Eingeschlossene Gesellschaft [2022]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 5. April 2022
Genre: KomödieLaufzeit: 97 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt
Regie: Sönke Wortmann
Musik: Martin Todsharow
Besetzung: Justus von Dohnányi, Anke Engelke, Florian David Fitz, Nilam Farooq, Thomas Loibl, Torben Kessler, Thorsten Merten
Kurzinhalt:
An einem Freitagnachmittag am Rudi Dutschke Gymnasium löst sich die Gruppe der noch anwesenden Lehrkräfte um den konservativen Herrn Engelhardt (Justus von Dohnányi), die nicht weniger auf althergebrachte Ansichten festgelegte Frau Lohmann (Anke Engelke), Sportlehrer Peter Mertens (Florian David Fitz), Referendarin Sarah Schuster (Nilam Farooq), Chemielehrer Vogel (Torben Kessler) und Herrn Arndt (Thomas Loibl) gerade auf, als der Vater (Thorsten Merten) eines Schülers vor ihnen steht. Er will ein Gespräch mit dem Lehrer seines Sohnes, Herrn Engelhardt. Zuerst unter vier Augen, doch als dieser sich vehement weigert, zieht der Vater eine Waffe. Da Herr Engelhardt dem Sohn Fabian nur 4 Punkte zu erteilen gedenkt, wird dieser nicht zum Abitur zugelassen werden. Darum zwingt der Vater die Anwesenden, eine vorgezogene Lehrerkonferenz abzuhalten, um über Fabians Eignung zu beraten. Nicht nur, dass dabei die Emotionen hochkochen und tiefe Gräben im Kollegium sichtbar werden, ein unbeaufsichtigtes Experiment von Herrn Vogel droht zu einem explosiven Desaster zu werden …
Kritik:
Wäre Sönke Wortmanns Eingeschlossene Gesellschaft eine Schulaufgabe in der Oberstufe, das Urteil darüber könnte „Themaverfehlung“ lauten. Nur die Benotung gestaltet sich schwierig, denn handwerklich gibt es an der minimalistisch konzipierten Komödie kaum etwas zu bemängeln und die Besetzung ist nicht nur toll zusammengestellt, sondern agiert durchweg bemerkenswert. Aber obwohl hier interessante Ansätze vorhanden sind und im Mittelteil kurz aufgegriffen werden, wird der Film diesen nur (zu) selten gerecht.
Die Geschichte beginnt so harmlos wie viel versprechend, nimmt jedoch alsbald eine düstere Wendung. Es ist Freitagnachmittag, halb drei, im Lehrerzimmer des Rudi Dutschke Gymnasiums, dessen Name hier nicht zufällig gewählt ist. Das noch anwesende, halbe Dutzend Lehrkräfte macht aus der unverhohlenen, gegenseitigen Verachtung kein Geheimnis. Angefangen vom pedantisch akkuraten Oberstudiendirektor Engelhardt, über die nicht minder angestaubt auftretende Frau Lohmann, bis hin zu Sportlehrer Peter Mertens, Chemielehrer Vogel, Herrn Arndt und der Referendarin Frau Schuster. Als es zu so später Stunde an der Tür klopft, wollen sie zuerst nicht öffnen, immerhin gibt es für so etwas Sprechstunden und jetzt ist keine. Kurz darauf steht vor dem Kollegium der Vater des Schülers Fabian, um mit Herrn Engelhardt zu sprechen. Der hatte dem Filius eröffnet, dass er in Latein nur 4 Punkte erhalten und darum nicht zum Abitur zugelassen werde. Da es bereits seine zweite Ehrenrunde ist, bedeutet das, dass Fabian nicht das Abitur wird machen und studieren können, womit sich der Vater nicht abfinden will.
