Ein Mann namens Otto [2022]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 19. Januar 2023
Genre: Drama / Komödie

Originaltitel: A Man Called Otto
Laufzeit: 126 min.
Produktionsland: Schweden / USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Marc Forster
Musik: Thomas Newman
Besetzung: Tom Hanks, Mariana Treviño, Manuel Garcia-Rulfo, Truman Hanks, Rachel Keller, Cameron Britton, Juanita Jennings, Peter Lawson Jones, Christiana Montoya, Alessandra Perez, Josephine Valentina Clark, Mike Birbiglia


Kurzinhalt:

Strom und Telefon sind abgemeldet, der letzte Arbeitstag ist überstanden. An sich ist Witwer Otto Anderson (Tom Hanks) nun an dem Punkt angekommen, dass er seine vor sechs Monaten verstorbene Frau Sonya (Rachel Keller) aufsuchen könnte. Doch seine Versuche, dem Leben ein Ende zu setzen, werden wiederholt gestört. Allen voran durch seine neuen Nachbarn Marisol (Mariana Treviño) und Tommy (Manuel Garcia-Rulfo), die mit ihren Kindern eingezogen sind. Obwohl Otto der Überzeugung ist, dass ihn nichts mehr auf dieser Welt hält, muss er erkennen, dass abgebrochene Freundschaften wie diejenige zu Anita (Juanita Jennings) und Reuben (Peter Lawson Jones), die damals mit ihm und Sonya in die Wohnsiedlung zogen, offene Wunden hinterlassen haben. Zu allem Überfluss quartiert sich dann noch eine streunende Katze in Ottos Leben ein …


Kritik:
Basierend auf Fredrik Backmans Erfolgsroman Ein Mann namens Ove [2012] und der bereits erfolgten schwedischen Verfilmung, präsentiert Filmemacher Marc Forster mit Ein Mann namens Otto die entsprechende Hollywood-Adaption, in der Tom Hanks in die Rolle des Titel gebenden, verwitweten Rentners schlüpft, dessen grantelige und meist beleidigende Art die Menschen in seiner Umgebung vor den Kopf stösst. Er verleiht der Figur dabei mehr als nur ein Herz, zu dem das Publikum Zugang findet, er verleiht ihr eine Seele.

Anstatt die Situation, in der das Publikum Otto Anderson zum ersten Mal trifft, durch Worte zu erläutern, entscheidet sich Regisseur Forster, sie in Bildern zu beschreiben. Otto wirkt wie ein mürrischer alter Mann, der jeden Morgen seine Runden in der Nachbarschaft der abgetrennten Wohnsiedlung geht und dabei unter anderem die Parkausweise der Anwohnenden kontrolliert. Auch auf die Mülltrennung hat er ein wachsames Auge und schippt akkurat den Schnee vor seinem Haus. Otto ist bei den übrigen Nachbarinnen und Nachbarn bekannt, die sich offenbar auch nicht an seinem schroffen Auftreten stören und seine innere Uhr funktioniert ebenso zuverlässig wie sein Wecker. All dies sind Punkte, über die man schmunzeln kann, oder wenn Otto zu Beginn in einem Baumarkt ein Seil kauft und dem Kassierer vorzurechnen beginnt, dass sie ihm die Meterware falsch berechnen, auch lauthals lachen. Man mag sich in vielen Aspekten sogar selbst in Otto wiederfinden. Doch hinter diesen amüsanten Anekdoten gibt es eine weitere Ebene, die Ein Mann namens Otto beinahe beiläufig vorstellt. Dass an der Garderobe in seinem Haus eine weitere Jacke und Mütze hängen beispielsweise, oder dass alles im Haus, von dem Geschirr bis hin zum Bett für zwei Personen ausgelegt ist – Otto aber alleine lebt. Seine Frau Sonya, so erfährt man später, ist sechs Monate zuvor verstorben und nachdem er den letzten Arbeitstag vor seiner Pensionierung hinter sich gebracht hat, wobei er vorzeitig aus dem Beruf gedrängt wurde, zieht er sich seinen Anzug zuhause an und bindet sich aus dem eingangs gekauften Seil einen Strick, um sich das Leben zu nehmen.

