Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution [2020]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 19. April 2021
Genre: Drama / Komödie

Originaltitel: Misbehaviour
Laufzeit: 106 min.
Produktionsland: Großbritannien / Frankreich
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Philippa Lowthorpe
Musik: Dickon Hinchliffe
Besetzung: Keira Knightley, Gugu Mbatha-Raw, Jessie Buckley, Keeley Hawes, Phyllis Logan, Lesley Manville, Rhys Ifans, Greg Kinnear, John Heffernan, Suki Waterhouse, Ruby Bentall, Alexa Davies, Lily Newmark


Kurzinhalt:

Als Veranstalter Eric Morley (Rhys Ifans) im Jahr 1970 den Miss World-Wettbewerb in Großbritannien austragen will, sieht er sich mit einem Berg an Problemen konfrontiert. Sein bevorzugter Moderator, der amerikanische Entertainer und Schauspieler Bob Hope (Greg Kinnear), lässt sich lange Zeit bitten und dass grundsätzlich keine farbige Kandidatin aus Südafrika vorgesehen ist, wird zum Politikum. Schürzenjäger Hope willigt schließlich ein, doch sieht sich der Wettbewerb einer neuen Herausforderung gegenüber: Die Frauen-Befreiungsbewegung kündigt Proteste gegen den Miss World-Wettbewerb an. Während Sally Alexander (Keira Knightley) als Sprecherin der Bewegung ein Gesicht verleiht, sind es Aktivistinnen wie Jo Robinson (Jessie Buckley), die mit ihren Aktionen Fakten schaffen. Sie planen gemeinsam, den Wettbewerb medienwirksam zu stören, doch gefährden sie damit auch das Schicksal von Kandidatinnen wie Miss Grenada, Jennifer Hosten (Gugu Mbatha-Raw), für die viel mehr auf dem Spiel steht, als ein Krone und ein Titel – eine Welt voller Möglichkeiten …


Kritik:
Filmemacherin Philippa Lowthorpe gelingt mit Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution eine leichte und leicht zugängliche Komödie, die dennoch den Ernst des Themas nicht vermissen lässt. Die auf Tatsachen basierende Geschichte erzählt nicht nur von Protesten während des Miss World-Wettbewerbs im Jahr 1970, sondern vom Beginn einer Bewegung, deren Themen sich in einem halben Jahrhundert kaum geändert haben. Das ist kein Vorwurf, sondern unterstreicht vielmehr, wie wichtig und relevant die Themen nach wie vor sind.

Es ist das Jahr 1970 und Veranstalter Eric Morley ist dabei, den aktuellen Miss World-Wettbewerb zu organisieren. Für ihn ist die drängendste Frage, wer die von 100 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern verfolgte Sendung moderieren soll. Der favorisierte Moderator, US-Entertainer Bob Hope ziert sich. Nicht zuletzt, weil er seiner Frau nach der letzten Moderation des Wettbewerbs versprochen hatte, dass er es nie tun würde. Weshalb dem so ist, deutet Die Misswahl an, ohne in allzu große Details zu gehen, wie lange die Liebschaft mit der damaligen Gewinnerin und Hope gedauert hat. Dass er dem weiblichen Geschlecht zugetan ist, daraus macht weder er, noch der Film einen Hehl. Bereits zuvor war die Geschichtsstudentin Sally Alexander auf die Frauen-Befreiungsbewegung aufmerksam geworden. Für sie und ihre Mitstreiterinnen, angeführt von der furchtlosen Jo Robinson, ist die anstehende Miss Wahl nicht mehr als eine entwürdigende Fleischbeschau, bei der sich die Kandidatinnen einem Viehmarkt gleich präsentieren müssen.

Dies allein wäre bereits Stoff genug für eine temperamentvolle Erzählung und zu sehen, wie sich die Frauen in der Bewegung organisieren, wofür sie stehen, ist sicherlich inspirierend. Doch die größte Stärke von Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution ist, dass nicht nur dieser Aspekt präsentiert wird, sondern auch diejenigen, die sich letztlich mehr oder weniger freiwillig diesem System unterwerfen. In dem Zuge stellt Regisseurin Lowthorpe zahlreiche der Kandidatinnen des Wettbewerbs vor, die aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt zusammenkommen. Zum ersten Mal dabei ist eine farbige Miss Afrika Süd, während bislang nur weiße Kandidatinnen aus dem Land zugelassen waren. Insofern gewinnt der Wettbewerb in diesem Jahr nicht nur an politischer Bedeutung – wobei die politischen Fragen der Journalisten von den Veranstaltern konsequent abgewiesen werden –, vielmehr wird die Rolle der Frauen darin grundlegend hinterfragt. Nur, was bedeutet es für die jungen Frauen, sich derart präsentieren zu müssen?

