Die Farbe Lila [2023]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 31. Januar 2024
Genre: Drama / Musical

Originaltitel: The Color Purple
Laufzeit: 141 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Blitz Bazawule
Musik: Kris Bowers
Besetzung: Fantasia Barrino, Phylicia Pearl Mpasi, Taraji P. Henson, Danielle Brooks, Colman Domingo, Corey Hawkins, H.E.R., Halle Bailey, Ciara, Aunjanue Ellis-Taylor, Jon Batiste, Louis Gossett Jr., David Alan Grier, Deon Cole, Tamela Mann, Elizabeth Marvel, Stephen Hill


Kurzinhalt:

Im Jahr 1909 wachsen die Schwestern Celie (Phylicia Pearl Mpasi) und Nettie Harris (Halle Bailey) bei ihrem gewalttätigen Vater Alfonso (Deon Cole) auf. Tagsüber arbeiten sie in seinem Laden, doch was Celie abends erwartet, ist unendlich viel schlimmer. Sie hofft, dass es ihr bei dem nur „Mister“ genannten Albert Johnson (Colman Domingo) besser ergehen wird, an den Alfonso sie verkauft. Doch der Missbrauch reißt nicht ab. Zusätzlich jagt er Nettie fort und versteckt alle Briefe, die sie Celie über die Jahre schreibt. Die Zeit vergeht und Celie (Fantasia Barrino) erträgt die Unterdrückung und die Misshandlungen, wobei sie langsam den Mut fasst, sich zu wehren. Grund hierfür sind die Ermutigungen von der Frau von Misters Sohn Harpo (Corey Hawkins), Sofia (Danielle Brooks), die sich von niemandem den Mund verbieten lässt. Aber auch die Sängerin Shug Avery (Taraji P. Henson) ist eine Inspiration, selbst wenn sie einen zweifelhaften Ruf besitzt und ihr eigener Vater, der örtliche Pastor, nicht mehr mit ihr spricht. Doch Celies Entschlossenheit trifft nicht nur in Mister auf scheinbar unbezwingbare Widerstände. Auch ihre Vorbilder erfahren in der von Männern dominierten Welt Rückschläge, die Celie zurückwerfen …


Kritik:
Blitz Bazawules Verfilmung der Musicaladaption von Alice Walkers mit dem Pulitzerpreis gekrönten Romanvorlage aus dem Jahr 1982 erzählt eine Geschichte, die so ermutigend ist, wie sie einem unvermittelt nahegeht. Doch die größte Stärke dieser Adaption von Die Farbe Lila ist gleichzeitig ihre größte Schwäche. Als Musical spricht der Film ein anderes Publikum an und ermöglicht damit diesen Menschen den Zugang zu seiner Story, als es Steven Spielbergs vielfach für den Oscar nominierte Verfilmung aus dem Jahr 1985 vermag. Auch entgeht er damit einem Vergleich mit jener Adaption. Doch ob die Herangehensweise als Musical der Geschichte einen Dienst erweist, bleibt einer jeder selbst überlassen zu entscheiden. Wichtig und bewegend ist es allemal, und inspirierend überdies.

Im Zentrum steht die Afroamerikanerin Celie Harris, die im Jahr 1909 im ländlichen Georgia aufwächst. Die Beziehung zu ihrer Schwester Nettie lässt sie den wiederholten Missbrauch durch ihren gewalttätigen Vater Alfonso überstehen. Zwei Kinder musste sie bereits fortgeben. Wohin ihr Vater sie gebracht hat, weiß Celie nicht. Die Hoffnung, dass sich die Dinge bessern, als Alfonso Celie an den charmant auftretenden Albert, genannt „Mister“, verkauft, währt nur kurz. Auch Mister misshandelt und missbraucht Celie und jagt darüber hinaus Nettie fort, die zu Celie geflohen war. So muss Celie die alltäglichen Demütigungen alleine erdulden. Doch in der resoluten Sofia, die ein Kind von Misters Sohn Harpo erwartet, und in der Tochter des Pastors, Shug Avery, findet Celie im Lauf der Jahre starke und selbstbestimmte Frauen, die ihr Mut machen, sich zu wehren.

