Doctor Strange in the Multiverse of Madness [2022]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. Mai 2022
Genre: Action / Fantasy / Horror

Originaltitel: Doctor Strange in the Multiverse of Madness
Laufzeit: 126 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Sam Raimi
Musik: Danny Elfman
Besetzung: Benedict Cumberbatch, Elizabeth Olsen, Xochitl Gomez, Benedict Wong, Chiwetel Ejiofor, Rachel McAdams, Michael Stuhlbarg, Bruce Campbell


Kurzinhalt:

Selbst bei der Hochzeit seiner ehemaligen Partnerin Christine (Rachel McAdams), bei der ihm vor Augen geführt wird, wie viel er in Anbetracht seiner Fähigkeiten geopfert hat, redet sich der mächtigste Magier, Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) ein, dass er glücklich sei. Noch während der Feier wird die Stadt von einem riesigen Wesen heimgesucht, das Strange zusammen mit dem Magier Wong (Benedict Wong) abwehren kann. Das Wesen war offenbar auf die Teenagerin America Chavez (Xochitl Gomez) aus, die den beiden Magiern verrät, dass sie nicht aus diesem Universum stammt. Chavez besitzt die Fähigkeit, durch das Multiversum zu reisen, mit dem Strange zuletzt bereits in Kontakt gekommen ist. Ein Dämon habe es auf sie abgesehen und Kreaturen ausgesandt, Chavez zu finden. So wendet sich Strange an die mächtigste Zauberin, die ihm bekannt ist, Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen), die nach den jüngsten Ereignissen zurückgezogen lebt. Kurz darauf muss Strange zusammen mit Wong und den übrigen Magiern in Kamar-Taj America Chavez vor einer Bedrohung bewahren, die nicht nur ihr Universum bedroht, sondern das ganze Multiversum …


Kritik:
Man fragt sich lange Zeit, weswegen für die Verantwortlichen ausgerechnet Sam Raimi der richtige Regisseur für Doctor Strange in the Multiverse of Madness sein soll, was er von seinem reichhaltigen Hintergrund als Filmemacher, der das Horrorgenre revolutionierte und große Hollywoodproduktionen zum Erfolg führte, hier beitragen kann. Die Antwort darauf liefert das zweite Soloabenteuer um den Titel gebenden Comichelden sehr spät. Bis dahin ist der Film mehr darum bemüht, lose Enden zu verknüpfen, als eine eigene Erzählung zu verfolgen.

Die Geschichte setzt unter Verweis nach den Ereignissen von Spider-Man: No Way Home [2021] an, nimmt aber sowohl auf das Avengers-Finale um Weltenzerstörer Thanos Bezug, wie auch auf die TV-Serie WandaVision [2021], um nur einige zu nennen. Gleichzeitig soll Doctor Strange in the Multiverse of Madness aber auch eine Fortsetzung zu Doctor Strange [2016] darstellen und deutet mit einer Szene nach dem Abspann ein weiteres Abenteuer an. Diese Verschränkungen mit früheren und künftigen Comic-Produktionen im Marvel-Universum sind nicht neu, aber seit geraumer Zeit merkt man den einzelnen Filmen an, dass sie spürbar, mitunter geradezu verkrampft, auf diese Konnektivität bauen und auch hier stellt sich das Gefühl ein, als würde das Drehbuch darüber vergessen, dass es auch eine Geschichte erzählen könnte, oder sollte, die für sich genommen Bestand hat.

Die setzt nach einem kurzen Prolog an, als Dr. Stephen Strange die Hochzeit seiner ehemaligen Lebensgefährtin Christine Palmer besucht. Die Feier wird gestört, als ein riesiges Wesen Zerstörung über die Stadt bringt. Zusammen mit dem obersten mystischen Wächter der Erde, Wong, kann Strange zwar die Gefahr bannen, doch das Wesen war offenbar an der jungen America Chavez interessiert, die nach eigenen Aussagen nicht aus diesem Universum stammt und die Fähigkeit besitzt, durch das Multiversum zu reisen, also in Universen, die unserem ähneln oder gänzlich verschieden sind. Ein Dämon habe das Wesen entsandt, und sei darauf aus, Americas Macht über das Multiversum an sich zu reißen. Die einzige Möglichkeit, das Wesen zu besiegen, ist das Buch von Vishanti, in dem die mächtigsten weißen Zaubersprüche dargelegt sind und das einem Waffen verleiht, mit dem man jeden Feind besiegen kann. Während Wong Chavez in Kamar-Taj versteckt, sucht Dr. Strange die mächtigste Zauberin auf, die er kennt, da Runen auf dem Wesen auf Zauberei hindeuteten: Wanda Maximoff.

