Doppelmord [1999]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 28. April 2003
Genre: Thriller

Originaltitel: Double Jeopardy
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: USA / Deutschland / Kanada
Produktionsjahr: 1999
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Bruce Beresford
Musik: Normand Corbeil
Darsteller: Ashley Judd, Tommy Lee Jones, Bruce Greenwood, Annabeth Gish


Kurzinhalt:
Die Parsons sind eine glückliche Familie; Nicholas (Bruce Greenwood) ist erfolgreich und Elizabeth (Ashley Judd), könnte es mit ihrem Mann Nicholas und ihrem Sohn Matty (Benjamin Weir) nicht besser gehen.
Doch "Libbys" und Nicholas' vielversprechender Ausflug mit einem Segelboot endet für die junge Frau als Alptraum: Mitten in der Nacht wacht sie auf, ihr Mann ist fort und überall auf dem Schiff Blutspuren. An Deck findet sie ein Messer. Die Küstenwache kann ihren Ehemann nicht finden, und so wird er für tot erklärt. Als Täterin kommt nur Libby in Betracht; sie wird wegen Mordes an ihrem Ehemann angeklagt und verurteilt und kommt ins Gefängnis. Die Freundin der Familie Angela Green (Annabeth Gish) adoptiert Matty.
Anfangs hat  Libby noch regelmäßigen Kontakt Kontakt mit ihrem Sohn. Doch plötzlich reißt dieser während Libbys Inhaftierung ab. Schlimmer noch: Libby kommt der schreckliche Verdacht, dass Nicholas noch quicklebendig ist und seinen Tod aus finanziellen Gründen nur vorgetäuscht hat.
Als sie nach sechs Jahren auf Bewährung freigelassen wird, hat Libby nur zwei Gedanken: Ihren Sohn zurückzubekommen und ihren Mann zu finden und sich an ihm zu rächen. Aufgrund eines Gesetzes, der sogenannten "Double Jeopardy", wonach man nicht ein zweites Mal für dasselbe Verbrechen angeklagt werden kann, ist sie in der Lage, ihn nun zu töten, ohne dass ihr die Gerichte etwas anhaben könnten – immerhin hat sie ihn offiziell bereits ermordet.
Doch ihr Bewährungshelfer Travis Lehman (Tommy Lee Jones) kommt ihr dabei in die Quere. Da Libby gegen ihre Bewährungsauflagen verstößt, setzt er alles daran, sie wieder ins Gefängnis zu bringen.


Kritik:
Eine unschuldige Person verurteilt, Tommy Lee Jones ihr auf den Fersen – das erinnert den Zuschauer frappierend an den brillianten Erfolgsthriller Auf der Flucht [1993]. Tatsächlich scheint Doppelmord nicht viel anderes zu sein, als eine weitere Variation des gleichen Grundthemas, wobei nun eine Frau den Hauptcharakter spielt und sie ihre Strafe im Gefängnis abgesessen hat, bevor sie sich auf die Suche nach der Wahrheit macht.
Gegen eine gute Abwandlung eines bekannten Stoffes ist prinzipiell nichts einzuwenden, wenn der daraus entstehende Film wenigstens unterhaltsam ist. Allerdings scheint die Verwandschaft von Doppelmord mit seinem bisher größten Erfolg auch Tommy Lee Jones aufgefallen zu sein und nicht unbedingt gefallen zu haben, denn er ist der augenscheinlichste Kritikpunkt des Films. Zwar spielt er durchaus überzeugend, aber ohne den Elan oder das aus Auf der Flucht bekannte Funkeln in den Augen.

Grundvoraussetzung für einen Films ist das Drehbuch, das in diesem Fall aus den Federn von Douglas Cook und David Weisberg stammt, die beide am Actionfeuerwerk The Rock - Fels der Entscheidung [1996] mitgewerkelt haben, und die seit Doppelmord an keinen Filmprojekten mehr beteiligt waren.

