Ezra: Eine Familiengeschichte [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 18. August 2024
Genre: Drama / Komödie

Originaltitel: Ezra
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Tony Goldwyn
Musik: Carlos Rafael Rivera
Besetzung: Bobby Cannavale, Rose Byrne, William Fitzgerald, Robert De Niro, Vera Farmiga, Tony Goldwyn, Rainn Wilson, Whoopi Goldberg, Geoffrey Owens, Alex Plank, Matilda Lawler


Kurzinhalt:

Gerade als Max (Bobby Cannavale) denkt, das Blatt für seine im Abstieg befindliche Stand-up-Comedy Karriere könnte sich wenden, gerät sein Privatleben noch weiter aus den Fugen. Max’ 15jähriger Sohn Ezra (William Fitzgerald) wird nach einem Zwischenfall der inzwischen dritten Schule verwiesen. Die Empfehlung der Schule, wie auch der Ärzte, lautet, dass Ezra auf eine Sonderschule gehen soll, denn Ezra ist Autist. So seltsam sein Verhalten mitunter für Außenstehende erscheint, so wenig kann er manchmal seine Umwelt deuten. Ezras Mutter und Max’ künftige Ex-Frau Jenna (Rose Byrne) befürwortet den Schulwechsel, doch Max stellt sich vehement dagegen. Nachdem gegen Max eine einstweilige Verfügung ausgesprochen wird, auf Grund derer er sich seinem Sohn monatelang nicht nähern darf, entschließt sich Max, Ezra mitten in der Nacht ohne Wissen seiner Mutter abzuholen. Sie machen sich auf eine Reise, bei der Max auch die Beziehung zu seinem eigenen Vater Stan (Robert De Niro) hinterfragt und mit der Max beruflich wie privat alles aufs Spiel setzt …


Kritik:
Obwohl die Geschichte an mehreren Stellen merklich über das Maß des Glaubwürdigen hinausgeht, besitzt Tony Goldwyns überraschend leichtfüßiges Drama Ezra: Eine Familiengeschichte eine herzliche Authentizität. Dank dieser und einer preiswürdigen Darbietung im Zentrum verzeiht man der Geschichte, dass sie nur selten so weit geht, ihre Figuren tatsächlich offen zu legen, und in allzu bekannten Bahnen verläuft. Inhaltlich wichtig, ist das sehenswert und eignet sich auch für ein breites Publikum.

Die Geschichte erzählt von dem ehemaligen Comedy-Autor Max, der inzwischen selbst auf der Bühne steht. Seit geraumer Zeit ist seine Karriere im Abstieg begriffen und auch im Privaten läuft nichts so, wie er es sich vorgestellt hat. Von seiner Frau Jenna wird Max bald geschieden sein. Max selbst ist wieder bei seinem Vater Stan eingezogen, während Max’ Sohn Ezra bei Jenna wohnt. Sie teilen sich das Sorgerecht, doch ist die Erziehung eine große Herausforderung, denn Ezra hat eine Form von Autismus. Berührungen sind für ihn sehr schwierig, beim Anblick von Bananen auf dem Teller bleibt ihm die Luft weg, obwohl er keine Allergie hat. Ezra nimmt alles wörtlich, ist aber hochintelligent. Nach einem Zwischenfall in der Schule, in der er regelmäßig gehänselt wird, soll Ezra auf eine Sonderschule gehen. Max lehnt dies ab, doch nach einer weiteren Eskalation mit einem Arzt, der Ezra Antidepressiva verschreibt, wird Max mit einer Unterlassungsverfügung belegt und darf seinen Sohn für drei Monate nicht sehen. In einer Kurzschlussreaktion holt er ihn ohne Jennas Wissen mitten in der Nacht ab und begibt sich auf einen Road Trip, der sie nach Los Angeles führt, wo Max ein Vorsprechen bei einer bekannten Late Night Talkshow haben soll.

Dass Jenna außer sich ist, vor Sorge, überrascht ebenso wenig, wie dass sie die Polizei einschaltet, die wiederum eine Fahndung nach Max und seinem Sohn startet. Der inhaltliche Verlauf von Ezra ist ebenso absehbar, wie die einzelnen Momente, in denen entweder Ezra selbst in eine für ihn schwierige Situation gebracht wird, oder Max an einem Scheideweg steht. Indem er seinen Sohn entführt hat, hat er seine Karriere gewissermaßen beerdigt. Die Frage, die man sich dabei stellt lautet nur: weshalb überhaupt? Sieht man die Herausforderungen, denen Ezras Eltern sich im Alltag gegenübersehen, mit einem Sohn, dessen Verhalten in einem Augenblick absurd und unberechenbar erscheint, im nächsten aber ganz klaren Mustern folgt, der Humor zwar versteht, dem sich Ironie oder Sarkasmus jedoch nicht erschließt, dann kann man ihre Aussagen durchaus verstehen, dass ihnen inzwischen die Kraft ausgeht.