Sitzt Sally als Repräsentantin der Frauenbewegung in einem Fernsehinterview neben einer ehemaligen Teilnehmerin, findet sie sich in der Situation jemand verteidigen zu wollen, die sich nicht als Opfer der Miss Wahl sieht. Für viele der Kandidatinnen, die hier zumindest grundlegend vorgestellt werden, ist die Teilnahme eine Möglichkeit, gesellschaftlich aufzusteigen. Während Miss Vereinigte Staaten hofft, mit den Erlösen ein Studium zu finanzieren, sieht Miss Grenada die Chance, dass sie für Mädchen in ihrer Heimat ein Symbol der Hoffnung sein kann, wenn diese erkennen, was sie in der Welt erreichen können. Nur wenige sehen in der Show, in der Bewertung ihrer körperlichen Eigenschaften, eben jene erniedrigende Unterhaltungsshow, die Sally und die anderen Mitglieder der Frauenbewegung repräsentiert sehen. Wer liegt also richtig? Die Antwort darauf lässt Die Misswahl dem Publikum offen und stellt beide Seiten vor, ohne einer ihre Ansicht abzusprechen.

Doch liegt genau hier der große Schwachpunkt der Produktion, die ähnlich wie die Miss Wahl selbst mit ihren äußeren Werten glänzt. Handwerklich gibt es nichts zu bemängeln und auch die Besetzung ist erstklassig. Die damalige Zeit wird greifbar und in wohl ausgesuchten Bildern zum Leben erweckt, so dass teils bissige Unterhaltung garantiert ist. Doch es fehlt der inhaltliche Tiefgang, der sich weder in den Auseinandersetzungen Sallys mit ihrer Mutter oder ihrem Mann wirklich ergibt, noch in der Konfrontation mit den Kandidatinnen der Misswahl, die ihre Chance durch den Protest der Frauenbewegung in Gefahr sehen. Sämtliches Konfliktpotential wird ebenso wie die offen sexistischen Äußerungen der meisten männlichen Figuren präsentiert, ohne dass sich das Drama damit auseinandersetzen würde. Es zeigt sich in einem Moment, in dem die Kandidatin Jennifer Hosten ihrer Konkurrentin Miss Schweden in Anbetracht ihrer herabwürdigenden Vorbereitung auf die Show durch Morley sagt, sie könne sich glücklich schätzen, wenn sie denke, dies wäre eine schlechte Behandlung. Was sie damit meint, deutet zwar ihr ebenso ernster wie trauriger und lebenserfahrener Blick an, doch es bleibt unausgesprochen, denn über ihren privaten Werdegang erfährt das Publikum wie bei den übrigen Teilnehmerinnen so gut wie nichts. Das ist einfach schade.


Fazit:
Kommt man zu der Schlussfolgerung, dass Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution ein zeitloses Thema behandelt, ist das weniger ein Verdienst der Beteiligten hinter der Kamera, als ein Versäumnis unserer Gesellschaft an sich. Regisseurin Philippa Lowthorpe wirft einen Blick auf den Beginn der Frauen-Befreiungsbewegung und zeigt im gleichen Zug die Zwiespältigkeit eines Systems, in dem sich Frauen objektivieren lassen müssen, um ihre Zukunftschancen zu erhöhen. Dass die hier gezeigten Frauen sich dem System unterwerfen, macht ihnen die Dramödie richtigerweise nicht zum Vorwurf. Wie es Sally Alexander der neuen Miss World in einem zu kurze Dialog sagt, „Ihr seid nicht die, auf die wir wütend sind“. Es ist eine wichtige Unterscheidung, die hier von größter Bedeutung ist.
Ein Blick darauf zu lenken, ist in Anbetracht der zu Beginn formulierten Forderungen der Frauenbewegung, die heute noch genau so Bestand haben, wichtig und richtig. Dem Film gelingt es auch, ein breites Publikum dabei anzusprechen. Gerade deshalb vermisst man jedoch die tiefergehende Wut, von der die Aktivistinnen hier sprechen. So schön die Stimmung am Schluss und so inspirierend die wirklichen Vorreiterinnen schließlich präsentiert werden, die Umsetzung wirkt schlicht zu zahm.