Ungeachtet der vielen, vielen humorvollen und teils auch zynischen Situationen, ist Ein Mann namens Otto im Kern ein Drama, das von einem für viele Menschen kaum vorstellbaren Dilemma erzählt: Hat man eine Lebzeiten mit einer anderen Person verbracht, wie und überhaupt weshalb sollte man alleine weiterleben in einem Haus voller Erinnerungen, mit Gegenständen, die man untrennbar mit einer unersetzlichen Person verbindet?
Marc Forster gewinnt einer auf den ersten Blick schnell durchschaubaren Geschichte um ihre unbequeme Hauptfigur eine so greifbare Tragik ab, die, sobald das Publikum sich diese Fragen stellt, einen kaum mehr loslassen will.

Ottos Pläne werden jedoch wiederholt vereitelt, vorrangig von einer Familie, die ihm gegenüber neu in die Nachbarschaft einzieht. Zwei junge Töchter hat das Einwandererpaar bereits, ein drittes Kind ist unterwegs. Aber auch der junge Malcolm, der in der Nachbarschaft Zeitungen austrägt und den Otto nie beachtet hat, nimmt plötzlich mehr Raum in seinem Leben ein. Ebenso die nachbarschaftliche Gemeinschaft, aus der sich Otto nach einem Zerwürfnis zurückgezogen hatte. Ein Mann namens Otto stellt überraschend viele Nebenfiguren vor, die alle ein wichtiger Bestandteil der Erzählung werden und ihr neue Facetten hinzufügen. Ebenso eine streunende Katze, die aus unerfindlichen Gründen Ottos Nähe sucht. Je mehr er mit seinem Leben abzuschließen versucht, umso mehr schwelgt Otto Anderson in Erinnerungen an sein Leben mit Sonya. An ihre erste Begegnung, ihren Einzug in das Haus und ihre großen Träume. Und je öfter es ihm so ergeht, umso mehr verstärkt die Leere, in die er danach zurückkehrt, seine Trauer.

Tom Hanks verleiht dieser Figur, die in Gesellschaft mit anderen oftmals so abweisend auftritt, in seinen alleinigen etwas derart Gebrochenes, zutiefst Trauriges, dass es schwerfällt, ihm nicht zu verfallen. Gleichermaßen ergeht es einem mit Mariana Treviño, die in der Rolle von Ottos neuer Nachbarin Marisol nicht nur eine aufrichtige Ehrlichkeit vermittelt, sondern den Käfig erkennt, in den sich Otto selbst gesperrt hat, und deren Versuche, ihm herauszuhelfen immer wieder fehlschlagen. Beide besitzen eine Dynamik und eine Chemie, die berührt, ohne rührselig zu sein. Und obwohl Ein Mann namens Otto im Verlauf kaum überrascht, treffen die Momente hier oftmals unvermittelt ins Herz. Witzig, manchmal bissig, wenn auch nicht unbedingt bissig genug, bleibt die Geschichte durch ihre Warmherzigkeit ebenso wie die charmanten und tollen Darbietungen in Erinnerung. Das ist mehr als nur gelungen.


Fazit:
So viel ihm und seiner Frau bereits widerfahren ist, Otto Anderson muss erkennen, dass auch andere Familien von Schicksalsschlägen getroffen wurden und dunkle Zeiten durchleben. Je mehr Filmemacher Marc Forster über seine und Sonyas Geschichte preisgibt, umso mehr findet das Publikum Zugang zu einer augenscheinlich „typisch“ grantigen Figur und blickt hinter sein Auftreten. Dabei schwingt in Ottos Augen so viel Traurigkeit mit und die Rückblicke offenbaren so viel Herz und Wärme, dass es einen unweigerlich mitnimmt. Alle Figuren sind oder werden wichtig, die nachbarschaftliche Gemeinschaft wird erkundet und vertieft. Dies rundet eine Erzählung ab, die nicht von großen Kämpfen oder packenden Dramen handelt, sondern vom Leben und den Verbindungen, die wir Menschen untereinander aufbauen. Das klingt nach wenig, doch gerade die Alltäglichkeit macht es greifbar. Ein Mann namens Otto erzählt eine berührende und witzige Geschichte über einen Mann mit einem großen Herzen, das öfter gebrochen wurde, als man es selbst vermutlich verkraften könnte. Das ist ein gleichermaßen amüsantes wie nahegehendes Filmvergnügen mit einem fantastischen Tom Hanks im Zentrum. Schön und wertvoll!