Die Situation wird unerwartet ernst, als der um die Zukunft seines Sohnes besorgte Vater eine Waffe zückt und die Lehrerschaft bedroht. Er gibt ihnen etwas mehr als eine Stunde Zeit, die für die nächste Woche vorgesehene Lehrerkonferenz vorzuziehen und über Fabians Eignung zu beraten. Das ausgesprochene Ziel soll es dabei sein, „einen Punkt zu finden“, damit Fabian das Abitur machen und studieren kann. Aus einer solch aufgeheizten Situation ließe sich eine beißende Satire auf das Schulsystem im Speziellen und das Bildungssystem im Allgemeinen erzählen, doch entschließt sich Eingeschlossene Gesellschaft zu keinem von beidem. Überhaupt wird der Umstand, dass die Beratungen gar nicht ergebnisoffen sind, erst spät im Film thematisiert, da ansonsten die gesamte Ausgangsidee in sich zusammenfallen würde. Statt aber über Schüler Fabian zu sprechen, verbringen die Lehrkräfte die meiste Zeit damit, über einander oder Schülerinnen und Schüler im Allgemeinen zu diskutieren. Dass sie mit einer Waffe bedroht werden bzw. wurden, scheint sie nicht zu berühren, die Situation bringt niemanden der Anwesenden auch nur einen Moment aus der Fassung. Wer nun aber auf einen Seitenhieb hofft, dass Bedrohungen an Schulen öfter erleben würde, als die Lehrenden erzählen könnten, in Anbetracht von ähnlich aufgebrachten, wenn auch nicht bewaffneten Eltern beispielsweise, der irrt.
Eingeschlossene Gesellschaft nutzt das bedrohliche Element der Situation überhaupt nicht, das dadurch noch verstärkt wird, dass Herr Vogel eindringlich warnt, in der Fachschaft Chemie liefe ein Experiment, das explodieren wird und man ihn doch nur kurz gehen lassen solle, um es zu beenden. Nichts davon hat irgendeine Auswirkung auf die Anspannung der Figuren, den Spannungsbogen der Erzählung oder die Inszenierung. Es ist eine Rahmenbedingung, die einfach da ist. Verstärkt wird das noch dadurch, dass wenn die Lehrkräfte die Polizei informieren können, diese den Anrufenden zuerst nicht glauben, um sich dann im Stile von Police Academy - Dümmer als die Polizei erlaubt [1984] als regelrechte Gurkentruppe herauszustellen. Dass hier quasi nebenbei das sehr reale und gefährliche „Swatting“, bei dem Spezialeinsatzkräfte der Polizei zu fingierten Notrufen gerufen werden, verharmlost wird, setzt diesem Aspekt der Story noch die Krone auf.
Wendet man sich stattdessen den Geschehnissen im Lehrerzimmer zu, gibt es dort im Grunde viel zu entdecken, verpackt in ebenso spitze wie spritzige Dialoge, die sich auf die unterschiedlichen Figuren aufteilen. Frau Lohmann beispielsweise tritt zynisch und arrogant auf, in unnahbarer Weise verbittert, dabei herablassend und überheblich. Sie steht zusammen mit Herrn Engelhardt als konservativer Lehrer für diejenigen Pädagogen, die als bornierte Lehrkräfte derart an ihren althergebrachten Einstellungen festhalten, dass Herr Engelhardt während der Ereignisse nicht einmal von seinem Stuhl aufsteht. Auf der anderen Seite steht die junge Frau Schuster, die neue Wege gehen und Ideen aus dem Studium umsetzen will, von den Platzhirschen aber in ihre Schranken verwiesen wird. Wenn die Lehrkräfte widerwillig darüber diskutieren, ob man dem Schüler Fabian den einen Punkt geben sollte, dann legen sie dabei nicht nur ihre Differenzen, sondern auch ihre innere Einstellung offen. Das ist eine gute Idee und funktioniert für eine gewisse Zeit auch – bis sich herauskristallisiert, dass alle anwesenden Lehrkräfte in gewisser Weise „böse“ sind. Sei es, dass sie pornografische Inhalte auf Schulcomputern konsumieren, dass sie sich mit Schülerinnen einlassen, bewusst Verheiratete verführen, betrügen oder um ihrer Karriere willen Kolleginnen und Kollegen denunzieren.