Die Farbe Lila ist nicht nur ein mitunter erschütterndes Porträt von afroamerikanischen Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das Drama erzählt auch vom Erwachsenwerden im Allgemeinen, von missbräuchlichen Beziehungen und wie es Celie gelingt, in alledem eine Stärke zu finden, die sie zu einer Inspiration werden lässt. Dabei deckt Regisseur Bazawule eine Zeitspanne von beinahe 40 Jahren ab, von denen Celie lange Zeit in einer von Missbrauch geprägten Ehe gefangen ist, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt. Ihre Entwicklung hin zu einer selbstbestimmten Frau, die sich nicht der Bitterkeit ergibt, sondern eine Aufgabe findet, mit der sie anderen den Weg leuchtet, besitzt etwas Majestätisches. Doch setzt diese Entwicklung erst weit in der zweiten Hälfte des beinahe zweieinhalbstündigen Musicaldramas ein. Bis dahin ist, was ihr widerfährt, erschütternd zu beobachten, doch es ist gleichermaßen nur wenig mitreißend. Werden zum Ende hin viele Zusammenhänge aufgelöst, wird umso deutlicher, wie viel Celie ihr Leben lang vorenthalten wurde. Sie steht für Generationen von Frauen, die noch weniger Rechte besaßen, als Männer. Die bestimmte Bars und Etablissements nicht betreten durften, die Männern vorbehalten waren. Denen Zugang zu Bildung verwehrt wurde und die sich erwartungsgemäß um den Haushalt kümmerten. In einer Welt, in der es zwischen Weißen und Farbigen ein Machtgefälle gibt, deren Auswirkungen die Geschichte auf niederschmetternde Art und Weise offenlegt, besitzen farbige Frauen noch weniger Rechte als alle anderen.

Diese Widrigkeiten machen Celies Transformation nur umso ermutigender, zumal sie von Fantasia Barrino beeindruckend zum Leben erweckt ist, übertroffen einzig durch Danielle Brooks’ ergreifende Verkörperung der beinahe gebrochenen Sofia. Die sichtlich engagierte Besetzung zeichnet Die Farbe Lila ebenso aus wie die durchaus eindrucksvollen Tanzchoreografien, die zwar selten einfallsreich in Szene gesetzt sind, dafür aber überwiegend unter freiem Himmel stattfinden, anstatt im Studio entstanden zu sein. Die Umgebung allein verleiht dem Gezeigten eine greifbare Authentizität, zu der auch die tadellosen Bauten und Kostüme beitragen, die aber durchweg zu glatt und sauber erscheinen.

Doch um eine Frage kommt die sichtbar aufwändig umgesetzte Verfilmung dieser insbesondere für die afroamerikanische Kultur bedeutenden Geschichte nicht herum: was gewinnt sie durch die Präsentation als Musical?
Es ist eine Frage, die nicht leicht und dabei nur gleichermaßen subjektiv zu beantworten ist. Auf der einen Seite spiegelt die Instrumentierung den zeitlichen wie örtlichen Hintergrund spürbar wider und die Melodien der Songs sind überaus eingängig. Sofias „Hell No!“ ist inhaltlich wie musikalisch das einprägsamste Lied, wobei auch das von Celie gesungene „I’m Here“ die Aussage so lebensbejahend wie ermunternd auf den Punkt bringt. Doch es fällt auf, dass kaum ein Song wirklich in Erinnerung bleibt und abseits der vorgenannten fällt es schwer, sich im Nachhinein generell an ein durchgehendes musikalisches Motiv zu erinnern. Das bedeutet nicht, dass insbesondere Musical-Fans hier nicht auf ihre Kosten kommen und ihnen womöglich gerade auf diese Weise ein Drama nahgebracht wird, das ihnen sonst verborgen geblieben wäre. Doch wer sich von der Herangehensweise selbst nicht von vornherein angesprochen fühlt, wird es schwerhaben, Blitz Bazawules Interpretation der Romanvorlage irgendeinen Aspekt abzugewinnen, der der inzwischen 39 Jahre alten, ersten Verfilmung gefehlt hatte.


Fazit:
So zahlreich die Songeinlagen in der ersten Hälfte, so spärlich sind sie – wenigstens gefühlt – in der zweiten. Dabei gelingt es vor allem dem letzten Akt merklich besser als den vorigen, das Publikum auch emotional an Celie zu binden. Sie nicht nur als unterdrückte Frau ohne den Rückhalt ihrer Schwester zu sehen, sondern ihre greifbare Entwicklung mitzuerleben, ist inspirierend, während sich in den ersten 25 Jahren ihrer Geschichte gewissermaßen nur ändert, wer ihr Gewalt antut und wo. Was ihr widerfährt, ist wichtig zu sehen und zu hören, doch so aufwändig die Tanzszenen choreografiert sind und so erstklassig all dies gespielt ist, es ist zu Beginn nur wenig mitreißend. Die großartigen Momente, von denen es viele gibt, sind darüber hinaus nicht in den Musicalszenen präsentiert, die lediglich das zuvor gesagt wiederholen. Was zeichnet die Präsentation als Musical dann aber gegenüber einer herkömmlichen Herangehensweise aus? Die Farbe Lila schildert eine heute wie damals bedeutende und ermutigende Geschichte über die Widerstandskraft und Stärke, die Celie nicht einmal in sich selbst sieht, die zu entdecken aber ungemein erhebend ist. Ob dabei die Herangehensweise als Musical insgesamt, gerade mit seinen weit überwiegend hellen und fröhlichen Melodien unterlegten Liedern im Gegensatz zur harschen und düsteren Story, angemessen oder gar hinderlich ist, hängt umso mehr vom Publikum ab.