich.
Dafür springt die Geschichte von einem Kontinent zum nächsten, um an jedem Ort eine kurze Actionsequenz zu präsentieren, ehe es zu einem weiteren Schauplatz geht. Dabei ist das erste Aufeinandertreffen zwischen Henry und Junior bemerkenswert und toll aufgebaut. Was beginnt als Feuergefecht, wandelt sich zu einer hervorragend gefilmten und spannenden Motorradverfolgungsjagd. Dass diese ausgerechnet mit einer völlig überzogenen Einstellung enden muss, in der Junior Henry mit dem Hinterrad des Motorrads ins Gesicht schlägt, ist geradezu ärgerlich. Es lässt alles, was zuvor geschehen ist, ebenso lächerlich erscheinen.

Von den übrigen Figuren ist allenfalls noch Mary Elizabeth Winstead gefordert, die sich als verdeckte DIA-Agentin unfreiwillig an Henrys Seite wiederfindet. Dass sie keine Frau verkörpern muss, die nur deshalb in der Story erscheint, um gerettet zu werden, sondern sie in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, ist überaus lobenswert. Doch es täuscht kaum darüber hinweg, dass ihre Figur keine wirkliche Entwicklung erfährt.
So geht es am Ende auch dem Film selbst, dessen Finale – von einigen Einstellungen eines Schusswechsels und eines Feuers in einem kleinen Geschäft abgesehen – kaum in Erinnerung bleibt und dem, was zuvor geschieht, schon in Anbetracht der Kürze kaum gerecht wird. Die Ausgangslage, so vertraut sie klingen mag, könnte in einem packenden Thriller erzählt werden. Es ist auch nicht, dass Regisseur Ang Lee dazu nicht in der Lage wäre. Das beweisen die gelungene Szenen umso mehr. Nur scheint er sich ausschließlich auf den Eindruck zu verlassen, den der zum Leben erweckte Klon und die neuartige Präsentation beim Publikum erzeugen. Die Story scheint für ihn keine große Rolle zu spielen. Nun, sie würde es, wenn es eine gäbe, die zu erzählen sich auch lohnen würde.


Fazit:
In der richtigen Art der Präsentation besitzen die Bilder eine Lebendigkeit, die geradezu ansteckend wirkt. Plastische, lebensechte Farben, glasklare Eindrücke mitten in der Nacht und dazu ein Hauptdarsteller, dessen jüngeres Ich von vor 25 Jahren an seiner Seite steht. Die Illusion gelingt Ang Lee öfter, als dass sie zusammenfällt und sie macht Gemini Man im besten Sinne bemerkenswert. Die technischen Erfolge, die die Beteiligten hier feiern, sollten anerkannt werden. Und doch sollte man nicht darüber hinwegsehen, dass sich die Figuren in dem Science Fiction-Thriller oftmals wenig nachvollziehbar verhalten. Oder dass die Story selbst zu konstruiert erscheint mit einer absurden Motivation auf Seiten des Bösewichts. Vor allem weiß das Drehbuch aus der Ausgangslage kaum etwas zu machen. Dass man auch in diesem Genre das Publikum nach wie vor überraschen kann, hat nicht zuletzt Mission: Impossible – Fallout [2018] bewiesen. Eine solche Finesse fehlt hier merklich. So ist Gemini Man ein optisch beeindruckender Meilenstein, der vermutlich eher in der Rückschau als solcher wird wahrgenommen werden. Wie grundlegend anders die lebensechte Präsentation in 120 Bildern ist, lässt sich kaum in Worte fassen. Als Action-Thriller ist er zwar unterhaltsam, aber nie überraschend oder so clever, wie er vorgibt zu sein. Es unterstreicht noch mehr, was für eine hohle, aber glänzende Hülle die Macher ihrem Publikum vorsetzen. Wer das bedenkt, wird nicht enttäuscht. Von keinem Aspekt.