Doch während Jenna für sich die Entscheidung getroffen hat, sich von Max zu trennen, der ein wenigstens ebenso anstrengender Charakter ist, versucht Max unablässig, seinem Sohn die besonderen Verhaltensweise abzutrainieren. Sagt er, er wolle nicht, dass Ezra auf eine Sonderschule geht, damit er an einer normalen Schule zu kämpfen und sich zu wehren lernt, dann klingt das durchaus, als wolle er das Beste für seinen Sohn (ob nun tatsächlich richtig oder nicht sei dahingestellt). Gleichzeitig nimmt er Ezra entgegen Jennas Willen zu seinen Auftritten mit, macht seine Geschichte und Ezras Reaktion Teil des Programms, um so selbst mit den besonderen Bedürfnissen seines Sohnes klarzukommen. Doch damit drängt er Ezra in eine Rolle, nutzt ihn als Inspiration, anstatt einfach als Vater für ihn da zu sein. Ausgehend von der Titelfigur schildert Ezra die Dynamik des männlichen Teils der Familie. Über Max, dem es an Selbstbeherrschung mangelte, noch bevor sein Sohn auf die Welt kam, bis hin zu Stan, der der Meinung ist, man müsse bestimmte Dinge im Leben schlicht aushalten und nicht über irgendetwas sprechen. Trotz seines guten Verhältnisses zu Ezra kann er das Wort Autismus nicht einmal aussprechen, als würde er seinen Enkel dadurch mit einem Makel belegen.

Die Geschichte eines Vaters, der glaubt, er müsse den Autismus seines Sohnes „heilen“, ist bei Tony Spiridakis’ Drehbuch von seinen eigenen Erfahrungen inspiriert. Diese Authentizität zieht sich durch die Produktion, die mit William Fitzgerald einen jungen Darsteller für Ezra findet, der selbst Autist. Bobby Cannavale zeigt eine Darbietung, die zu den besten des vergangenen Jahres gehört. Max’ Zerrissenheit, seinen Sohn als ein einzigartiges Geschenk oder eine Belastung zu empfinden, bringt er auf ebenso berührende wie packende Weise zur Geltung. Es ist eine Darstellung, die mit nichts zurückhält. Auch Robert De Niro zeigt in seinen Momenten eine Vielschichtigkeit seiner konfliktbehafteten Figur, die man nicht vermuten würde. Dass die Schauspiellegende selbst ein autistisches Kind hat, mag seine Verkörperung gleichermaßen geprägt haben.

Zugegeben, weder rückt Ezra: Eine Familiengeschichte Menschen mit Autismus, dessen Ausprägungen so unterschiedlich sein können, dass man sie nur schwer in zwei Stunden zusammenfassen kann, auf eine Art und Weise ins Zentrum, wie man es bisher noch nicht gesehen hat, noch bietet die Darstellung der Familienmitglieder, die den Alltag mit ihnen bewältigen, neue Erkenntnisse. Doch insgesamt überzeugt Filmemacher Tony Goldwyn mit einer warmherzig wie aufrichtig erzählten Geschichte, die ein Verständnis für beide Seiten schaffen will und vielleicht dem Publikum Berührungsängste nehmen kann. Nicht zuletzt dank der tollen Besetzung, die bis in die Nebenrollen namhaft ausgesucht ist, überzeugt das durchweg, selbst wenn einem erzählerisch das Meiste bekannt vorkommt.


Fazit:
Wie erwartet, führt der gemeinsame Road Trip dazu, dass sich Max und Ezra nicht nur näher kommen, sondern auch jeweils entwickeln können. In diesen Belangen bietet die stellenweise weit hergeholte Geschichte ebenso wenig Neues wie die Darstellung der Besonderheiten der Erziehung von Kindern mit Autismus. Doch ungeachtet dessen, dass das unerwartet amüsante Drama dennoch gelungene Einblicke und eine einnehmende Stimmung bietet, es ist von einer starken Besetzung getragen von der einige Darbietungen preiswürdig hervorstehen. In den richtigen Momenten berührend, ist Ezra: Eine Familiengeschichte ein Plädoyer für Inklusion und Akzeptanz in einer diversen Gesellschaft, für Toleranz und Verständnis im Alltag. Es sind universell gültige Aussagen, die mit einem spürbaren Engagement und einer erfrischenden Authentizität zum Leben erweckt sind. Das mitanzusehen, ist einfach schön.