Es gibt hier keine Figur, die moralisch integer ist und der tatsächlich an den Schülerinnen und Schülern gelegen wäre. Darüber hinaus werden zwei Aspekte inhaltlich vollkommen außen vor gelassen: Zum einen wird nie verurteilt, dass der Vater des Schülers mit Waffengewalt (oder überhaupt durch Bedrohung) eine bessere Note von den Lehrenden erzwingen will und zum anderen wird nie erwogen, ob es überhaupt sinnvoll ist, jede und jeden zum Abitur zuzulassen. Zwar argumentiert Frau Lohmann schneidend und verletzend in diese Richtung, aber darüber entsteht bei Eingeschlossene Gesellschaft keinerlei Diskurs. Sicherlich scheint es ungerecht, anhand eines Punktes eine Person nicht zum Abitur zuzulassen (was im vorliegenden Fall der Harmonie wegen ohnehin anders aufgelöst wird). Aber was wäre gewonnen, würde sie zugelassen, um dann beim Abitur nicht zu bestehen? Der Vater argumentiert, er wolle, dass sein Sohn, der sich als Versager fühlt, nicht enttäuscht ist – aber würde die Enttäuschung nicht nur verschoben, um dann beim Abitur oder einem gescheiterten Studium einzutreten? Sollte man nicht vielmehr darauf hinwirken, dass diejenigen Menschen, die kein Abitur machen und nicht studieren, sich eben nicht als Versager fühlen? Dass eine Ausbildung, eine Karriere abseits des akademischen Wegs, ebenso wertvoll, lukrativ und angesehen ist?
Diesen Aspekt streift Filmemacher Sönke Wortmann in den letzten Minuten, doch es ist zu spät und zu kurz, um sich auf die Geschichte nennenswert auszuwirken. Stattdessen konzentriert sich Eingeschlossene Gesellschaft darauf, die Lehrerinnen und Lehrer von heute als ewiggestrige Urgesteine eines änderungsunwilligen Bildungssystems darzustellen, in dem die Macht des eigenen Notenfederstrichs wichtiger ist, als das Schicksal der Schülerinnen und Schüler. Verbitterte Klischees, die sich wichtiger nehmen, als die Kinder, deren schulische Bildung sie begleiten. Das wird weder dem im Grunde wichtigen Thema, noch den Personen gerecht, die gerade in den vergangenen zwei Jahren trotz der schwierigen Umstände das Schulsystem am Laufen gehalten haben. Das mögen nicht alle gewesen sein, doch die engagierten Lehrkräfte sind hier überhaupt nicht vertreten und man möchte sich nicht ausmalen, wie beleidigend dies für sie sein muss.
Fazit:
Sönke Wortmanns jüngste Komödie wird vermutlich vom Publikum auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen aufgenommen werden, je nachdem, welche persönlichen Erfahrungen man bislang gemacht hat. Es wird diejenigen geben, die in der Darstellung eines selbstgefälligen Lehrerkollegiums das widergespiegelt sehen, was sie bisher erlebt haben, mit Menschen in Positionen, die nicht zu wissen scheinen, was es bedeutet, Elternteil zu sein (interessanterweise ist offenbar auch niemand der Anwesenden selbst Vater oder Mutter). Und diejenigen, die eben diese Sichtweise als zu einseitig empfinden und damit auch gegenüber diesem Berufsstand schlichtweg ungerecht. Dass dabei Kritik am Schulsystem berechtigt ist, das haben nicht zuletzt die vergangen 24 Monate gezeigt. Doch macht es sich der Filmemacher sehr einfach, bedient Klischees wie Ressentiments gegenüber Lehrkräften und präsentiert platte Charakterisierungen, die am Ende alle noch erklärt oder aufgelöst werden müssen. Hinzu kommt die Darstellung einer Provinzpossen-Polizei und eine Geiselnahme, deren grundlegendes Unrecht überhaupt nicht thematisiert wird. Ein Diskurs über die grundsätzliche Frage, ob jede und jeder Abitur machen (können) muss, wird nicht geführt und die Figuren scheinen sich in der Situation nie bedroht oder unwohl zu fühlen. Das ist von der Stimmung her zu oberflächlich, selbst wenn die Dialoge scharfzüngig, zynisch und oftmals treffend sind. Dennoch wirkt Eingeschlossene Gesellschaft, als wäre der satirische Aspekt der Geschichte mit angezogener Handbremse erzählt und gerät nie bösartig genug. Nur im Mittelteil, wenn die verbalen Attacken persönlicher und schneidender werden, zeigt der Film, was er hätte sein können. Die Besetzung ist klasse und die Idee eines solchen Kammerspiels interessant. Doch die Darstellung eines durchweg unwilligen oder „bösen“ Lehrkollegiums in diesem Zusammenhang und gerade zur heutigen Zeit, ist so einseitig wie unangemessen.