Viel mehr sollte man über die Geschichte von Doctor Strange in the Multiverse of Madness im Grunde nicht verraten, um die Überraschungen nicht zu verderben, wobei manche Entwicklungen diejenigen, die nur mit den Kinoausgaben der Marvel-Abenteuer vertraut sind, sicher verblüffen werden, oder gar den Einstieg überhaupt erschweren. Es dauert jedoch nicht lange, ehe Sam Raimi dem ersten Teil des Filmtitels gerecht wird, denn wie zu erwarten, reisen Strange und Chavez in das Multiversum, besuchen somit Realitäten, die nur teilweise der bisherigen ähneln, und treffen dort auf neue Charaktere und bekannte Figuren, die neu besetzt wurden. Dass die zweite Filmhälfte beinahe exklusiv dort spielt, ist Fluch und Segen zugleich, denn während Fans des weitläufigen Comic-Universums ob der zahlreichen Gastauftritte jubeln oder gar der Verheißung kommender Comic-Verfilmungen jauchzen können, verlässt sich die Geschichte im zweiten Drittel stark auf diese „fremden“ Figuren in jenem fremden Universum. Kämpfen sie um ihr Überleben und werden von dem Antagonisten bzw. der Antagonistin der Story förmlich überrannt, ist das zwar bunt und laut inszeniert – doch da dies eben keine etablierten Figuren sind und man sich auch nicht im bekannten Universum befindet, ist das nur bedingt mitreißend. Der Sprung und das Abenteuer im Multiversum verkommt damit zu einem Fan-Service, der inhaltlich keine wirkliche Auswirkung hat.

Dabei beweist Regisseur Raimi hier bereits, weswegen ihm mit Spider-Man [2002] und dessen Fortsetzung zwei der bemerkenswertesten Comic-Blockbuster gelungen sind. Die Action ist tadellos inszeniert und gerät zum Finale hin spürbar brutaler, als man es selbst aus den bisherigen Marvel-Filmen gewohnt ist. Erst im letzten Drittel wird Doctor Strange in the Multiverse of Madness dann aber endlich das, was man bei Sam Raimi im Grunde erhoffen durfte: Ein in seinen Ideen vollkommen überdrehter und teils mit bösem Humor umgesetzter Fantasy-Horrorfilm, der auch vor den Toten nicht Halt macht. Es ist beinahe, als hätte der Filmemacher erst dann, wenn ihm die Story die Fesseln abnimmt, die Geschichte erzählen dürfen, die er zuvor bereits erzählen wollte. Doch auch hier gilt, so gelungen die Horroreinlagen sind, sie haben keine wirklichen Auswirkungen für das etablierte Filmuniversum und packen daher nicht über den Moment hinaus.

Wie viel Kreativität hier schlummert, beweisen Momente wie das Noten-Duell um Johann Sebastian Bach, oder das fabelhafte Design dieser unterschiedlichen Universen. Doctor Strange in the Multiverse of Madness ist ein visuell beeindruckender Film, der gleichzeitig spürbar von seiner Besetzung lebt. Als eine der wenig übrig gebliebenen Größen des bekannten Marvel Cinematic Universe, geht Benedict Cumberbatch in seiner Rolle des Dr. Stephen Strange merklich auf und auch Xochitl Gomez feiert als die Teenagerin America Chavez einen gelungenen Einstand. Am stärksten gefordert ist jedoch Elizabeth Olsen, die sowohl als Wanda Maximoff wie auch als Scarlet Witch eine beeindruckende Bandbreite abdeckt und ihrer Figur etwas ebenso verzweifelt Getriebenes wie unnachgiebig Rachsüchtiges verleiht. Es ist eine preiswürdige Darbietung, die den Film merklich definiert. Diese Charaktere trösten darüber hinweg, dass die Geschichte im Mittelteil Vieles präsentiert, das am Ende keine wirkliche Auswirkung mehr hat. Außer natürlich, die Verantwortlichen greifen dies in einer Fortsetzung wieder auf. Eine Szene während des Abspanns deutet selbige an, während der Moment nach dem Abspann ein Urgestein von Sam Raimis Produktionen nochmals in Szene setzt. Letzteres ist nett, aber nicht wichtig, so wie der Film für Fans insgesamt ebenso.


Fazit:
Es ist offenbar ein Fluch solcher Fortsetzungen, dass was auf dem Spiel steht, immer noch größer werden muss. Anstatt nur das bekannte Universum zu bedrohen, ist nun das Multiversum in Gefahr, und Vieles wird damit entschieden, dass die Figuren ihre Arme bewegen und damit magische Schilde oder Waffen erzeugen. Das hört sich spannend an, doch die angewandte Magie hat den Nachteil, dass das Publikum nicht weiß, wozu die Figuren im Stande sind und man somit einem Effektfeuerwerk beiwohnt, dessen Verlauf man selbst gar nicht einschätzen kann. Anstatt mitzufiebern, bleibt man unbeteiligt, da helfen auch Bücher wie das Darkhold mit bösen Zaubersprüchen nicht, die zwar die Seele der Besitzerin bzw. des Besitzers kompromittieren, deren Wirkung man aber gar nicht umfassen kann. Werden bekannte und neue Figuren im alternativen Universum vorgestellt, macht das Fans glücklich, ihr Schicksal reißt aber kaum mit so verpufft ein Großteil der Wirkung jener Momente. Die Entwicklung der Geschichte scheint (vor allem im ersten Drittel) mehr gewollt, denn natürlich. Erst, wenn Filmemacher Sam Raimi den Horror im Stile von Carrie - Des Satans jüngste Tochter [1976] einläutet, ein sichtlich brutales Finale zelebriert und dabei die Welt der Toten heraufbeschwört, entwickelt Doctor Strange in the Multiverse of Madness eine eigene Handschrift und wird zu dem Film, den man sich erhofft hätte. Doch dies beschränkt sich auf den letzten Akt, wenn auch der schräge Humor böser und bissiger wird. Fans der Comicvorlage mögen den Fan-Service im Multiversum ebenso begrüßen, wie dass Dr. Strange zu diesen Wurzeln zurückkehrt. Ob das breite Publikum hiervon im gleichen Maße begeistert sein wird, darf wenigstens bezweifelt werden.