Ihr Skript weist ein paar wirklich nette Ideen und Details auf (darunter auch die Ausbruchsszene aus Lehmans Wagen), doch werden diese beinahe von den scheunentorgroßen Storylöchern überdeckt, die man auch als gutmütiger Zuschauer kaum übersehen kann.
Der größte Knackpunkt ist zweifelsohne die Ausgangslage um das Gesetzt der "Double Jeopardy", laut dem niemand für dieselbe Straftat in den USA zweimal verurteilt werden kann. Dieses Gesetz gibt es tatsächlich, allerdings gilt es nur und ausschließlich für dasselbe Verbrechen zu genau demselben Zeitpunkt. Elizabeth Parsons wurde für den Mord an ihrem Mann verurteilt, würde sie ihn später jedoch "erneut" töten, wäre dies ein anderes Verbrechen, da es schon zu einem anderen Zeitpunkt stattfindet. Sie wäre somit erneut haftbar und würde auch vor Gericht gestellt werden können, obwohl das erste falsche Urteil vermutlich aufgehoben werden würde.
Die Autoren konnten mit dieser Ungereimtheit sicher leben und wussten wahrscheinlich davon, allerdings bedeutet das Inkaufnehmen dieses Logikfehlers, dass der ganze Film, oder besser Libbys eigentliche Motivation, ohnehin ad absurdum geführt wird. Beim Anschauen des Racheplanes stört das allerdings nicht weiter.

Weitere bedeutsame Filmfehler sind, dass Libby keinesfalls ihren Ehering im Gefängnis tragen könnte, da jeglicher Schmuck – darunter natürlich auch Eheringe – den Insassen bei Einlieferung abgenommen wird, ebenso wenig wie sie den von Lehman gestohlenen Revolver in ein Flugzeug hätte schmuggeln können, schon gar nicht, wenn sie die Waffe am Körper trägt.
Ein fast schon witziger, weil nicht so offensichtlicher Filmfehler ist, dass Libby bei einem Autoverkäufer die Sozialversicherungsnummer von Angela Green und dadurch auch ihren Wohnsitz nachprüfen lässt. Wie man jedoch wenig später erfährt, ist Angela bereits seit mehreren Jahren tot – ihre Sozialversicherungsnummer wäre somit selbstverständlich schon lange nicht mehr im System erfasst.

Zugegebenermaßen fallen einem diese Ungereimtheiten während des Films nicht wirklich auf, insofern sind sie vernachlässigbar.
Anders verhält es sich dagegen mit der eigentlichen Geschichte, die nachdem Libby erfährt, dass ihr Mann nicht gestorben ist, weitestgehend überraschungsarm verläuft. Sie wird auch leider nicht ausgefeilter und ist bis hin zum letztendlichen Schluss schon früh vorhersehbar. Hier hätte man sich etwas mehr Komplexität wie beispielsweise bei Auf der Flucht, oder auch dessen immer noch äußerst unterhaltsamen Ableger Auf der Jagd [1998] gewünscht.
Die Action ist spärlich gesät und auch nicht so mitreissend, wie man sich das wünschen würde. Hier hätte man aus den gegebenen Szenen und Ideen sicherlich mehr herausholen können.
Die Dialoge bewegen sich ebenfalls nicht auf besonders gehobenem Niveau, ermöglichen aber dennoch einen reibungslosen Filmgenuss.
Das Finale verlässt sich auf altbekannte Klischees, die nur noch von der Naivität der Beteiligten in der Szene zu überbieten sind. Sich daran zu stören ist mindestens ebenso einfach, wie es hinzunehmen und sich berieseln zu lassen.

Was den Film über den Durchschnitt rettet, ist ohne Zweifel die Besetzung, allen voran die attraktive Ashley Judd, bei der es eine wahre Freude ist, zuzusehen, wie sie sich vom eingeschüchterten Heimchen zur aktiven Aggressorin wandelt. Anfangs noch unscheinbar, beweist sie in der Rolle genau die richtige Mischung aus Verletzlichkeit und Stärke, die bei Sandra Bullock in Das Netz [1995] stellenweise arg weit hergeholt erschien. Judd allerdings meistert diese Aufgabe vorzüglich und scheint an der Rolle durchaus Gefallen gefunden zu haben, obwohl sie erst in letzter Minute zum Projekt gekommen war – ursprünglich sollte Jodie Foster ihre Rolle spielen, sie stieg allerdings aus, als sie schwanger wurde.
An Ashley Judds Seite steht Tommy Lee Jones, seines Zeichens Kultdarsteller, der bis dahin in knapp 50 Film- und Fernsehfilmen mitgewirkt hat. Doch von seinem einstigen Feuer scheint in Doppelmord nicht viel geblieben zu sein; während er in Volcano [1997] und Men in Black [1997] noch agil und fit wirkte, scheint er hier auch in den fröhlichen Szenen griesgrämig und matt, als hätte er sich gewünscht, dass seine Rolle größer ausgefallen wäre, als es letztendlich der Fall war. Zwar ist seine Leistung immer noch gut, aber bei weitem nicht mitreißend.
Bruce Greenwood gehört zur traurigen Liga der Hollywood-Darsteller, die recht vielbeschäftigt sind und wirklich gut spielen können, aber nie den großen Durchbruch geschafft haben und sich deshalb mit allerlei zweit- und drittklassigen Filmen über Wasser halten müssen. Einen Einblick in sein Können offenbarte er in Thirteen Days [2000], in dem er glaubhaft den amerikansichen Präsidenten John F. Kennedy verkörperte. Auch in der kurzlebigen aber interessanten Serie Nowhere Man - Ohne Identität! [1995-1996] spielte er die Hauptrolle, doch frappierende Erinnerungen müssen ihm bei Doppelmord gekommen sein, in dem er fast dieselbe Rolle wie in der TV-Produktion Bittersüße Vergeltung [1994] hat. Als Nicholas Parsons ist er zwar überzeugend genug, aber dennoch farblos, ein zahnloser Bösewicht, der im Film chronisch unterfordert ist.
In einer kleinen Nebenrolle ist außerdem Annabeth Gish zu sehen, die zeigt, dass sie mehr kann, als Aliens in Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI [1993-2002] zu jagen. Viel Zeit hat sie hier allerdings dazu nicht, ihre Rolle ist zu klein ausgefallen.

Stimmungsvoll kommt Normand Corbeils instrumentaler Score daher, der bisweilen an James Horner erinnert und sich immer gut in die Szenen einpasst. Es ist verwunderlich, dass er seither keine größeren Angebote von den Studios mehr bekommen hat.

Mit seiner Kamera- und Schnittarbeit begibt sich Regisseur Bruce Beresford auf die sichere Seite und setzt auf gewohnte Kost. Mit einer sauberen, routinierten Arbeit zeigt er bisweilen recht malerische Aufnahmen, die aber niemals an seine Bildkompositionen von Miss Daisy und ihr Chauffeur [1989] anschließen können und alles in allem zu "brav" wirken. Die Actionszenen scheinen künstlich gedrosselt, um nichts falsch zu machen, die spannenden Szenen lassen jegliche innovative Kamera oder Schnittfolge vermissen – für einen Thriller ist der Film fast zu ruhig geraten.

Gelungen ist Beresford der Film dennoch, immerhin bietet er nie langweilige 95 Minuten, ohne dass man sich ärgern müsste. Der Star ist eindeutig Ashley Judd, die eine starke Frauenrolle zum Besten gibt, in der man sie gerne öfter sieht.
Auch wenn der Film in Bezug auf die Rache-Story eindeutig auf ein weibliches Publikum abzielt, kann er für jeden, der sich darauf einlassen möchte und sich nicht an den inhaltlichen Schwächen stört, gute Unterhaltung sein. Der Erfolg gibt dem Film recht: Mit dem relativ geringen Budget von 40 Millionen Dollar spielte Doppelmord immerhin fast das Dreifache allein in den USA wieder ein.


Fazit:
Über die zum Teil haarsträubenden inhaltlichen Fehler sieht man als Zuschauer gerne hinweg, und auch wenn das Drehbuch sich nur im guten Mittelmaß bewegt – die handwerklich tadellose, saubere Inszenierung und die gute Besetzung machen das ohne Weiteres wieder wett.
Leider ist Bruce Beresfords Regiearbeit nicht nur makellos verlaufen, sondern auch ohne nennenswerte Höhepunkte. Die Action hätte mitreissender sein können, die Story überraschungsreicher und verzwickter erzählt werden.
Herausgekommen ist aber dennoch ein unterhaltsamer und makelloser Thriller ohne Nebenwirkung (wenn man nicht ein betrügender oder betrogener Ehepartner ist).